Montag, 7. April 2025

Der Provokateur: Unaussprechliches Grauen

Der Provokateur: Unaussprechliches Grauen
Dieter Hallervorden ist seit Jahren als unzuverlässiger Provokateur bekannt.

Er lehnt das Gender ab, er macht schon sein Leben lang Witze über Minderheiten, er hat sich lange zur FDP bekannt und nach Anfängen als Schauspieler gelang ihm eine einzigartige Karriere als Komödiant. Dieter Hallervorden war zwar bereits 1958 in den Westen geflüchtet, weil ihm die bürgerlichen Freiheitsgrade in der DDR nicht ausreichten. Doch im Herzen blieb der in Dessau geborene Sohn eines Flugzeugingenieurs immer Ostdeutscher. Ihn zur Feier des 75. Geburtstages des Gemeinsinnfunks in Deutschland einzuladen, war ein unabsehbares Risiko. Und Hallervorden, mit 89 Jahren aller Sorgen um seine weitere Laufbahn ledig, lieferte wie bestellt.  

Bekannter Provokateur

Als hätte es nicht genug Warnungen gegeben, fiel der Schauspieler, Theatergründer und Sänger zehn Jahre nach seinem "Heim ins Reich"-Ausfall  erneut mit einem Verstoß gegen die Bundessatirerichtlinie auf. In der "75 Jahre ARD"-Jubiläumsshow sollte er eigentlich nur einen fast 50 Jahre alten Sketch aus seiner einstigen Fernsehreihe "Nonstop Nonsens" wiederaufführen - Hallervorden aber nutzte die Gelegenheit gezielt, um den alten Sketch um die Flasche voller Pommes und das sinnfreie Wort "Palim, Palim" zu einer Provokation für Millionen Fernsehzuschauer zu machen.

Hallervorden hatte den eigentlich ohnehin humorfreien Spaß umgeschrieben und im Gegensatz zur Berichterstattung, in der die Rede davon ist, dass er "das N-Wort und das Z-Wort" (n-tv) benutzt habe, sprach Dieter Hallervorden in Wirklichkeit von "Neger" und "Zigeunerschnitzel". Ein Tabubruch, knapp vorbei am Versuch von Friedrich Merz, Deutschlands Grenzen mit Hilfe der AfD zu schließen. Seit einem bindenden Beschluss der Bundessprachkammer gelten das "N-Wort", ausgeschrieben und -gesprochen eine früher in Deutschland gebräuchliche Bezeichnung für Schwarze, die seit 2012 als rassistisch gilt, als auch das "Z-Wort", das Eltern und Großeltern noch anstelle von
Sinti und Roma verwendeten, als unaussprechlich.

Unaussprechliches Grauen

Eine Einladung für Hallervorden, der schon verschiedentlich als ein Mann auffällig wurde, dem gesamtgesellschaftliche Vereinbarungen über Sagbares wenig bedeuten. Die regelmäßig auftauchenden Produkte einer Code-Industrie, die auf die gesellschaftsverändernde Kraft setzt, die sich zeigt, wo der Mensch erzogen wird, bestimmte Gedanken nicht mehr auf eine bestimmte Art mit seiner Umwelt zu teilen, lehnt der Comedy-Greis ab. Mit der Verwendung von "Negerkuss" und "Zigeunerschnitzel" in einem Land, das mit sich selbst vereinbart hat, diese Begriffe aus dem Sprachgebrauch verschwinden zu lassen, legt er sogar nahe, dass seine Witzfigur im Sketch wegen ihrer Verwendung im Gefängnis gelandet ist.

Eine ungeheuerliche Unterstellung, denn außer einer gesellschaftlichen Ächtung geschieht N- und Z-Nutzern in den meisten Fällen überhaupt nichts.  Dennoch griff die ARD nicht ein - obwohl der Hallervorden-Auftritt vorproduziert war und jede Möglichkeit bestand, den Inhalt zu schneiden, die provokativen Passagen zu überpiepsen oder wenigstens mit einer Triggerwarnung anzukündigen, unterblieben alle Versuche der Einordnung der Äußerungen als unbedachte Ausbrüche eines alten Mannes. 

So viele Worte

Bezeichnend: Hallervorden hätte auch das "M-Wort", das "S-Wort", das "R-Wort" oder das "P-Wort" verwenden können. Er hätte auch damit die zulässigen Grenzen der zwischenmenschlichen Kommunikation überschritten und den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig zerstören können. Dennoch zog er es vor, N- und Z-Wort zu benutzen - wohl im Wissen, dass das R-Wort nach wie vor im Grundgesetz steht, das M-Wort weiterhin Straßenschilder und Apothekenfassaden ziert und das "S-Fahren" bisher nur in der Hauptstadt Berlin verboten wurde, anderswo aber bestraft wird.

Der Kabarettist weiß genau, was er tut und er weigert sich sogar im Nachhinein, seinen Ausfall zu entschuldigen. Stattdessen verlegt sich Dieter Hallervorden auf die bekannte Entschuldigung, dass Satire "alles"  dürfe -  dabei trifft das nur zu, so lange über "Zickenficker" gelacht werden soll, Polizisten in  Müllbeuteln landen und ganzen Staaten der baldige Volkstod gewünscht wird. Tatsachen, die dem alten Spaßmacher Hallervorden, die er aber ignoriert, um öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren. 

Ein Manöver, das aufgegangen ist. Hallervordens Abweichung vom grundgesetzkonformen Humor überstrahlt die Feiern zum Geburtstag des Gemeinsinnfunks. Und wirft ein düsteres Licht auf eine Gesellschaft, die sich außerstande zeigt, ihre eigenen Tabus wehrhaft zu verteidigen.



2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schöner 'Coup', wie die Medienprofis sagen. Aus Hallervordens Richtung kam immer eher Gemischtes, aber hier haben alle reihum eine auf ihre Heuchlerfressen gekriegt. Die Produktion, das Publikum und die Analyseure in den Redaktionen, die die Fiktion des Sketches gezwungenermaßen zur Realität machen, weil sie Angst vor dem Medienknast haben.
'Mit dem Gesicht, da schaffst du's nicht' heißt ein Chanson von ihm. Eher doch.

P.S. für die jüngeren Mitlesenden: 'Palim Palim' ist die Glocke, bei beim Öffnen der Ladentüre früher von der Tür angeschlagen wurde, damit der Verkäufer hört, dass jemand reinkam. Also nicht sinnfrei.

Anonym hat gesagt…

Bartolomäus Blödmann heute 10.00:
...Errichtung und Pflege des Synagogenplatzes. Sie versuchen damit ihrer historischen Verantwortung Rechnung zu tragen ... --------------------------------- "Verantwortung" ist ein Tarnwort für "Schuld".