Donnerstag, 6. März 2025

Themenschwund im Hysteriechannel: Aufrüstung über alles

Über viele Themen wurde im Wahlkampf demonstrativ gestritten. Mittlerweile sind sie alle beerdigt und vergessen und nur noch eine Frage zählt: Wie teuer wird der nächste Krieg?

Wie war das alles gerade noch wichtig. Die Meinungsfreiheit. Die Brandmauer. Die Energiepreise. Die Wirtschaft. Der "Made in Germany"-Bonus und Elon Musks Einmischungsversuche. Die russischen Trollarmeen. Die Wissenschaftler, die an die X-Akten heranmussten, um die Spur der AfD-Erfolge bis nach Moskau verfolgen zu können. Wichtig, weil wenn alles ganz schiefgegangen wäre, lag irgendwo dort die Rückfalllinie zur Wahlwiederholung.

Rückblick im Rundflug

Es war ein wirklich großes Ringen in den wenigen Wochen Wahlkampf zwischen Neujahr und Neuanfang mit den alten Aktivisten. Beredet wurde, was brennend wichtig war. Die Fehler der Ampel. Die Fehler der großen Koalition zuvor. Die guten Absichten und schönen Erfolge von Angela Merkel und Robert Habeck. Die Notwendigkeit, dass Olaf Scholz Gelegenheit bekommt, sein Werk zu vollenden. Nichts fehlte, kaum etwas, das wirklich wichtig war, kam nicht als kleine Fußnote vor. 

Von den Grünen über die SPD bis zur Union und der spät radikalisierten FDP hatten alle ziemlich plötzlich einen großen Plan. Selbst die rechte und die linke Linkspartei kamen hier und da mit Vorschlägen vor, immer im Dienst der einfachen Leute und der eigenen Funktionäre, für die ein paar Tausend Stimmen mehr oder weniger den Fall aus der sicheren Bundestagsexistenz ins Nichts der prekären Beschäftigung als Bedenkenträger bedeutete.

Ungeplantes Thema Migration

Die Migration, sie hatte nach einer informellen überparteilichen Vereinbarung eigentlich aus dem Wahlkampf herausgehalten werden sollen. Kein Plakat keiner Partei deckte diesen Bereich ab. Alle versteiften sich auf Zusagen wie "Mit Sicherheit mehr netto", "Zuversicht", "Zusammen" oder "Unser Land wünscht sich Frieden" und "In Europa darf nur einer herrschen: Frieden"

Doch niemand hatte daran gedacht, den Beschluss bis in die Einzelfallkreise draußen im Land durchzustellen. Und so kam es, aufmerksame Beobachter vermuteten später eine gezielte Steuerung aus dem Kreml, zu den befürchteten Vorkommnissen, die sich mit den traditionellen Beileidsbekundungen nicht mehr eindämmen ließen. 

Der Messerangriff eines Afghanen in Aschaffenburg wurde zum Flügelschlag des Schmetterlings, der die Verhältnisse durcheinanderbrachte. Vom Unionskandidaten bis zum grünen Hoffnungsträger rückte alles nach rechts. Die Grenze, der Zustrom, die EU-Regeln und die Notwendigkeit, "in großem Stil abzuschieben" (Olaf Scholz) schaffte es in dieser Phase des Werbens um Wählerinnen und Wähler, gern auch vom rechten Rand, alle anderen Themen zur Belanglosigkeit zu degradieren. Die Wahl würde gewinnen, werde die Menschen davon überzeugt, er könne ihnen das in den alten Zeiten vorherrschende Gefühl einer relativen Sicherheit zurückgeben, da waren sich Wahlkampfplaner aller Parteien einig.

Auftritt als zorniger Gott

Friedrich Merz ließ sich überzeugen. Mit einem nicht einmal schlecht gespielten Auftritt als zorniger Rachegott stellte er klar, dass für ihn eine Grenze erreicht sei, dass er die Zustände nicht mehr dulde und damit zu rechnen sei, dass andere Saiten aufgezogen werden würden. Zurückweisungen, rief Merz. Grenze dicht, versprach er. Schluss mit allem, was die Union unter Merkel als "menschliches Gesicht" Deutschlands hatte sehen wollen.

Aus dem Manöver des Unionskandidaten, der damit endlich Bewegung in die festgenagelten Umfragen hatte bringen wollen, wurde das Thema der letzten Wahlkampfphase. Ein breites Bündnis nutzte Merzens Versuch, sich als starker Mann für Sicherheit und Gesundheit darzustellen, umgehend, um aus dem Juristen aus dem Hochsauerland den neuen Adolf Hitler und aus seiner Partei eine wiedergeborene NSDAP zu machen.

Es ging mit einem Schlag nicht mehr um Energiepreise, um innere und äußere Sicherheit, um Steuern, neue und höhere Abgaben, Grenzen, erweiterte Rechte für Geheimdienste, um alle immer abhören zu können, oder die Abschaltung von Internetportalen, die die Meinungsfreiheit anders interpretieren als deutsche Aktivisten, Minister und vom Staat beauftragte Ansichtenaufseher.

Was würde er wirklich

Sondern nur noch um den Rechtsrutsch, die Gefahr einer regierungsfähigen Mehrheit ohne SPD, Grüne und Linkspartei und Merzens vermutete Charaktermängel: Würde er, wenn ihn das an die Macht brächte, mit den Teufeln koalieren? Würde er, wie es die SPD in den 90er vorgemacht hatte, einen  halblegalen Weg finden, sich trotz aller Parteibeschlüsse, Schwüre und Versprechen doch von den Feinden von "unsere Demokratie" zum Kanzler wählen zu lassen?

Historiker werden später staunend über den Parolen sitzen, die Wahlprogramme studieren und die Auftritte der Spitzenkandidaten wieder und wieder anschauen und analysieren. Und sie werden feststellen: Alles lässt sich ändern, wie die FDP in einem verzweifelten Versuch des Appells an eine erhoffte Aufbruchsstimmung im Land plakatiert hatte. Mancher aber ändert sich von ganz allein - und dann deutlich heftiger als alle Strategen, Wahlkampfplaner und Visionäre in den Spitzenämter vorausgesehen hatten.

Opfer einer Disruption

Disruption, einer der Stars, zugleich aber auch eines der Schreckgespenster des Wahlkampfs, lässt sich herbeibeten oder aber vermeiden wollen. Die normative Kraft des Faktischen aber, 1911 vom 
sächsischen Staatsrechtler Georg Jellinek als das Prinzip formuliert, nach dem eine tatsächliche Entwicklung stets einen Zustand schafft, den die Rechtsordnung anzuerkennen gezwungen ist, sorgte nur Stunden nach dem Urnengang für ein Themensterben, wie es Deutschland noch niemals erlebt hat.

Russische Trollarmeen, die die Wahl beeinflusst haben? Elon Musk, der unzulässige Meinungen äußerte? Der Nazi Merz, gegen den große Teile der deutschen Sozialdemokratie, die Linken und die Grünen mutig aufgestanden waren? Die freche Anfrage der Union nach der staatlichen Finanzierung eines milliardenteuren Biotops aus Meinungsaufsichts- und Meinungsbeeinflussungsorganisationen? Die längste Rezession aller Zeiten? Die lahmende Energiewende? Die Sicherung der Renten? Das außer Kontrolle geratene Gesundheitssystem? Die Pflege? Die Infrastruktur? Die Inflation, die einfach nicht richtig sinken will? 

Aufrüstung über alles

Wie alle anderen zentralen Streitpunkte verschwanden sie über Nacht, besser gesagt in dem Moment, als US-Präsident Donald Trump und sein Vize J.D. Vance im Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj feststellen mussten, dass ihr Gast immer noch glaubt, sein Land durch eine Fortsetzung des Kampfes gegen die russischen Invasionstruppen eines Tages in eine bessere Verhandlungsposition bei Friedensverhandlungen bringen zu können. Trump warf Selenskyj aus dem Weißen Haus. In Deutschland warfen die Parteistrategen von Union und SPD alle Fahrpläne für die Koalitionsverhandlungen über Bord.

Jetzt geht es nur noch um ein Thema, alles andere ist obsolet. Wie Anfang 2020, als die Corona-Pandemie Angela Merkel die Gelegenheit verschaffte, auf dem Verordnungsweg durchzuregieren, unveräußerliche Grundrechte aussetzen zu lassen und neue Schulden zu machen, um eine längst überalterte, zu großen Innovationssprüngen unfähige Wirtschaft wie gehabt weiterwurschteln zu lassen, erkannten Friedrich Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil im "Verrat" (Spiegel) des US-Präsidenten am gemeinsamen Ziel des Endsieges über Russland sofort die Chance, ein neues Notstandsregime auszurufen.

Munition statt Impfstoff, Kanonen statt Beatmungsbetten, Panzer statt Biontech. Aber jedenfalls Milliarden über Milliarden, begründet mit einer allumfassenden medialen Alarmstimmung, die nur noch eine Antwort auf alles kennt: Aufrüstung, Kriegstüchtigkeit, fest geschlossene Reihen, Helm auf zum Gebet, Strammstehen der abgewählten Abgeordneten im Bundestag für eine letzte Rettungstat, koste es, was es wolle, und sei es der allerletzte Rest an Glaubwürdigkeit.


6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Aufrüstung ist ja das dringlichste Thema. Wie Tünkram-Fritze laut WeLT äußerte: in Europa stehe es „fünf Minuten vor zwölf“.

Leider hat er dabei die Zeitzone vergessen, da kann eine Einigung in der EU noch etwas dauern.

Anonym hat gesagt…

Wenn sie Pech haben, bricht Frieden aus ehe die Bundesanleihen draußen sind.

Anonym hat gesagt…

OT Antisemitismusbeauftragter 'fällt negativ auf' (c/o Fefe)

https://www.fr.de/politik/palaestinenser-un-antisemitismusbeauftragter-klein-sieht-trump-plan-fuer-gazastreifen-positiv-trump-93607290.html

Kleine Anfrage dazu bittschön: Wieso haben die Palis die letzten 20 Jahre nicht genutzt, um selbst eine „Riviera des Nahen Ostens“ zu bauen?

ppq-Leser hat gesagt…

Krieg hin, Frieden her, Hauptsache die Gelder sind losgeeist. Jeder Wähler, der ernsthaft meinte, mit Merz wird es besser, (...) muss sein politisches Verständnis grunderneuern lassen. Wegen 10Mrd hat Lindner die Koalition gesprengt, Merz macht mit 900Mrd weiter.

Anonym hat gesagt…

Wo Hadmut nun recht hat, hat er recht: Es geht mitnichten um Aufrüstung oder solch Zeugs, sondern darum, nach dem Letzten auch noch das Allerletzte heraus zu quetschen.
Ein schwacher Trost bleibt, dieses sauberen Vögel kommen vermutlich dann nirgendwo mehr unter, jedenfalls nicht komfortabel.

Anonym hat gesagt…

# Haremhab 6. März 2025 at 15:04
@ Walter Gerhartz 6. März 2025 at 15:01
Das Geld wird doch nicht für Bundeswehr und Infrastruktur verwendet. Es werden damit linke Vorhaben finanziert. #
Pipis Hofnarr Haremhab ist zuweilen gar nicht unübel. Liegt gar nicht sooo falsch.