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Der Deutsche Bundestag in Berlin baut seit Jahren an einem progressiven Sichtgraben, hinter dem unsere Demokratie sicher vollzogen werden kann. |
Alles danach ist wie alles davor. Eine von drei Ampelparteien können weiterregieren, beinahe wären es sogar zwei gewesen. CDU und CSU übernehmen die Führung von der SPD, die SPD ersetzt die Grünen als größerer Regierungspartner. Die Grünen hatten lange gehofft, noch an die Stelle der FDP rücken zu können, die ihre Restlaufzeit erreicht hat.
Doch 13.000 Stimmen fehlten Sahra Wagenknecht, um Robert Habeck zurück ins Wirtschaftsministerium oder - der nächste grüne Fraktionschef im Bundestag träumte schon lange davon - ins Finanzministerium zu verhelfen. Ja, es kam am Ende schlimmer als erwartet.
Fortsetzung des Stillstandes
Aber nicht so schlimm, wie es am Wahlabend noch ausgesehen hatte. Deutschland steht nicht vor dem Neuanfang, sondern vor einer entschlossenen Fortsetzung des Stillstandes. Four more years voll grundloser Zuversicht, ohne Plan und ohne Aussichten, ihn umzusetzen. Einmal mehr ist es den Parteien der Mitte gelungen, die Lösung der "ungelösten Probleme" (Friedrich Merz) glaubhaft genug zu versprechen, um gemeinsam eine Mehrheit im Bundestag zusammengewählt zu bekommen. Einmal mehr kommt es am Tag danach nicht zum großen Scherbengericht. Sondern nur zu ein wenig pflichtschuldigen Stühlerücken.
Die Vorstellungen von Schwarz und Rot und Grün liegen nach dem Wahltag in allen Bereiche so weit auseinander wie vorher. Es würde zu zweit reichen, die nächste Legislaturperiode zumindest anzugehen. Nächste Fortschrittskoalition.
Nächste Wackelversammlung. In nahezu keinem Bereich sind gemeinsame Beschlüsse möglich, ohne dass wenigstens ein Beteiligter seinen erklärten Grundprinzipien untreu werden müsste. Nur bei der Ablehnung der Einmischung aus Amerika, den Friedensplänen Trumps für die Ukraine und der notwendigen Aufrüstung sind sich Union, SPD und Grüne einig, so weit sogar, dass sie bereit wären, eher die Nato platzen zu lassen als das Gespräch mit Washington zu suchen.
Der einzige Kitt
Anti-Amerikanismus als einziger Kitt einer Koalition der Schwachen und Kranken. Darüber hinaus aber lärmend lauter Dissens bei Migrations- und Wirtschaftspolitik, beim Sozialen und bei der Energiepolitik, bei der Rente, beim Arbeitsmarkt, bei der Klimarettung und bei der weiteren Ausweitung der Verschuldung. Ob das reichen wird, die längste Rezession der bundesdeutschen Geschichte mit einem Befreiungsschlag zu beenden, wie ihn Friedrich Merz seinen Wählern versprochen hatte?
Merz wird ein schwacher Kanzler. Der Christdemokrat, im Wahlkampf von Mutausbrüchen getrieben, die sich mit spontanen Furchtanfällen abwechselten, hat gegen eine von seinem künftigen Koalitionspartner geführte Regierung, die so unbeliebt war wie noch keine vor ihr, nicht einmal fünf Prozent mehr geholt als sein Vorgänger, der als unbeliebtester Kanzler aller Zeiten in die Geschichtsbücher eingeht. Das größte Glück des Neuen im Kanzleramt besteht darin, nicht auch noch die Grünen zu brauchen, um seiner früheren Chefin Angela Merkel zu zeigen, was ihr früherer Fraktionschef alles kann.
Kein Klimamärchen aus Kenia
"Kenia" hätte als Begriff herhalten müssen, der dem abenteuerlichsten Regierungsgebilde aller Zeiten den Zauber des Anfangs zu verleihen. Das echte Kenia hat 56 Millionen Einwohner, es ist bekannt für Menschenrechtsverstöße, Kinderprostitution und die systematische Verfolgung von Homosexuellen auf der Grundlage anachronistischer Gesetze und der scheidende Bundeskanzler nutzte es im Mai 2023, um den Menschen daheim ein Klimamärchen aus Afrika zu erzählen.
Das deutsche Kenia hätte sich am afrikanischen Energiewunder orientiert, von dem das ZDF bewundernd berichtete, es gewinne "bereits 90 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien". Und das, während es seinen CO₂-Ausstoß seit 1993 vervierfacht, aber nach wie vor keine stabile Stromversorgung hat.
Dank Wagenknechts Pleite bleibt der Union die ganz große Koalition mit den Wahlverlierern erspart. Nur die SPD muss ran, aus vaterländischer Verantwortung. Noch in der Wahlnacht lieferte ein Speditionsunternehmen aus Rumänien im Auftrag der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin am Hintereingang des Willy-Brandt-Hauses eine Wagenladung mit Worthülsen ab.
Von "unsere Demokratie" bis "politischer Neuanfang" über "besser erklären", "Blick nach Amerika" und "die EU muss jetzt gemeinsam" beziehungsweise "Europa muss jetzt fest zusammenstehen" ließ sich die älteste deutsche Partei komplett neu mit Phrasen ausstatten.
Zwei Jahre Frist
Die Partei, die als einzige aktuelle und künftige Regierungskraft bereits einmal von den Behörden wegen "gemeingefährlicher Bestrebungen" verboten worden waren, weiß, dass es vier schwere Jahre werden, wenn alles gut geht. Die Opposition ist viel linker, sozialer und großzügiger zu Armen, Geflüchteten und den Opfern der kapitalistischen Verwertungslogik. Schlechte Karten für Lars Klingbeil, den neuen starken schwachen Mann an der Spitze der tief gespaltenen Partei, die nur darauf hoffen kann, dass der neue Niedersachse in den Schuhen von Brandt, Schmidt, Schröder, Schulz und Scholz in seiner langen Berufstätigkeit im Parteiapparat genug gelernt hat, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Die Union dagegen wird den Reformmotor des nach der Fahne der Antifabewegung auch als "Anarcho"-Koalition bekannten Bündnisses wenigstens spielen wollen. Zumindest zwei Jahre lang, so rechnen die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus, sollte das reichen, um die Geschäfte fortführen zu können, ehe voraussichtlich geschürt von Rechtsextremisten und russischen Bots wieder erste Unruhe wegen des anhaltenden Niederganges aufkommt.
Endkampf mit den USA
Zumindest den Endkampf mit den USA will Friedrich Merz dann hinter sich gebracht haben. Großzügig hat der Erste-Klasse-Passagier auf der USS Nato dem bisherigen Verbündeten noch in der Wahlnacht die Hand angeboten - er begrüße es, wenn die "USA weiter an Bord bleiben", sagte Merz über den langjährigen Waffenbruder. Lenke das Weiße Haus unter Donald Trump jedoch nicht entsprechend ein und verzichte auf seine Maximalforderungen bei Meinungsfreiheit, Ukrainekrieg und Revitalisierung mit der Kettensäge, werde er Europa in einen einsamen Zweifrontenkrieg gegen die Autokraten in Moskau und Washington führen.
Klare Worte, wie sie sich viele Wählerinnen und Wähler der Union schon so lange gewünscht hatten. Mag es auch sein, dass Merz trotz neuer Burgfriedenpolitik innenpolitisch wenig erreichen kann, gefesselt an eine Verteilungspartei wie die SPD und gejagt von einer Opposition, deren Taschen nur Zusammensetzung noch viel weiter offen sind als bisher. Mag es auch sein, dass sich das veränderte Europa auch nach der Rückkehr des alten, müden Sheriffs Deutschland nicht so einfach auf Linie bringen lässt wie früher, als Angelas Merkel sich einfach mit einem inzwischen verurteilten Straftäter zusammensetzte, um in "Stunden hektischer Krisendiplomatie" (Zeit) die Welt zu retten.
Das Endspiel um die Zukunft
Friedrich Merz weiß genau, was auf dem Spiel steht. Die kurze Zeit bis 2029 hat der 69-Jährige im Wahlkampf selbst immer wieder als letzte Chance der vielen Parteien der demokratischen Mitte bezeichnet, Wirtschaft, Wohlstand, das Land, Europa und damit "unsere Demokratie" zu retten. Die Wählerinnen und der Wähler haben mit ihrem Votum bestimmt, dass Merz mit Fußfessel, verbundenen Augen, in Handschellen und mit der SPD als zusätzlichem Fußeisen aufläuft.
2 Kommentare:
Also wenn der Ami jetzt sagt, ihr Idioten lernt es nicht, macht euren Scheiß alleine, dann haben wir noch zwei Rückfallebenen: Der Russe wird nicht einmarschieren, weil der Pole im Weg ist, und der Pole wird nicht einmarschieren, weil wir ein paar Millionen kampftüchtige Männer importiert haben, die nicht tatenlos zusehen werden, wenn die Katholiken aus dem Osten über die Grenze kommen. Merkel hat's vorausgesehen.
Apropos: Die Bundestagsfraktion der Linken wird ungefähr so bunt sein, wie eine frisch gekalkte Wand.
Bei den Grünen täte mich dagegen interessieren, ob das zweistellige Ergebnis trotz Robert Habeck oder wegen Robert Habeck zustande gekommen ist.
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