Aller paar Monate ein Aufstand des Gewissens. Diesmal gehen es um die Verteidigung der Brandmauer. |
Erst Melonie, dann die Niederlande, Frankreich wackelt, Belgien fiel und der Einzug von Donald Trump erschien manchem schon wie die Morgendämmerung eines neuen Zeitalters. Würde es zu einer globalen Abkehr von den politischen Prämissen der vergangenen 20 Jahre kommen? Würde der Erziehungsstaat zurückgebaut? Die Klimaplanwirtschaft beendet? Die Vielfalt als Einheitsbrei für alle von der Karte gestrichen? Und wann in Deutschland?
Fanal im Bundestag
Der Mittwoch im Bundestag wirkte wie ein Fanal für andere Zeiten, die auch im Lande des Moralweltmeisters Einzug halten. Wie schon häufiger hatte eine ganz große Koalition aus CDU, CSU, FDP, Linken und AfD einem Antrag zugestimmt, der grundlegende Änderungen mit einer zentralen Gegenwartsfrage anregt. Chancen auf Umsetzung gab es keine, aber die Chance, aus dem symbolischen Wechsel der Stimmenmehrheit im Parlament einen Glaubenskampf zu machen, bei dem es um die Existenz von Demokratie, Frieden, Völkerfreundschaft und Zukunft geht, die konnte sich die bisherige Parlamentsmehrheit nicht entgehen lassen.
"Auf die Barrikaden", rief es aus dem Hohen Haus, und nun zeigte sich, über welche Kräfte SPD, Grüne und Linkspartei außerhalb der hohen Hallen gebieten. Tausende und Zehntausende fanden sich ein, um mit Handytaschenlampen, Pappschildern und mit der Besetzung von Büroräumen der nun als "offen rechts" einsortierten CDU ein neue Drittes Reich zu verhindern, samt nächstem Holocaust, staatlicher Vorschriften, "was man zu denken und zu fühlen hat" (Annalena Baerbock), und der Unterwerfung vor Russland, über die Experten wie Rolf Mützenich (SPD) alles wissen.
Verlorener Gewinner
Friedrich Merz hatte die Bundestagswahl schon gewonnen. Natürlich, sein Wahlkampf begeisterte niemanden, seine Versprechen glaubte keiner und echte Sympathien flogen dem knorrigen Halbkonservativen aus keiner gesellschaftliochen Gruppe zu. Merz wusste, er würde gewählt werden, weil alle anderen noch weniger zu bieten haben.
Doch er wollte wohl mehr. Angespornt vom Beispiel des Donald Trump, der sich im Wahlkampf die Beinfreiheit verschaffte, im Amt wirklich durchregieren zu können, ließ sich Merz auf einen echten Kampf ein, als er noch im alten Parlament, vom Wähler zusammengestellt auf dem Höhepunkt der Thunberg-Euphorie, der Klimabegeisterung und der von SPD und Grünen Anfang der 2000er Jahre zementierten Energeiabhängigkeit von Russland, die Machtfrage stellte.
Das Glück kaum fassen
Merz gewann, und Merz verlor. Im Team Habeck und bei der Leitung der Kampagne Scholz aber konnten sie ihr Glück kaum fassen. Unverhofft hatte Friedrich Merz den beiden Fußgängerampel-Parteien die last von den Schultern genommen, einen Wahlkampf mit Vorschlägen, Plänen und den üblichen haltlosen Versprechen zu führen.
Olaf Scholz war schlagartig die Ukraine-Debatte los, seine Haushaltslöcher von der Zeit 26 Milliarden schrumpften zur Strumpfmasche im Demokratenzwirn. Noch lauter atmete Robert Habeck auf, dem die leidige Debatte um noch höhere Abgaben für die hart sparende Mitte die ganze mühsam aufgebaute Philosophenpropaganda zu zerstören gedroht hatte. Selbst die Linke, im Wahlkampf auf Abschiedstour nach 35 Jahren Parlamentarismus, witterte wieder Morgenluft. Wenn Nazis marschieren, dann hat immer auch Rotfront Konjunktur.
Ansatzlos im Angriffsmodus
Ansatzlos gingen die Linksparteien in den Angriffsmodus. Den Holocaust als Schild, den Hitlerpopanz als Schwert, riefen sie ihr Gefolgschaft auf die Straßen. Die üblichen Promis reihten sich ein, Angela Merkel mobilisierte ihre Getreuen. In den Elfenbeintürmen der Leitmedien von ARD bis "Zeit" griff zu den Wortwaffen, wer noch irgendein Schreibmaschinengewehr bedienen konnte: Alles auf die Straße. Rot ist der Mai.
Friedrich Merz war ein wohl einmaliges Kunststück gelingen. Mit zwei Bundestagsabstimmungen hatte der 69-Jährige den bis dahin katatonisch auf die Hinrichtung am Wahltag wartenden Parteien links der Mitte neues Leben
eingehaucht. Alles was Beine hat und Sympathien für Links, SPD oder Grüne, malte Pappen, lud das Handy durch und marschierte gegen alles außerhalb der eigenen Blase.
Ausweitung der Kampfzone
Nicht mehr nur die AfD war jetzt der Feind, sondern CDU, CSU und FDP genauso. Binnen Stunden war es den Parteizentralen von Grünen und SPD gelungen, aus Friedrich Merz den neuen Hindenburg zu machen, ein Bild, das auch historisch so schräg ist, dass nur Annalena Baerbock es als "nachhallend" bezeichnen würde.
Kein Vergleich ist groß genug, um die erste Woche seit Jahren, in der im Bundestag mit offenem Visier gestritten und mit Leidenschaft argumentiert wurde, zur Abgrundfahrt, zur Katastrophe und zum Anfang des Endes der deutschen Zivilisation zu erklären. Die simple und rein symbolische Bundestagsabstimmung wurde zum "Tabubruch" umgedeutet.
Frei von der Mehrheit
Merzens Versuch, sich freizumachen von der Macht der einer linken Minderheit, die durch die hohen Stimmanteile der AfD den Ausschlag über jede Mehrheit im Parlament gibt, endete im gemeinsamen Aufstand aller linken Parteien gegen die Bedrohung ihrer Schlüsselstellung.
Welche Macht die Linke aufgebaut hat, zeigten die vergangenen Tage. Wie auf Knopfdruck gelang es ihr, Millionen Menschen zu beunruhigen, ihnen Angst vor einem neuen Faschismus zu machen und aus der ersten emotionalen Aufwallung Profit zu schlagen. Die Bilder von jungen Leuten, die sich im Jahr 1932 wähnen und nun glauben, mit ihren Taschenlampen mutig wie die "Weiße Rose" zu sein, gingen durch die Republik.
Medialer Konsens
Binnen Stunden war medial der Konsens hergestellt, dass nicht etwa die miserable Regierungspolitik der vergangenen Jahre verantwortlich dafür ist, dass eine rechtspopulistische Partei ihren Stimmanteil verdoppeln wird. Sondern die Grenzüberschreitung des Unionskandidaten, der den blauen Braunen den roten Teppich ausrollte.
Beeindruckend sind sowohl Geschwindigkeit als auch Wucht, die die Kampagne entfaltet hat. Zahllose Vorfeldorganisationen, zumindest teilweise direkt von der Regierung finanziert, erfahrene digitale
Einpeitscher, eng vernetzte und bereitwillige Gefolgsleute und die aus der letzten Kampagne vor einem Jahr bekannte freundliche Flankierung durch die Medien schafften es, aus Demonstrationen, die wegen mangelnder Größe früher gern als allenfalls regional bedeutsam aussortiert wurden, eine Volksbewegung zu zaubern.
Als Antifaschismus verkleidet, wendet die sich gegen die Art traditioneller Demokratie, in der vor jeder Entscheidung Alternativen diskutiert wurden, ehe eine Mehrheit entscheid, welche es sein soll.
Unsere Demokratie
Mit Angela Merkel, deren Erklärung ihrer eigenen politischen Entscheidungen als "alternativlos" 2010 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Unwort des Jahres gekürt worden war, hatte sich diese Art der Volksherrschaft in die neue "unsere Demokratie" verwandelt - eine Spielart, in der nicht mehr das Volk sich Politiker als Dienstleister halten, sondern Politiker bestimmen, was das Volk als Demokratie zu begreifen hat.
Die Demokratie als Staatsform, die ohne
Alternativen verdorrt, hatte damit ausgespielt. Wie Autokraten und Diktatoren regierte Angela Merkel in der Corona-Zeit mit Hilfe verfassungsrechtlich nicht vorgesehener Kungelrunden durch. Ihr Nachfolger Scholz zeigte sich als gelehriger Schüler. Auch er beschränkte sich auf den Versuch, den immer offenkundiger werdenden Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung auszuzsitzen.
Er ist ein Nazi
Das "Haltet den Dieb, er ist ein Nazi", das jetzt aus allen Gazetten springt und aus sämtlichen Sendern dröhnt, ist alternativlos als Möglichkeit, an der Wahlurne vielleicht doch nicht für die Misere verantwortlich gemacht zu werden, für die man eigentlich den Kopf hinhalten müsste. Mag die Wirtschaft zusammenbrechen, mögen die Arbeitslosenzahlen steigen, der Wohlstand sinken, die Zukunftsaussichten immer düsterer werden - wer einen hübschen Hitler an die Wand malen kann, darf immer darauf hoffen, dass der als größere Bedrohung angesehen wird.
Zugleich muss man auch über nichts mehr mit niemandem debattieren. So lange die demokratischen Mitbewerber sich nicht entschuldigt und Einsicht wie Besserung gelobt haben, wird die eigene Realitätsverweigerung wie Prinzipienfestigkeit erscheinen. Die Brandmauer, gebaut aus purer
Verzweiflung über den galoppierenden Verlust der Deutungshoheit, wird zur tragenden Wand des Parteienstaates erklärt. Der wiederum, so heißt es, dürfe niemals und nicht in keinem einzigen Punkt je verändert werden. Ja, schon der Versuch sei strafbar.
In der Nationalen Front
Die Nationale Front
marschiert. Die Brandmauer ist ihr neuer antifaschistischer Schutzwall. Das Knacken der Flammen dahinter, die Temperatur, die immer weiter steigt, so lange eine immer größere gesellschaftlich Gruppe aus jeder Beteiligung an demokratischen Entscheidungen ausgeschlossen wird, sie beunruhigen aber nicht etwa.
Nein, die letzten Tage zeigen, dass das von Angela Merkel entzündete Feuer, das Scholz, Habeck und Lindner, aber auch Merz und von der Leyen gefüttert und genährt haben, sich nützlich macht im Kampf gegen den eigenen Untergang. Man hat versagt. Aber wer würde davon noch reden, wenn die nächste Machtergreifung der Faschisten droht? Man hat seine Chance verspielt, das Land auf Vordermann zu bringen. Aber stört das noch, wenn man jetzt anbietet, es vor dem Untergang im braunen Sumpf zu retten?
Danke, Friedrich
SPD, Grüne und Linkspartei haben Friedrich Merz viel zu verdanken. Nach drei Jahren, in denen die beiden linken Regierungsparteien es gemeinsam mit der FDP geschafft haben, Deutschland in die längste Rezession aller Zeiten zu manövrieren und schneller mehr Wohlstand abzubauen als jede Regierung vor ihnen, bestimmen sie allein die Debatte darüber, was wichtig ist und was nicht, welche Lösungen infrage kämen und welches Problem überhaupt eins ist.
Dass sie es waren, inklusive der Union, die sich über Jahrzehnte als zunehmend unfähig erwiesen, den Wählerinnen und Wählern den Wunsch nach Freiheit, Wohlstand und einem funktionierenden Staatswesen zu erfüllen, erscheint als lässliche Sünde, wenn es ihnen jetzt gelingt, den Fachismus zu verhindern.
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