Dienstag, 29. April 2025

Anklage wegen Gedankendelikt: Erster Traumverbrecher vor Gericht

Das Landgericht im sächsischen Mühlsenburg verhandelt erstmals nach dem neuen Paragrafen 617 gegen einen sogeannten Traumverbrecher. 

Es ist eine Premiere der bitteren Art, die das Landgericht im sächsischen Mühlsenburg an diesem Dienstagvormittag erlebt. Erstmals überhaupt steht ein Angeklagter wegen des neuen Paragrafen 617 StGB vor seinen Richtenden, erstmals muss sich ein deutscher Staatsbürger wegen eines Verbrechens verantworten, das er nach eigener Aussage unwillentlich im Schlaf begangen hat. Erst seit wenigen Monaten sind solche sogenannten Traumdelikte strafbar. Der 53-jährige Tischlereifachangestellte Gunnar W. war der erste mutmaßliche Täter, der durch aufmerksame Menschen in seinem Umfeld angezeigt und überführt wurde.

Harmloser Auftritt des Angeklagten


W., groß, stattlich, in einem Anzug von der Stange, wirkt keineswegs wie ein wütender Staatsfeind. Das lichte Haar ist über den hohen Scheitel beiseitegekämmt, die Arbeitsschuhe hat der Familienvater für seinen ersten Auftritt vor Gericht gegen bequeme Slipper getauscht. W. hält sich eine Hamburger Wochenzeitschrift vor das Gesicht, um den Fotografen zu entgehen, die auf dem Weg zum Gerichtssaal lauern. 

Der Handwerker, nach glücklosen Jahren mit eigener Firma zurückgekehrt ins Angestelltenverhältnis bei einer gemeinnützigen GmbH in seinem Heimatort, gilt wegen seines Vergehens als relative Person der Zeitgeschichte, deren Gesicht nicht unkenntlich gemacht werden muss. 

Denn Gunnar W. steht unter dem Verdacht, falsch geträumt zu haben: In mindestens einer Nacht des Monat Juli des Jahres 2024, so wird es Chefankläger Gerold Jahnemann später aus der Anklageschrift vorlesen, habe W.  sowohl gewalttätige Träume als auch Träume von einem Zusammenbruch der damals noch so erfolgreich zusammenarbeitenden Koalition in Berlin und einem raschen Regierungswechsel gehabt.

Nur ein Kavaliersdelinkt?


Eigentlich ein Kavaliersdelikt. Weil Träume öffentlich weitgehend unentdeckt blieben und die Kontrolle schwierig ist, waren dergleichen Fantasien lange straffrei. Erst mit dem neuen Paragrafen 617 StGB, von Kritikern als Versuch der behördlichen "Gedankenkontrolle" geschmäht, änderte sich das. Prinzipiell bleiben Träume Privatsache, doch bei Bekanntwerden drohen Traumtätern strenge Strafen: Wer etwa von Gewalt gegen Repräsentanten des Staates träumt, und sei es ungewollt, muss mit Haftstrafen von bis zu vier Jahren rechnen. Wem es passiert, dass er im Traum Kabinette neu besetzt oder sich selbst als "König" auftreten sieht, kommt um eine empfindliche Geldstrafe nicht herum.

Natürlich, das Entdeckungsrisiko ist gering. Etwa 67 Prozent aller Träumer wissen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge nach dem Aufwachsen selbst nicht mehr, was sie geträumt haben. Etwa 25 Prozent hingegen sprechen nie und zu niemandem von Träumen, an die sie sich erinnern. 

Unwissen schützt vor Strafe nicht


So klug war Gunnar W. allerdings eben nicht. Weil sein Mandant gar nicht gewusst habe, so führt sein Verteidiger später aus, dass staatskritische Träume verboten sind und ihr Weitertragen strafbar ist, habe er "ganz naiv" gedacht, er könne seiner Frau bei Frühstück getrost von einer nächtlichen Fantasie berichten, die ihn selbst erschreckt hatte. Doch solches Unwissen schützt vor Strafe nicht.

W., so erinnert er sich seinen Aussagen beim Staatsschutz der Polizei zufolge selbst heute an die verhängnisvolle Nacht, hatte damals von einem gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung mit Hilfe eines Hausausweises geträumt, den er als Handwerker zum Zwecke der Reparatur eines großen Tisches im unterirdischen Krisenzentrum des Kanzleramtes erhalten zu haben geträumt hatte.

Ein erschreckender, weil zutiefst hochverräterischer Traum, wie Staatsanwalt Jahnemann es ausdrückt. Er wirft W. jedoch nicht den Traum an sich vor. Der verbleibe so lange im Kernbereich des privaten Lebens, wie der Gesetzgeber den 617 nicht nachschärfe. Doch Gunnar W. habe seinen hochverräterischen Traum eben nicht für sich behalten, sondern weitererzählt - neben der 39-jährigen Ehefrau erfuhr wenige Tage später auch eine Frühstücksrunde von bis zu sechs Arbeitskollegen des bis dahin unbescholtenen Sachsen von dessen kruder Fantasie über einen Regierungssturz.

Aufmerksamer Kollege alarmiert die Behörden


Während die meisten der von W. Eingeweihten das Geständnis damals weitgehend regungslos, maximal mit einem leichten Kopfschütteln zur Kenntnis nahmen, erkannte wenigstens ein Anwesender das immense Bedrohungspotenzial. Aufmerksam notierte er seine Erinnerungen schon wenige Minuten nach dem schockierenden gemeinsamen Frühstück mit Gunnar W.. 

Direkt nach Feierabend erstattete der Mann Anzeige und brachte damit die Ermittlungen gegen W. in Rollen. Die übrigen Mitwisser mussten sich wegen ihres schweigenden Zusammenspiels mit dem nun Angeklagten in den anderen Verfahren  verantworten. Sie kamen jedoch alle mit Strafbefehlen und Geldstrafen glimpflich davon.

Vor Gericht entsteht nun ein zugleich skurriles wie erschreckendes Bild des Mannes, der im Mittelpunkt des Verfahrens steht. Gunnar W. spielt den Überraschten, den Unwissenden und Erschrockenen. Er könne sich nicht vorstellen, warum er überhaupt so geträumt habe, sagt er und gesteht damit unumwunden, dass die Berichte der Zeugen über seinen Traum der Wahrheit entsprechen. 

Schuld auf Medien abgeschoben


W. beteuert, dass er weder Spinner noch Verschwörungstheoretiker  oder gefährlicher Hochverräter sei, vielmehr dreimal geimpft, Vater von zwei Söhnen, seit 26 Jahren verheiratet und an "spirituellem Hokuspokus immer absolut desinteressiert". Es seien wohl die vielen kritischen Berichte in der Presse gewesen, die ihn im Sommer 2024 veranlasst hätten, von "einer Art Umsturz" (W.) zu träumen. Zweifellos habe aber auch die Klimaerwärmung eine Rolle gespielt: "2024 war das wärmste Jahr aller Zeiten, ich habe aufgrund der Hitze immer denkbar unruhig geschlafen."

Wie oft er vergleichbare Träume gehabt habe, vermag W. angeblich nicht mehr zu erinnern, die Staatsanwaltschaft geht allerdings nach umfangreichen psychologischen Befragungen davon aus, dass es nicht bei einem einzigen Mal geblieben sei. Dass W. Frau Carola sich unter Berufung auf ihr Schweigerecht geweigert habe, gegen ihren Mann auszusagen, spreche Bände. 

"Da war sicherlich noch viel, mehr als wir gesichert wissen", ist Anklagevertreter Gerold Jahnemann überzeugt. Das Gericht habe es hier zweifellos mit einem Menschen zu tun, der unterbewusst tief antidemokratisch und regierungsfeindlich eingestellt sei. "Anders sind solche Träume nicht zu erklären."

Harsche Kritik der Verteidigung


Die Verteidigung hat dem bereits im Vorfeld entschieden widersprochen und schwerer Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft erhoben. W.s Anwalt warf den Anklägern vor, für seinen Mandanten entlastende Erkenntnisse bei der Erstellung der Anklageschrift außen vor gelassen zu haben - unter anderem die Aussage eines Arbeitskollegen, dass sich W. beim Erzählen seines nächtlichen Traums mehrfach von Gewalt-Überlegungen distanziert habe.

Der Verteidigerin nutzte das Podium, um die Neuregelung der Strafbarkeit sogenannter "unwillkürlicher und ungesteuerter Überlegungen" infragezustellen. Wenn sich Gesetzgeber und Behörden mit den nächtlichen Fantastereien Einzelner beschäftigten, sei das ein Warnzeichen für die Gesellschaft, versuchte der Jurist Stimmung gegen das gesamte Verfahren zu machen.

Das Landgericht Mühlsenburg hat für die Hauptverhandlung zunächst 75 Termine bestimmt, aktuell bis Ende Januar 2026. Eine Verlängerung ist möglich. 

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Amerikaner haben das AG Mühlsenburg in Washington nachgebaut. Verdammte Kopisten.

Anonym hat gesagt…

Wenn er mit seiner 39-jährigen Ehefrau schon 26 Jahre verheiratet ist, droht im schon der nächste Prozess.