Donnerstag, 6. Februar 2025

Kreml konsterniert: Deutscher Wahlkrampf macht Russland ratlos

Botarmee Russland Kreml Bundestagswahl
Monatelang suchten die Kommentatorenkompanien und Botarmeen in Russland Fachkräfte. Jetzt kommen sie wohl vor der Bundestagswahl gar nicht mehr zum Einsatz

Die Ampel zerbrach, die verblieben Fußgängerampel stritt, die Liberalen sprinteten aus der linken Gefangenschaft nach rechts, Unionskandidat Friedrich Merz aber überholte sie unterwegs dennoch. Die demokratische Mitte schrumpfte zu einem schmalen Sims zwischen den Extremen, ihre Reste zeigten sich zunehmend unversöhnlicher.  

Zur Freude der Extremisten, denn schon viele Monate vor dem Beginn der vorgezogenen Bundestagswahl hatte Russland wie immer begonnen, sich auf den Wahlkampf vorzubereiten. Dabei hat der Kreml das übliche Ziel vor Augen: Der Wahlausgang sollte so beeinflusst werden, dass Deutschland wirtschaftlich weiter geschwächt wird, die Bevölkerung noch tiefer gespalten und die Bundeswehr als Faktor auf einem künftigen Schlachtfeld keine Rolle spielen kann.

Operation Wahlen

Die Operation Переломный момент на выборах в Германии ("Wahlen in Deutschland drehen") war eine der umfassendsten und komplexesten hybriden Kriegskampagnen, die das Land jemals gegen einen westlichen Demokratieprozess geplant hatte. Von den Tiefen des russischen Internets bis hin zu den höchsten Etagen des Kremls wurde eine Strategie ausgearbeitet, die sowohl auf Technologie als auch auf menschlicher Manipulationskraft basierte. 

Moskau renovierte alte Trollfarmen und stellte neue Botarmeen in Dienst. Neben der bekannte altbekannten geheimen Internet Research Agency (IRA), die speziell für solche Operationen eingerichtet wurde, startete der Hochlauf der ersten Wahlkampf-KI, versteckt im ewigen Eis Sibiriens. 

Während die alten Trollfarmen noch mit Hunderten von Angestellten besetzt waren, die rund um die Uhr arbeiteten, um gefälschte Profile, Nachrichten und Diskussionen zu erstellen, mit denen demokratische Parteien diskreditiert werden sollten, schafft es die KI, eine Mischung aus fein gesponnenen Lügen und halbwahren Informationen automatisiert herzustellen. 

Beabsichtigt war, mit einem Strom von Fake News die sozialen Medien zu überfluten. Parallel dazu wurden die üblichen Botarmeen eingesetzt – automatisierte Programme, die in Sekundenschnelle Tausende von Kommentaren, Tweets oder Posts verbreiten, um bestimmte Narrative zu pushen oder zu verstärken. 

Programmierte Bots

Diese Bots sind üblicherweise darauf programmiert, bestimmte Hashtags zu pushen, bestimmte politische Meinungen zu unterstützen und Gegenmeinungen als Nazi, Marxist oder neoliberal zu verunglimpfen. Ab Sommer 2024 trainierten in Kasan ganze Kommentatorenkompanien, denn neben der technischen Manipulation wollte Russland weiterhin auch auf menschliche Kommentatoren setzen. 

Die werden als "Человеческие ресурсы" (Human resources) aufgeboten, um Debatten in eine bestimmte Richtung zu lenken, Zweifel zu säen und den Fokus auf polarisierende Themen wie Migration, Wirtschaft, Energieversorgung oder Klimavorschriften zu richten, die die Gesellschaft spalten könnten. Die Waffen sollten Fake News sein, Desinformation und Kachelbilder.

Abtrünnige aus einer solchen KK berichteten von Milliardeninvestitionen, die Russlands hybride Angriffe vom Ostseeboden in die deutsche Öffentlichkeit tragen sollten. Bei den Betreffenden handelt es sich nicht um Hilfskräfte, wie sie in deutschen Telefonfarmen beschäftigt werden.

Alle Einsatzkräfte der KK sind gut informiert und eloquent, ihr Auftrag ist die Schwächung pro-westlicher Parteien und die Unterstützung von russlandfreundlichen Kräften etwa in SPD und BSW. Zudem sollen sie extremistische Gruppen unterstützen, die für eine spaltende politische Agenda stehen, die Nato leugnen und dafür plädieren, Europa von den USA abzukoppeln.

Unterminierte Demokratie

Das Ganze glückte, ohne dass der Plan zur Unterminierung der Wahlen vorab bekannt wurde. Russland hat aus dem US-Desaster gelernt, so gut, dass selbst das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" seit Ausrufung der Neuwahlen keinen einzigen warnenden Beitrag über die russischen Ziele veröffentlichte. Die Aufklärungsbeiträge des Fachministeriums sind alt, dem Versuch der "Tagesschau", die alte  russische Doppelgängerkampagne aufzuwärmen, mangelte es an Ernsthaftigkeit.

Den Russenseiten, denen vorgeworfen wurde, "Stimmung gegen die Parteien" zu machen, wurde eine "Desinformationskampagne" mit insgesamt 630 Post auf X in einem Monat vorgeworfen - beteiligt unter anderem der KI-Bot Laura Wagt, mit knapp mehr als 4.000 Followern ein Gigant unter den Russenagenten.

So wenig, aber kaum verwunderlich, denn der Kreml hatte seinen Großangriff zu diesem Zeitpunkt bereits abgeblasen. Einziger und einleuchtender Grund: Längst war auch in Moskau bekannt geworden, dass eine Beeinflussung der Bundestagswahl unnötig ist. "Sie zerlegen sich schneller als wir das gekonnt hätten", hatte ein Geschäftsträger der russischen Regierung Anfang Januar aus Berlin gekabelt. 

Die Chaos-Strategie

Eine Strategie, die durch Chaos und Desinformation die politische Landschaft destabilisiere und die Wahl zu einer Art Schlammschlacht mache, in der die Wähler verwirrt und verunsichert reagieren, sei nicht mehr nötig. "Наши цели полностью достигнуты, товарищ Владимир Владимирович", heißt es in einem Telegram. Zu Deutsch: Unsere Ziele sind vollumfänglich erreicht, Genosse Wladimir Wladimirowitsch.

Alles weitere Einreifen könne sie nur gefährden, denn die deutschen Parteien hätten sich ganz von allein aus der Diskussion um Waffenhilfe für die Ukraine, Geldzahlungen an Kiew und die vor Monaten noch so umstrittene Friedensdiplomatie verabschiedet. Hatte der Kreml erwartet, dass das nur durch dreiste Manipulation der öffentlichen Meinung erreicht werden könne, zeigten sämtliche Parteien mit Beginn des Wahlkampfes eine auffällige Rücksichtnahme auf die Interessen Russlands. 

Unvorhersehbare Reaktionen

Versuche, bestimmte Parteien zu diskreditieren, führten zu unvorhersehbaren Reaktionen in der deutschen Politiklandschaft. Parteien, die ursprünglich als Ziele russischer Desinformation galten, gewannen an Popularität, während vermeintlich "kremlfreundliche" Kräfte an Boden verloren - und alles, wie sich jetzt herausstellt, ohne dass es sie überhaupt gab.

Drumherum brodelte das Chaos, ganz ohne Hilfe von außen. Der Kreml schaffte es zwar, eine serbische Bauschaumbande in Marsch zu setzen. Doch ob die es war, die die Mitte nach rechts rückte, ist noch nicht erwiesen. Dennoch sieht sich die Linke plötzlich allein in der Mitte, während die radikalen Ränder die CDU, einst die mächtige Staatspartei, mit den extremen rechten Kräften gleichsetzten. Die politische Landschaft wurde zu einem seltsamen Spiegelbild der russischen Erwartungen: Anstatt eine klare Richtung zu geben, wurde jede Partei zur Zielscheibe von Kritik, Misstrauen und Angriffen von allen anderen.

Eine paradoxe Gegenwehr

In einem paradoxen Akt der Gegenwehr kam es hier und da sogar zu Gewalt, um Gewalt zu verhindern. Farbbeutel flogen durch die Luft, und der Ruf "Ganz Deutschland hasst die CDU" hallte durch die Straßen, was die politische Debatte noch weiter in genau dem Sinne polarisierte, den Putin in Auftrag gegeben hatte.

Die Zufriedenheit im Kreml ist groß, doch die Enttäuschung ebenso. Die Erwartung, die deutsche Wahl beeinflussen zu müssen, hat sich als Fehlkalkulation erwiesen. Damit aber steht die gesamte Deutschland-Strategie Russlands infrage - ein Zustand, den Wladimir Putin nicht hinnehmen kann. Die derzeitige Ratlosigkeit des Präsidenten und seiner Berater ist mit Händen zu greifen: Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes hält sich der Diktator vollkommen zurück, unsicher darüber, ob ein Eingreifen für diese oder jene Partei oder Koalition den Interessen Russlands am Ende nicht vielleicht sogar schaden würde.

Denn die Kampagne, die darauf abzielte, Deutschland zu destabilisieren, hatte nicht einkalkuliert, dass Deutschland sich ganz von selbst in eine so fragmentierte und unvorhersehbare politische Landschaft verwandeln wird, dass selbst Meister der Manipulation keine großen Summen mehr wetten würden. Russland, das sich selbst in einem "Informationskrieg" sieht, hat ohne einen Schuss gewonnen. 


Mühsame Fälschung

Die mühsam gefälschten Websites angesehener deutscher Publikationen wurden nicht gebraucht, Desinformationen verbreiten sich organisch, die Parteien selbst setzen auf Social Media Manipulation und die automatisierte Ausnutzung von Algorithmen durch Online-Abteilungen, die polarisierende innenpolitische Themen brüskierend und provozierend verbreiten. Parteien setzten per Facebook-Anzeige "teils absurde Mutmaßungen und Falschbehauptungen" in die Welt, hat das renommierte Medienhaus "Correctiv" ("Geheimplan für Deutschland") gerade in einer umfangreichen Recherche ermitteln können.

Deutschlands unerwartete Resilienz gegen ausländische Einflussversuche wirft ein neues Licht auf die  Verschiebungen des politischen Koordinatensystems. Parteiinterne Konflikte ersetzten die Angriffe von außen wirksamer als es die russischen Trollarmeen gekonnt hätten. Die Ablenkungsmanöver die sie traditionellen Volksparteien CDU, Grüne und SPD selbst unternahmen, um nicht über die desaströse Wirtschaftsentwicklung, die prekäre Energieversorgung und die steigenden Arbeitslosenzahlen sprechen zu müssen, erwiesen sich als deutlich durchschlagender als es das Befeuern der demokratiefeindlichen Russlandfreunde hätte sein können.

Kreml in der Zwickmühle

 Die Enttäuschung im Kreml sitzt naturgemäß tief, weiß doch in Russland derzeit niemand, mit welcher Partei die Kriegsmacht im Osten noch besser fahren würde als mit der derzeitigen Koalition. Darin gleicht die Situation der Kremlherren der deutschen Wähler, die genauso wenig ahnen können, was nach der Wahl im Bereichen wie Wirtschaft, Steuern, Energieversorgung oder Verteidigung auf sie zukommen wird.

Aus genau diesem Grund hatte der Kreml stets versucht, Parteien zu stärken, die seinen Interessen verpflichtet sind - in Deutschland betraf das die SPD, aber auch Linke, BSW und AfD sowie Teile der Union.  Das Risiko,  dabei aufzufliegen, ist immens, wie das jüngste Beispiel aus Rumänien zeigt. Dort musste die Präsidentschaftswahl rückgängig gemacht werden, nachdem der rumänische Geheimdienst auf Veranlassung Russlands behauptet hatte, die Wahl sei von Russland gekauft worden.

 

Angriffe aus dem Gebüsch

Belege fehlen bis heute, dadurch gelang es dem Kreml, die Rumänen insgesamt schwer zu verunsichern. Bestimmte ausländische Kräfte betreiben dieselbe Strategie mit Blick auf die Bundestagswahlen - massiv Zweifel wecken, Spaltung in der Gesellschaft, eine geschwächte deutsche Demokratie, das ist das Ziel. Ausgerechnet die zunehmende Fragmentierung der politischen Landschaft und die Konzentration alle Parteien auf Maximalforderungen, die aus der jeweiligen Sicht des Anhangs alternativlos sind, macht es für Russland schwierig, klare Verbündete oder Gegner zu identifizieren. 

Hieß es früher, eine hohe Wahlbeteiligung sei wichtig, um  gefährliche Rechte abzustrafen, zeigten Wahlen zuletzt ausgerechnet eine starke Rechte, wenn es zu hohen Wahlbeteiligungen kam. Frustration könnte nun zu einer niedrigeren Wahlbeteiligung führen, die aber wäre keine Gewähr mehr für zuverlässige, demokratische Ergebnisse. 

Russlands Versuche, die Wahl zu beeinflussen, haben zwar nicht stattgefunden, aber dennoch zu Turbulenzen geführt, ohne dass klar ist, welches Ergebnis Wladimir Putin sich wünschen würde. Während der Kreml ratlos zusieht, wie seine sorgfältig geplanten Strategien ins Leere laufen, zeigt sich so eine neue Stärke der deutschen Parteiendemokratie: Sie funktioniert wie eine kaputte Kaffeetasse. Kann ruhig runterfallen, geht nicht mehr in Scherben.


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