Seit einiger Zeit trägt Robert Habeck Weste: Ein modisches Signal des Kanzlerkandidaten, dass er nun als Staatsmann betrachtet werden möchte. Abb: Kümram, Kaltadelradierung |
Auf der Wahlkampfbühne rollt er gern die Hemdsärmel auf. In die Küchen der Gefolgschaft stiefelt er im abgetragenen Pullover, einer von uns, die Zuversicht im Gepäck, dass es bald für einen neuen Pulli reichen wird. Selbst in einem Kabinett, das sich wie das rot-grün-gelbe mehr als Gang verstand denn als Regierung, stach der Schauwert Robert Habecks stets heraus.
Mochte auch Christian Lindner versuchen, ohne Binder so cool zu wirken wie der frühere grüne Parteivorsitzende, es gelang ihm nicht. Und noch weniger hatte Olaf Scholz eine Chance, in seinem blauen Anzug, jener Polit-Uniform, die das Bild des modernen Berlin prägt, neben der bestechenden Optik seines grünen Nebenkanzlers zu punkten.
Gemeinsam gegenseitig
Sie alle, als sie gemeinsam versuchten, sich gegenseitig ein Bein zu stellen, verstanden sich als eine Art Kriegsregierung, die mit aufgekrempelten
Ärmeln, ohne Schlips und mit deutlichen Worten agiert. Gesetze, EU-Vorgaben, Verfassung, all das interessierte die erste Ampel-Regierung in Berlin nur, wenn es ihre Kreise ernsthaft einschränkte. Man gab sich tatkräftig, um nichts tun zu müssen. Man trug den offenen Kragen als Arbeitsanzug, um sich vor der Arbeit zu drücken.
Die windige Konstruktion hielt verblüffend lange, ehe sie krachend scheiterte. Aus den Trümmern aber stieg, das wird nach der Hälfte des Wahlkampfes immer deutlicher, nur einer, der verstanden hat, dass die hart arbeitende Mitte dort draußen mehr geboten bekommen will als hemdsärmlige Polit-Handwerker, die für ihre hausgemachten Lösungen passende Probleme suchen und scheitern, sobald die Wirklichkeit sie umzingelt.
Scholz mit Aktentasche
Olaf Scholz, der unbelehrbare Sozialdemokrat, versucht immer noch, sich mit einer Aktentasche, die er unentwegt dabei hat, einen Hauch von Seriosität zu geben, während der demonstrativ offene Hemdkragen Tatendurst symbolisiert. Friedrich Merz dagegen spielt den Sparkassendirektor im maßgeschneiderten Polit-Blaumann, langweilig, aber gerade darum für all die Wähler verführerisch, die der ideologischen Dauergefechte der scheidenden Regierung müde sind.
Robert Habeck versucht den Spagat. Der Mann aus Schleswig-Holstein hat sich von seinen Style-Beratern einen dritten Look neben dem Hemdsärmelhoch-Kostüm und der Pulli-Variante auf den Leib schneidern lassen. Habeck trägt neuerdings Weste, auch bei seiner letzten Besinnungsrede im Bundestag, als er als Trauerredner unsere Demokratie zu Grabe trug.
Was aber ist das? Die Verbürgerlichung der "Bewegung"? Ausweis einer Partei, die sich nach den alten Zeiten sehnt, als alte weiße Männer in Westen das Schicksal der Welt lenkten? Nein, es ist eine Referenz nicht nur an die Werte eben jenes Westens, sondern auch an Joschka Fischer, der seine Wandlung vom Polizistenschläger zum Staatsmann vor knapp 30 Jahren nach außen symbolisierte, indem er sich das bis dahin als Assescoire der Kuponschneider, Konservativen und ausbeuterischen Kapitalisten geltende Gilet überzog.
Kulturelle Aneignung
Ein Akt kultureller Aneignung, der Fischer mehr Achtung einbrachte als sein "langer Lauf zu mir selbst", mit dem sich auf das halbe Körpergewicht herunterhungerte und trainierte - heute wegweisend für eine Generation an jungen Politikern, die es ebenso leid sind, überernährte, dicke Wohlstandskörper mit sich herumzuschleppen, die Weltklima und Gesundheitswesen über Gebühr belasten.
Habecks neues Westentaschenformat ist ein Signal in vielerlei Hinsicht. Jung von Matt, die Agentur, die dem grünen Kandidaten mehr Tiefe und neue Persönlichkeitsdimensionen auf den Leib geschneidert hat, sorgte nicht nur für ein Re-Branding, das aus dem kindischen "#TeamRobert" der ersten, euphorischen Tage das seriöse "Team Habeck machte.
Es borgte sich für seinen Mandanten auch die Weste von Joschka Fischer, der sie von Helmut Schmidt übernommen hatte. Solche Unterzieher stehen buchstäblich für Westbindung, auch wenn sie schwarz sind und ein dadurch zwangsläufig immer ein wenig pastorales Flair verbreiten.
Pastorales Flair
Das passt zu Robert Habeck, der bekanntermaßen gern predigt. Zudem symbolisiert das Gilet, Habeck trägt es derzeit noch ohne die früher unerlässliche Taschenuhr, die sprichwörtliche "weiße Weste", die Otto von Bismarck allen zugebilligt hatte, die unschuldig waren. Auf wen träfe das mehr zu?
Westenträger sind nie irgendwer. Ihnen wird zugetraut, auch den Staat zu tragen, die Last der Herausforderungen und die Verantwortung für die gesamte Gesellschaft. Robert Habeck trägt darüberhinaus noch unsere Demokratie. Er ist die Kraft, die den Karren zieht, direkt aus dem Dreck, und er schont die Haute Couture nicht, zu der ihn seine Berater vielleicht nicht einmal überreden mussten. Robert Habeck weiß schließlich, was zu ihm passt.
3 Kommentare:
Ich achte nicht so auf die Clownkostüme, mir fallen nur Ausreißer nach oben und unten auf. Lindner sticht heraus und würde die beste Figur machen, wenn er nicht ständig einen Gesichtsausdruck hätte wie Böhmermann mit Pointenverstopfung.
Gilet? Hatte ich noch nicht im Wortschatz. Schwul.
das halte ich für eine art umgehung des hohnverbotes. die kandidierenden*innen machen das doch nicht aus jux und dollerei! es gibt dort styleberaterstäbe, modeadvisors und habeck hat dem vernehmen nach sogar einen eigenen strubbelfriseur. sich hinzustellen und zu sagen, man achte nicht auf die feinheiten der clownskostüme, ist wirklich unterste schublade. mit einer sauberen demokratischen mitverantwortung hat das nichts zu tun.
Ich befürchte (oder besser ich hoffe), dass die Weste nicht viel Zeit haben wird, sich an ihren Träger zu gewöhnen.
Kommentar veröffentlichen