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Lars (v.) und Klaus (h.) Wälzer wollten in diesen Tagen den Generationswechsel bei ihrer erfolgreichen Faktencheck-Firma Fastfacts vollziehen. Doch nun steckt die Branche in der Krise. |
Es war eine Geschichte, wie sie nur die verrückten wilden Jahre nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes, nach der Finanzkrise und dem Nullzinsjahrzehnt schreiben konnte. Klaus Wälzer hatte es damals, als Mobilcom, EM.TV und Comroad die Menschen reich machten, ganz nach oben getragen. Der frühere Bergmann, bis Mitte der 90er in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aufgefangen vom sozialen Netz, wurde zu einem der größten Profiteure der neuen deutschen Aktienkultur.
Sozialist aus Sachsen
Wälzer, geboren in einem winzigen Weiler in Sachsen, machte Hunderttausende Euro, "ohne einen Finger zu rühren", wie er im Rückblick beschreibt. Aus der tiefsitzenden Kapitalismus-Skepsis des in der DDR aufgewachsenen überzeugten Sozialisten wurde Begeisterung. "Ich schwamm auf einer Welle, die mit berauscht hat", sagt Wälzer.
Mit dem Katzenjammer der Nachbarn und Freunde, die sich trotz aller Mahnungen des Self-Made-Millionärs aus Muskenbaude nicht rechtzeitig von ihren Gewinner-Aktien hatten trennen wollen, wurden bei Klaus Wälzer zuerst Gewissensbisse, dann Depressionen. "Ich warf mir vor, Leute um ihr Geld gebracht zu haben." Obwohl ihm faktisch klar gewesen sein, dass mehr Menschen von seinen Tipps profitiert hatten als durch seine Hinweise Geld zu verlieren, habe ihn das krank gemacht. "Ich wollte es wiedergutmachen, der Gesellschaft etwas zurückgeben, mich engagieren und unser Land besser machen."
An der Spitze einer Revolution
Klaus Wälzer musste nicht lange überlegen. Kaum war er aus der Klinik zurück, medikamentiert und "super eingestellt", wie er sich erinnert, gründete er seine Fastfacts GmbH, ein Unternehmen, das sich auf die Fahne geschrieben hatte, über die gemeinnützige Tochtergesellschaft Factsfast sogenannte Faktenchecks anzubieten - damals eine Revolution, denn Medien verbreiteten zwar Nachrichten, überprüften sie aber nie. "Es reichte, wenn eine Nachrichtenagentur behauptete, die Meldung stimme2", erklärt Wälzer.
Eine Marktlücke, die immer größer wurde. War Factsfast anfangs noch allein auf weiter Flur, so schlossen sich später immer mehr Firmen an. Volksverpetzer, Hateaid, Correctiv. Klaus Wälzer schmunzelt, wenn er erzählt, wie die Konkurrenz versuchte, mit immer ausgefalleneren Namen immer größere Märkte und Kundenschichten zu erschließen. Im Zug der Zeit seien alle gut gefahren, gibt er zu. "Kein soziales Netz und kein öffentlich-rechtliches Programm wagte noch, ohne aufwendig präsentierte Faktenchecks auszukommen."
Wirtschaftlich gut aufgestellt
Als das Ende kam, traf es Klaus Wälzer nicht allzu hart. "Ich bin 63", sagt der Nestor der deutschen Faktenchecker. Er habe sein Feld gut bestellt, Gold, Bitcoin, Aktien. "Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich mich durch die hinterlistige Art, wie die damalige Bundesregierung den Bürgern überteuerte Telekom-Aktien angedreht hat, die ihnen eigentlich sowieso schon gehörten, nicht entmutigen lassen." Sorgen aber macht sich Wälzer, wenn er auf die nachfolgende Generation schaut.
"Seit die Amerikaner den Kampf gegen rechts in einen Kampf gegen Faktenchecker verwandelt haben, steht es nicht mehr gut um die Zukunftsaussichten unserer Branche", sagt er. Auch für Fastfacts, heute eine Firma mit fast 600 Mitarbeitenden, ist das ein ernsthaftes Problem. "Im Schatten der digitalen Revolution, wo Information und Desinformation in einem endlosen Tanz miteinander verschmelzen, hatten wir ein Geschäftsmodell entwickelt, das absolut krisenfest zu sein schien", gesteht sich Klaus Wälzer. Doch sein Plan, das florierende Unternehmen bei nächster Gelegenheit - "ich will bloß noch die Bundestagswahl abwarten" - an Sohn Lars zu übergeben, droht zu platzen.
Auch in Florida Erfahrungen gesammelt
Lars, der das Faktenchecken von der Pike auf gelernt hat, war bestens vorbereitet. "Ich habe in Frankreich und Italien Rechtspopulismus studiert", sagt er, zudem habe er bei Hans Achtelbuscher und Herbert Haase demokratisches Wirtschaftsdesign belegt gehabt, seinen Master im internationaler Schrumpfungskunde gemacht und mehrere Wochen in Florida gelebt. Als Sohn eines renommierten Faktencheckers stünden einem ohnehin viele Türen offen, so zumindest hatte Lars Wälzer geglaubt. "Mein Vater hat ja über Jahrzehnte hinweg Kontakte aufgebaut, die ihn zu einem der angesehensten Namen in der Branche machten."
Zwar kennt Lars Wälzer die Branche gut genug, um zu wissen, dass die Faktenchecker-Community keine einfache ist. "Wir sitzen mitten in einem blühenden Geschäftsfeld, insbesondere auf Plattformen wie X und Facebook, wo die Bedürfnisse nach Wahrheit und Klärung lange täglich wuchsen und niemand bei der Rechnungsstellungen auf eine Null mehr oder weniger geschaut hat."
Doch Streit und Hader in der Gemeinschaft, zuletzt um die Verleihung der beliebten und begehrten EU-Zensurorden "Trusted Flagger", hätten viel kaputtgemacht. "Wir sitzen auf einmal auf einem Markt, der scrhumpft, und da werden die Ellenbogen hart ausgefahren", hat Lars Wälzer beobachtet.
Wankendes Imperium
Wälzer junior wuchs mit der Überzeugung auf, dass er eines Tages das Imperium seines Vaters übernehmen würde. Er studierte, absolvierte Praktika in angesehenen Faktencheckfabriken und Trollfarmen und lernte alles, was es über die Kunst des Faktencheckens zu wissen gab. Seine Zukunft schien gesichert, und das Erbe seines Vaters war für ihn weniger eine Last als eine Ehre, die er stolz zu hätte tragen wollen. Wälzer junior aber lacht inzwischen bitter: "Doch das Schicksal hatte wohl andere Pläne".
Die digitalen Landschaften aus Hass, Hetze, Zweifeln und Hohn, die einst so fruchtbar waren für die Arbeit von Faktencheckern, sie haben sich verändert. In einer unerwarteten Wende entschieden sich X und später auch Facebook, ihre Faktencheck-Programme zu kürzen oder sogar komplett einzustellen.
Die sogenannte "verbale Gewalt", eine fundamentale Entwicklung aus der frühen Digitalzeit, die das gesprochene Wort auf eine Ebene stellte mit der ausgeführten Tat, sie nahm nicht mehr zu, als man begann, sie zu ignorieren. "Für uns war es ein harter Schlag, dass die Drohung ,ich hau dir gleich eine rein' nicht mehr dieselbe strafrechtliche Relevanz hatte wie eine ausgeführte Ohrfeige", räumt Klaus Wälzer umstandslos ein.
Umgestellt auf KI
Die Gründe waren vielfältig – politische Zeitenwenden, Populismus, Kostenreduktionen, politische Druckmittel, und eine zunehmende Skepsis gegenüber der Unabhängigkeit und Objektivität der Faktenchecker selbst. Lars Wälzer stand plötzlich vor einer ungewissen Zukunft, denn die Fastfacts GmbH seines Vaters, gerade noch aufwendig auf KI umgestellt, wankte. Die lukrativen Aufträge, die seine Familie über Jahre hinweg versorgt hatten, versiegten wie ein Fluss, der in der Wüste verschwindet. Vater Klaus, ein Mann, der seinen Lebensinhalt in die Verifizierung der Wahrheit gelegt hatte, sah sich schon im Januar gezwungen, in den Ruhestand zu gehen, nicht aus freien Stücken, sondern aus Notwendigkeit.
Die Firma, die einst Hunderte von Mitarbeitern beschäftigte, schrumpfte. "Und wir werden leider weiterschrumpfen müssen", sagt der Junior, der den Stellenabbau verantworten und mit den Mitarbeitenden, die nicht mehr mitarbeiten können, sprechen muss. "Geht es so weiter, bleibt von Fastfacts nur ein Skelett", sagt er verbittert und nennt Zahlen, die die große Krise begreifbar machen. Überkapazitäten überall. nachfragemangel zudem.
Noch 2024 habe Fastfacts für seine Kunden annähernd 60 Millionen Kommenatre, Bilder und Posts im Internet gelöscht, weil sie fragwürdig, umstritten oder höhnisch gewesen seien."Es handelte sich dabei durchweg um nicht strafbare, aber irreguläre sogenannte Graumeinungen." derzeit, so verdeutlicht der Firmenchef, komme man noch auf 60 bis 70 Löschungen am Tag. "Den Rest können Sie sich hochrechnen."
Harte Veränderungen
Wie hart die Veränderungen ihn treffen, daraus macht Lars Wälzer kein Geheimnis. Wälzer junior hatte sich nie eine andere Karriere vorgestellt. Er habe sich nicht vorbereitet auf eine Welt, die nicht ohne Faktenchecks leben könne, eine Welt, in der jeder Mensch Anspruch darauf habe, jederzeit gesagt zu bekommen, was richtig sei und was falsch, was er denken dürfe und was nicht, wie er zu handeln habe und wen es sich zu hassen lohne. "Das waren die Dimensionen, in denen unsere Familie dachte", sagt er.
Doch die großen Zeiten, sie scheinen vorbei. Facebook, X, vielleicht bald Youtube und eines Tages womöglich die großen deutschen Grundversorger. "Alle schaffen sie die Faktenchecks ab, seit die USA die totale Ansichtenanarchie ausgerufen haben." Jeder solle nun seines Glückes Schmied sein, denken dürfen, was er will, und sogar sagen können, was nicht richtig sei. "Das sind Veränderungen, da muss ich zugeben, mit denen habe ich immer noch zu kämpfen."
Kleiner und noch gelenkiger
Lars Wälzer versucht, sich anzupassen. Er gründet kleinere Projekte, arbeitete freiberuflich für Nischenmedien, doch das alles "ist nicht dasselbe". Die Freude und der Stolz, Teil einer mächtigen Bewegung zu sein, die das Internet von Fehlinformationen befreit und sie durch selbstgemachte Erklärungen ersetzt, sind verschwunden. Es gehe ihm darum, noch gelenkiger auf Kundenwünsche zu regagieren. "Wir müssen die Tageswahrheit ahnen, bevor sie in der ,Tagesschau' zu Verkündung kommt", mahne er seine verbliebenen Mitarbeitenden täglich.
Dennoch ist die Geschichte des Lars Wälzer eine Tragödie, nicht nur des verlorenen Erbes wegen, sondern auch die einer verlorenen Berufung. In einer Zeit, wo Desinformationen wie Unkraut wuchert, scheint es, als hätte die Welt den Wert jener, die sie mit ihren eigenen Wahrheiten bekämpften, verloren. Lars Wälzer fragte sich oft, ob die Wahrheit wirklich so subjektiv geworden ist, dass diejenigen, die sie aufspürten und zur einzig gültigen erklärten, nicht mehr benötigt werden. "Heute glaubt ja jeder, er habe die wahrheit gepachtet", sagt er, "dabei stand gerade noch fest, dass wir das getan haben."
Wälzers Weg
Wälzers Weg aber ist nicht der des Jammerns und Klagens. gemeinsam mit Vater Klaus sitzt er derzeit an einem Buch über die große Zeit der Faktencheckerei, jener Ära das Hassrauschs, der so viel reich gemacht hat. "Wir wollen über unsere spezielle Digitalethik und die Verantwortung von Social Media-Plattformen schreiben", erklärt er. Nebenbei hält Wälzer junior Vorträge über Medienkompetenz, in denen er darlegt, dass Wert der Wahrheit nicht in den Algorithmen oder den Entscheidungen großer Konzerne liegt, sondern in den Händen derer, die bereit sind, sie mit ihren eigenen Ansichten gegen den Strom der Desinformation zu verteidigen.
Ein Schicksal, das zeigt, wie weitreichend die Folgen der Entscheidungen ausländishcer Konzernlenker sind, so lange Deutschland und Europa keine eigene Digitalindustrie gründen, die direkt von den staatlichen Organen beaufsichtigt wird. "Selbst die sichersten Karrieren in der digitalen Ära sind fragil, weil ein Husten von Elon Musk ein ganzes Erbe zerstören kann", sagt Klaus Wälzer. Die Geschichte seiner Familie, Aufstieg und Fall im Zeichen des Faktenchecks, sehen Vater und Sohn Wälzer auch als eine Mahnung an alle, die in der digitalen Welt arbeiten: Die Wahrheit mag zeitweise in den Schatten treten, aber sie bleibt ein unverzichtbarer Kompass für das menschliche Zusammenleben.
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