Sonntag, 9. Februar 2025

Lehre bei Meister Doppelmoral: Mein Leben im grünen Elfenbeinturm

Carlo Jungmann arbeitet für kelines Geld in der grünen Wahlkampagne mit
Carlo Jungmann arbeitete sich bei den Grünen zum Mädchen für alles hoch. Jetzt ist er tief enttäuscht.

Carlo Jungmann wollte ins Berufsleben durchstarten, seinem Traumberuf nachgehen und der Gemeinschaft etwas zurückgeben. "Nach acht Jahren an der Uni", erzählt er, "betrachtete ich es als meine Aufgabe, das Gelernte endlich gemeinwohlbringend für alle im Alltag einzusetzen." Eine Freund*in aus der WG machte dem 33-Jährigen eines Abends auf eine Stellenanzeige aufmerksam, die wie maßgeschneidert für ihn schien.  

Bündnis 90/Die Grünen, eine Partei, der sich Jungmann seit seiner Jugend im Erzgebirge ohnehin eng und auch emotional verbunden sieht, suchte Mitarbeitende zu "Unterstützung unserer Kreisverbände ohne eigene Kreisgeschäftsführung in Vorbereitung und Durchführung des Bundestagswahlkampfes in 2025". Carlo Jungmann konnte sein Glück kaum fassen. "Ich war je gerade erst aus Asien zurück und hatte nicht gedacht, dass sich schon ein knappen Jahr nach dem Uniabschluss eine so idel passende Stelle bieten würde."

Ein traumhafte Offerte

Die Offerte hatte alles, was ein Berufsstarter sich heute wünscht. Die ehemalige Ökopartei bot "faire Bezahlung" mit einer "leistungsgerechten Vergütung von mehr als 15 € Stundenlohn", dazu 30 Tage Urlaub und als Bonbon eine "flexible, mitunter kurzfristige, Urlaubsplanung". Dazu auch noch  betriebliche Altersvorsorge und ein Jobticket, sie war befristet bis zum 31.10.2026 und begrenzt auf 20 Arbeitsstunden pro Woche. 

 "Die Arbeitsorte würden in Abstimmung mit den jeweiligen Kreisverbänden festgelegt werden", erzählt Jungmann. Für die erforderlichen Reisen und regelmäßige Aufenthalte in den Kreisverbänden würde es eine Reisekostenerstattung geben. Eine teilweise Aufgabenerfüllung im Homeoffice werde zudem ermöglicht. "Und weil sie Wert auf Diversität unter den Mitarbeitenden legen, seien meine Chancen als Ostdeutscher, Sachse und Arbeiterkind besonders gut", erinnert sich Carlo Jungmann an ein vielversprechendes Telefonat, das ganz am Beginn seiner Parteikarriere stand. 

Viel Verantwortung für wenig Geld

Wie kräftig habe er sich gefreut auf die kommenden Aufgaben, beschreibt er. Seine Tätigkeit umfasste die  Betreuung von mehreren bis zu drei Kreisverbänden im überwiegend ländlich geprägten Raum, überall war er zuständig  für die Vernetzung, den Austausch und das Halten des Kontakts mit den Wahlkampfverantwortlichen, der Grünen Kommunalpolitischen Vereinigung, der Heinrich-Böll- Stiftung und Wahlkampfverantwortlichen der Bundesgeschäftsstelle. Er hatte die Chance, das #Team Habeck bei der Organisation der Wahlkämpfe zu unterstützen, zu seinen Aufgaben gehörte die Erstellung, Beauftragung und  Weiterleitung von Basis-Wahlplakaten, von Großplakaten, Flyern und Materialien. 

"Aber auch strategisch war ich gut und fest eingeplant", sagt er, "denn in meiner Verantwortung lag es, die Kreisvorstände bei der Gewinnung von Kandidat*innen zu beraten, die Durchführung von Wahlversammlungen zu organisieren, die ehrenamtlichen Kreisvorstände bei der politischen Arbeit  wie der Vor- und Nachbereitung von Gremiensitzungen und Veranstaltungen zu unterstützen, die  Protokollführung zu überwachen und organisatorische und inhaltliche Hilfestellung bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu geben. Carlo Jungmann führte dazu auftragsgemäß einen regionalen Pressespiegels, er war zuständig für die Pflege der Internetauftritte, betreutet als Sockenpuppe die Social Media-Profile der Partei und Erstellen mit der Parteileitung abgestimmte Pressemitteilungen.

Kaum zu schaffen

Manchmal habe er schon gedacht, dass das alles in 20 Stunden pro Woche kaum zu schaffen sei, erklärt er heute. "Aber ich wusste ja auch, dass die Partei einiges erwartet, so dass die Auswahl an Bewerbern sich in Grenzen hielt." Neben einem sicheren Schreibstil sowie guter schriftlicher und mündlicher Ausdrucksfähigkeit, Teamfähigkeit und hoher kommunikative Kompetenz, einem offenen und freundlichen Umgangston und die Fähigkeit zur Kooperation mit Ehrenamtlichen setzen die Grünen die Fähigkeit zu selbstständigem Arbeiten, gute organisatorische Fähigkeiten mit einem strukturierten Arbeitsstil inklusive der Fähigkeit voraus, auch unter Zeitdruck präzise zu arbeiten. 

Stolz auf die vielen Kenntnisse

Selbstverständlich sei zudem für jeden, der neu zum Team Habeck stößt, die Bereitschaft zur regelmäßigen Wahrnehmung von Dienstreisen sowie von Abend- und Wochenendterminen, die Kenntnisse zum sicheren Umgang mit dem PC und Office-Standardsoftware etwa zur Serienbriefversendung, Kenntnisse im Bereich Alltagsfotografie, Layout, Bildbearbeitung oder Videoschnitt, Grundkenntnisse in Veranstaltungsorganisation, Öffentlichkeitsarbeit und Kenntnisse zur Social-Media-Nutzung sowie ein großes Interesse für Politik, die Offenheit für bündnisgrüne Programmatik und Ziele, Kenntnisse über die besonderen Strukturen ländlicher Räume und die Bereitschaft zur Einarbeitung in Parteistrukturen und parteispezifische Anwendungen wie die Mitgliederdatenbank voraus."

Der große Reiz


Das alles reizte Carlo Jungmann sehr. Der gebürtige Dunkeltaler studierte bei Hans Achtelbuscher und Herbert Haase demokratisches Wirtschaftsdesign und machte seinen Master im Fach Shrinking Wealth Economy in Utah. "Ich war ehrlich überrascht und wollte meinen Augen zuerst nicht trauen, dass mir mein Traumjob für den Berufsstart so auf den Leib geschneidert entgegenspringt." Jungmann hat seine Bachelorarbeit über die Rolle der Bundeswehr beim ökologischen Aufbau der Sahel-Zone in den 50er Jahren geschrieben, "ein eher trockenes Thema", wie er selbst findet.

Jetzt in lebendige,  praktische Parteiarbeit einzusteigen und gleich bei einem Schicksalswahlkampf helfen zu können, das erscheint ihm als Lebenschance. "Die 20 Stunden-Woche kam mir auch zupass, weil mir die Work-Life-Balance natürlich auch irgendwie weiter wichtig ist."

Euphorischer Einstieg

Carlo Jungmann stieg euphorisch ein in seinen ersten Job. Er hat die richtige Überzeugung, ihm fehlt es auch nicht an Opferbereitschaft. "Und der Geist Robert Habecks hat mich auf manch langer Busfahrt in eine Kreiszentrale mental getragen", sagt er im Rückblick. Immer sei da natürlich auch die Hoffnung gewesen, dass eine Parteifreundin wie Annalena Baerbock im Wahlkampf vorbeischaut. "Mit ihr hätte ich gerne mal einen Kaffee getrunken und über alles gequatscht", räumt er ein. Er wisse ja aus den Medien, dass Baerbock sich wie er selbst von ihrem Partner*in getrennt habe. "Vielleicht wäre man sich näher gekommen."

Denn Jungmann wird schnell aufgenommen in die grüne Glaubensgemeinschaft. Die ersten Schritte ein der Wahlkampfzentrale fallen ihm leicht, er spürt, dass er all die nötigen 22 Fähigkeiten, Fertigkeiten und Tugenden mitbringt, den grünen Wahlkampf zu einem Erfolg zu machen. "Mich trug eine Euphorie durch die ersten Wochen, die auch befeuert wurde durch die Erfolge, die wir in den sozialen Netzwerken gesehen haben." Dort regiert das Team Habeck fast unumschränkt. "Wir hatten Tausende Impressionen und haben klare Kante gegen den Rechtsrutsch gezeigt. Auf die Uhr schaut Jungmann nie. "Statt 20 Stunden habe ich auch mal 30, 40 oder 50 gearbeitet, wenn es nötig war."  Das würde nach der Wahl alles anders werden, ruhiger. "Dann könnte ich die Zeit abbummeln", hier es."

Der erste Schock

Der erste Schock für den Berufseinsteiger kam mit dem ersten Gehaltszettel. "Ich bin fast vom Sitzball gefallen, als ich das gesehen habe", sagt er. Von den knapp 1.300 Euro Brutto, die ihm die Grünen zahlen, bleiben ihm ganze 1.010,15 Euro. Abzüglich seiner WG-Miete in Höhe von 450 Euro, der GEZ-Gebühr, den Ausgaben für 49-Euro-Ticket, Essen und Strom, Gas und Bafög-Rückzahlung, klagt er, "blieben mir ganze 90 Euro für die gesamte Lebensführung." Ein Leben unterhalb der amtlichen Armutsgrenze. "Und das bei meinen Qualifikationen."

Jungmann beklagte sich. Und traf auf Verständnis. Genau deshalb träte die Partei für 100 Prozent Lohngerechtigkeit und eine Reichensteuer ein, hieß es. Als der Vielfunktionär im Mini-Job vorrechnete, dass er mit seiner Anstellung bei den Grünen finanziell schlechter dastehe als ein Bürgergeld-Empfänger, bestreitet das niemand. 

Kein Profitcenter für Einzelne

Richtig sei zwar, dass jeder, der arbeite, immer mehr Geld habe als jemand, der nur Bürgergeld beziehe. Dazu müsse derjenige aber eben auch Bürgergeld beantragen. "Man habe anfangs wohl vergessen, mich darauf hinzuweisen, dass mir das zusteht", erinnert sich Jungmann, der sich auf seinen nachhaltigen und bescheidenen Lebensstil einiges einbildet, aber angesichts seiner neuen Lebenssituation verunsichert war. "Wenn man sich nicht einmal mehr einen Kaffee to go leisten kann und keine E-Rollerfahrt, dann läuft etwas richtig falsch."

Die Einsicht, sie ist durchaus da bei Carlo Jungmann. "Meine innere Überzeugung war ja durch meine private Situation nicht ins Wanken geraten", erzählt er. Das Konto ist leer, doch das Herz ist voll. "Ich habe dann mitbekommen, dass es die regel ist, Bürgergeld zusätzlich zu dem Trinkgeldgehalt zu nehmen, das einem die Partei zahlt." Unetr der Hand bekommt er mit, dass das von höheren Ortes so gewollt sei. "Erstens sei die Partei kein Profitcenter für Eizelne, die sich auf Kosten der Partei gesundstoßen wollen", habe es geheißen. Zudem sei es gut, wenn der Steuerzahler einen Teil der Wahlkampfkosten trage, denn schließlich sei die Partei nur für ihn unterwegs und im Begriff, sein Leben viel besser zu machen.

Schicksalskampf im Mittelpunkt

Zweitens aber stehe erst einmal der politische Schicksalskampf im Mittelpunkt, es gehe um ein möglichst sehr sehr gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl. "Wer dazu sein Scherflein beitrage, dürfe sicher sein, dass die Partei später weiter Verwendung für ihn haben werde." Dann stünden auch Stellen bereit, die denen, die es wünschten, den Einstieg in ein bürgerliches Leben ermöglichten, auf Wunsch mit Familie, eigenem Elektroauto und Eigenheim. "Sie sagten uns, schon ein Einstiegsgehalt in einem Ministerium mache das alles finanziell möglich."

Dass Carlo Jungmann dennoch die Nerven verlor, lag an ihm selbst. "Natürlich habe ich versucht, mich einzuordnen und getan, was mir gesagt wurde", erklärt er. Zudem habe er viele eigentständig beigesteuert, private Zeit, das eigene Laptop. Aber der Job sei äußerst zeitraubend gewesen, manchmal habe er acht, manchmal auch zehn Stunden am Telefon gesessen, um interessierte Wähler zu betreuen, Mitgliedern Mut zuzusprechen und oder auf der Straße abgerissene Plakate neu aufzuhängen.

Existenzangst verlacht

"Ich bin dann mal zu meinem Chef, un habe ihm gesagt, dass ich trotz Bürgergeld finde, dass ich zu wenig verdiene für zu viel Arbeit." Ein Tabubruch, denn Jungmann kann nicht mehr vorrechnen, dass nicht über die Runden kommt. "Ich habe zwar darauf hingewiesen, dass ich die Endabrechnung der Nebenkosten vom vergangenen Jahr bekommen habe und dadurch tief in den Dispo gerutscht bin", sagt er, "aber das wurde nicht anerkannt, weil mein Chef meinte, das sei kein Beinbruch, da habe jeder schon mal erlebt."

Carlo Jungmann verlässt das Gespräch, von dem er sich Hilfe erwartet hat, konsterniert und gebrochen. "Ich stand auf einmal blank da, mit einem dicken Minus auf dem Konto, aber meine akuten Existenzängste wurden verlacht." Am Tag danach sei er nicht mehr aus dem Bett gekommen. Das Telefon lässt er klingeln. "Ich rutschte in eine tiefe Depression." Seither ist Carlo Jungmann krankgeschrieben. Er glaube nicht, sagt er, dass er noch einmal an seine alte Stelle zurückkehren werde.

*Name geändert


4 Kommentare:

Der lachende Mann hat gesagt…

Eine hübsche Sonntagslektüre, vergnüglich zu lesen.

ppq hat gesagt…

dem leben abgelauscht ist immer lustig

Hase, Du bleibst hier... hat gesagt…

Hannes Nordmann war schon öfter Wahlhelfer. DVU, Republikaner - nur bei der NPD, da wurde er nicht genommen. Dabei hatte sich Hartmann richtig rausgeputzt. Grüne Bomberjacke, die Röhrenjeans mit Bleiche bearbeitet, Springerstiefel. Zu echt für die echten Nazis, so sehen nur die Jungs vom Verfassungsschutz aus. Bei der AfD tragen alle Anzug und quatschen so hochgebildet, mit Argumenten und so. Nee, da will er nicht mitmachen. Hannes hat kein Abitur - aber ein treues Arbeiterherz. Hannes wählt jetzt freie Sachsen.

Anonym hat gesagt…

Zu echt für die echten Nazis - Ebend. Die erkennt man Sneakers, Polohemd und Dackel.