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Das erste Bild der letzten Koalition entstand im Gehen, das erste der neuen zeigt sie im Stehen. Abb: Kümram, Wasserfarben |
Das Beste daran ist, dass es sehr viel schlimmer hätte kommen können. Doch die neue Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD zeigte stattdessen schon mit ihrem ersten großen Auftritt vor den Augen der Welt, dass sie ihr Handwerk versteht.
Geschickt streute sie wenige, aber irreführende Gerüchte. Hohe Steuern sollten kommen, die Enteignung von Kleinsparern weitergehen, die Grenzen offenbleiben und die Herzen weit. Kein Gedanke an die große Politikwende, die Friedrich Merz im Wahlkampf versprochen hatte. Stattdessen mehr vom Weiterso, wie es die Ampelkoalition aus den bleiernen Merkeljahren übernommen hatte.
Höchste Staatskunst
Höchste Staatskunst, politisches Hütchenspiel in Vollendung. Merz, CSU-Chef Markus Söder und sein künftiger Vizekanzler Lars Klingbeil ließen sich nicht von den erdrutschartig sinkenden Umfragewerten der Union nervös machen. Selbst als die AfD die CDU in Umfragen einholte, zuerst noch ohne den Beitrag der bayrischen Christsozialen, später dann auch ohne sie, hielten die neuen Duz-Freunde Merz und Klingbeil Kurs.
Eine bekannte Strategie: Offiziell wird geschwiegen, inoffiziell werden die Erwartungen schon vorab enttäuscht, um die Ambiguitätstoleranz der Öffentlichkeit zu erhöhen. Wer nichts mehr erhofft, der ist mit allem glücklich.
Schmunzelnder Kanzler
Schmunzelnd stand Friedrich Merz dann auch in Berlin auf der Bühne, zum ersten Mal als der, der nun wirklich wird, was er immer werden wollte. Sichtlich erfreut stellte der 69-Jährige vor, was die zwei Hundertschaften an Verhandlern in den letzten Wochen ausgepokert haben. Das Bild, das er, Söder rechts neben ihm und Klingbeil und Esken auf der linken Seite abgeben, ist ein ganz anders als das, mit dem sich die Vorgängerregierung den Bürgerinnen und Bürgern im Dezember 2021 als "Fortschrittskoalition" vorgestellt hatten.
Damals gingen die Neuen, frisch und fröhlich, eine Truppe, die zupackend wirken wollte. Heute stehen die vier hinter gläsernen Pulten, die Männer in den dunkelblauen Anzügen, die derzeit als Uniform aller Anführer gelten. Saskia Esken ist in einer interessant gemusterten Bluse erschienen - sie, der in den vergangenen Wochen so viel Hass entgegenschlug, steht wie immer aufrecht, selbstbewusst und sich keiner Schuld bewusst.
Alles wird verziehen
Alles wird verziehen werden, da sind sich Merz und die Seinen sicher. "Wenn Sie die Koalitionsvertrag lesen, werden Sie vieles von dem, was Sie in den letzten Tagen und Wochen vermutet haben, nicht finden – dafür aber vieles, was Sie nicht erwartet haben", freut sich der kommende Kanzler gleich zu Beginn über seine großen Trick, alle in den April geschickt zu haben. Das, was er mitgebracht habe, sei ein "starker Plan, mit dem wir unser Land gemeinsam wieder nach vorne bringen können".
Merz sagt "können", er kann nichts garantieren. Aber: Das 140-Seiten-Papier sei nicht nur das Ergebnis intensiver Beratungen und Verhandlungen auf der Basis eines neu entstandenen "guten, persönlichen Vertrauensverhältnisses". Sondern "vor allem ein starkes und klares Signal an die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sowie an unsere Partner in der Europäischen Union: Deutschland bekommt eine handlungsfähige und handlungsstarke Regierung".
Merz ist zuversichtlich
Friedrich Merz ist sehr zuversichtlich, "dass wir in den nächsten vier Jahren gut zusammen regieren werden". Seine Selbstgewissheit in düsteren Zeiten zieht er zuallererst aus dem Umstand, man gemeinsam schon das Grundgesetz geändert habe, noch ehe man Koalitionsverhandlungen aufnahm. Ohne ausgerechnet zu haben, was wofür gebraucht werden wird, wurden Sondervermögen "eingerichtet", wie Merz es nennt. Er zugesteht zugleich zu, dass er manche kenne, "die hätten sich eine andere Reihenfolge gewünscht: erst Reformen und einen Koalitionsvertrag, dann solche Entscheidungen". Doch Gelegenheit macht Diebe und "die Umstände haben uns das nicht erlaubt".
Das mit dem Wortbruch ist dann vom Tisch, für immer. Keine Entschuldigung, sondern eine alternativlose Reaktion. Auch wer es nicht glaubt, bekommt es zu hören: "Union und SPD wollen nun gemeinsam das Beste für unser Land und vor allem für die Menschen in unserem Land erreichen." Nun. Was Union und SPD bisher wollten, sagt er nicht.
Was auf dem Spiel steht
Jetzt aber wüssten sie, "was auf dem Spiel steht". Laut Merz ist das "sehr viel", die "Zukunft unseres Landes, die Zukunft der Menschen hier und auch die Zukunft Europas." Mit Blick auf 2029, wenn die nächste Bundestagswahl regulär anstünde, wäre noch die Zukunft der beiden früheren Volksparteien zu nennen. Im Wahlkampf hat Friedrich Merz immer wieder betont, dass jetzt geliefert werden müsse, weil sonst nach 2029 niemand mehr bei den demokratischen Parteien der Mitte bestellen werde. Dagegen soll "nun" etwas "Gutes und Tragfähiges", eine aus kleinem Wurf und faulem Kompromiss, aus Floskelformulierungen und Bonbons für die eigene Wählerschaft.
Dass die Koalitionsverhandlungen "in einer Zeit wachsender weltpolitischer Spannungen" stattfanden, wie Merz sagt, ist den Ankündigungen nicht zu entnehmen - weder kommt der Krieg in der Ukraine anders als in der Klage, er gehe "unvermindert weiter" und der russische Aggressor Putin zeige "keine Bereitschaft, den Krieg zu beenden und die Waffen schweigen zu lassen" vor. Noch haben sich zehn Verhandlungsgruppen irgendetwas Überraschendes zur Beendigung der im dritten Jahr anhaltenden Rezession ausgedacht.
Das Klima verliert
Hier ein bisschen und dort ein wenig. Der Bürokratieabbau bekommt wie immer Priorität, die Digitalisierung ein eigenes Ministerium. Das Klima dagegen verliert seins. Aus dem Fokus der dringlichen Behandlungsbedürftigkeit war es schon unter der Ampel-Ägide verschwunden. Jetzt ist es ganz weg, einsortiert hinter "wirtschaftliche Unsicherheiten", "Entscheidungen der amerikanischen Regierung" und einem Personalabbau bei den Bundesbehörden, die acht Prozent ihrer Mitarbeiter verlieren sollen.
Friedrich Merz hält das für eine klare Botschaft, "ein Aufbruchsignal" und "ein kraftvolles Zeichen für unser Land". Als stecke Deutschland fest in einer Zeitschleife, die immer wieder zum Jahr 2009 zurückführt, als erstmals mit unfassbar hohen Summen frischen Geldes altes Probleme verbunden wurden, glaubt die neue Regierung wie die alte, dass die "politische Mitte unseres Landes in der Lage ist, die Probleme anzugehen", indem sie verkündet, jetzt gehe es aber los. Wumms. Doppelwumms und "Innovations- und Investitionsanreize".
Der hohle Gleichklang der Vokabeln
Selbst die niedrigen Erwartungen, die niemand mehr hatte, enttäuscht der hohle Gleichklang der Vokabeln "reformieren, investieren, Deutschland stabil halten, sicherer machen und wirtschaftlich stärken". Die Ankündigungen sind blumig, die Pläne neblig. Fest steht, es wird tatsächlich ein Lügenverbot geben, aber keine Antwort auf keine der 551 Fragen zur Finanzierung frei flottierender Nichtegierungsorganisationen, die die Union an die Ampel gestellt hat. Dafür wird das Demokratiefördergesetz ausgeweitet, noch mehr Geld für noch mehr Vorfeldorganisationen.
"Mit dieser schwarz-roten Koalition können wir nun gemeinsam umsetzen, was Deutschland dringend braucht", sagt Merz. Eine Vorratsdatenspeicherung natürlich. Und die Speicherung aller IP-Adresse. Wichtig zur Umsetzung des Lügenverbotes.
Ob die staatliche Finanzierung des Kampfes gegen alles außerhalb der gefühlten Mitte, in der man sich selbst wähnt, wirklich "die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärkt" und der von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) pünktlich zur Vorstellung des Koalitionsvertrages gelieferte "Investitionsbooster" Aufschwungfanstasien zu wecken vermag, ist er zweifelhaft.
Fünf Tippelschritte
Sofort sollen Unternehmen Ausrüstungsinvestitionen mit jährlich 30 Prozent abschreiben dürfen. Das passt, weil ohnehin kaum jemand investiert. Und schon ab dem 1. Januar 2028, es muss jetzt alles richtig schnell gehen, wird dann auch die Körperschaftsteuer "in fünf gleichen Schritten um jeweils ein Prozent pro Jahr" gesenkt. Sie wäre dann noch vor dem endgültigen Vollzug des Braunkohleausstiegs nur noch knapp höher als in Ungarn. Aber der Solidarzuschlag, der bleibt.
Wie auch die Grenzkontrollen, um die so lange erbittert gestritten wurde, das jetzt kaum auffällt, dass sie die Lage an den Grenzen verbessernn sollen, ohne dass sich dort irgendetwas ändert. Denn auch die von Merz versprochenen sofortigen Zurückweisungen sind zur Kann-Bestimmung geschrumpft: Es wird sie geben. Wenn die Länder, aus denen Flüchtlinge kommen und Einlass begehren, zustimmen, sie zurückzunehmen.
Im Reich des Wünschdirwas
So geht es durch ein Reich des Wünschdirwas, in dem es bald nur noch eine Stromsteuer europäischem Mindestmaß geben wird, reduzierte Netzentgelte, keine Gaspreisumlage mehr, aber dafür einen Industriestrompreis. Über das Geld, das all das kosten wird, schweigt der Gentleman höflich.Lieber spricht er über das Staatsbürgerschaftsrecht, das schon wieder angepasst wird, diesmal rückwärts.
Die Turbo-Einbürgerung nach drei Jahren falle weg, Einbürgerungen sind dann wieder erst nach fünf Jahren möglich. Mit nicht einmal einem Jahr Wirkungsdauer hält das neue Staatsangehörigkeitsrecht einen neuen Rekord: Vor zehn Monaten fand es die SPD noch ideal, um Deutschland für die "die dringend benötigten Fachkräfte attraktiver" zu machen. Nun ist es halt, hätte eine frühere Kanzlerin vielleicht gesagt, nicht mehr da.
Dafür aber ein "Bundessicherheitsrat im Bundeskanzleramt", der ein eigenes "nationales Lagezentrum" samt und "Krisenstab" bekommt. Nach dem Startschuss für die "Cybernation Deutschland", den die scheidende Bundesinnenministeruín mit der feierlichen Einweihung des Nationales IT-Lagezentrum im vergangenen Jahr gegeben hatte Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ), der "Koordinierungsstelle der islamistischen Terrorismusabwehr" (BMI) und dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) ein weiterer starker Baustein gegen Messer- und Fahrzeuggewalt.
Eine einige Opposition
Doch es ist nicht alles schlecht, auch wenn die üblichen Verdächtigen aus den Oppositionsbänken gemeinsam über eine "Kapitulationsurkunde" (Weidel, einen "Koalitionsvertrag der Ignoranz" (Linke) und den Abschied von der Rechtsstaatlichkeit (Grüne) schimpfen. Für Rentner zum Beispiel bietet die neue "Aktivrente" (®© BWHF) eine große Chance: Wer bisher darüber nachdachte, wegen der Inflation, der hohen Zölle, im Dienst des Vaterlandes oder wegen der sonst drohenden Abschläge über den frühestmöglichen Rentenbeginn hinaus weiterzuarbeiten, kann umplanen.
Sofort raus, sobald es geht. Wer danach weiterarbeitet, muss 2.000 Euro im Monat überhaupt nicht mehr versteuern. Einen ähnlichen trick können auch Jüngere nutzen: Jeder, der aus seiner elenden 38-Stunden-Woche auf ein Modell mit nur noch 20 Stunden umsteigt, darf die fehlende Arbeitszeit als Überstunden ableisten. Bis zu 2.000 Euro im Monat sind dann komplett steuerfrei - das Einkommen bleibt dadurch gleich, selbst wenn nicht mehr 152 Stunden, sondern nur noch 120 gearbeitet werden.
Eine Woche Arbeit weniger
Eine Woche gespart. Ein schönes Ergebnis der Verhandlungen, dass Zuversicht nähr, "dass wir es schaffen, aus dieser Situation herauszukommen". Friedrich Merz hat verstanden, dass "wir" (Merz) "ein mutiges, zukunftsfähiges Land werden" wollen, "ein Land, in dem die Menschen Freude an Arbeit und gesellschaftlichem Engagement haben". Jetzt geht es los. Und das Beste daran: Es hätte noch viel schlimmer kommen können.
1 Kommentar:
Politiker verbieten das Lügen. Sehr schön, demnächst verbieten Fische zu schwimmen und Vögel zu fliegen.
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