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Aus der Friedensbewegung vergangener Jahrzehnte ist ein trauriger Rest an Unbelehrbaren geworden. |
Seit mehr als sechs Jahrzehnten versammeln sich Menschen, um zu Ostern für den Frieden zu demonstrieren. Doch seit wirklich Krieg herrscht, ist das unmöglich geworden. Wer sich im dritten Jahr des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges noch auf die Straße stellt und gegen Waffenlieferungen, Nachrüstung und Kriegstüchtigkeit argumentiert, ist nicht mehr nur ein Putinversteher und Russland-Freund, sondern neuerdings auch noch ein Trumpist und mieser Verräter der europäischen Werte.
Lieber aufrecht sterben
Die Friedenstaube, in den großen Zeiten der Systemauseinandersetzung zwischen dem von Moskau aus regierten kommunistischen Weltreich und dem freien Westen, ein Botschafter Ostberlins, der sich in progressiven Kreisen des Westens großer Beliebtheit erfreute, ist zur Nebelkrähe deren geworden, die Einknicken vor roher Gewalt und lieber im Knien leben wollen, als aufrecht im Stehen zu sterben, wie es sich gehört.
Die Ostermarschierer, sie sind verschwunden. Die Friedensbewegung, sie hat sich still und leise aufgelöst, nach deutlich längerer Halbwertszeit als die vielen Nachahmungsorganisationen von Attac über Fridays for Future bis zur Letzten Generation. Aber sie ist nicht weniger weg. 65 Jahre nach dem ersten Ostermarsch, der 1960 vor einem Truppenübungsplatz im niedersächsischen Bergen-Hohne bei Celle stattfand, sind nicht einmal mehr die 20 Leute übrig, die damals aus Angst vor dem Atomkrieg mahnend vor eine Nato-Kaserne zogen.
Die größte Friedensbewegung
Undenkbar inzwischen. Die Nato gilt - wie früher die ostdeutsche NVA - als größte Friedensbewegung der Welt. Die SPD und die Grünen, die die Proteste gegen neue Panzer, Kanonen und Raketen in den 80er Jahren trugen, wetteifern heute darum, wer mehr und schneller größere Kaliber an die Front schicken kann. Immer im Wettbewerb mit der Union, die Westbindung von Anfang an als bewaffneten Frieden verstanden hat. Und nun in einem Punkt wenigstens nicht umfallen muss, um auf Augenhöhe mit dem modernen Pazifismus zu kommen.
Die weißen Tauben, sie fliegen nicht mehr. Die Friedenstaube ist zu einer ausgestorbenen Art geworden. Das erste Opfer des Krieges war die Friedensbewegung: Die Pazifisten, seit dem Ende des Koreakrieges bei jeder verbalen Truppenbewegung der US-Amerikaner zuverlässig auf der Palme, bescheiden sich heute mit stiller Bedenkenträgerei. Nicht einmal mehr versprengte Reste der Massen sind zu sehen, die früher jeden Nahost- oder Balkaneinsatz deutscher Truppen mit geharnischter Kritik überzog. Mitleid hatten sie sogar Saddam Hussein, Bashir al Assad und den Taliban.
Biblische Logik
Die biblische Logik, dass niemand mehr jemanden schlägt, wenn alle einander die andere Wange hinhalten, schaffte es in den 90er Jahren raus aus der Wickelrock-Nische und rein in den Mainstream. Angela Merkel, ausgebildet bei der DDR-Zivilverteidigung, schaffte die Wehrpflicht ab. Die von ihr erwählten Ministerinnen ließen die Bundeswehr vergammeln und verrotten. Ein Friedensdienst der anderen Art, fast schon für selbstverständlich genommen in einer Zeit, in der der Weltfriede tatsächlich ausgebrochen zu sein schien.
Out of area, da brannte noch etwas an. Aber Heimatschutz? Vor wem denn? Neue Raketen? Wozu? Die Friedensbewegung streckte die Waffen, überwältigt vom moralischen Dilemma: Kann sich denn, wer sich mit aller Kraft dafür eingesetzt hat, das Wettrüsten mit der kriegerischen Despotie Sowjetunion einfach einseitig abzubrechen, und zu schauen, was dann passiert, heute darauf verlassen, dass Wladimir Putin hält, was er nicht verspricht? Oder ist nicht das Wagnis größer, auf den Mann im Weißen Haus zu hoffen oder auf die Erkenntnis von irgendwem in Europa, dass dieser Krieg noch hundert Jahre dauern wird, wenn ihn niemand zu beenden versucht?
Vorabend des Dritten Weltkrieges
Am Vorabend des Dritten Weltkrieges begann das Ende der Friedenssehnsucht, die für ihre Überzeugung auf die Straße ging. Aus Angst, in der falschen Schublade zu landen, teilten sich die Friedenswilligen in die, die daheim weiter für den Frieden waren. Und die, es sich anders überlegt hatten, jetzt, wo es ernst geworden war. Alle zusammen verurteilten den russischen Angriffskrieg. Uneins waren sich alle nur darüber, ob der Kremlherrscher nicht doch ein bisschen recht oder ein bisschen sehr provoziert worden war. Oder komplett verrückt geworden.
Lebte der amerikanische Außenminister Alexander Haig noch, der 1981 verkündet hatte, es gäbe "wichtigere Dinge, als im Frieden zu leben", nämlich "Dinge, für die wir bereit sein müssen zu kämpfen", schlüge dem ehemaligen NATO-Oberbefehlshaber für Europa keine Welle der Empörung mehr entgegen, sondern olivgrüne Begeisterung. Für den Frieden zu sein, dass ist im Krieg von gestern. Die Älteren sind sicher, nicht noch mal eingezogen zu werden. Die Jüngeren so konditioniert, dass ihnen nichs ferner liegt, als als sich Schwerter-zu-Pflugscharen-Aufnäher an die Adidas-Uniform zu nähen.
Für den Krieg sein
Für den Krieg zu sein, weil er allein Frieden verspricht, ist einfach. Für den Frieden zu sein, macht einsam. Die alte Bundesrepublik, in der die rigorose Ablehnung von Rüstung und Abschreckung zum Distinktionsmerkmal einer ganzen Generation wgeworden war, ist untergegangen,. Die DDR, die ihren Kindern den "bewaffneten Frieden" und den "Friedensdienst mit der Waffe in der Hand" einzuimpfen versuchte, hat sich auch in dieser Hinsicht als das lebensnähere System herausgetstelt.
Frieden ist kein Wert an sich mehr, sondern ein Zustand, der erkämpft werden muss. Imemr haben Linke in der Bundesrepublik eine andere Art Frieden gemeint als die Friedensfreunde im Osten, die gern besiegt worden wären, wenn es ohne Blutvergießen hätte erledigt werden können. Dass nicht mehr der mit dem Überleben der Menschheit spielt, der alles auf Rüstung setzt, sondern der, der den Waffendienst verweigert, ist weitgehend Konsens.
Wozu sind Kriege da
Unvorstellbar, dass noch einmal 300.000 Menschen zusammenkommen, um gegen Aufrüstung und Raketenschach zu protestieren. Unvorstellbar, dass ein SPD-Politiker die Friedensbewegung lobt als das "Bündnis derer, die nichts mehr von Rüstung wissen wollen". Kein Udo Lidnenberg fragt heute mehr "Wozu sind Kriege da?" Keine kölsche Band, die den "Noodelstriefe-Schreibtischtäter" ein todesmutiges "Plant mich bloß nicht bei Euch ein" entgegenschleudert und sicher ist, dass "Eure Schachfiguren denken gelernt" haben und nun "einfach vom Brett" springen. Von wegen "bis zum Kadaver wird jetzt nicht mehr pariert" von wegen "probiert doch selbst, wie Dreck schmeckt!".
Vorm Krieg wird nicht gesungen, vom Frieden auch nicht. "Würde ein Grüner heute Petra Kelly zitieren, klänge deren 44 Jahre alter Satz "Wir wollen aus diesem waffenstarrenden, weltumspannenden Irrenhaus ausbrechen. Wir wollen kein Feindbild, wir wollen nicht das Fußvolk einer Raketenpartei sein" wie der Aufruf zum Austritt aus der einstigen Öko- und Friedenspartei.
Nicht einmal Spuren
Paralysiert, katatonisch und dermaßen eingeschüchtert, dass von der zweitgrößten gesellschaftlichen Bewegung, die Deutschland jemals hervorgebracht hat, nicht einmal mehr mikroskopische Spuren übriggeblieben sind. Die Pfarrer schweigen. Die Pastoren holen die alten Feldbibeln wieder hervor. Niemand will als Fünfte Kolonne des Kriegstreibers im Kreml aus der Gemeinschaft der friedliebenden Demokraten ausgeschlossen zu werden. Die Atlantiker haben nicht etwa die Führung übernommen, die Scharfmacher bestimmen nicht die Tonart. Alle sind Atlantiker. Alle singen wie Scharfmacher.
Wer widerspricht, überlebt das politisch nicht. Die Mühlen mahlen langsam, aber alle Einwände zu Staub. Die Alten in der Bewegung haben den Text von "Es ist an der Zeit", "weit in der Champagne, im Mittsommergrün, dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blüh'n" lässt sich heute gut Urlaub machen. Die Jüngeren werden mit ihren Protestliedern über "ruhmsüchtige Kriegsminister, ehrgeiz'ge, greise Generale und deren Mordgeschwister" nicht mehr gehört. Wie das Land sind seine Protestler gealtert, jederzeit bereit zum Aussterben: 30 Jahre nach den Ende des kalten Krieges ist die Weltlage zu kompliziert, um als Ostermarschierer Position zu beziehen.
Unterhaken mit Donald Trump
Wer gegen den Krieg auf die Straße geht, hakt sich mit Donald Trump unter. Im früher Freidesnbewegten Milieu ist das vergleichbar mit der Vorstellung, von Putin geküsst werden zu müssen. Mit Zunge. Und wer der Nato eine Mitschuld am Morden in der Ukraine zuschiebt, greift seine eigene Regierung an. Zwischen den Tischen, an denen die Weltmächte verhandeln, ist kein großer, idealistischer Volksaufstand gegen Hochrüstung, Waffengeklirr und Kriegstüchtigkeit möglich.
Als moralische Großmacht braucht Deutschland nicht nur eindeutige, sondern vor allem die richtigen Feindbilder. Fehlen sie, geht die Nation, die sich selbst für so pazifistisch hielt wie ein Gänseblümchen, am eigenen Anspruch zugrunde: Krieg kann sie nicht. Frieden kann sie gerade nicht wollen. So lange die Friedensbewegungnicht gebraucht wurde, gehörte es zum Standardrepertoire der amtlichen "Tagesschau", über die Handvoll Ewiggestriger zu berichten, die vom "Ostermarsch" nicht lassen wollten. Seit es eine Friedensbewegung bräuchte, ist keine mehr da.
Jesus mit Knarren
Wolf Biermanns "Jesus mit der Knarre" ist das neue Normal, die Feldküche die gesellschaftliche Perspektive. Wo vor zehn Jahren noch jede Vereidigung von Bundeswehrrekruten unter Polizeischutz stattfinden musste, weil die militante Linke die Militarisierung handfest bekämpfte, soll die verbliebene Trümmertruppe heute nicht nur die Linke, sondern auch die Rechte und die hart arbeitende Mitte schützen. Aus der Aufregung über jede neue Raketen ist Achselzucken geworden. Die Aufrechnung von Billionen für Panzer, Granaten und Jagdflugzeuge gegen Schulklos, Schienen und Frauenschutzhäuser hat aufgehört.
Die Friedensbewegung ist am Krieg gescheitert. Je häufiger die EU ihre Friedenslüge wiederholte, je häufiger die Bundeswehr als Entwicklungshilfeorganisation in Uniform verkauft wurde und je mehr es gelang, den Eindruck zu vermitteln, dass Deutschlands militärische Hilfslosigkeit kein Versagen ist, sondern eine Pionierleisteung, desto sicherer war das Land vor Massendemonstrationen gegen den Krieg und Wehrpflicht zugleich.
Dämlihcer Donald Trump
Was haben wir gelacht über Donald Trump und seine dämliche Zwei-Prozent-Forderung? Nicht einmal protestieren lohnte sich dagegen. Noch ist der mentale gesellschaftliche Zustand nicht wiederhergestellt, aus dem die euphorische Kriegsbegeisterung der Schlafwandler von 1914 wuchs. Aber dass es keinen Fluchtweg gibt, wenn man auf dem Schlachtfeld wohnt, das hat sich herumgesprochen.
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