Heute unvorstellbare Szenen: Näher als Horst ist kein deutscher Bundespräsident lebenden Menschen je wieder gekommen. |
Nach fünf Wochen erst zog damals eine leise Ahnung durchs Land, warum Bundespräsident Horst Köhler plötzlich und völlig grundlos das Handtuch geworfen hatte. Offiziell war der letzte Amtsinhaber aus dem Milieu der alten Bonner Republik natürlich gegangen, weil er unzulässige Sätze gesprochen hatte. Köhler selbst spielte die Scharade mit, indem er ging, ohne die Tür zuzuschlagen. Die junge Kanzlerin, sie sollte nicht beschädigt werden. Die Partei, sie sollte nicht leiden müssen.
Anlass für den Abgang
Ein Anlass für den Abgang war schnell gefunden. Deutschland müsse verstehen, so sagte der höchste Repräsentant des Staates an Bord einer Bundeswehrmaschine in Mikrophone gesprochen, "dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren". Freie Handelswege fallen nicht vom Himmel, regionale Instabilitäten müssten auch mal handfest verhindert werden. "Fehlende Sicherheit" schlage "auch auf unsere Chancen zurück, negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen."
Die Medienrepublik war aus dem tiny Häuschen. Wie kann er nur. Das darf er nicht.
Köhler kam aus einer Generation von Politikern, die noch wusste, wovon sie sprach. Im Februar 1943 im polnischen Skierbieszów als siebtes von acht Kindern geboren, 1944 vor den sowjetischen Truppen nach Markkleeberg bei Leipzig geflohen und später weitergeflüchtet in die Bundesrepublik, wächst Horst Köhler in verschiedenen Flüchtlingslagern auf.
Ein Leben voller Wendungen
In Ludwigsburg geht er zur Schule, er macht Abitur, leistet seinen Wehrdienst ab und wird Leutnant der Reserve. Köhler studiert, fängt im Bundeswirtschaftsministeriums in Bonn an, wechselt in die Staatskanzlei Schleswig-Holstein und wird 1990 Staatssekretär von Bundesfinanzminister Theo Waigel. Köhler verhandelt mit der DDR-Führung über die deutsch-deutsche Währungsunion, er pokert mit den Russen um den Truppenabzug, ist Chefunterhändler beim Maastricht-Vertrag über die Europäische Währungsunion.
Helmut Kohl schickt ihn als Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung nach London, Gerhard Schröder macht ihn zum Direktor des Internationalen Währungsfonds in Washington. Wie die Morgendämmerung der Ära Merkel wirkt es, dass der 60-Jährige 2004 mit CDU-Parteibuch Bundespräsident einer rot-grün regierten Republik wird. Köhler hat den Job länger als eine Legislatur.
Mittendrin der Knall
Aber die zweite schafft er nicht. Mittendrin der Knall, mittendrin der Abgang. Sein Vorschlag, "alles das soll diskutiert werden", denn "wir sind auf einem nicht so guten Weg", wäre vielleicht noch erträglich gewesen, obwohl im demokratischen Gespräch natürlich stets ausgewählt werden muss, worüber und mit wem gesprochen werden darf. Doch Köhlers Behauptung "heute sind wir im Roten Meer, um unsere ökonomischen Interessen zu schützen", ging zu weit. Deutschland und Interessen in einem Satz! Die Medienwelt war auf der Palme. Die politische Konkurrenz übte Kritik. Köhler packte und ging.
Offiziell, weil er sich das nicht antun wollte. Inoffiziell aber, diese wahre Geschichte des Rücktritts des letzten Präsidenten mit Bonner Stallgeruch wird bis heute ungern erzählt, weil Horst Köhler sich geweigert hatte, das Gesetz zur Installation des "Rettungsschirmes" zu unterschreiben. Es unter großem Druck dann doch getan hatte. Und nach der Veröffentlichung einer Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) wusste, dass er recht gehabt hatte: Der unter Mitwirkung der Bundesregierung von der Europäischen Union beschlossene "Euro-Rettungsschirm" verstieß grob gegen das deutsche Grundgesetz und EU-Vorschriften.
Gewissensbisse im Amt
Die Öffentlichkeit sei, so hieß es in dem Gutachten, "über die Ausgestaltung des Euro-Rettungsschirms in einigen Punkten getäuscht". So sei der "Europäische Finanzierungsmechanismus", der regelt, dass reichere Länder die Schulden der armen abtragen, nicht auf drei Jahre begrenzt, sondern "zeitlich unbefristet installiert". Auch die Genehmigung für die EU-Kommission, selbst Schulden zu machen, um Kredite an notleidende Euro-Staaten geben zu können, habe keine Rechtsgrundlage. Einen Bruch von EU-Recht stelle der Rettungsschirm auch deshalb dar, weil das Europäische Parlament dem Beschluss hätte zustimmen müssen, was aber versäumt wurde.
Horst Köhler, ein Beamter alter Schule, gab sich die Schuld daran, dass eine Verordnung geltendes Recht geworden war, die "nicht die vom EU-Recht gestellten formellen Voraussetzungen", erfüllte, wie die "Welt" seinerzeit aus dem Papier zitierte.
Horst Köhler, der sich aus verfassungsrechtlichen Bedenken bereits einmal geweigert hatte, ein Gesetz zu unterschreiben, hatte sich dem Druck von Kanzlerin und Partei gebeugt. Doch sein Gewissen schlug ihm umso lauter: Eine Woche nach seiner Entscheidung, das Rettungspaket war bekanntgemacht worden, hatte die Märkte aber keineswegs beruhigt und neue Rettungspläne lagen schon in der Luft, entschloss sich der Bundespräsident, zurückzutreten.
Remonstration auf höchster Ebene
Eine Remonstration auf höchster Ebene, wie es sie noch nie zuvor gegeben hatte. Und nie wieder geben wird. Denn was nach Köhler an Hausherren ins Schloss Bellevue einzog, brachte alles mit, was der letzte Bonner Präsident nicht hatte.
Der windige Wulff hatte ein Bobby-Car und Schulden und ein paar auf flott gefönte Sprüche im Gepäck. Gauck, der ostdeutsche Pfarrer, wurde nach dem schnellen Ende der Ära des Baulöwen aus Niedersachsen als langweiliger Mahner besetzt, dem immer ein pastoraler Spruch einfiel, um irgendeine Spaltung oder vergessene Erinnerung zu betrauern. Schließlich Steinmeier, als Kanzlerkandidat gescheitert, als Verfassungsbrecher verurteilt, als Bundespräsident aber Vorbote des großen sozialdemokratischen Zeitalters, das eines Tages kommen wird.
Horst Köhler wird es nicht mehr miterleben. Der letzte Bundespräsident, der es noch gewagt hatte, auf Straßen und Plätzen ganz normalen lebendigen Menschen entgegenzutreten, starb gestern nach, wie es heißt, kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 81 Jahren.
Dass sein Plädoyer für eine interessengeleitete Politik, für das Militär aus Fortsetzung der inneren Sicherheit im Ausland und Kriegseinsätze im Roten Meer im Dienst von Deutschlands Wirtschaftsbilanz vom hysterisch bekämpften Verrat an allen Werten der Wehrlosigkeit zur Staatsräson bis hinaus auf den linken Flügel der Grünen wurde, wird Köhler indes amüsiert zur Kenntnis genommen haben.
3 Kommentare:
Sie haben ihre Lektion gelernt und haben eine Gipsfigur zum Präsidenten gemacht.
OT
Bei Jouwotsch: Dana Weinstein geht Pomadenmichel an - har, har.
Dank an Anmerkung:
# Michel Eyquem sagt: 31. Januar 2025 um 18:58 Uhr
Ein Staat, der ein Volk zur Verfügung hat, mit dem man so etwas PERMANENT machen kann, wäre schön blöd, wenn er es nicht täte
DAS ist das Problem und sonst NICHTS ! #
So fürtrefflich, dass es glatt von mir sein könnte.
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