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Der Papst als Mitnehmangebot für Fans. Die Vermarktungslogik macht auch vor dem Vatikan nicht halt. |
Sein Vorgänger war der Pop-Papst, ein ewiggestriger Deutscher, der Linke wie Rechte in Verzückung versetzte. "Benedikt, Benedikt" jubelten die Menschen dem bayerischen Ponifex zu, der die Huldigungen der Massen gern annahm. Benedikt XVI., nur 17 Tage nach dem Tod des polnischen Paddelpapstes Johannes Paul II. im vierten Wahlgang zum neuen Heiligen Vater gewählt, löste sein Versprechen ein, die Lehre der Kirche zu bewahren und zu verteidigen und das Eheverbot für Priester nicht zu lockern. Dieses knurrige Ewiggestrige, es kam gut an, selbst bei den Partypeople und in der berühmten Eventszene.
Ein Sterblicher auf dem Rhein
"Benedotto, Benedetto" jubelte Zehntausende beim Weltjugendtag in Köln, der zu einem euphorischen Massenereignis wurde. Pilger beiderseits des Rheins. Der Heilige Vater wie ein gewöhnlicher Sterblicher auf einem Schiff, nicht zu Fuß auf dem Wasser des Rheins, ein wackliges Holzkreuz am Bug. Er schwebt an der jungen Gläubigen am Fluss vorbei, es singt und lacht und Gott ist so groß, dass niemand mehr dem 265. Papst in der Kirchengeschichte und dem achten Deutschen auf dem Stuhl Petri vorwerfen wollte, was er doch für rückwärtsgewandter, reformunwilliger kalter Knochen sei.
Doch Kirche ist, die katholische zumal, wenn ausgesucht beurteilt wird. Je nach Stimmungslage findet sich die Kurie umjubelt als letzter Hort eines kollektiven Ewigkeitserlebnisses. Oder brutal unter das Fallbeil der öffentlichen Verurteilung geschoben. Der älteste, größte und reichste Glaubenskonzern der Welt verändert sich je nach Tageswahrheit immer entweder zu schnell oder zu langsam, zu sehr oder zu wenig.
Seit Jahrzehnten schon verspielt gerade die katholische Kirche, Mutter einzähliger skurriler Abspaltungen, ihre Glaubwürdigkeit. Sie ist dadurch bereits zur "Sekte" geworden, wobei die Unterscheidung Außenstehenden ohnehin schwerfällt. Und sie hat selbst bei der Aufarbeitung des viele Jahre im Mittelpunkt der kirchlichen Tätigkeit stehenden Kindesmissbrauchs versagt. ohne größeren Schaden zu nehmen.
Eng verquickt mit der Politik
Wären da nicht ihre herausragende gesellschaftliche Bedeutung und ihre enge Verquickung mit Politik und Wirtschaft, mutmaßlich hätten sich sogar Staatsanwälte mit der organisierten Kriminalität hinter Kloster- und Kirchenmauern beschäftigt. Doch wie der Kult um Jesus, den Heiligen Geist und den Gott im Himmel vom geplanten Lügenverbot ausgenommen werden soll, so blieb die Vertuschung des jahrzehntelangen systematischen Machtmissbrauchs in der katholischen Kirche eine interne Angelegenheit.
Für Priester, Bischöfe und Kardinale gilt das weltliche Recht zwar theoretisch genauso wie für alle anderen Menschen. Doch mit Geld, Drohungen und leeren Versprechen gelang es den Kirchenfürsten erfolgreich, die
Strafverfolgungsbehörden aus den inneren Angelegenheiten herauszuhalten. Hausdurchsuchungen in
bischöflichen Räumen gab es in Deutschland bis 2023 nicht eine einzige. Und das in einem Land, das die Opfer nach Tausenden zählt und schon für ein Internetbildchen ein Kommando in Marsch setzt.
Betroffene und ihre Familien, häufig durch religiös verbrämten Hokuspokus gefügig gemacht, wurden systematisch davon abgehalten, Anzeige zu erstatten. In der Not zahlte der Konzern Kirche sogar Schweigegelder, um Verfahren so lange zu verschleppen, bis durch Verjährung ein unüberwindliches Verfahrenshindernis aufgetreten war.
Nach Vorgaben von Benedikt
Benedikt im Vatikan schaute zu, er war es sicher sogar, der die Vorgaben formulierte. Sein Nachfolger Franziskus, als ganz anderer Typ gefeiert und zu Beginn seiner Amtszeit mit Erwartungen überladen, hielt daran fest. Verbal beugte er das Knie und rief seine Kirche dazu auf, sich "beim Einsatz für Missbrauchsopfer um deren seelische Leiden zu kümmern und sie nicht zu den Akten zu legen". Er war Schutzpatron von Kinderschutzkongressen, entfernte demonstrativ einige Bischöfe aus ihren Ämtern und verbeugte sich vor dem Zeitgeist, als er der Kirche die Flankierung der aktuellen Trends in der Politik nahelegte.
Politik und veröffentlichte Meinung liebten ihn dafür. Franziskus gab nach außen hin das Idealbild eines grünen Papstes ab. Er stehe für eine "arme Kirche" beteten Medien seine Selbstidealisierung nach. Er wurde in einem kleinen Fiat gezeigt, wie er sich bescheiden, wenn auch fossil durch Rom fahren ließ. Die 49 apostolischen Auslandsreisen, fast doppelt so viele wie Benedikt sich genehmigt hatte, wurden nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer Klimaschädlichkeit betrachtet, sondern als Zeichen dafür genommen, wie nah an den Menschen der für gewöhnlich abgeschottet im Kleinstaat Vatikan lebende Heilige Vater sei.
Kein Blatt Bibelpapier
Nachdem schon dem kaum als progressiv oder fortschrittlich zurechtzubiegenden Benedikt die Zuneigung der Leitmedien nur so zugeflogen war, entwickelte sich unter Pontifex Franziskus eine echte Liebe. Kein Blatt Bibelpapier passte zwischen Abtreibungsbefürworter und den Abtreibungsgegner im Apostolischen Palast, zwischen Frauenrechtlerinnen und den erklärten Feind der Gleichberechtigung, zwischen Transqueeraktivisten und dem sturen Vater, der Anhänger der These, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, am liebsten zu Behandlung geschickt hätte.
Was passte, fand Begeisterung. Alles andere galt als Marotte, die Franzismus selbst gern abgelegt hätte, allein er konnte nie, weil die große Glaubensgemeinschaft noch nicht ganz so weit war. Mit seinem Tod am Ostermontag, Stunden nur nach einem letzten "Urbi at Orbi", hat der 88-Jährige auch den Rest der Kritiker zum Verstummen gebracht.
Er hat gemahnt
Wie seinerzeit nach dem Tod der britischen Queen Elisabeth berauscht sich von Heinrich-Böll-Haus bis zum "Spiegel" die komplette Meinungselite an der Vorstellung, wie großartig und bedeutsam, wegweisend und sozial dieser Papst gewesen sei. Nicht nur spirituell, sondern auch organisatorisch habe er die Kirche auf "neue Grundlagen" gestellt. Auf diesen Fels wollte Gott bauen.
Für den Frieden sei er gewesen. Er habe "immer wieder gemahnt". Und nicht zuletzt auch die Ansicht vertreten, die Kirche müsse arm sein. Vielleicht die krudeste These, die ein Mann vertreten kann, der als Chef über ein Imperium mit einem Vermögen verfügt, das offiziell auf 400 Milliarden Euro beziffert wird. Wo doch allein das Vermögen des deutschen Ablegers schon bei 300 Milliarden liegt. Niemand lacht. Keiner verweist auf das Verbot Fake News. Kirche ist Staat, Staat ist Kirche, selbst wenn die Gläubigen in Scharen davonlaufen.
Die Könige der Verschleierung
Über Jahrhunderte hat die katholische Kirche ein unüberschaubares Geld-, Beteiligungs-, Wertpapier-, Land- und Immobilienvermögen angehäuft. Unter zahllosen Tarnorganisationen und Stiftungen ist sie größter Land-, Forst- und Immobilienbesitzer, mit ihren Firmen ein wichtiger Unternehmer, Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor. Und erfolgreich auch dabei, Angaben zu Besitz, Einnahmen und Vermögen zu verschleiern.
Alle Aktivitäten vollziehen sich heute wie vor Jahrhunderten im Vatikan. Das Siegel kirchlicher Verschwiegenheit schützt nicht nur Kinderschändern, sondern auch die Männer, die dem Vatikan die 400 Millionen erwirtschaften, die der Kleinstaat mit seinen 800 Bürgerinnen und Bürger Jahr für Jahr verbraucht.
Eine halbe Million Euro pro Einwohner. Das ist das Fünfzigfache dessen, was der wahrlich nicht für seine Sparsamkeit bekannte deutsche Staat pro Kopf seiner Einwohner ausgibt. Der Vatikan schafft es ohne ein stehendes Heer mit schwerer Ausrüstung. Aber mit einem ähnlichen Plan zum Energieausstieg. Die alten und neuen Kirchenfans, die dem verstorbenen Pontifex in diesen Tagen ihre Ehrerbietung erweisen, können solche Zahlen allerdings nicht beeindrucken. So oft und leidenschaftlich sie gegen die Reichen, die Erben und die Erbenden zu Felde ziehen, so nachsichtig sind sie mit den Scheinheiligen.
Im Weihrauch-Rausch
Im Weihrauch-Rausch, zuletzt rund um den Rücktritt des als "einfacher, kleiner Arbeiter im Weinberg des Herrn" verklärten Benedikt aktenkundig, verwandeln sich Zeitungen, Magazine und Gemeinsinnsender in Außenstellen von Radio Vatikan. Minutiös berichten sie von der ausgestellten präparierten Leiche. Vom Verschwinden des Bischofsstabes. Von letzten Worten und letztem Willen. 2.000 Medienschaffende aus aller Welt haben sich seit dem Tod von Papst Franziskus neu beim Vatikan als Berichterstatter angemeldet – zusätzlich zu den 500 dauerhaft akkreditierten Journalisten.
Zur Beisetzung kommt alles, was Rang und Namen hat. Trump, Steinmeier, von der Leyen, auch Scholz noch einmal, der aus der Kirche ausgetretene intersektionelle Feminist, Macron und Selenskyj natürlich, die beiden omnipräsenten Führer der freien Welt. Ein Statement nicht nur aus Höflichkeit und Pietät und Rücksicht auf den Umstand, dass es wichtig ist, auf der Weltbühne gesehen zu werden.
Die Sehnsucht nach einer höheren Macht
Nein, die Frauen und Männer, die nach Rom reisen, um dem verschiedenen König der Kirchenwelt ihre Aufwartung zu machen, tragen allen Demokratisierungstendenzen der Gegenwart zum Trotz eine tiefe Sehnsucht nach der Geborgenheit im Schutz einer höheren Macht in sich.
Sie würde es wohl leugnen, als Frauen und Männer der Wissenschaft und der Rationalität. Doch in ihnen allen wohnt nicht nur das Bedürfnis, nach außen zu zeigen, dass jeder einzelne von ihnen an etwas Höheres glaubt, sondern auch die Hoffnung, es könne ein Aufgehobensein in den festen Strukturen eines jahrtausendealten mächtigen Mechanismus geben, der alle Stürme der Zeit unbeschadet überstanden hat.
Dafür sind sie bereit, einen Hofknicks für einen konservativen Geistlichen zu machen. Dafür werden sie gern Teil einer großen Show um einen makaber ausgestellten Leichnam, Prediger in Brokatkleidern und goldenen Schuhen. Mit ernster Miene betrachten sie männerbündische Rituale und voodooähnliche Anrufungen eines höheren Wesens. Selbst die Atheisten unter ihnen zeigen sich ergriffen und berührt.
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