Samstag, 1. März 2025

Die Neuaufteilung der Welt: Erschrockenes Erwachen

Über Jahre war Olaf Scholz Deutschlands starke Stimme in der Welt. Jetzt wird sich neu aufgestellt.

Als Ricarda Lang, seinerzeit noch Chefin der Grünen, kurz nach einem Heiligabend einer staunenden Öffentlichkeit offenbarte, dass sie George Orwells "1984" nicht nur nie gelesen, sondern auch niemals zuvor von diesem Buch gehört hatte, mag manchem ein Anflug von Ahnung gedämmert sein, wie schlimm es wirklich um das Führungspersonal des größten europäischen Landes steht. Da fehlt es nicht nur simpler Erfahrung mit dem Leben in freier Wildbahn. Es fehlt auch an grundlegenden Kenntnissen und Wissen, um die Realität verstehen und beurteilen zu können.

Ein Offenbarungseid, der seinerzeit noch belächelt wurde. Na gut, dann hat eben eine aus den anderthalb Dutzend der mächtigsten Politierkinder des Landes ein Standardwerk verpasst, indem eine Dystopie beschrieben wird, die viele der Leser Orwells an aktuelle Entwicklungen erinnert. Na gut, dann war es halt ein Irrtum, dass die alptraumhaften Schilderungen aus "1984" Lang und anderen als wünschenswerte Zukunftvision gelten, an deren Verwirklichung konquent gearbietet wird.

Fachkräftemangel überall

Es herrscht eben Fachkräftemangel bis in die Parteispitzen. Nicht nur fehlt es an Abschlüssen und Ausbildung, es fehlt sogar an ganz gewöhnlicher Alltagsbildung und Lebensklugheit, an Kenntnissen, denen eigentlich kein neugieriger junger Mensch mit Hausverstand auf dem Weg ins Erwachsenenleben entgehen kann. Ricarda Lang etwa gestand, dass "1984" bei ihr "in der zehnten Klasse gelesen wurde. "Allerdings war ich da grad für ein Jahr im Ausland." 

Pech für Millionen Wählerinnen und Wähler. Ein so kleiner historischer Zufall sorgt dafür, dass die Grünen eine Politik vertreten, die Lang aus der verspäteten Lektüre heraus als "extrem bedrückend" beschreibt. Durch "1984" erfährt sie erst 2023, "wie Propaganda funktioniert, wie Menschen seelisch gebrochen werden und wie sich so auch eine Ideologie der Unterdrückung verbreiten kann" (Lang). Ihre Wähler erfuhren, dass die Umsetzung von "1984" gar kein großer Plan war. Sondern alle Parallelen reiner Zufall.

Ende eigener Brillenrand

Ja, der Horizont der Elite reicht nicht über den eigenen Brillenrand hinaus. Zum überwiegenden Teil entstammen die Entscheider der Berliner Republik den Plantagen der Eigenaussaat der Parteien in den Gewächshäusern der Abgeordnetenbüros und Nomenklatura-Beete. Sie haben weder Erfahrungen im ganz gewöhnlichen Leben noch in der Wirtschaft, sie verfügen über keine Lebensklugheit, wie sie Niederlagen erlernt wird, und ihre Bildung ist begrenzt auf Inhalte, die auf der Karrierleiter nützlich erscheinen. Die Generation Lang, Kühnert, Banaszak, Schneider, Klingbeil und wie sie alle heißen besteht ganz aus Zunge, Ellenbogen und Geschmeidigkeit. Ihre Angehörigen sind perfekt gerüstet, Minister für alles oder Fraktionseinpeitscher, in der Not aber auch Behördenleiter oder EU-Anführer zu werden.

In seinem Buch "Der Fürst" hat Niccolò di Bernardo dei Machiavelli schon 1513 beschrieben, was geschieht, wenn diese Art Frauen und Männer mit der konfrontiert wird, die nicht erfolgreich ist, weil sie sich treu in Apparaten hochdienen, Allianzen bilden und die Fronten wechseln, wenn es ihnen nützt. Sondern weil es ihnen eine "ausgezeichnete Begabung" (Machiavelli) erlaubt, eine Gelegenheit zu erkennen, um "auf dem Weg der Tüchtigkeit Fürst" zu werden. 

Danach wird es leichter

Dieser Schlag Politiker erwerbe sich eine Stellung unter Schwierigkeiten, aber er erhalte sie leicht, so schreibt Machiavelli, denn "die Mühen, die sie bei der Eroberung der Herrschaft haben, kommen zum Teil von der neuen Ordnung und den neuen Formen, die sie zur Begründung ihres Staates und zu ihrer Sicherheit einführen müssen". 

Es gebe "keine schwierigere Tat, keinen zweifelhafteren Erfolg und keine gefährlichere Handlungsweise" mehr, "als Staatsoberhaupt zu werden und eine neue Ordnung einzuführen". Danach werde alles leichter. Und doch auch nicht, denn, schrieb er mit Blick auf die USA heute: Der Neuerer habe alle die zu Feinden, "die sich bei den alten Gesetzen wohlbefinden, und er hat an denen nur zaghafte Verteidiger, die sich von den neuen Gesetzen Vorteile erhoffen".

Wem fallen da nicht auch Ursula von der Leyen, Olaf Scholz, Robert Habeck und Friedrich Merz ein, die seit Monaten bang nach Amerika starren und jetzt, wo Donald Trump deutlich gemacht hat, dass Europa ihm folgen kann, oder aber allein bleiben wird, wirken wie Pinscher, die zu brüllen versuchen, um das eigenen Volk bei der wankenden Stange zu halten.  

Zaudern, Angst und Furcht

Bei den Menschen, zumal in Deutschland, kommen Zaudern, Angst und Furcht immer gut an.  "Wirkliches Vertrauen haben sie nicht zu den neuen Verhältnissen, wenn sie diese nicht durch lange Erfahrung gesichert sehen", beschrieb Machiavelli den Reflex der Deutschen gegen Neuerungen bereits vor 500 Jahren zutrefend. Daher komme es, "daß die Feinde bei jeder Gelegenheit leidenschaftlich angreifen und die anderen nur flau verteidigen" - ein Muster, das sich in Deutschland in mächtigen Gegen-rechts-Demonstrationen zeigt, denen nicht eine einzige Für-oder-Gegen-irgendetwas-anderes-Demonstration entgegenstand. 

Der wahrhaft Mutige kämpft gegen Gefahren. Der, der mutig erscheinen will, nimmt sich eingebildete Gespenster vor, bei denen er sicher sein kann, dass ihm auf dem Schlachtfeld keine Gefahr droht. Deutschland Linke kämpft gegen die Nazifizierung der Union und der FDP. Die Führung der Union gegen Amerika. Beides ist riskant, aber vollkommen gefahrlos. Andererseits hat es allerdings auch keine Aussicht auf Erfolg.

Der Neuerer laufe nur dann Gefahr, zu scheitern, wenn er nicht auf eigenen Füßen stehe und zur Durchführung seiner Unternehmung Hilfe erbitten müsse, eruierte schon Niccolò Machiavelli. "Im ersten Fall fahren sie immer schlecht und bringen nichts zustande", hat er das Dilemma das Friedrich Merz vorweggenommen, der als Pasagier auf der USS Nato Erste Klasse fährt, unbewaffnet und bekleidet nur mit Socken. Und zuletzt aus seinem Kabinenfenster verkündete, dass der Kapitän in Washington seinetwegen gern an Bord bleiben dürfe, wenn sie nur bereiterkläre, Anweisungen von ihm, dem Sockenmann, getreulich zu befolgen. Merz hat Machiavelli nie gelesen, denn der schrieb:  "Daher siegen alle bewaffneten Propheten, und die nicht bewaffneten gehen zugrunde." 

Machiavellis "Fürst"

Ob Ricarda Lang oder irgendein anderer aus der kommenden Führungsgeneration den "Fürsten" kennt, ist nicht bekannt. Doch vom "Wankelmut des Volkes" haben auch die schärfsten Ideologen im Kreis der Demokraten zuletzt erfahren: "Es ist leicht, es zu einer Sache zu überreden, aber nur schwer, es bei dieser Überzeugung zu halten", schrieb Machiavelli 1513 und umriss damit zutreffend, warum der große Klimakampf der frühen 2020er Jahre, als jede Minute Zögern zum umgehenden Untergang der Menschheit führen sollte, nur ein halbes Jahrzehnt später still und heimlich beendet werden konnte. 

Wenn niemand mehr mitmacht, hat es der größte Freund der Bewegung schwer, ihr grundstürzende Bedeutung anzudichten. Die Alternative, die Machiavelli empfiehlt, kommt heutzutage nicht infrage: Man müsse es so einrichten, daß man "das Volke mit Gewalt zum Glauben zwingt, wenn es nicht mehr glauben will", erklärt er und verweist auf die weiter zurückliegende Geschichte. 

Moses, Cyrus, Theseus und Romulus hätten ihre Einrichtungen auch nicht lange aufrechterhalten können, wenn sie so getan hätten, als werde zwischer Chef und gefolge ein Gespräch wie zwischen gleichberechtigten Mitgliedern einer Familie geführt. Wird es eng, so Machiavelli, braucht es die ultimative Drohung des Schutzpatrons, ins Glied zu fallen, oder zukünftig schutzlos den russischen Aggressionen ausgesetzt zu sein. Nein, das hat Trump seinen Vize Vance den Europäern kürzlich bestellen lassen.

Theorien über "geheime Pläne"

Niemand wollte es hören. In den zurückliegenden 80 Jahren ist es den Amerikaner tatsächlich gelungen, EU-Europa das Gefühl zu vermitteln, es lebe auf eigene Kosten, souverän und frei in seinen Entscheidungen. Die Depeche, die J.D. Vance dabeihatte, wollte denn auch am liebsten niemand lesen. Verschwörungstherorien machten die Runde. Die USA würden nun faschistisch. Trump sei dabei, die älteste Demokratie der Welt abzuwickeln. Einige gingen sogar so weit zu mutmaßen, ob es nicht sogar die Absicht der Amerikaner sei, die Europäische Union zu zerschlagen, um zukünftig leichter mit den europäischen Zwergstaaten umspringen zu können. 

Das geopolitische Raunen dient selbstverständlich nur dem Zweck, über die Tatsachen nicht sprechen zu müssen. Die liegen offen auf dem Tisch: Die Amerikaner stellen nicht das transatlantische Bündnis infrage, wollen aber über den Preis neu verhandeln, den sie dafür bezahlen, Europas Sicherheit zu garantieren. Das Bündnis könne ruhig weiter bestehen, nur eben unter anderen Bedingungen: Einerseits müssten die Europäer zukünftig selbst die Hauptlast für die Sicherheit ihres Kontinents übernehmen. Und andererseits fordere Amerika ein Bekenntnis zu den vielbeschworenen gemeinsamen Werten in der Version, wie sie die United States Army vor 80 Jahren im Gepäck hatte, als sie in der Normadie landete.

Zu weitreichende Freiheit

Was damals für gut befunden wurde, gilt in Europa heute als zu weitreichend. Vor allem deutsche Politiker trauen ihren Wählern nicht zu, Wahrheit von Unwahrheit unterscheiden zu können, Desinformation selbständig zu erkennen und Richtig nicht immer wieder irrtümlich für Falsch zu halten, wenn nicht eine Behörde oder eine staatliche finanzierte Meldestelle einen Stempel draufdrückt. Die amerikansiche Freiheit ist zu weitreichend. Derr Forderung des Hegemons, sie überall wieder einzuführen, kann nur zustimmen, wer zugeben will, dass er seit längerem dabei war, die  vielbeschworene liberale Ordnung einzuhegen, die Meingsfreiheit je nach Nützlichkeit zu beschneiden und sich "unsere Demokratie" als Werkzeug zum eigenen Machterhalt anzueignen.

Unmöglich. So sehr die Europäer mit ihren Miniaturarmeen, den fehlenden Waffen und der mangelnden Munition darauf angewiesen sind, dass im Krisenfall Rettung von außen kommt, so wenig können sie ihren Wählern sagen, dass sie mit Militärausgaben vom doppelten und dreifachen dessen, was Russland in seine Truppen setckt, allenfalls Streitkräfte zustandebekommen haben, die lange genug durchhalten, dass die Strände der Normandie diesmal nicht wieder in Feindeshand sind, wenn die US-Truppen landen.

Unangenehme Wahrheit

Es ist daher kein Zufall, dass esden Führer Europas nicht gelingen will, zu dekodieren, was die amerikanische Regierung ihnen sagen möchte. Stattdessen forderte der damals noch als grüner Kanzlerkandidat auftretende Robert Habeck, die Amerikaner sollten sich doch lieber um ihren eigenen Dreck kümmern. Und Friedrich Merz, der es vom Kandidaten zum Amtsanwärter gebracht hat, stellte Washington seine Bedingungen für eine weitere Zusammenarbeit: Deutschland und die EU wollen mitreden in ihrer Einflusssphäre, die Verwantwortung aber soll bei den USA liegen. 

Trump solle aufhören, das angestaubte, festgebackene machtsystem in den USA mit dem Vorschlaghammer umzubauen, weil das in Europa unangehme Begehrlichkeiten wecken könnte. Zugleich aber solle die US-Administration sich aus en "inneren Angelegenheiten" (Habeck, Hager) Europas heraushalten und nicht mehr unzulässig für Meinungsfreiheit und die Achtung des Wählerwillens werben.

Angst vor der Wahrheit

Es ist die beinahe schon panische Angst vor der Wahrheit, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann, die alle Reaktionen bestimmt. Europa ist nicht mehr innovativ, seit Jahren nicht. Es ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Es ist für die achso begehrten Fachkräfte nicht attraktiv. Doch alles das zu sagen, gilt als "rechts" oder "übergriffig", wie es Friedrich Merz diplomatisch genannt hat. Alles ist möglich, Selbstkritik und das Eingeständnis, dass EU-Europa und Deutschland wie Frankreich als seine beiden zentralen Mächte sich in einen ganzen Wust an Fehlentwicklungen verstrickt haben, ist es nicht. 

Zweifel an "Europa", der Chiffre für Dinge wie Frieden,Wohlstand und Fortschritt, die es ausgerechnet in EU-Europa seit Jahren nicht mehr gibt, rühren an das letzte bisschen Selbstbewusstsein der schwerfälligen bürokratischen Halbdemokratien der größten Staatengemeinschaft der Weltgeschichte. Im letzten Vierteljahrhundert hat die EU bewiesen, dass sie weder mit dem amerikanischen Wohlstandsmodell noch mit dem chinesischen Staatskapitalismus mithalten kann. Sie ist weder das Beispiel für die Völker geworden, das sie sein wollte, noch hat sie die herzen ihrer Insassen erobert. Doch was käme denn nach der überbordenden Staatsbürokratie, die alles ist, was EU-Europa ausmacht?

Die Angst vor der Antwort ist alles, was Europas Anführer haben.