Dienstag, 25. Februar 2025

Times are never changing: Stühlerücken statt Scherbengericht

In alten Schuhen zu neuen Tänzen: Die Brandmauer ist das geheime Wappentier der Republik.

Halleluja, sie sind fast alle noch da. Nachdem der Pulverdampf der Wahlschlacht sich verzogen hatte, glaubten viele an ein großes Scherbengericht. Wahlverlierer wie Olaf Scholz, Robert Habeck oder Sahra Wagenknecht würden von ihrer Parteibasis vom Hof gejagt werden. Parteistrategen wie Lars Klingbeil oder die erst im Herbst neu installierte Führung der Grünen würden nach einem Debakel mit Ansage nicht ungeschoren davonkommen.  

Alle Zeichen standen auf Neuanfang, selbst noch nachdem der größte Kelch durch das Scheitern des Bündnis Sahra Wagenknecht an der geschrumpften Zahl der weiterhin bundesweit tätigen Parteien der demokratischen Mitte vorübergegangen war. 

Wie immer anders

Doch es kam wie immer wieder wie immer anders. Aus dem Scherbengericht wurde ein verschämtes Stühlerücken, vollzogen in einer Geschwindigkeit, die verrät, dass jede einzelne Personalentscheidung seit Wochen vorbereitet worden war. Aussortiert wurde nicht nach Größe und Umfang des angerichteten Desasters oder persönlicher Verantwortung für Stimmenverluste, die die betroffenen Parteien Macht, Einfluss, Posten und Millionen kosten. Sondern danach, wer schadlos aussortiert werden kann. 

Abgesehen von der FDP, in der mit Christian Lindner der Federführer der Misere und mit Wolfram Kubicki ein langjähriger Warner vor dem fatalen Lindner-Kurs zugleich den Abgang machten, blieben die großen Abschiede aus. Wagenknecht will nicht mehr wissen, dass sie eigentlich nicht mehr weitermachen wollte, wenn ihrer Partei der Sprung in den Bundestag im ersten Anlauf misslingt. Olaf Scholz verwies stolz auf sein gewonnenes Direktmandat. Als Hinterbänkler ohne Posten, vielleicht aber auch - seine große Erfahrung! - als etwas mehr bleibt er der Sozialdemokratie noch vier Jahre erhalten.

Rücktritt ohne Amt

Die Grünen, der andere große Verlierer neben dem kleinen Sieger CDU, machen weiter wie bisher. Baerbock, Brantner, Banaszak und Giegold, alle bleiben, nur Robert Habeck bockt. Der "grüne Parteichef" (MDR) ziehe Konsequenzen und stehe für eine "Führungsrolle" (Habeck) künftig nicht mehr zur Verfügung. Angeboten hatte sie ihm niemand aus dem #TeamHabeck, zum Zurücktreten hat der 55-Jährige nichts außer der Klimawirtschaftsministerstelle, die "bis Ostern" (Merz) passe sein soll. 

Als Meister der Dramatik aber schafft es der Held aus Heikendorf auch im Moment seiner größten Niederlage, davonzureiten, als habe er alle seine Gegner geschlagen. Habeck hat kein Parteiamt, aber er legt es nieder. Habeck hat die Grünen an Küchentisch und Talkshowpult mit Enteignungsfantasien und Strafanzeigen holterdipolter ins Jahr 2013 zurückgewahlkämpft. Aber er wird nun "keine führende Rolle in den Personaltableaus der Grünen mehr beanspruchen". König Demoktratus der Bescheidene, ungebeugt und ungebrochen.

Vielleicht geht er so ganz

Kommt es ganz dicke für Wählerinnen und Wähler, lässt Habeck die Politik ganz sausen. Zuversicht! Zusammen! Nach Kevin Kühnert wäre er schon der zweite Hoffnungskader, der im ersten Gegenwind die Brocken hinwirft. "Ich wollte mehr", hat Habeck gesagt, bitter enttäuscht. Die ihn umzingelnde Wirklichkeit aber wollte nicht. Und wenn jetzt nicht bald ganz schnell die Basis "Ruft doch mal Martin" ruft, macht er ernst. Dann soll sie doch sehen.

So unverfroren die Ampel-Parteien nach ihrem Scheitern im Amt zur Wahl mit demselben Personal antraten, um den nächsten großen Neuanfang auszurufen, so ungeniert gehen ihre Spitzen jetzt davon aus, die Richtigen für die nächste Aufgabe zu sein. Neuaufbau der Partei, näher ran an die Arbeiter, wieder linker werden und dann wieder stärker. 

Annalena Baerbock wird Oppositionsführerin der Linken, wenn es sich Robert Habeck es sich nicht doch noch einmal anders überlegt. Aus Verantwortung fürs Vaterland. Lars Klingbeil, unter dessen Ägide die SPD in nur vier Jahren zwei von fünf ihrer Wähler verlor, wird die Koalitionsverhandlungen mit der Union führen, um sich und den Apparat in die kleinste große Koalition aller Zeiten zu führen. 

Hält der Strohalmbann

Ein schöner Erfolg für den Mann aus Soltau, der die deutsche Sozialdemokratie spätestens 2029 als Kanzlerkandidat für die nächste Pleite fit machen wird. Bis dahin ist viel zu tun - die politische Polarisierung muss konserviert, der in anderthalb Jahren drohende Fall des ersten Bundeslandes an die Blauen argumentativ vorbereitet werden. 

Dann sind da noch die existentiellen Herausforderungen auf internationaler Bühne: Hält der EU-Strohhalmbann nach Trumps demonstrativer Rückkehr zur Plastikröhrchen? Lassen sich Wählerinnen und Wähler weiter hinhalten? Können Deutschland und Europa es mit Russland, einer Handvoll EU-Partnern und den USA gleichzeitig aufnehmen? Und wird Deutschlands exportorientiertes Wachstumsmodell weiterhin genug abwerfen, um sozialer zu regieren und den Rüstungshaushalt trotzdem demonstrativ weiter aufzublasen?

Die Zeitenwenden folgen mittlerweile im Monatsrhythmus aufeinander, doch die Zeiten ändern sich nicht. Wie in einer Zeitkapsel sind die Merkel-2000ern zwischen Flensburg und Füssen, Aachen und Oderaue konserviert. Rasend schnell zieht die Zukunft vorbei, nur die industrielle Basis verschleißt moralisch noch schneller. 

Die nächste Regierung, im Herzen Groko, im Inhalt Ampel, wird wieder viel Gegensatz zu einem fadenscheinigen Hemd aus politischen Gemeinsamkeiten stricken, das so eng sitzt, dass große Sprünge nicht zu fürchten sind. Aufbruchsstimmung wird durch den Neuzuschnitt von Zuständigkeiten simuliert werden. Von den überfälligen Themen darf sich nur die Schuldenbremse auf eine "Reform" freuen, die einer verschwiemelten Abschaffung gleichkommen wird.

Eingeigelt im Weiterso

Außerhalb des Regierungsviertels ahnen die Menschen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Die meisten wissen es sogar schon ganz sicher. Im politischen Berlin aber haben die Kämpfer gegen den Merz-Faschismus und ihre Zielscheibe noch einmal Gelegenheit, sich im Weiterso einzuigeln und den Stillstand abwechselnd mit Ablenkungsmanövern, Ankündigungen und Selbstbeschäftigung zu füttern. Hilft gar nichts mehr, tut es auch die Verteidigung der Brandmauer noch mal, die längst zum geheimen Wappentier der Republik geworden ist, der die Vergangenheit schon immer besser gefallen hat als alles, was da noch kommen könnte. Gestern ist die Währung, mit der man Zeit kaufen kann, um dringende Probleme auf die lange Bank zu schieben. 

Gestern steht heute hoch im Kurs. 


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