Freitag, 14. März 2025

Deutsche Panzerromanze: Wollt ihr den totalen Frieden

Die neue Liebe der Deutschen zur Hochrüstung verdankt sich dem inneren Antrieb durch das klug in Dienst genommene alte Feindbild Russe, das Fremdenhass und Ablehnung erlaubt.

Fast zwei Drittel dafür. Endlich wieder! Aber es war denkbar knapp. Bis zuletzt wucherten Zweifel, ob es wirklich gelingen würde, das festgerostete Rüstungsruder herumzureißen und die Menschen wieder zu begeistern für das Kriegshandwerk. Über Jahre hinweg hatte die Politik es geschafft, Debatten über Krieg und Frieden ausschließlich als Simulation zu führen. Den hundsmiserablen Zustand der Bundeswehr zu beklagen, gehörte zu den traditionellen Ritualen, wenn der sogenannte Wehrbericht erschein, verdoppelte sich die Lautstärke kurz.

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl hat es gelernt, zu dienen. Hier schreibt sie über den fatalen Weg der ehemaligen Wehrmacht in ihren heutigen beklagenswerten Zustand, der es ihr unmöglich macht, die neue Lust der Zivilgesellschaft an Gewalt und Waffenklirren zu befriedigen

Insgesamt aber war Deutschland mehr als stolz, mit seinem militaristischen Erbe grundlegend gebrochen zu haben. Man war zivil geworden, man lobte sich als "Zivilgesellschaft", ein Begriff, den es vor 1980 noch gar nicht gegeben hatte. Damals war noch Wehrdienst, damals stand der Russe noch vor der Tür und es stand zwar infrage, wie lange das deutsche Heer dem Ansturm der entmenschen Soldateska der Sowjets widerstehen könnte. Aber dass es müsste, war ausgemachter gesellschaftlicher Konsens.

Verfall der Streitmacht

Die Friedensdividende verklebte dann die Augen. Die Bundeswehr machte Skandal, weil sie nazi war, nicht, weil sie nicht schießen konnte. Spitzenpolitiker saßen Sonntagabend in Fernsehstudios beieinander und sie waren sich einig: Lieber keine Armee als so eine. Medien stießen ins gleiche Horn. Über zwei Jahrzehnte schauten sie schweigend zu, wie aus einer ehemals imposanten Streitmacht zu Luft, zu Wasser und auf dem Land eine Truppe wurde, die sich außerstande sah, sich selbst zu verteidigen. 

Die Magie der Macht, mit der Politik herrscht, vermochte es jedoch, das als einen und sehr außerordentlichen Unfall darzustellen. Da wurde nichts an die Oberfläche gespült, über das man hätte sprechen müssen, bis die Vergabe eines "Anti-Gifts" (Katharina Brandner) als Therapie vereinbar worden wäre. Die Methode gleicht der, mit der das moderne Debattendesign im politischen Raum häufig arbeitet: Ein Thema wird fürsorglich mit einem anderen erstickt, bis es vergessen ist. Erst wenn es zu spät ist, zeigt dieses Schaffensprinzip der Politikgestaltung seinen Pferdefuß. 

Vermeidung der Wahrheit

So gelang es der später gescheiterten Ampel-Koalition beispielsweise, das gefürchtete Wort "Rezession" über fast 24 Monate Rezession vollkommen aus den Medien herauszuhalten, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen. Ersatzhalber waren Zeitungsredaktionen und Gemeinsinnsender auf Begriffe wie "schwächelnde Wirtschaft" oder "fehlendes Wachstum" eingeschworen worden. Entsprechende Beiträge wurden mit Zuversicht und Gottvertrauen in die Strategie des Klimawirtschaftsministers Robert Habeck gewürzt. Die Zukunft sollte, auch angesichts der trüben Gegenwart, etwas sein, auf das man sich freuen konnte, ja, musste. 

Ein Volk, ein Wachstum, mein Aufschwung, mit diesem Versprechen rettete sich die Ampel durch eine halbe Legislaturperiode. Erst als der Niedergang nicht mehr zu leugnen war, die Entlassungswellen rollten und sich all die Wummse und Weiterso als Taschenspielertricks einer Laiendarstellerschar entpuppten, wurde in höchster Not umgeschaltet: Die Straße drückte das Thema Migration in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, ausgerechnet im Wahlkampf, für den sich alle Parteien der demokratischen Mitte geeinigt hatten, es damit zu halten wie all die Jahre zu vor. Don't ask, don't tell, kein Wort ist besser als eins und wer das Tabu bricht, wird vom Nazi gefressen.

Furcht vor fehlendem Zuspruch

Ohne akute Not brach Friedrich Merz diese Vereinbarung. Aus Furcht vor fehlendem Zuspruch der Wählerinnen und Wähler griff der Unionskandidat ins unterste Regal, dorthin, wo die menschenfeindlichen Parolen vom konsequenten Abschieben im großen Stil, Lagern außerhalb der EU. und Abschottung samt Zurückweisung an den Grenzen der etwa vom Hamburger Magazin "Spiegel" erträumten künftigen "Festung Europa"  liegen. 

Glück hatte der Unionskandidat damit nicht. Seine Kampagne appellierte zwar an die niedersten Instinkte der Bürgerinnen und Bürger. Doch erwartungsgemäß spülte das Wasser auf die Mühlen der Populisten, die einmal mehr versprachen, gegen Hitler zu kämpfen, der jetzt Merz hieß, und ein Viertes Reich zu verhindern, das errichtet werden würde, wenn der Wählerschaft erlaubt würde,  seinen Gefühlen zu folgen.

Merz versprach einen "echten Politikwechsel", verstieß dabei aber schon vor seinem Wahlsieg gegen eine Grundregel des politischen Handwerks. Niemals sollen Politiker dem Gebrüll der Straße folgen und sich der Probleme annehmen, die das gemeine Volk für besonders wichtig hält. Die Aufgabe von Politik ist es vielmehr, nicht nur, "das Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu organisieren", wie es die SPD sich als Aufgabe gestellt hat. Sondern vor allem, der Gesellschaft vorzugeben, was ihre Mitglieder beschäftigen soll, was die Menschen aufgeregt diskutieren müssten und was sie auf ihre Wunschzettel für die Regierung zu schreiben haben.

Demokratie ohne Mitmachen

Ein Verhältnis wie Regisseur und Schauspieler, wie Drehbuchschreiber und Publikum. Demokratie ist aus Sicht der gestaltenden Parteien kein Spiel zum Mitmachen, sondern ein Unterhaltungsangebot mit Simulationscharakter: Vor der Wahl ist immer vor dem Kompromiss. Nach der Wahl ist immer die Zeit der gebrochenen Versprechen, weil nur so regierungsfähige Bündnisse zustandekommen.

Diesmal war es einerseits besonders schwer, alles abzuräumen, was im Wahlkampf als Markenkern der neuen Regierung poliert und gewienert worden war. Andererseits war es ausnehmend leicht, weil die von Friedrich Merz bereits im vergangenen Jahr herbeigehoffte Gelegenheit, einen nächsten "Zeitenwende"-Moment ausrufen zu können, sich tatsächlich bereits wenige Tage nach der Bundestagswahl ergab.

Trumps Streit mit Selenskyj im Weißen Haus, ein brutaler Versuch des US-Präsidenten, dem ukrainischen Mündel die neue Beschlusslage beizubringen, verschaffte Merz die ersehnte Chance, mit allem zu brechen, was er zehn Tage zuvor noch geschworen und beteuert hatte. Alles hinfällig! Neue Lage. Kommando zurück. Und siehe da: im Verbund mit den treuen Sendern und zuverlässigen Medienhäusern gelang es tatsächlich, an die Stelle der bis dahin aufgeregt und ratlos debattierten Themen ein neues zu setzen, dessen präsenz seitdem alles überstrahlt. 

Die Bedrohung aus dem Osten

Der Russe ist zurück, die Bedrohung aus dem Osten, der alte Reflex, der Opa bis zuletzt im Graben aushalten ließ, er funktioniert noch. Binnen weniger Stunden glückte das Wagnis: Die friedensverliebten Deutschen begeistern sich für mehr Aufrüstung, sie sehen eine militärische Führungsrolle des eigenen Landes nicht mehr kritisch und zwar mag nur eine sehr kleine Minderheit von 17 Prozent bereit sein, wirklich selbst zu kämpfen. Aber die übrigen hoffen, dass viel mehr Geld für Panzer, Flugzeuge, Raketen und neue Uniformen ausreichen wird, die Feinde totzuschießen.

Es ist ein Triumpf des Diskussionsdesigns, wie es schulbuchmäßiger nicht hätte angewandt werden können. Schien es noch vor vier Wochen so, als habe die Politik sich zum Sklaven der Bürgerinnen und Bürger geamxht, künftig gewzungen, deren Wünsche umzusetzen, zeigt das aktuelle Geschehen rund um die neue Rüstungslust, dass Politik und traditionelle Medien im Verbund noch imemr in der Lage sind, zu bestimmnen, was gerade wichtig ist. Und was nicht. 

Das ideale Feindbild

Mit dem Russen wurde ein geradezu idealtypisches Feindbild gefunden, um den Beweis anzutreten. Der Russe gilt in Deutschland als blut-, macht- und landgierig, er ist rätselhaft in seinem Wesen, ein auch nach 55 Jahren Anwesenheit im Ostteil des Landes fremdgebliebener Ausländer, der sich gar nicht integrieren will.

Im Russen vereinen sich alle Voraussetzungen für einen Feind, den man seinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde. Er handelt irrational, er ist von Grund auf böse, er duckt sich unter die Knute eines Herrschers, dessen Joch deutsche Demokraten längst beiseitegefegt hätten. Der Russe bietet die Gegenheit, all die atavistischen Emotionen auszuleben, zu denen im Normalfall nur sächsische Wutbürger stehen: Fremdenhass, rassistische Vorurteile und die Ablehnung einer als nieder empfundenen Kultur sind plötzlich möglich, nicht nur in der Dorfkneipe von Pirna oder auf der Hassdemo gegen die israelischen Besatzer, sondern im Bundestagsfoyer, wo es tagtäglich neue Milliarden regnet.

Dunkle Triebe

Das muss jetzt so, denn auch wenn der Russe in der Vergangenheit manchmal romantisiert wurde, hat er sich doch nun als der entpuppt, der damals mit dem Satz "Frau mitkommen" in zehntausende deutsche Keller stieg. Auch deshalb wird der Russe von den meisten Deutschen innerlich abgelehnt, auch deshalb lädt er ein, ihn  anständig zu hassen: Der Russe ist primitiv, brutal und ein Knecht aus Leidenschaft. In seiner Unfähigkeit hat er den Sozialismus zerstört und nun plant er das Gleiche mit dem Kapitalismus. Er tut das nicht aus Gründen, er tut es einfach weil er glaubt, es zu können. 

Es steckt in ihm drin, das pure Böse wie eine kleine in der größeren Matroschka. Der Russe kan einmal nicht einmal richtige Zigaretten rauchen und um Tee zu kochen, hat er eine der wenigen Dinge erfunden, die nicht anderswo schon erfunden worden waren. Der Weltmarkt aber blieb dem Samowar verschlossen. Außerhalb Russland wollte niemand einsehen, dass diese aufwendige Apparatur braucht.

Schlimm, aber umso besser für Deutschland. Mit dem Russen ist ein Popanz gefunden, mit dem sich stabile Verhältnisse binnen von nur zwei Wiochen wiederherstellen ließen. Die politische debatte ist wieder in der Spur, die leidigen Themen Wirtschaft, Migration, Energieversorgung, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit sind abgeräumt, an ihre Stelle trat eine Fantasie von der Festung Europa, dem "stählernden Stachelschwein" (Ursula von der Leyen), das sich von innen zu einem Riesen aufbläst, der so mächtig aussieht, dass dem Russen der Wunsch vergeht, sich nach der Krim und dem Donbass auch den rest Europas unter den Nagel zu reißen.

Der totale Frieden

Europa, das ist das neue, zentrale Versprechen, wird bald allein so mächtig sein, dass es auch alle zwingen kann, zu tun, was ihm als richtig und gut erscheint. Wollt ihr den totalen Frieden? Oh, ja. 60 Prozent der Deutschen zeigen sich zufreiden mit den Aussichten, dass Deutschland und Europa auf einem guten Weg sind, es bald mit Russland und den Vereinigten Staaten zugleich aufnehmen zu können - der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat umschrieben, wie chancenlos die einen wie die anderen wären: "500 Millionen Europäer, 300 Millionen Amerikaner und 130 Millionen".

Das wird ein Aufwasch, schnell genug, um abgertocknet zu sein, ehe schaffen der Chinese auf seiner Seidenstraße bis nach Europa durchmarschiert ist. Nach Adler und Bär kommt dann der Drache dran. Die Politiker, die  zwölf Jahre gebraucht haben, bis der Bundestag symbolisch verkleinert, und die mit dem Bau des kleinen Provinzflughafens vor der eignen Wohnungstür auch nicht schneller vorankamen, sind jetzt dabei, aus den Resten der Bundeswehr wieder eine kriegstüchtige Armee zu machen. 

Wenn andere nicht zu schnell sind, wird die frische Begeisterung für mehr Rüstung reichen, es der kommenden Regierungskoalition ein Fundament zu geben.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der akute Militarismus ist so glaubwürdig wie ein ai-Panzer mit Doppelturm. Nächste Woche geht's wieder in die Gegenrichtung und das Wummsgeld wird woanders verbrannt (so sie es lockermachen können).

Trumpeltier hat gesagt…

Nachdem es BlackRock gelungen ist, seinen Trojaner Merz als baldigen Oberhirten in die Wiederkäuer-Michel-Schafherde einzuschleusen - naive Gläubige, die ihren zukünftigen Kanzelprediger mehrheitlich so begeistert wählte wie seinerzeit ihren anderen Endsieg-Fööräär - kann man bei der Reformation alter Traditionen voran marschieren und Volkswagen nach der aktuellen Friedenspleite auch wieder lukrativ Rüstungsfahrzeuge produzieren lassen. Statt bisher Modell Golf 2 demnächst also das schwangerengerecht hoch gerüstete Modell Golfkrieg 2.0. Selbstverständlich klimaschonend elektrisch angetrieben mit Handkurbeldynamo abseits funktionierender oder bereits besetzter Ostfront-Ladesäulen.

Wer die Vergangenheit aus Dummheit oder Bösartigkeit nicht gründlich aufgearbeitet hat, könnte sie wiederholen müssen. Und alle derzeitigen Kriegsertüchtigungs-Hetztiraden gegen die Russen lassen erneut dummdreisten Bessermenschen-Größenwahn erahnen.

Welcher vernunftbegabte Russe würde sich mit dieser exotisch bereicherten maroden Buntlandklapsmühle belasten wollen? Was gibt hier denn noch außer 24/7 Freakshows?

Etwas Kohle tief im Boden, rasch verschwindendes wissenschaftliches Know How und dafür Massen unintergrierbarer weil islamfanatischer Analphabeten mit Kalifatträumen.

Für diese hirnkrebsverseuchte Sondermülldeponie eventuell einen Atomkrieg riskieren?
So dumm ist der Kreml nicht!

Inzwischen sollten auch die sonderbegabten Heerscharen im BW-Beschaffungsamt kapiert haben, dass eine 2.000€-Drohne jeden 2.000.000€-Panzer samt Besatzung kinderleicht auschalten kann.

Anscheinend sind die pitoresken Karnevalskostüme früherer Heldentode für schlichte Möchtegerngemüter einfach zu verlockend. Da will man in Reih und Glied sofort mitschunkeln. Uniformität bzw. Herdentrieb, wohin man blickt. Alle tragen T-Shirts mit dem Aufdruck "Ich bin individuell".

Anonym hat gesagt…

>T-Shirts mit dem Aufdruck "Ich bin individuell".
Klono: Im Traum sah ich einen Saal voller junger Menschen, die alle T‑Shirts trugen, auf welchen „I am unique” stand.

Das ist jetzt eher memetechnologisch interessant. Das besser geschriebene Original stammt aus dem (überbewerteten) 'Streifen' Das Leben des Brian:
https://www.youtube.com/watch?v=KHbzSif78qQ

Anonym hat gesagt…

Das besser geschriebene Original stammt aus dem (überbewerteten) ...

Richtig, da kommt es her - aber wieso "überbewertet"?
Sind Sie ein "Halleluja-Zapfen" (Hermann Hesse) - oder eine "Rübennase"?
Nach dem Erscheinen des "Streifens", so wird gesagt, haben der Großrebbe von Engeland und der Erzbischof von Kännterbörry im Duett nach dem Staatsanwalt gekreischt - aber in den Siebzigern war die Welt noch nicht so tief gesunken wie heute.

Anonym hat gesagt…

>aber wieso "überbewertet"?

Also guter Film, der Hype damals war bloß etwas übertrieben. Kann man sich heute nicht mehr vorstellen.