Dienstag, 8. April 2025

Null Komma nichts: Zwischen Wehmut und V3

Die EU ist ein einheitlicher Wirtschaftsraum, in dem keine Zölle erhoben werden. Wo es doch passiert, werden die Zölle mit Rücksicht auf die politischen Gefühle der Freunde des Freihandels "Verbrauchssteuern" genannt.

Bedroht werden und zurückdrohen, die Muskeln anspannen und ankündigen, dass man in Kürze mit dem Hund wackeln werde, wenn der sich nicht endlich benehme. Über Monate hinweg hatte die Europäische Gemeinschaft gewartet, ob US-Präsident Donald Trump seine Zolldrohungen bis auf die Spitze treiben werde. Träte der Fall ein, dann sei man bereit. Werde der Handelskrieg wirklich erklärt, sei das europäische Pulver trocken.

Keine lange Tafel

Drittrangige Parlamentäre wurden ausgesandt, um Kompromisse anzubieten. Vieles erinnerte an die Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, als alle Welt nach Moskau fuhr. Nur dass Donald Trump den ihm vermutlich nicht einmal namentlich bekannten EU-Kommissar Maros Sefcovic nicht einmal an einer hundert Meter langen Tafel empfing.

In Brüssel sortierten sie derweil schon Firmen danach, in welchen US-Bundesstaat sich sitzen. Man wolle vor allem republikanische Regionen treffen, hieß es in Brüssel, das 2018 mit der Erhebung von höheren Zöllen auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der EU durch die USA mit eigenen höheren Zöllen auf  Motorräder des US-amerikanischen Herstellers Harley-Davidson, verschiedene Whiskey-Sorten, Marmelade, Kartenspiele und Jeans reagiert hatte. 

An ähnlichen Listen arbeiteten sie erneut emsig, angefeuert von Kräften, die immer schon gegen den freien Handel auftraten, nur früher eben mit der Begründung, hohe europäische Standards müssten durch hohe Zölle gegen amerikanische Pfuscherei, gegen Genmanipulation und undemokratische Kraftfahrzeuge geschützt werden. Neuerdings sehen sie die Gelegenheit, ihre alten Träume von Abschottung und Isolation vor allem, was den eigenen Vorstellungen von fairem Wirtschaften widerspricht, ohne eigene Mühe umzusetzen.

Gencode und Hormonfleisch

Was sie selbst früher bei den Verhandlungen über die Transatlantic Trade and Investment Partnership mit Fake News über Chlorhühnchen, einem "Verrat an der deutschen Landwirtschaft", "Gencode und Hormonfleisch, Gifte in unsere Hautcremes und Chemikalien in unser Kinderspielzeug" (Anton Hofreiter) bekämpft hatten, schenkt ihnen Donald Trump nun auf einem goldenen Tablett. Wenn der scheidende Klimawirtschaftsminister Robert Habeck die EU auffordert, "jetzt ruhig und umsichtig, aber auch klar und entschieden agieren", meint er damit selbstverständlich, Zölle mit Zöllen zu beantworten und höhere mit höheren. 

Dass dabei niemand gewinnen wird, spricht aus Habecks Sicht nicht gegen eine Eskalation. Die EU, wirtschaftlich seit Jahren in schwerem Wasser, technologisch abgehängt und trotz aller Resilienz-Parolen und "buy european"-Kampagnen mehr denn je in nahezu allen wichtigen Wirtschaftsbereichen vom Ausland abhängig, sei "in einer starken Position, wenn sie Geschlossenheit unter Beweis stelle und sich nicht von Trump spalten lasse", hat Habeck sein Plädoyer für eine gemeinsame Mobilisierung im Handelskrieg begründet. Trump sei unter Druck. Die USA seien verwundbar, glaubt der frühere grüne Kanzlerkandidat und erklärte TTIP-Gegner, der im Wahlkampf angeregt hatte, die EU solle selbst ein Google und ein X erfinden.

Schwärmen von "Vergeltungszöllen"

Auch die Kommission in Brüssel schien dem harten Kurs folgen zu wollen. Kriegsgeschrei kam Brüssel. Kommissare warfen sich in die Brust. Staatschefs bekräftigten ihren Willen, eher alles zuschanden gehen zu lassen als ihre Knie zu beugen. In Erinnerung an die Pionierleistungen, die Deutschland in den 40er Jahren von Peenemünde aus bei der Eroberung des Weltraums geleistet hat, forderten die Grünen nicht irgendwelche, sondern gezielte "Vergeltungszölle"

V3!  Dabei müssten alle Optionen auf den Tisch, also auch eine Digitalsteuer für die US-Technologiekonzerne, an deren Erfolgen die Gemeinschaft bisher nur durch immer wieder verhängte Strafzahlungen partizipiert. Annalena Baerbock legte dazu ein fertiges Konzept vor, das sich am Vorbild der Tabaksteuer orientiert: Zehn Cent, den jeder europäische Nutzer für ein Update seines iPhone zahlen müsse, machten niemanden arm, brächten aber "viel Geld für Europa". In Kombination mit speziellen Strafen für Konzerne, deren Besitzer Trump nahestehen, wäre der Handelskrieg so gut wie gewonnen.

Angebot aus Brüssel

In Washington zitterten sie. In Brüssel aber lasen sie PPQ. Hier hatten Experten den Vorschlag gemacht, die EU könne ihre Zollsätze doch als Antwort auf den Angriff aus Washington einfach auf null senken - einerseits eine Einladung an die USA gewesen, auch ihre Einfuhrabgaben zu senken.  Andererseits eine Frage danach, wie ernst es Donald Trump wirklich meint mit seinem Plädoyer für den freien Handel. So ernst wie die EU? 

Die bildet einen Wirtschaftsraum, der den absolut zollfreien Handel über alle Grenzen als konstituierend begreift. Abgesehen freilich von Zigaretten, Zigarren, Bier und Schnaps. Für die aber aus Rücksicht auf die Gefühle der Verbraucher bei Überladung keine Zölle erhoben werden, sondern "Verbrauchssteuern". In gleicher Höhe.

Ein gutes Geschäft

48 Stunden brauchte die Kommission, ehe sie die strategischen Implikationen der Idee erkannte: Kein jahrzehntelanges Verhandeln über Freihandelsverträge, die zuguterletzt von Lobbyorganisationen torpediert werden. Kein Feilschen um zehn Prozent hier und zwölf Prozent dort, ausgepokert im Tausch gegen "unsere verbraucher- und umweltpolitischen Standards und unsere demokratischen Errungenschaften".  

Stattdessen Null gegen Null, angesichts der Handelsströmen derzeit sogar noch ein Geschäft für Europa. Die EU-Kommission würde ein paar Milliarden an Einnahmen verlieren. Die Kommissionsvorsitzende aber, bisher ganz vorn in der Kolonne derer, die nach Vergeltungsandrohungen riefen, wäre schlagartig ganz vorn bei denen, die ihre Vorstellung von einer "starken Position" nicht mit einer starken Position verwechseln. 

Trump lehnt ab

Nach der Spieltheorie, der Grundlage all seiner Verhandlungserfolge, wird Donald Trump natürlich nicht zustimmen.  Der US-Präsident sieht sich auf einer Mission, die sein Land vom Staubsauger der Überproduktion anderer Staaten zu einem importneutralen Markt machen soll. Wer hierher verkauft, soll auch hier kaufen, am besten mindestens im gleichen Wert. Legendär ist Deutschlands Exportüberschuss, den sich das Land anfangs mit Einfallsreichtum und Fleiß erarbeitete, den es seit Jahren aber mit zu niedrigen Löhnen, Gehältern und Renten sichert.

Einer der lukrativsten Abnehmer sind die USA. Dorthin verkaufte Deutschland 2022 Güter im Wert von 155,9 Milliarden Euro, selbst erwarb es aber  nur für 91,5 Milliarden Euro Waren und Dienstleistungen aus den USA. Allein mit den USA erwirtschaftete Deutschland also einen Exportüberschuss von über 64 Milliarden Euro. Nicht nur Donald Trump hat das schon vor Jahren kritisiert, sondern auch Emmanuel Macron, denn auf Dauer können Länder zwar mehr beziehungsweise teurere Güter und Dienstleistungen ins Ausland exportieren als sie im Gegenzug von dort einführen. Das Ausland aber kann auf Dauer nicht mehr kaufen als es selbst Geld erwirtschaftet.

Der Neue in der Putztruppe

Selbst im Fall der Vereinigten Staaten ist das so, obwohl die USA mit dem Dollar über eine Währung verfügen, die sie nach Belieben drucken können, um einen Importüberschuss und nebenher auch noch die Kosten für die Verteidigung der sparsamen Europäer gegen russische Eroberungsgelüste zu finanzieren. Diese Welt, von der Ex-Grünen-Chef und Ex-Außenminister Joschka Fischer jetzt bei Caren Miosga wehmütig sagte, sie sei "die, in die ich hineingeboren bin", ist die, die Trump ebenso "mutwillig zerstören" (Fischer) will wie es der junge Fischer vor 50 Jahren als Mitglied der revolutionären "Putztruppe"  vorhatte. 

Wer viel exportiert, aber wenig importiert, lebt auf Kosten der Staaten, die ihm seinen Plunder abkaufen. Aber, der frühere EU-Notenbankchef Mario Draghi hat es im vergangenen Jahr in seinem Bericht zur Lage der EU so drastisch formuliert, er lebt mehr schlecht als recht dabei. Beim Importweltmeister USA verdreifachte sich das Bruttoinlandsprodukt seit dem Jahr 2000 von zehn auf 30 Billionen. Die EU, angetrieben anfangs noch vom damaligen Exportweltmeister Deutschland, kam vor 25 Jahren auf 8,5 Billionen, heute sind es stolze 17 - eine Verdopplung nur. Mit der Folge, so Draghi, "dass das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in den USA seit 2000 fast doppelt so schnell gestiegen" sei wie in der EU und "die europäischen Haushalte den Preis in Form eines entgangenen Lebensstandards gezahlt" haben.

Aufgefressen von der Bürokratie

Aufgefressen von Bürokratie, Verwaltung, Beobachtung, verbraucht von Investitionen, die keine Erträge bringen, großzügigen Spenden und Opfern auf dem Altar der Illusionen, sind die Wohlstandsgewinne, die aus der Sparsamkeit hätten entspringen sollen, ohne Spur verschwunden. Der enge Gürtel hat weder Brücken repariert noch Schienenstränge saniert, er hat keine Häuser gebaut und kein Bildungssystem geschaffen, um das die ganze Welt das einstige Land der Dichter und Denker beneidet. Wer heute mit dem Auto durch Texas fährt, riskiert, auf 1.000 Meilen über Straßen ohne Schlaglöcher zu rollen und von nicht einer Baustelle aufgehalten zu werden. Wer dasselbe in Deutschland versucht, braucht auch ohne Tempolimit deutlich länger.

Joschka Fischer, der große alte Mann der Grünen, der einst selbst mit Gerhard Schröder nach Moskau reiste, um dabei zu sein, wenn der erste Nord-Stream-Vertrag unterschrieben wird, hätte es heute gern schon damals besser gewusst. Dafür weiß er es heute: "Europa muss zur Kenntnis nehmen, dass wir allein sind und dass wir nur noch auf unsere eigene Stärke vertrauen können", sagt er über den schwachen Kontinent, der im vergangenen Jahr selbst Strafzölle gegen China erhoben hat, das seine Überproduktion auf den europäischen Markt drückt. Und sich heute darüber beschweren muss, dass es Donald Trump mit seiner - überwiegend in Deutschland hergestellten - Überproduktion genauso hält.


5 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

OT

Weiß zufällig jemand, was der Klein für ein Hightechungetüm betreibt, daß er jährlich 5.000 Euro dafür zum Fenster rauswirft? Der ist schon wieder auf Betteltour.

Für gewöhnlich bekommt man einfache Webhostings für 5 Euro, dedizierte Server für um die 30-70 Euro je Monat. Da kann er mit 5.000 eine Miningfarm betreiben.

Anonym hat gesagt…

Keine Ahnung. Aber er brachte vor Jahren einmal das Lichtbild einer Zücklonnbäh-Dose als DEN ultimativen
Beweis ... auch reizt die Rechtschreibung seiner Lecker oft zum Ekel - zum Zorn langt es nicht.

Anonym hat gesagt…

Geharnischter Brandbrief der JU Köln machte den Anfang ...

Wenn ich das Wort "Brandbrief" lese, entsichere ich meine Kultur.

Anonym hat gesagt…

Die EU müsse auf diesen "Angriff auf die regelbasierte Handelspolitik" ruhig und umsichtig, aber auch klar und entschieden reagieren, fordert der Grünen-Politiker

Oder in den Worten des Trinkers 'Da Mayor': 'Do the Right Thing'.
https://de.wikipedia.org/wiki/Do_the_Right_Thing

Anonym hat gesagt…

Andererseits, neulich von ihm ein Artikel zu Malcolm Caldwell. Man wird alt wie eine Kuh, und lernt
immer noch dazu. Mein lieber Schwan ...
(Und immer wieder typisch, wenn die richtig die Jacke vollbekommen haben: "Genossen, wir haben
es an revolutionärer Wachsamkeit fehlen lassen" = sich noch nicht genug in Blut gesuhlt ...)