Sonntag, 13. April 2025

Reden für die Ewigkeit: Vom auch angewiesen sein

Um aus einer wegweisenden Rede des Bundespräsidenten zu zitieren, darf sich jeder ausdenken, was er gehört haben will.
Er hat ihn nie gesagt, diesen rätselhaften, ungeschlachten Satz, den ihm die großen Gazetten in den Mund legen, als sei dieser erste Mann im Staat nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu formulieren. Als Bundespräsident Walter Steinmeier nach Köln eilte, um eingebürgerte Menschen aus anderen Ländern als Bereicherung für Deutschland zu würdigen und Einbürgerungsurkunden an zwölf neue deutsche Staatsbürger zu überreichen, verwies er darauf, dass Deutschland "auch in Zukunft auf Zuzug und Einwanderung angewiesen sein" werde.  

Die Frage des Auch

Dass daraus ein Zitat wurde, nach dem er gesagt habe, "Deutschland wird auf Zuzug und Einwanderung auch angewiesen sein", verdankt sich allein der kreativen Fantasie der Nachrichtenagentur DPA, der ersten Adresse für Allgemeingültigkeit im Medienland Deutschland. 

Der wirkliche Wortlaut einer Rede mag vorliegen. Doch Sinnverschiebungen in Richtung Leerparole sind immer machbar. Erst in Kürze sollen umfassende Regelungen greifen, nach denen die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen als durch die Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt gelten. Bis dahin aber ist es hier nur ein "auch", das die Satzstellung wechselt und nun im Gesamtzusammenhang dort steht, wo es keinen Sinn ergibt. 

Verquere Formulierung

Deutschland wird "auf Zuzug und Einwanderung auch angewiesen" sein? Wer außer Deutschland noch? Und worauf wird Deutschland noch angewiesen sein? Das "auch" wirft viele Fragen auf. Doch Steinmeier, als erster höchstrichterlich bestätigter Verfassungsbrecher ins höchste Amt im Staate gerutscht, hat sich nicht über die Formulierung beschwert, die ihm in den Mund gelegt wurde. Steinmeier weiß, es kommt auf Details nicht an, wenn die Grundbotschaft stimmt. 

Von Präsidentenreden ist seit Menschengedenken bekannt, dass nie etwas übrig bleibt als ein einziger Satz oder ein einzelnes Wort. Bei Roman Herzog, dem letzten knorrigen alten Konservativen im Schloss Bellevue, war es der "Ruck", der durch Deutschland gehen sollte, um den Abschied von liebgewordenen Besitzständen einzuleiten. Bei Walter Steinmeier wird es womöglich das ermutigende "auch" sein.

Dem aktuellen Präsidenten, der in zwei Jahren in den Ruhestand gehen wird, wäre es wohl recht. Der Mann, der als "Referent für Medienrecht und Medienpolitik" begann, als Minenhund eines heute verfemten Kanzlers aufstieg und als Kanzlerkandidat der SPD scheiterte, gilt nicht als Prozesshansel, der wie andere Sozialdemokraten auch mal Anzeigen gegen Bürgerinnen und Bürger erstattet. 

Nichts ist ihm fremd

Vielmehr bleibt der 69-Jährige gelassen. Er mahnt und fordert unverdrossen und mittlerweile hat er sich so den Ruf eines Politikers erarbeitet, der alleweil Reden hält, wie sie kein anderer so überzeugend präsentieren könnte. Eine typische Steinmeier-Ansprache deckt alle Bedeutsamkeiten ab, sie geht tief und flach, rüttelt auf und ruft in Erinnerung. 

Keine gesellschaftliche Spaltung ist dem Präsidenten auch fremd, kein Milieu hat ihm nicht auch Anlass, etwas zu sagen. Reden, die grundsätzlicher Natur sind, hat Steinmeier schon oft gehalten. Nicht immer ist er verstanden worden. Aber er würde es werden, hielte er endlich einmal diese: 


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

heute wende ich mich wiedereinmal an Sie alle, um über etwas zu sprechen, das uns alle verbindet: unsere Demokratie. Sie ist nicht nur unser System, nicht nur unnsere Ordnung – sie ist tatsächlich genau das Fundament unseres Zusammenlebens, die Grundlage für unseren Wohlstand, der Ruhe im Land, unseres Gemeinwohles und unserer Zuversicht in eine gemeinsame Zukunft in einer Friedensordnung, die sich in diesen Tagen auch bereit zu unserer Selbstverteidigung macht. 

Genau deshalb ist es auch unsere gemeinsame Verantwortung, sie zu schützen, zu stärken und mit Leben zu füllen. Diese Verantwortung liegt bei uns allen – bei Ihnen, bei mir, bei jeder und jedem Einzelnen, der Teil dieser Gesellschaft ist, es sein will und sein darf.

Demokratie lebt von uns allen

Wenn wir über unsere Demokratie sprechen, dann sprechen wir auch über ein Versprechen, das uns die Amerikaner vor 80 Jahren gegeben haben. Ein Versprechen, das uns Freiheit und Gerechtigkeit garantiert, das uns einbindet und uns gehört. Aber dieses Versprechen ist kein Selbstläufer. Es ist tatsächlich so: Unsere Demokratie lebt von unserer Bereitschaft, uns einzubringen, von unserer Fähigkeit, auch Verantwortung zu übernehmen, und von unserem Willen, die Beschlüsse, die wir gemeinsam fassen, zum Wohle aller durchzusetzen. 

Absolut zentral ist dabei unser Zusammenhalt – ein Zusammenhalt, der nicht nur in guten Zeiten Bestand haben muss, sondern besonders in herausfordernden Momenten. Bis dass der Tod uns scheidet, sagt died Bibel und gerade in Zeiten, in denen wir mit Unsicherheiten konfrontiert sind – sei es durch globale Krisen, wirtschaftliche Herausforderungen oder unsere inneren gesellschaftliche Spannungen durch Kräfte, die nicht unsere sind –, wird auch deutlich, wie wichtig es ist, dass wir zusammenstehen.

Einheit bedeutet nicht Gleichmacherei. Sie bedeutet, dass wir unsere Vielfalt als Stärke begreifen und uns dennoch auf das einigen, was uns auch verbindet: Unser Wunsch nach einem guten Leben für alle, nach Sicherheit, nach Wohlstand und nach einem Gemeinwohl, das niemanden zurücklässt.

Die Rolle der Gemeinschaft 

Unsere Demokratie ist ein Gemeinschaftswerk. Jede Stimme zählt, jedes Engagement trägt auch dazu bei, jede Idee kann auch einen Unterschied machen. Dass wir dabei strikt trennen zwischen dem, was uns allen nützt, und dem, was wir alle ablehnen sollten, genau das macht unsere Gesellschaft so besonders. Dass wir nicht nur Rechte haben, sondern auch Pflichten – die Pflicht, aufeinander zu achten, die Pflicht, uns gegenseitig zu respektieren, und die Pflicht, unsere Demokratie nicht als gegeben hinzunehmen. Genauso sieht es aus: Dass wir nicht nur Linke haben, mit denen eine Zusammenarbeit vorstellbar, und wünschenswert ist, sondern auch Rechte, mit denen wir das nicht tun dürfen werden.

Die führende Rolle der Bedeutung bei der Durchführung der Beschlüsse ist tatsächlich eine Errungenschaft. Dass wir in einem Land leben, in dem wir frei unsere Meinung äußern können, in dem wir wählen dürfen, in dem wir streiten und uns versöhnen können, ist auch kein Zufall. Aber ein fragiler Zustand, wenn wir ihn nicht pflegen. 

Ich möchte Sie daher ermutigen: Bringen Sie sich ein! Gehen Sie wählen, beteiligen Sie sich an Diskussionen, engagieren Sie sich in Ihrer Nachbarschaft, in Vereinen, in Initiativen. Sagen Sie, was Sie denken, wenn es unserer Gemeinschaft dient. Jede kleine Tat zählt, denn sie stärkt das Gesamtgefüge unserer Gemeinschaft. Absolut entscheidend ist, dass wir nicht nur fordern, sondern auch geben – dass wir nicht nur kritisieren, sondern auch gestalten. 

Zuversicht statt Resignation 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich weiß, dass es auch in unserem Land Momente gibt, in denen die Herausforderungen groß erscheinen. Manchmal scheint es, als würden die Probleme uns überrollen – sei es der Klimawandel, soziale Ungleichheit oder die Spaltung in unserer Gesellschaft. Doch ich sage Ihnen: fallen Sie nicht vom Glauben ab. Resignation ist keine Option. Unsere Zuversicht ist der Motor, der uns voranbringt. Zuversicht bedeutet nicht, die Augen vor Schwierigkeiten zu verschließen. Sie bedeutet, die Kraft zu haben, Lösungen zu suchen, und den Mut, sie umzusetzen. Dazu gehört die Geduld, manchmal lange, lange warten zu können.

Genau hier liegt die Bedeutung unserer gemeinsamen Anstrengungen. Wenn wir als Gemeinschaft handeln, wenn wir die Beschlüsse, die wir fassen, mit Entschlossenheit durchsetzen, dann können wir Großes erreichen. Denken Sie an die Errungenschaften der Vergangenheit: den Wiederaufbau nach Kriegen, die Wiedervereinigung unseres Landes, den Ausbau unseres Sozialstaates. Mindestlohn und Kindergeld. Atomausstieg und die neuen 5G-Netze. Unsere Landwirtschaft, um die uns viele beneiden.
All das war auch nur möglich, weil Menschen zusammengearbeitet haben – mit Zuversicht, mit Engagement, mit einem Blick für das Gemeinwohl. 

Herausforderungen gemeinsam meistern

Reden wir nicht drumherum. Lassen Sie mich einige der Herausforderungen ansprechen, vor denen wir heute stehen. Unser Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit. Er fordert uns auf, umzudenken, neue Wege zu gehen und Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für uns, sondern für die kommenden Generationen. Genau deshalb müssen wir jetzt handeln, mit klugen Beschlüssen, die nachhaltigen Wohlstand sichern und unser Gemeinwohl fördern. 

Auch die soziale Gerechtigkeit bleibt dauerhaft ein zentrales Anliegen aller. Wohlstand darf nicht nur wenigen vorbehalten sein. Eine starke Gemeinschaft sorgt dafür, dass alle die gleichen Chancen haben – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sozialem Hintergrund oder Geldbeutel. Absolut unverzichtbar ist dabei ein Bildungssystem, das jedem Kind die Möglichkeit gibt, sein Potenzial zu entfalten. Bildung ist der Schlüssel zu Einheit, zu Wohlstand und zu einer lebendigen Demokratie. 

Und schließlich: unsere digitale Zukunft. Die Digitalisierung bietet seit Jahren enorme Chancen, aber sie birgt auch Risiken – etwa für den Zusammenhalt, wenn Falschinformationen oder Hassrede die Debatte vergiften. Hier sind wir alle gefragt, verantwortungsvoll mit den Möglichkeiten umzugehen, die uns die Technologie bietet. Lassen Sie uns die digitale Welt so gestalten, dass sie auch unsere Demokratie stärkt, anstatt sie auch zu schwächen. 

Ein Appell an uns alle 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Verantwortung für unsere Demokratie liegt in unseren Händen. Sie ist keine Aufgabe, die wir an andere delegieren können. Sie ist eine Aufgabe, die uns verbindet, die uns herausfordert und die uns die Chance gibt, etwas zu bewirken. 

Genau das ist der Kern unserer Gemeinschaft, bei aller Gespaltenheit, die wir gemeinsam so oft und engagiert beklagen müssen. Dass wir gemeinsam gestalten, dass wir auch gemeinsam entscheiden, dass wir gemeinsam zum Wohle aller handeln und jeden mitnehmen, während wir auch keinen zurücklassen. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns diese Verantwortung mit Zuversicht annehmen. 

Lassen Sie uns unsere Demokratie mit Leben füllen – durch Engagement, durch Respekt, durch Zusammenhalt. Absolut klar ist: Wenn wir zusammenstehen, wenn wir die Beschlüsse, die wir fassen, mit Entschlossenheit umsetzen, dann können wir nicht nur die Herausforderungen von heute meistern, sondern auch eine Zukunft gestalten, die uns allen gehört. 

Unsere Demokratie ist kein Geschenk, sondern eine Aufgabe. Lassen Sie uns diese Aufgabe gemeinsam angehen, für unser Gemeinwohl, für unseren Wohlstand, für unsere Einheit. Ich danke Ihnen – und ich zähle auf Sie. Vielen Dank.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

" Die führende Rolle der Bedeutung bei der Durchführung der Beschlüsse ist tatsächlich eine
Errungenschaft ". Ein Satz wie in Stein gemeißelt. Der hätte auch in " Neuen Deutschland " stehen können.

Anonym hat gesagt…

Die führende Rolle der Bedeutung bei der Durchführung der Beschlüsse ,( des ZK der SED , Anmerkelung der Red. ) ist tatsächlich eine
Errungenschaft ". Ein Satz wie in Stein gemeißelt. Der hätte auch in " Neuen Deutschland " stehen können.

Die Textbausteine stammen auch tatsächlich aus dem Sprachschatz der Gut- und Bestmenschen .

Anonym hat gesagt…

OT
< Rechtspopulist 13. April 2025 at 19:56
Es war und ist eine Jahrhundertlüge. Genauso wie die Ausschwitzlüge, dass der Sozialismus gerecht ist und die Flüchtlingslüge. > -------- Bei PIPI ...
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Ob das so stehen bleiben tut?

Anonym hat gesagt…

< Die Impfung hatte einen gewissen Schutz bei den Hochbetagten, wo Nutzen und Risiko vielleicht noch vertretbar war. >
"Fairmann" 20.17 Uhr labert Kacke. --- Kennt man von anderen Themen auch - "IRGENDWAS muss doch dran sein ..."

Anonym hat gesagt…

Ob das so stehen bleiben tut?

Der ganze Artikel ist weg. Seltsam, oder vielmehr, nicht ...