Donnerstag, 20. Februar 2025

Schädlich und gefährlich: Der brutale Hass auf die Bürokratie

Ursula von der Leyen  ist vom Kampf um das Klima umgeschwenkt. Sie hat die Bürokratie zum Hauptfeind der EU erklärt: Dabei ist Bürokratie das Lebenselixier der Gemeinschaft.

Sie hatte noch nicht einmal ihr Endstadium erreicht, als ihre Feinde sie bereits als Hauptgegner ausgemacht hatten. 2007, die heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war noch als Familienministerin in Berlin beschäftigt, wurde Edmund Stoiber mit einer demonstrativen Aufgabe im fernen Brüssel betraut.  

Der gescheiterte Kanzlerkandidat der Union wurde Chef einer multinationalen  Arbeitsgruppe der EU, die Vorschläge erarbeiten sollte, wie die Europäische Union weniger bürokratisch werden kann. Der Vorwurf, ein Bürokratiemonster zu sein, lastete schwer auf der Verwaltung der Völkergemeinschaft, die sich als regelwütig, vorschriftenverliebt und hocheffiziente Fabrik für unsinnigste Richtlinien weltweit ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet hatte.

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl ist besorgt über die durchsichtigen Pläne der EU-Chefin, sich mit der Kettensäge lieb Kind bei den Populisten zu machen

Aufzeichnen, das mag Svenja Prantl
Stoiber scheiterte zum Glück, wie viele nach ihm gelang es ihm nicht, die sogenannte "bessere Rechtssetzung" voranzutreiben und den Menschen in Europa ein Leben mit 25 Prozent weniger Papierkram zu organisieren. Zum Glück, denn die Vorschriften, Richtlinien und Regelungen sind es vor allem, die die Europäische Union zu dem machen, was sie heute ist. Keine andere Weltregion ist so gut überwacht und bis ins letzte Detail organisiert. Keine andere hat beispielsweise ein "Lieferkettengesetz", das kleine Firmen verpflichtet, die Herkunft der ihnen verbauten Materialien bis zum Ursprung in den Baumwollplantagen der Türkei und der Zuckergruben in Afrika zu kontrollieren.

Der große Vorteil der EU

Es ist dieser große Vorteil, den die zur EU-Präsidentin aufgerückte Ursula von der Leyen jetzt aufs Spiel setzen will. Mehr als 30 Jahre hat die EU gebraucht, um sich mit einem unüberschaubaren Gewirr an Richtlinien, Verordnungen und den jeweils 27 nationalen Umsetzungsvarianten fest an Berge von Papier zu fesseln. Die neue - und alte - Kommissionschefin aber plant dennoch, mit der Kettensäge gegen die von Kommission, Parlament und EU-Rat als notwendig erachteten Regeln vorzugehen. Und im Sinne des Stoiber-Plans ein Viertel davon über Bord zu werfen.

Aber was bliebe dann noch vom gemeinsamen Europa? Ein Rumpfgebilde ohne Stützpfeilen, tragende Wände und gedämmte Fassade. Nur weil Populisten behaupten, dass Bürokratie hinderlich und zeitaufwendig sei, lässt von der Leyen den Abrissbagger für tausende und abertausende Vorschriften an, die bisher allgemein als Grundlage für Ordnung, Effizienz und Gerechtigkeit aller staatlichen und privaten Strukturen in den 27 Mitgliedsstaaten galten.

Lebensgefährlicher Hass

Es ist ein gefährlicher, ja, lebensgefährlicher Hass, den die Bürokratie zu spüren bekommt. Nur weil der EU am Applaus aus der rechten Ecke liegt, den sie mit der Umsetzung von Green Deal und Wiederaufbauprogramm nicht zu bekommen fürchtet, missachtet sie den unschätzbaren Wert der Bürokratie für hochentwickelte Gesellschaften. In denen ist Bürokratie, das zeigt bereits ein kurzer Blick in die Geschichte, das unverzichtbare Rückgrat des Zusammenlebens. 

Das Hassobjekt der Bürokraten, die zeigen wollen, dass sie keine sind, ist ungeachtet aller üblen Vorwürfe unverzichtbar für das Funktionieren von Gesellschaften. Wer die Hand an die Bürokratie legt, sägt am Ast, auf dem der Fortschritt sitzt, seit die alten Ägypter begannen, mit Hilfe von Tontafeln und Hieroglyphen Verwaltungsbuchhaltungen aufzubauen. Auch im antiken China funktionierte das komplexe Verwaltungssystem etwa zur Zeit der Qin-Dynastie nur durch das streng angewandte System von Vorgabe, Kontrolle, Vermerk und je nach Lage verbesserter Vorgabe.

Das Mittelalter mahnt

Diese frühen Formen der Bürokratie waren notwendig, um große Bevölkerungsgruppen unter Kontrolle zu halten, ihnen Steuern abzupressen und mit dem eingenommenen Geld wunderbare Prestigebauten wie die Pyramiden oder die große chinesische Mauer zu errichten. Der Erfurter Soziologe und Nationalökonom Max Weber hat die Unumgänglichkeit des bürokratischen Prinzips für das Überleben der Menschheit hingewiesen: Jede legale Herrschaft beruhe auf dem Glauben an ihre Legalität; ihren Kern aber bilde der Verwaltungsapparat, also die Beamten, die auf die Einhaltung der von der Bürokratie vorgesehenen Vorschriften achteten.

Historische Beispiele wie das Mittelalter in Europa zeigen, dass die Abwesenheit von Bürokratie zu ständigen Feudalkonflikten, ungleichen Steuerbelastungen und einer systematisch mangelhaften Infrastruktur führte.

Ein verlässliches Räderwerk

Dieses meist leise und langsam rotierende Räderwerk, das in der Lage ist, jede Dynamik zu stoppen, jede Initiative erlahmen zu lassen und jedes Schöpfertum zu zerstören, ist von den Müttern und Vätern der EU früh als effizienteste Mittel zur Verkörperung der größten Staatengemeinschaft der Menschheitsgeschichte erkannt worden. Die EU, die von außen einer großen Organisation gleicht, mit allein 27 Staatschefs, fast ebenso vielen Regierungschefs, Dutzenden von regierenden Parteien und hunderten, die gern regieren würden, besteht aber letztlich nur aus 50.000 Bürokraten, die mit ihrem Leben für die gemeinsamen Regeln und die dadurch festbetonierten Hierarchien bürgen.

Ohne ihre Bürokratie wäre die EU nichts. Kein nationaler EU-Beitrag könnte eingetrieben werden, um neu verteilt wieder als Fördermittel zur großzügigen Ausreichung zu kommen. Allein die Bürokratie schafft die unklaren Strukturen und Verfahren, die zur Effizienz beitragen und zum Beispiel dafür gesorgt haben, dass der EU-Etat nach dem Auszug der Briten nicht um deren Einzahlung sank, weil das damals noch wirtschaftsstarke Deutschland in die Bresche sprang. 

Es droht Chaos

Ohne diese klaren Abläufe würde das Management von Ressourcen und die Erledigung von Aufgaben chaotisch und ineffizient sein. Stets würde es Streit geben, niemand würde mehr durch Dokumentation und Protokollierung Transparenz sicherstellen und unbürokratisch Korruption und Missbrauch von Macht einschränken. Bürokratie sorgt dafür, dass Regeln und Vorschriften für alle gleich sind, aber je nach Bedarf unterschiedlich ausgelegt werden können. Eine faire Verteilung von Ressourcen und Rechten ist so zuallererst bürokratieabhängig.

Ursula von der Leyens populistisches Spiel mit Feuer und Kettensäge droht, Europa auseinanderzureißen. Ohne die in mehr als 30 Jahren mit Sorgfalt und Hingabe aufgebaute überbordende Bürokratie würde der Kontinent in längst vergangen geglaubte Zeiten zurückrutschen. Das Beispiel der Sowjetunion, einer anderen großen Staatengemeinschaft, mahnt: Als Michail Gorbatschow in den späten 80er Jahren versuchte, seine Herrschaft durch Deregulierung und Entbürokratisierung zu sichern, kam es zu chaotischen Verhältnissen. Ohne die gewohnten notwendigen Kontrollmechanismen, die im kommunistischen Staat ähnlich ausgeklügelt ausgestaltet waren wie in der EU, entstand Chaos. Dem folgte der wirtschaftliche Kollaps, weil das System ohne seine einzige Aufgabe nicht mehr überlebensfähig war.

Eine Welle an Arbeitslosen

Für zahllose Beschäftigte, die im bürokratischen Bereich tätig sind, würde der Wegfall der Mechanismen zur Überwachung und Steuerung von Prozessen, Plänen und ganzen Volkswirtschaften dienen, das Ende der beruflichen Laufbahn bedeuten. Viele Fachkräfte für bürokratische Systeme, die gesellschaftliche Dynamik bremsen und das soziale Gefüge stabilisieren, sind in anderen Bereichen kaum einsetzbar. Ohne standardisierte Verfahren können sie keine Entscheidungen treffen. Ohne Richtlinie bleibt liegen, was anderenfalls auf eine sichere lange Bank geschoben würde.

In Zeiten steigender Arbeitslosigkeit würde sich das verheerend auf die Volkswirtschaften der Mitgliedsstaaten auswirken. Ein Leben ohne Bürokratie würde vielleicht von rechts als erleichternd empfunden werden, es führte aber zwangsläufig langfristig zu gravierenden Problemen: Ein Kahlschlag beim Verwaltungspersonal schwächt die Kaufkraft, ganze Familien müssten neu anfangen. Das wichtige Wissen um die geheimnisvolle Funktionsweise bürokratischer Strukturen ginge unwiederbringlich verloren und für den symbolischen Sieg über einen vom Ärgernis zum Endgegner erklärten Popanz riskierte die EU, den größten Vorteil zu verlieren, den sie verglichen mit anderen Wirtschaftsräumen ins Feld führen kann.

Kein "notwendiges Übel"

Nein, Bürokratie ist nicht nur ein notwendiges Übel, sondern ein unverzichtbares Element für eine geordnete, gerechte und effiziente Gesellschaft. Je größer die Bürokratie, desto sicherer der Wohlstand, das wussten schon die Pharaonen. Jeder Versuch, sie zu willkürlich und aus propagandistischen Gründen zurückzubauen, führt zurück zu einem primitiven, unorganisierten Leben, in dem kleine, lokale Gemeinschaften mühevoll winzige bürokratische Strukturen aufbauen müssen, um den Mangel auf der untersten Ebene zu erfassen und zu verwalten. 

Chaos und Ungerechtigkeit wären die Folge einer spontanen Ausbruchs von Selbsthass, der die Kommissionspräsidentin veranlasst hat, das anzugreifen, was die EU recht eigentlich ausmacht. Eine Autoimmunreaktion, die schlimme Folgen haben wird, wenn die Frau aus Niedersachsen nicht zur Vernungt kommt. Die Arbeit ganzer Generationen, die die EU-Bürokratie mit ihrem Schweiß und ihrem Ideenreichtum aufgebaut haben, würde achtlos entwertet.

Die EU-Kommission, das Parlament und der EU-Rat sollten der EU-Präsidentin in den Arm fallen und ihre verhängnisvollen Pläne stoppen. Bürokratie darf nicht als Hindernis begriffen werden. Sie ist ein  wertvolles Instrument, das seine vollen Nutzen für das Gemeinwohl ausspielen kann, wenn der Kurs beibehalten wird, es weiterhin nach Kräften auszubauen, ihm mehr Eingriffsrechte zu geben und seine Finanzierung deutlich auszuweiten.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das ist doch schön, dass DOGE so eine Inspiration ist, Leyens berühmten, unbegrenzten Opportunismus zu entfesseln.

Anonym hat gesagt…

OT Staatbürgerkundeunterricht

IT-Blogger und Politkommentator:Trump unterstellt alle Behörden ... sich selbst, persönlich.
Ihr überlasse es mal dem aufmerksamen Leser, die Unterschiede zum Ermächtigungsgesetz rauszusuchen.


Es geht um US-Bundesbehörden. Wurde da vergessen zu erwähnen.
ChatGPT:Der oberste Dienstherr der Bundesbehörden in Deutschland ist der Bundeskanzler.

Ach. Achwas.