Donnerstag, 10. April 2025

Koalitionsvertrag als Befreiungsschlag: Abschied von der Freiheit

Eingebettet in eine sozialdemokratische Grundmelodie summt die Union leise vom Abschied von der Freiheit

Union und SPD feierten ihren Durchbruch bei den Koalitionsverhandlungen euphorisch. Müde, aber glücklich, dass sie sich darauf verständigen konnten, Deutschland in Kürze zu einem noch gerechteren und noch besser und zudem sichereren Land zu machen, zeigten sich die Spitzen der künftigen Regierung zufrieden mit ihren Plänen zur Modernisierung, Militarisierung und Klimatisierung. „Das modernisiert unser Land, das sorgt dafür, dass ein Investitionsrückstand, den wir haben, dass der beseitigt werden kann“, sagte ein fröhlicher Lars Klingbeil.  

Gerettete Vorsitzende

Vor sechs Wochen noch hatte der SPD-Parteivorsitzende die älteste deutsche Partei zum schlechtesten Wahlergebnis ihrer 150-jährigen Geschichte geführt. Er und seine Co-Vorsitzende Saskia Esken schienen vor dem Sturz zu stehen, ein Scherbengericht drohte, wie es in der alten SPD der Wehner, Schmidt, Scharping, Beck und Gabriel unausweichlich gewesen wäre.

Doch mit dem Koalitionsvertrag gelingt Klingbeil ein Befreiungsschlag: Das durch und durch von sozialdemokratischen Vorstellungen geprägte Papier sorgt so dafür, dass die Spitzenposten in der Sozialdemokratie sicherer werden, indem im Schulterschluss mit der CDU und unterstützt von den angeschlossenen Sendeanstalten noch einmal eine völlig neue Zeit ausgerufen wird.

Die "Axt" im Walde

Nicht nur Lars Klingbeil, im politischen Berlin respektvoll "die Axt" genannt, entkommt mit dem gelungenen Abschluss eines Koalitionsvertrages mit den Unionsparteien dem unausweichlichen Schicksal eines vorzeitigen Endes seiner Laufbahn, sondern auch sein CDU-Kollege Friedrich Merz. Der hatte seinen Verblieb an der Spitze von Partei und Staat schon vor Wochen von einem Gelingen der schwarz-roten Koalition abhängig gemacht. Klappe das nicht, dann sei sein Weg zu Ende, versicherte der 69-Jährige, dem nachgesagt wird, er habe mehr als 1.000 Tage darauf gewartet, endlich Kanzler werden zu können.

In Wirklichkeit werden es am Ende mehr als 8.360 gewesen sein, gerechnet von dem Tag an, als Angela Merkel ihren Fraktionsvorsitzenden und Kronprinzen am Tag nach einer verlorenen Bundestagswahl beiseiteschiebt und aussortiert. Merz hat ihr das nie vergessen, das macht er auch bei seinem ersten Auftritt als Anwärter auf die Nach-Nachfolge der inzwischen als saumselig und verantwortungslos beschriebenen Ostdeutschen aus Hamburg deutlich. Fast schon triumphierend klingt er, als er den Bürgerinnen und Bürger weiß macht, mit ihm kehre Deutschland zurück in die Zeit "vor 2015", als die Grenzen noch sicher und der Staat Herr im eigenen Hause gewesen sei.

Ein kollektives Ziel

Vieles ist noch offen. Das Meiste im "Verantwortung für Deutschland" überschriebenen "Regierungsvertrag", wie die Union und die SPD ihre Vereinbarung über eine Koalition nennen, ist so ungefähr formuliert, dass einer Deutung je nach ideologischer Vorliebe nichts im Wege steht. Alles für alle, aber nichts für jeden, darauf darf sich Deutschland freuen, nachdem es ein halbes Jahr nicht mehr  regiert, sondern nur noch verwaltet wurde.  

Was "Deutschland dringend braucht" (Merz), ist wieder einmal ein Neuanfang, ein Erweckungserlebnis, eine gemeinsame Erzählung, die das Volk mitreißt und auf ein kollektives Ziel einschwört. Verteidigungsbereit sein, freiwillig.  Den Aufschwung organisieren durch Verzicht und Konsum gleichermaßen. Ein System der gemeinsamen Meinungsfreiheit aufbauen, das die abweichenden Ansichten anderer durchaus akzeptiert, so lange diese sie für sich behalten. 

Das Glück der Betreuten

Die Pläne, die Sozialdemokraten und Union gemeinsam ausbaldowert haben, würden Deutschland ein weiteres gutes Stück voranbringen auf dem Weg zu einer fürsorgenden Gesellschaft, die unter Freiheit das Recht versteht, glücklich zu sein über staatliche Betreuung. Die Handschrift des Paternalismus ist im Koalitionsvertrag nicht zu übersehene: Das Verb "wollen" ist mit knapp 500 Verwendungen Spitzenreiter im Text das dominierende Wort, gefolgt von weiteren Absichtsschlagworten wie "wollen", "stärken" und "unterstützen".

Der Fokus liegt klar auf der Betonung der staatlichen Verantwortung für das Leben aller, eine aktive Politikgestaltung soll "Deutschland", das immerhin 144 mal im Text auftaucht, in der "EU", die mit 150  mal und "Europa" (34 mal) knapp vorn liegt, wieder einen Namen machen. Entgegen allem, was Quertreiber von den Oppositionsbänken gerufen haben, noch ehe sie Zeit hatten die 146 Seiten zu lesen, spielt das Klima schon die zweitlauteste Geige. Fast 200 mal tauchen Klimaschutz, Klimawandel und Klima als solches im Grundlagenvertrag über die kommenden vier Jahre auf -  "Arbeit" (52 mal), "soziale Sicherheit", "Digitalisierung", die vielbemühte "Transformation" und selbst die "Förderung" (87 mal), ohne die sich heute kein Politiker mehr eine erfüllte Existenz vorstellen kann, sind deutlich weniger häufig vertreten.

Der Staat überstrahlt alles

Es bleibt dabei, Deutschland soll darauf vertrauen, dass mehr vom Selben eines Tages bessere Ergebnisse bringt. Merzens papiergewordene Politikwende, von der Viererrunde in Berlin vorgestellt, als handele es sich um die Geburtsurkunde eines neuen Zeitalters, gründet auf den Fundamenten einer seligen Vergangenheit: "Staat" in allen Varianten taucht 158 mal auf - "Bürger" hingegen nur 61 mal.

Es regiert der Geist der Herrschaftlichkeit, der "staatliche Investitionen", "staatliche Fördermittel2 und staatliche Planung in der Wirtschaftspolitik für den besten Weg hält, "Wachstum" (11 mal) zu erzeugen, das dann Sozialpolitik, Gerechtigkeit, Klima und Energiewende" bezahlt. So leidenschaftlich Friedrich Merz in seiner Funktion als Kanzlerkandidat die Lösung der Probleme mit der Migration als zentrales Handlungsfeld verteidigt hatte, so unwesentlich werden sie im Koalitionsvertrag abgehandelt:  "Migration" 23 mal vor, "Flucht" elfmal und "Asylrecht" wird auch einmal genannt. 

Im Namen der Gerechtigkeit

Mehr geht nicht in einem Vertrag, dessen ideologische Ausrichtung eine gemäßigt linke Tendenz zeigt, die mit liberalen und konservativen Elementen verziert wurde. Zentral sind der Fokus auf soziale Sicherheit und eine gelenkte Meinungsfreiheit, die Klimapolitik als Top-Priorität überstrahlt nur das erklärte Ziel, mehr "Gerechtigkeit" mit noch mehr staatlicher Förderung zu erreichen.

Durch ihren Wahlsieg rannte die SPD hier offene Türen bei der Union ein, die sich darauf beschränkt, mit einer vielleicht möglichen Begrenzung der Migration, einer Aussetzung des Familiennachzuges und der häufigen Erwähnung des Begriffs "Unternehmen" (84 mal) den Anschein zu erwecken, als sei sie entschlossen, den Modernisierungsmotor anzuwerfen. Eingebettet in eine sozialdemokratisch geprägte Grundmelodie summt die Union leise vom Abschied von Freiheit und Selbstbestimmung.

Abschaffung ohne Freiheit

Der früher für Christdemokraten wie Christsoziale zentrale Begriff "Freiheit" kommt im Text 45 Mal vor. Allerdings nur fünfmal als "Freiheit" pur und kein einziges Mal bezogen auf bürgerliche Individualfreiheiten. Stattdessen wird die EU als freiheitsschaffende Kraft gelobt und die Bedeutung von Barrierefreiheit betont, es werden bedeutsame Änderungen bei der künftigen Nutzung der Meinungsfreiheit angekündigt und Einschränkungen beim lästig gewordenen Informationsfreiheitsgesetz, in seiner "bisherigen Form mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung reformiert", also abgeschafft werden soll.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Dr Sepp macht jetzt eine Fordbildong als gendergerechter Betreuungskraftolge

Anonym hat gesagt…

"Der Staat überstrahlt alles"

Durchgehend, seit 1923:
Alles im Staate, nichts außerhalb des Staates, nichts gegen den Staat.

Anonym hat gesagt…

Der Hegenzecht sieht ja erbärmlich aus. Was gibt's denn dort zu saufen?

ppq hat gesagt…

bitte kein body shaming!