Mittwoch, 9. April 2025

Der letzte Tanz auf dem Vulkan: Klassentreffen von unsere Demokratie

Ein letzter Tanz auf dem Vulkan: Beim Bundespresseball war das politische Berlin noch einmal unter sich. Abb: Kümram, Wasserfarben auf Kalkül

Der Vulkan, er kochte. Die Volksseele wurde nur noch durch das gute alte Man-kann-ja-sowieso-nichts-machen gebändigt. Der Bundestag, gerade neu gewählt, hatte für sich beschlossen, dass die Lage der Dinge es erübrigt, schon sechs Monate nach dem Abtritt der letzten Regierung zusammenzutreten.  

So lange da keine neue ist, hat der Parlamentarismus nur eine Pflicht: Schweigen, Dulden und ein Vorbild sein für alle, die davon ausgehen, dass Parlamentarier, die mal ein paar Monate lang keine Gesetze beschließen, immerhin immer noch deutlich weniger Schaden anrichten als die, die vor lauter Diensteifer immer mehr Möglichkeiten schaffen, die Bürgerinnen und Bürger zu bewachen, bei ihnen abzukassieren und ihnen neue Pflichten aufzuerlegen. 

Raus aus der Vorkriegszeit

Das politische Berlin, es feierte raus aus der Vorkriegszeit. Beim Bundespresseball im Hotel Adlon, neben der alljährlichen Zusammenkunft zur Verleihung des Relotius-Preises das gesellschaftliche Highlight der Berliner Republik, zelebrierte noch einmal das alte Berlin-Gefühl. Wir hier drinnen. Die dort draußen. Trotz aller Herausforderungen, die die Demokratie derzeit durchlebt, setzten Beamte und Politiker, Reporter, Ansager und Moderierende ein klares Zeichen: Das Geschäft geht weiter, wenigstens der Laden mit den politischen Ladenhütern brummen – so, wie es immer war.

Es gab Karaoke, bedeutsame Gespräche und Currywurst vom Feinsten für die rund 2.300 geladenen Gäste, die den Kern der Berliner Republik bilden. Sie sind die, die Signale für Demokratie und Pressefreiheit. Sie sind die, die von besonderen Paragrafen gesondert geschützt werden müssen. Das ist ihr Abend, eine Zusammenkunft voller Glanz und Haltung, dem Bundespräsident Walter Steinmeier wie immer die Krone aufsetzte, als er gemeinsam mit seiner Frau Elke Büdenbender den Eröffnungswalzer tanzt. 

Vom Fell des Bären

Niemand weiß an diesem Tag kurz vor Abschluss der schicksalhaften Koalitionsgespräche nebenan in den Bunkern der Parteizentralen, was bei der Verlosung zur Posten der neuen Schuldenkoalition herauskommen wird. Viele haben gewisse Hoffnungen, andere ist bewusst, dass die kommenden Jahre nicht einfache werden. Aber keiner weiß genau, wie das Fell des Bären diesmal genau verteilt werden wird. Sicher ist nur: Für viele von denen, die hier sind, wird etwas abfallen. Alle anderen müssen sich in Geduld fassen und hoffen.

Es braucht keine großen oder detaillierte Absprachen, um das sicherzustellen. Diese Veranstaltung hier, sie beruht auf einer alten Tradition, die bis 1933 als gesellschaftliches Großereignis vielbeachtet und von Millionen sehnsüchtig betrachtet wurde, bringt die führendsten Vertreter der vierten Gewalt mit den Köpfen, Händen und Hinterbänklern der demokratischsten Parteien zusammen. Nicht alle sind beim demokratischen Tête-à-tête zwischen Häppchen und Hangover willkommen: Die Veranstalter hatten diesmal gleich im Vorfeld klargestellt, dass Vielfalt ihre Grenzen hat und die AfD als "Feind der Demokratie" nicht eingeladen ist. 

Man bleibt unter sich

Man will unter sich bleiben, zwanglos über die zurückliegenden Erfolge und die anstehenden Aufgaben sprechen. Das Hotel Adlon, zu dessen Gästen schon Charlie Chaplin, Thomas Mann, Marlene Dietrich, Michael Jackson und Queen Elizabeth II. gehörten, bietet seinen politischen Gästen ein beeindruckendes kulinarisches Angebot: Von Currywurst bis hin zu Gourmetgerichten wie geschmorter Rinderbrust mit grünem Spargel oder Yuzu-Desserts – hier bleibt kein Wunsch unerfüllt. Und wer muss das alles bezahlen? Die Steuerzahler jedenfalls nicht, denn das "feinste Fest der Ballsaison ist ein Vergnügen" (Tagesspiegel), für das der Staat seinen Vertretern viel Vergnügen wünscht.

Niemand weiß besser als die Hauptdarsteller auf der politischen Bühne, wie wichtig es ist, bei einem solchen gesellschaftlichen Spektakel Verbindungen zu knüpfen, mit Smalltalk zu pflegen und sich neue Freunde zu suchen. Alle Gäste waren oder sind prominente Politiker oder aufstrebende Berichterstatter. Manche sind gerade ein, zwei Bänke aufgerutscht und können ihr Glück noch gar nicht recht fassen. Andere, wie die neue Grünen-Vorsitzende und die scheidende Außenministerin, nutzen den Abend, um im knallroten Kleid zu zeigen: Wir sind noch da, uns darf man nicht abschreiben, wir kommen wieder. 

Die Frau des Bundespräsidenten aber stielt ihnen im Glitzerkleid die Show und die neue starke Frau in der Partei zeigt im großen Schwarzen, dass sie weiß, wie man sich in Zeiten der Traurigkeit stilvoll kleidet. Wie ein Mann. Wie jemand, der Verantwortung zu tragen weiß und sie tragen will, obwohl er keine mehr hat.

Augenhöhe auf der Tanzfläche

Man ist auf Augenhöhe zwischen zweiter und vierter Gewalt, nicht nur auf der Tanzfläche. Obwohl wegen der Weltlage, wegen Trump und Putin und der drängenden Entscheidungen über neue Steuern, Steuersenkungen, Strompreise und Ressortzuschnitte die wichtigsten Entscheider diesmal nicht kommen konnten, werden hier die Grundlagen gelegt für das, worauf sich Millionen Fernsehzuschauer in Talkshows, zärtlichen Befragungen am Vorabend und spätnächtlichen Kommentaren seit Jahren verlassen können: Die Wurzeln der für jede funktionierende Demokratie konstitutive Meinungssicherung in der Mitte, sie werden hier gepflanzt, gepflegt und ihre Triebe geradegeschnitten.

Der Presseball, er ist das Klassentreffen von unsere Demokratie. Hier mischen sich politische Größen mit den Medienschaffenden, die ihr Handeln unbestechlich kritisch im Auge haben, in leidenschaftlichen Begegnungen auf der Tanzfläche, am Büfett und in den polierten Toilettentrakten. Während draußen die politischen Verhandlungen über Ressortzuschnitte, Posten und Billionen weitergehen, weil die Geschichte auf niemanden wartet, genießen die, die gerade unmittelbar nicht gebraucht werden für die Politikwende noch einmal die glamouröse Atmosphäre eines Balles, bei dem in diesem Jahr noch kaum Uniformträger unter den Gäst:innen zu entdecken sind.

Ohne das Heer geht es nicht mehr

Natürlich: Ganz ohne Heer geht es nicht. Musikalisch setzt die Big-Band der Bundeswehr ein deutliches Zeichen für Wehrhaftigkeit in Zeiten größter Bedrohung, zivile DJs machen dann Stimmung mit bekannten Hits, die auch diesmal wieder ohne schlechtes Gewissen mitgesungen werden können: Alle CO₂-Emissionen, die Presseballbesucher bei ihrer wilden Party zusätzlich verbrauchen, werden durch Zahlungen an Klimaschutzprojekte ausgeglichen. Kulinarik und Unterhaltung auf höchstem Niveau, gewienerte Böden, prächtige Kostüme - freigiebige Sponsoren, denen der Gedanke der Unabhängigkeit der Presse von politischen Einflüsterungen wichtig ist, übernehmen auch diese Kosten.

Dennoch: Über allem schwebt die bange Frage: Wie lange kann dieses glanzvolle Spektakel noch so weitergehen? Wie oft wird man noch im verschworenen Kreis der Bewohner des politischen Paradiesgartens zusammenkommen dürfen, in Liebe zueinander entflammt und von Fotografen abgelichtet als betrete man den roten Teppich in Cannes? Manche schmerzliche Sehnsucht nach Beachtung erfüllt sich hier, auf manchen schon Vergessenen fällt noch einmal das Licht der Scheinwerfer, das für Politiker so lebenserhaltend ist wie für Vampire tödlich.

Wie oft noch? Wie lange? Was dann? Erst wenn endlich weißer Rauch aus den SchuKo-Verhandlungen steigt, werden die am meisten Betroffenen mehr wissen.


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