Montag, 28. April 2025

Politische Evolution: Überleben auf Abwegen

Politik betritt Abwege im Glauben, sie seien alternativlos.

Es ist jeder Entität eigen, dass sie ihr Überleben ins Zentrum aller Bemühungen stellt. Ob die Ameisenkolonie, ein Dorf in Sachsen, der Bundestag oder die EU: Die bewährte Strategie der Evolution, ob bei Pflanzen, Tieren oder Menschen, besteht immer darin, sich auszubreiten, denn je mehr es von irgendetwas gibt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass es morgen nicht mehr existiert. Das Dorf in Sachsen zeigt, was geschieht, wenn das nicht mehr gelingt: Einer Lebensart landet als obskure Ausnahme von der Regel auf der Roten Liste der bedrohten Arten.

Muster des Überlebens


Über mehr als ein Jahrzehnt verhinderte dieses Entwicklungsmuster, dass der Bundestag schrumpfte. Bis heute steht es Pate beim Phänomen, dass die EU-Institutionen und -Etats niemals schrumpfen, nicht einmal, als eines der größten Länder austrat. Auch hier gilt, je mehr, desto eher wird irgendetwas davon noch da sein, wenn irgendetwas passiert, mit dem niemand rechnet.

Ein kluges Konzept, das die Menschheit zwang, einen Kontinent nach dem anderen zu besiedeln, immer weiter zu reisen und dabei ganz verschiedene Kulturen zu entwickeln. Über hunderttausende Jahre hinweg änderte sich dies und es änderte sich das. Eins aber blieb: Menschliche Kulturen, die einzigen Ausbreiter, die den Sinn ihrer eigenen Bemühungen zu erfassen in der Lage sind, triumphierten dank verschiedener Taktiken und unterschiedlichster Strategien über alle Widerstände, die Natur und Umwelt ihnen in den Weg stellten. Aus ein paar Hunderttausend Menschen wurde mehr als acht Milliarden. Nur der Weizen, der sich den Menschen als Pflegepartner hält, war noch erfolgreicher.

Europa auf der Kippe


Ausgerechnet in Europa aber droht die Entwicklung nun jäh abzubrechen. Hier, auf dem alten Kontinent, auf dem die letzte, fiebrigste und erfolgreichste Phase der Herrschaft der Primaten über ihre belebte und unbelebte Umgebung begann, hat die politische Evolution eine Entwicklungsstufe erreicht, die normales menschliches Leben zusehends unmöglich macht: Um sich selbst und ihr Leben zu schützen, müssen die Bewohner der vielen Elfenbeintürme sich bemühen, blind gegenüber den Verhältnissen auf dem Land, gegen die aufkommenden Probleme der Demographie und die allmählich eintretende wirtschaftliche Lähmung zu werden.

Das aber führt unten, dort, wo diese Probleme Alltag sind, zu einer natürlichen Abstoßungsreaktion: Niemand will aussterben, nur weil jemand anders aus Angst vor dem Aussterben Gefahren ignoriert. Wirklichkeitsverweigerung, die zur großen Freude rechter und noch rechterer Parteien über ein ganzes Jahrzehnt hinweg der Lebenssaft war, aus dem die Demokratie trank, wenn sie Hunger hatte, hat nicht etwa wie versprochen Bürokratie, abgebaut, die Demokratie gestärkt und die Staaten der EU immer enger zusammenwachsen lassen. Sondern das Gegenteil bewirkt.

Nützt nur den Falschen


Je verrückter die Namen wurden, die die EU-Kommissare ihren Ressorts gaben, umso mehr entrückte der Überbau den Fährnissen des normalen Lebens, mit denen sich Bürgerinnen und Bürger Tag für Tag herumzuschlagen haben. Dass nichts mehr funktioniert und Beschwerden unbegründet sind, wie sie nur den Falschen nützen, hat als Abwehrstrategie eine verblüffende Wirksamkeit bewiesen. 
 
Ausgestattet mit einer Langmut, die Freiheitseinschränkungen, Verwaltungsversagen und staatliche Übergriffe bis in den privatesten Lebensbereich achselzuckend hinnimmt, ist der Bürger noch dankbar dafür, dass die großen Medien an einem Strang ziehen, um beruhigende Nachrichten zu verbreiten.

Es wird keine Aufstände geben, nicht einmal ein Aufmucken größerer Teile der Bevölkerung. In nahezu allen Mitgliedstaaten der EU ist es wie von Zauberhand gelungen, die Bevölkerungen in mehrere Blöcke zu spalten, die sich gegenseitig für das schlimmste Übel unter der Sonne halten. 

Nach Jahren, in denen das selbsternannte Fortschrittslager mit einem Satz- und Punktsieg am Ende der Geschichte von demokratische auszuhandelnden Kompromissen angekommen zu sein schien, neigte sich die Waage zuletzt auf die andere Seite: Die Letzte Generation, die dem Terror abschwor und bei Wahlen antrat, bekam trotz breiter und freundlicher Medienbegleitung nicht mehr Stimmen als eine beliebige andere absurde Selbsthass-Sekte erhalten hätte.

Muster des Überlebens


Die evolutionären Muster des Überlebens lassen die Institutionen, die Parteien und die vom Staat ausgehaltenen zivilgesellschaftlichen Organisationen nun nach neuen Wegen suchen. Es ist keine kindliche Vorstellung, dass es auch wieder anders kommen wird, sondern eine Lehre aus der Geschichte: Das Pendel schlägt hierhin und es schlägt dahin, mal möchten die Menschen mehrheitlich glauben, dass ihnen auf eigene Kosten eine möglichst ausgedehnte Klimapolitik geboten wird, dann wieder empört sie, dass eigene Kosten eigenes Geld heißt. 

Der Rückweg ist weitgehend verstellt, seit eine Politikergeneration es geschafft hat, mit der "Schuldenbremse" nicht nur ein neues Schlachtfeld zu eröffnen, sondern mit den Klimazielen auch noch Visionen mit Gesetzeskraft auszustatten. Wer diese Gesetze bricht, der tötet die Menschheit. Wer gegen Auflagen verstößt, die das verhindern sollen, der vergeht sich an kommenden Generationen. Und zwar ausgerechnet an denen, die zuletzt so vehement gegen noch mehr Klima, noch mehr Gerechtigkeit und Europa stimmten.

Nie auf dem richtigen Weg


Die Evolution probiert Wege aus, immer verschiedene und nie nur einen. Dass der Pfad, den Regierungskoalitionen bis zum Ausstieg aus diesem und dem fertigen Umbau von jenem festlegen, nie dorthin führt, wo die Menschheit am Ende ankommt, weiß jeder. Doch wenn es nicht die Kompetenz ist, irgendeinen Pfad als den einzig richtigen zu bewerben, welche Kompetenz hätte eine Regierung denn noch? 

Sie überlebt, indem sie populistisch vorgibt, niemand müsse sich Sorgen machen, sie wisse genau, was sie tut und habe für alles gesorgt. Für ihr Versagen findet sie stets Ausflüchte. Für das Verfehlen ihrer Ziele braucht sie meist sogar keine, weil alle Zeiträume so gestreckt sind, dass sich am Ende niemand mehr an den Anfang erinnert.

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