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Am Küchentisch der letzten Arbeitsbrigaden: fast wäre der Traum vom ökosozialen Aufschwung Wirklichkeit geworden. |
Es hagelt üble Nachrichten, wie ein Bombenteppich regnet es Pleitemeldungen und Mitteilungen über Massenentlassungen. Keine Woche vergeht, ohne dass irgendein Großunternehmen bekanntgibt, tausende Mitarbeiter entlassen zu wollen. Dazwischen tauchen die Meldungen über Insolvenzen auf: Hier groß, dort kleiner, alles in allem ein Feuersturm der Vernichtung, der eine Wirtschaft trifft, die nach drei Jahren Corona-Notstand und zwei Jahren Kriegszustand zum ersten Mal über ein ganzes halbes Jahrzehnt kein Wachstum mehr generiert hatte.
Lastabwurf als Restoption
Maschinenbauer, Autozulieferer, Stahlhütten und Handwerksbetriebe, Dienstleistungsunternehmen, Verlage und selbst Teile der Unterhaltungsbranche zittern. Lastabwurf ist die einzige Option angesichts schrumpfender Gewinne und immer dünner werdender Auftragsbücher. Die Entlassungsankündigungen summieren sich allein in diesem Jahr auf sechsstelligen Zahlen.
35.000 Mitarbeiter müssen bei Volkswagen gehen, 30.000 beim Staatsbetrieb Deutsche Bahn, 14.000 setzt der Autozulieferer ZF Friedrichshafen frei, mit 11.000 Entlassungen kommentiert Thyssen Krupp den Versuch, "grünen Stahl" nicht nur herstellen, sondern gegen die herkömmlich schmelzende Konkurrenz auch verkaufen zu wollen. Selbst SAP, Deutschlands einziges großes High-Tech-Unternehmen, baut 8.000 Stellen ab. Bei DHL sind es auch 8.000, bei Audi 7.500 Audi, bei Bosch 5.000, bei der Deutschen Bank 2.000.
Aufregung in jedem anderen Jahr
In jedem anderen Jahr der Existenz der Bundesrepublik wäre der Teufel los gewesen. Die massenhaften Massaker an der wirtschaftlichen Basis des Landes hätten besorgte Experten in Divisionsstärke anrücken lassen, die den Niedergang warnend als historisch einmalig bezeichnet hätten. Medienhäuser hätten ihre Alarmberichterstattung hochgefahren. Schlagzeilen. Angst. Streiks und Demonstrationen.
In den abendlichen Talkrunden und Fernsehgerichten wäre Corona mit neuem Schwerpunkt noch einmal durchgespielt worden. Zahlen, Daten und Fakten, wie es gerade passt. Aufaddierte Entlassungslisten. Verzweifelte Familienväter vor Werkstoren. Faust auf Faust, "wie damals hinterm Kohlenschacht, der heut' wie 'n offenes Grab still liegt", hätte Klaus Lage gesungen, vom Alter gebeugt, aber ungebrochen solidarisch.
Was wusste Merkel?
Gewerkschafter und Ex-Manager, natürlich aber auch bekannte Wirtschaftspolitiker hätten Tacheles geredet über Wohlstandsverlust und Armut, einer Todesspirale in den Sozialabbau und notwendige Maßnahmen, um das Verhängnis noch aufzuhalten, so gut es geht. Verantwortung wäre ein Thema gewesen. Wer hat uns das angetan? Wie konnte das passieren? Wo ist es hin, das Deutschland, in dem wir gut und gerne leben? Wo ist Scholz? Wer ist Habeck? Was wusste Merkel?
Ja, es hätte leicht eine veritable Krise aus der größten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts werden können. Das Elend kündigt sich in den großen zahlen der anstehenden Entlassungen an.
Rente bleibt noch erlaubt
Dahitler aber stehen die vielen kleinen, die sich zu noch größeren summieren. Der Malermeister, der angesichts der Lage doch schon mit 62 dichtmachen will, um sich in den Ruhestand nach Bulgarien zu verdrücken. Zu viel Bürokratie. Zu viel Ärger mit den Behörden. Zu wenig Gewinn, als dass sich der Aufwand noch lohnen würde, für die letzten paar Jahre auf elektronische Rechnungslegung umzustellen. Der Mittelständler, dem vor den nochmals erhöhten Mindestlöhnen graut. Der Dachdecker, der Friedrich Merz genau zugehört hat.
Früher in Rente soll schon noch erlaubt sein. Es wird nur teurer werden. Verzicht für alle statt Wohlstand für alle. Jeder wird gebraucht, um Deutschland nach einem Vierteljahrhundert unter Regierungen von Schwarz, Rot, Grün und Gelb halbwegs in Schwung zu halten. Der "Wiederaufbau", den die EU verkündet hatte, war das erwartete Strohfeuer. Es hat nur ganz kurz gewärmt. Jetzt braucht der Ofen neues Material.
Die Lage ist beschissen
Das braucht er immer schneller, die Summen, die verfeuert werden, werden in atemberaubender Geschwindigkeit größer. Die EZB hat sich in eine Fabrik für Nullen verwandelt. Waren die Geldpressen vor 15 Jahren noch gut ausgelastet, wenn sie Milliarden produzieren sollten, um den Euro, die EU und Leib und Leben von 440 Millionen Europäern zu retten, geht jetzt schon nichts mehr unter Billionen. Hält das exponentielle Wachstum an, mit dem die Politik den Geldwert verdünnt, gehen derzeit schon die ersten Kinder zur Schule, für die eine amtliche Regierungsmitteilung über ein "Billiardenpaket", auf dass sich der Bundestag nach kurzer Diskussion geeinigt habe, vollkommen normal klingen werden.
Unaufgeregt und mit geradezu katatonischer Gelassenheit nimmt die Öffentlichkeit das heranrauschende Verhängnis zur Kenntnis. Sorgen werden allenfalls am Abendbrottisch diskutiert, nicht aber in den Medien. Wer Furcht hat, enttarnt sich als Feind. Der gute Bürger beweist demonstrativ Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der politischen Institutionen. Mag Deutschland auch seit fast einem halben Jahr unregiert sein. es läuft doch deshalb nicht noch schlechter als vorher. Also im Grunde genommen sehr super.
Belagerung des Regierungsviertels
In den alten Zeiten hätten Hunderttausende das Regierungsviertel belagert. Die Politik stünde unter dem Druck, etwas zu tun, von dem noch niemals jemand sagen konnte, was es genau sein soll. Doch sich abzuducken, versammelt in Koalitionssondierungsrunden, in denen offenbar über alles detailliert gesprochen wird, nur nicht über Entscheidendes, damit wäre in den 80er Jahren keine Koalition durchgekommen, nicht einmal eine, die es noch gar nicht gibt.
Die Zeiten aber sind andere. Bekannte Wirtschaftspolitiker gibt es nicht mehr. Die "Tagesschau" findet die Lage in der Türkei bei weitem bedeutsamer als die in Untertürkheim. der "Spiegel" schaut besorgt nach Amerika. Hauptsache, weit weg. Wenn erst die Rüstungsbillionen zur Verschwendung anstehen, dann werde sich die Lage klären. Aus Geld, das der Staat borgt, um es für Panzer auszugeben, die entweder in Garagen abstehen werden, bis sie uralt sind, oder aber eines Tages an der Front zerschossen, wird neuer Wohlstand wachsen, darin sind sich alle einig. Im Bundestag sitzen unter mehr als 600 Abgeordneten nur 37 Unternehmer. Ein Spiegelbild der Mediengesellschaft.
Wirtschaft ist kein Thema
In den Medien gilt Ökonomie als Thema für verbohrte Marktwirtschaftler, die mit ihren Zahlenspielen nur alles kaputtreden wollen. So lange die Börse läuft, gilt die Lage als herausragend. Selbst die Grünen, traditionell offiziell jeder konventionellen Geldanlage abhold, haben steigende Aktien schon als eigenen Verdienst entdeckt. Im Wahlkampf versuchte aber nicht nur "Team Habeck", sich die Lorbeeren für neue Dax-Rekorde anzustecken, sondern auch "Team Scholz" rühmte die am Kapitalmarkt sichtbar werdenden Folgen einer inflationären Geldentwertung. Wirtschaft ist lästig, Wirtschaft ist unanständig. Wirtschaft wird vermieden., wo immer es geht.
Was sie neuerdings hart lieben, ist die Börse. Die ist seit kurzer Zeit nicht mehr böse, kein Platz, an dem üble Spekulanten dem einfachen Mann das sauer verdiente Geld aus der Tasche tricksen. Börse ist zum letzten Leistungsnachweis einer Regierung geworden, die nichts geleistet hat. Schaut her, wie sehr der Dax gestiegen ist, jubelt der Klimawirtschaftsminister. Der Kanzler verweist auf seinen Beitrag. Die seit dem großen Crash von 1923 zum Kern jeder linken Ideologie gehörende Überzeugung, dass der Klassenkampf Angestellte und Arbeiter braucht, die doppelt frei sind und keine Anteile an den Produktionsmitteln und dem Anlagekapital besitzen, wandelte sich.
Aus der anderen Tasche
Mit spontanen Erfindungen wie dem "Generationenkapital" und der Gerechtigkeitsrente erbot sich die Politik, die Deutschen in ein Volk aus Kuponschneidern zu verwandeln. Statt die Rentenbeiträge ein weiteres Mal kräftig zu erhöhen, würden sie trotz lahmender Wirtschaft so blieben können, wie sie sind, weil die Politik eine "doppelte Halteline" beschlossen habe. Weil deshalb die Auszahlung am Ende nicht reichen werde, sei aber jeder aufgefordert, vom Netto, das ihm bleibe, selbst vorzusorgen. Statt in die eine Tasche, greift der Staat in die andere.
Die Einfälle gehen ihnen einfach nicht aus. Das wirtschaftliche Erdbeben ringsum nimmt derweil völlig neue Dimensionen an. Duisburg im Schockzustand, aber still. Frankfurt an der Oder mit einer Raffinerie, die seit drei Jahren nur noch mit halber Kraft läuft. Die Chemieindustrie auf dem Rückzug. Eine IW-Studie rechnet den Verlust von 55.000 Arbeitsplätzen zu einem gesamtwirtschaftlichen Schaden von 16,4 Milliarden Euro hoch, der zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 5,6 Milliarden Euro führe.
So still liegt das Land
Doch was beim Kampf um den Stahl von Rheinhausen zu einer bundesweiten Solidaritätswelle für die Stahlkumpel führte, mit Streiks von zehntausenden Arbeitern im ganzen Ruhrgebiet, der Besetzung von Verkehrsknotenpunkte und Protesten, die fast ein halbes Jahr andauern, findet diesmal gar nicht statt. Während tausende Familien um ihre Zukunft bangen, verhandeln die Koalitionsrunden leidenschaftlich Petitessen. Ökonomen raten, vor Trump fliehende US-Wissenschaftler in ein Land zu locken, das niedrige Löhne mit hohen Steuern und Abgaben kombiniert, eine Infrastruktur bietet, die "marode" (Handelsblatt) ist, dafür zuverlässig seit drei Jahren über Wege diskutiert, wie sich die rekordhohen Energiepreise möglichst schnell senken lassen könnten.
Es ist der perfekte Sturm. Draußen im Land geht krachen, was noch an Firmen vorhanden ist. Die Sicherheitslage beunruhigt die Menschen. Die Infrastruktur ist inzwischen anerkannt so problematisch, dass selbst der Kampf gegen die Erderhitzung hintenanstehen muss. Aber gefangen in einer Art Todesstarre schaut die Gesellschaft gebannt, wie das Verhängnis auf sie zurollt. es ist tatsächlich wahr: Deutsche Medien produzieren in der längsten und größten Wirtschaftskrise der zurückliegenden 75 Jahre mehr Schlagzeilen über Entlassungen in den USA "wegen Trump" als über die große Kündigungswelle in Deutschland.
1 Kommentar:
Die Leute haben über die Jahrzehnte gelernt, das Proteste und Demos und der ganze Kram genau gar nichts nutzen. Genau sowenig wie Wahlen, obwohl viele das immer noch glauben.
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