Mittwoch, 5. Februar 2025

An der alten Leier: Bürokratie wie nie

Ursula von der Leyen im Blaumann für Bürokratieabbau
Charakterlich stark: Auch ihre zweite Amtszeit tritt Ursula von der Leyen noch einmal mit dem traditionellen EU-Versprechen an, die Bürokratie um 25 Prozent abzubauen.

Sie haben lange gesessen und gebrütet im politischen Brüssel. Draußen fegte ein neuer, kalter Wind der Wirklichkeit durch die klammen Straßen, drinnen hockten sie zusammen, die Führerinnen und Führer der letzten freien Menschengemeinschaft weltweit, gebeugt über die traurigen Trümmer ihrer geplatzten Träume.

Der Hass auf die, die es gut meinen

6.500 prächtige neue Gesetze, Richtlinien und Verordnungen hatten sie geschaffen, in nur fünf Jahren und mit nur 32.000 Bürokraten als Werkzeug. Und statt dafür zu applaudieren, jubelnd durch die Straßen zu ziehen und m´nach mehr zu verlangen, schimpften nicht nur die Menschen. Nein, auch die Politikerkollegen in den untergebenen Hauptstädten taten so, als hätten sie mit all dem nichts zu tun. 

Ja, sie bissen sogar die Hand, die sie fortwährend mit Milliarden an Fördermitteln füttert. Immer wieder kam es vor, dass einer nach neuen Strategie rief. Den Wohlstand leugnete, den die EU-Kommission aufgebaut hatte. Oder behauptete, jede zusätzliche Vorschrift koste in den Unternehmen Geld. Und zwar inzwischen so viel, dass die Wettbewerbsfähigkeit Europas vollkommen geschwunden sei.

Keiner hat mehr Spanngurte

Das Versprechen von 25 % Abbau ist seit Jahrzehnten stabil.
Von Brüssel aus gesehen ist das dreist gelogen. Die Einnahmen, die der EU zufließen, steigen seit Jahren, ihr Haushalt wird immer größer und schöner. Vor 15 Jahren noch musste die Verwaltung der Gemeinschaft mit schmalen 144 Milliarden Euro im Jahr auskommen. Heute stehen ihr 200 Milliarden zur Verfügung - und dabei ist der Schattenhaushalt des Aufbaufonds NextGenerationEU noch gar nicht mitgerechnet.

Die anderen mögen große Digitalkonzerne haben, wieder andere gewaltige Fabriken, aus denen sich ein Strom an billigen Konsumartikeln wälzt. Europa aber konnte bisher zuverlässig mit seinen Stärken kontern: Niemand verfügt über mehr Klimaziele, keiner kann mehr Richtlinien und Sicherheitsgurte selbst für Alltagsverrichtungen vorweisen. Dazu kommen weitreichende Visionen, die schon heute festgezurrt haben, wie das Leben von 440 Millionen Menschen in fünf, 15 und 25 Jahren genau ablaufen wird.

Neue Versprechen

Mit dem Green Deal und einem Programm zu Wiederaufbau des Kontinents hatte sich Kommissionschefin Ursula von der Leyen über ihre erste Amtszeit gerettet. Doch instinktsicher wie sie ist, wusste die 66-Jährige früh, dass ein paar neue Versprechen, Wolkenkuckucksheime zu bauen, für die zweite Herrschaftsperiode nicht reichen werden.

Beim Grübeln sprang also der Bürokratieabbau heraus, nach dem die Marktforscher der EU eine gewisse Sehnsucht in allen angeschlossenen Ländern hatten erspüren können. Warum also nicht? Viel mehr Pulver liegt nicht mehr im Brüssler Keller, dort unten bei den begrabenen Plänen vom "dynamischsten Kontinent", der "EU-Armee" und dem "gemeinsamen Wirtschaftsraum". 

Für Ursula von der Leyen ist das Bürokratieabbau-Versprechen wie eine alte Jacke, die sich die Frau aus Niedersachsen ohne neue Anprobe und Änderungsschneider überwerfen kann. Das neue Vorhaben, gegen "zu viel Bürokratie" (Die Zeit) vorzugehen, um die europäische Wirtschaft zu stärken, spart sich denn auch jeden Anschein von Anstrengung oder Originalität. Im Vertrauen darauf, dass die angeschlossenen Abspielanstalten ihre neue "Initiative" (DPA) ohnehin begrüßen und loben werden, hat von der Leyen sich den Aufwand gespart, irgendetwas Neues in Aussicht zu stellen.

Einfach noch mal dasselbe

Stattdessen hat die gewiefte Taktikerin einfach das alte Arbeitsprogramm ihrer vorigen Kommission als neuen Plan vorgestellt - wobei das Programm abgeschrieben war aus den Wahlversprechen, die Ursula von der Leyen gemacht hatte, ehe sie zum ersten Mal zur EU-Kommissionspräsidentin gekürt wurde. Wieder soll es einen Bürokratieabbau um die üblichen 25 Prozent geben, ein Versprechen, das in wenigen Jahren volljährig wird. 

Seit 2007 halten alle EU-Komissionen den Bürgerinnen und Bürgern die Zusage, eben jene 25 Prozent an Vorschriften abbauen zu wollen, gleich demnächst, wie eine Mohrrübe vor die Nase. Die Mühe, wenigstens die Zahl zu ändern, hat sich auch Ursula von der Leyen erspart.  In der sicheren Gewissheit, die sich niemand mehr an frühere Abbaukampagnen erinnern wird, die aber bei den Leitmedien, die es tun, aus Sympathie zur Sache schweigen werden, hat es die EU-Chefin  einfach bei den traditionellen 25 Prozent belassen.

Die alte Idee, dass man sich nur ja recht schnell möglichst viele Vorschriften verpassen muss, um weltweit zum Vorbild zu werden - "wer die Standards setzt, gewinnt den Markt" - ist obsolet. Das "Lob der Bürokratie" (Deutschlandfunk), die in Europa so effizient wie nirgendwo sonst Richtlinien, Regeln und neuerdings sogar Acts für Dinge produziert, die es in Europa nicht gibt, ist schal geworden. 

Alter Wein in alten Schläuchen

Der alte Wein kommt nicht einmal in neuen Schläuchen: Von der Leyen " plant eine beispiellose Initiative zur Vereinfachung der Regelungen". Die exakt dem entspricht, was sie vor sechs Jahren versprochen hatte. Um dem ganzen die Krone ins Gesicht zu schlagen, hat von der Leyen zudem Valdis Dombrovskis mit dem Zurückschneiden der Bürokratie beauftragt. Der dienstälteste Kommissar dient bereits in der dritten EU-Kommission. Als neuerdings Zuständiger für "Wirtschaftlichkeit und Produktivität" weiß er schon länger als jeder sonst in Europas Hauptstadt, dass es sich immer lohnt, zur  Stärkung der EU-Wettbewerbsfähigkeit auf Bürokratieabbau zu setzen.

Funktioniert immer. Kommt stets gut an. Was für eine mutige Reform, freuen sich die Menschen. Was für eine zukunftsweisende Initiative, gratulieren die Kollegen. Der alte Hut, an dem noch Schweißspuren von Stoiber, Barnier und Juncker zu sehen sind, steht Ursula von der Leyen wieder gut. 

Eine schöne Schocktherapie

Von links bis rechts findet die "Schocktherapie" (Handelsblatt) Freunde und der Kampf der Bürokraten gegen die Bürokratie hat im Sturm alle Herzen erobert. In Brüssel hatte man eigentlich mit Bangen auf das Medienecho geschielt. Mancher in der neuen Kommission hatte befürchtet, dass es zu dreist wäre, wieder einen Bürokratieabbau um 25 Prozent in Aussicht zu stellen. Andere hatten gezweifelt, ob nicht jemand bemerken würde, dass die EU-Kommission seit 20 Jahren immer dasselbe verspricht.

Unnötige Ängste. Selbstverständlich gibt es leise Zweifel, ob ein "bürokratisches Monster" (Edmund Stoiber) wie die EU die ideale Besetzung ist, um Bürokratie abzubauen. Doch allgemein ist das Echo positiv. Die 25 Prozent Bürokratierückbau haben überzeugt, wie erwartet ist niemandem aufgefallen, wie alt das Versprechen ist und dass die "beispiellose Anstrengung zur Vereinfachung" (Manager-Magazin) ein Stück ist, das in Brüssel sogar schon aufgeführt wurde, als die alten Zwillingstürme in New York noch standen.

Dienstag, 4. Februar 2025

Ein Hauch von Weimar: Tête à Tête mit dem Bürgerkrieg

Lilith Wittmann X ein bisschen Horrorshow
Niemand in der CDU soll sich mehr sicher fühlen: Die Zivilgesellschaft übt den digitalen Bürgerkrieg.

Die Geister, die sie riefen, sie werden sie so schnell nicht her los. Nach der Neueinstufung der CDU als Nazi-Partei brach ein antifaschistischer Widerstand los, wie ihn das Land schon seit zwölf Monaten nicht mehr erlebt hatte. Gewaltige Demonstrationslüge wälzen sich durch die Städte. Parteien kündigten einander die jahrelange Freundschaft auf, für immer und jetzt. Bei Grünen und Linken qualmen die Mitgliederdatenbanken, weil der Ansturm größer ist als jemals seit Gründung der SED. Je kleiner die Aussichten auf künftige Machtteilhabe, desto größer werden die moralischen Ansprüche.

Desto größer die Ansprüche

Nicht mehr sauber soll der Partner sein, sondern porentief rein. Die Dämonisierung der CDU, arbeitsteilig, aber gemeinsam betrieben von SPD, Linken, Grünen und AfD, verschiebt die politischen Gewichte ein weiteres Mal, diesmal aber nicht langsam, sondern im ICE-Tempo. Vor einer Woche noch  durfte der Wähler sich noch sicher aufgehoben in der politischen Mitte wähnen, wenn er zur Vermeidung weiterer vier Jahre Turbo-Wahlkampf für die AfD plante, Union oder die FDP seine Stimme zu geben, trotz alledem und alledem (Ferdinand Freiligrath).

Nach dem Schicksalstag mit der Symbolabstimmung im Bundestag, bei der CDU, CSU und Teile der FDP wie die SPD 1930 und 1933 mit den Nazis gemeinsam abstimmte, kocht das Wahlkampfwasser. Das Aufatmen der Parteien der Fußgängerampel darüber, dass der komplette Streit um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler nun voraussichtlich ohne störende inhaltliche Aspekte absolviert werden kann, er war zu hören. Als Caren Miosga die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel vorlud, wurde der Auftritt zur TV-Sternstunde. Unter der Überschrift "Was wollen Sie für ein Deutschland, Frau Weidel" geplant, entspann sich live ein Brennpunkt zum Thema "Sagen Sie doch nochmal etwas zum Holocaust".

Liebevoll und hart

Wer das Tête à Tête der Talkmasterin mit Robert Habeck erlebt hat, sah sich aus der Kuschelecke eine Katzencafés in einen Verhörraum des KGB zirka um 1977 versetzt. "Warum verdrehen Sie die Augen, Frau Weidel?", insistierte Miosga journalistisch hart, als sich die in Teilen als gesichert rechtsextrem beobachtete Parteivorsitzende weigerte, ein klares Bekenntnis zu ihrer Freundschaft mit Adolf Hitler und ihren eigenen Plänen für einen Dritten Weltkrieg gegen den Schuldkult abzulegen. Selbst das, was Tesla-Chef Elon Musk beim AfD-Wahlauftakt gesagt hatte, tat Weidel ab. Der Mann sei zwar Amerikaner, er sei auch Milliardär. Dürfe ja aber trotzdem sagen, was er wolle.

Nicht mehr lange, wenn es nach dem nordrhein-westfälischen CDU-Medienminister Nathanael Liminski geht. Der will künftig "deutliche Einschnitte vornehmen", um die von den Amerikanern eingeschleppte Vorstellung einer "grenzenlosen Freiheit" der Rede auf ein Maß zurückzuschneiden, das dem "grundlegenden europäischen Wert" der "verantwortungsvollen Freiheit" entspricht. Mag das Zensur nennen, wer will. Er wird es in Kürze nur noch in seiner Wohnung sagen dürfen.

Das Volk will es

Das Volk will es, weil es gar nicht weiß, was sich hinter dem "Sofortprogramm" der Union versteckt, das gute Chancen hat, in den Koalitionsverhandlungen nur noch leicht abgemildert oder weiter verschärft zu werden. Robert Habeck hat dem Rechtsruck  drinnen in den Sälen inzwischen Tribut gezollt und einen der üblichen Zehn-Punkte-Pläne vorgelegt, der "Vollstreckungsoffensive" eine Ahnung von Durchgreifen atmet. 

Erstmals plädiert der Grüne dafür, Gesetze nicht nur zu haben, sondern sie häufiger anzuwenden. Künftiger Schwerpunkt der grünen Bemühungen um Sicherheit sind "Islamisten und anderen Extremisten", die AfD wird also auch weiterhin weniger zu lachen haben als im Studio bei Caren Miosga.

Droht den Grünen Widerstand?

Wie lange es angesichts solcher Rechtsanwandlungen dauern wird, bis auch die ehemalige grüne Bürgerrechtspartei in den Fokus der Demonstranten gegen den Rechtsruck rückt, ist nicht abzusehen. Im Fall der CDU dauerte es nur Stunden, bei der SPD aber ist auch nach 35 Jahren kein Protest gegen die Zusammenarbeit mit NSDAP-Mitgliedern zu hören. Bleibt es dann bei ein "paar Besetzungen, ein paar Schmierereien", wie sie die Digital-Aktivistin Lilith Wittmann vorgeschlagen hat? Oder braucht es härtere Maßnahmen, um die Grünen zurück auf Kurs zu zwingen?

Ein Hauch von Weimar weht durchs Land, herbeigesehnt von allen, denen ein gewöhnlicher Wahlkampf zu langweilig und die Auseinandersetzung über Sachfragen zu anstrengend ist. Noch reden die verzankten Ränder miteinander, streng vertraulich. Noch sind alle Koalitionen denkbar, die niemand so recht will. Es muss weitergehen wie bisher, wenn es überhaupt weitergehen soll.

Der Westentaschenheld: Staatsmann im Gilet

Robert Habeck in Weste
Seit einiger Zeit trägt Robert Habeck Weste: Ein modisches Signal des Kanzlerkandidaten, dass er nun als Staatsmann betrachtet werden möchte. Abb: Kümram, Kaltadelradierung

Auf der Wahlkampfbühne rollt er gern die Hemdsärmel auf. In die Küchen der Gefolgschaft stiefelt er im abgetragenen Pullover, einer von uns, die Zuversicht im Gepäck, dass es bald für einen neuen Pulli reichen wird. Selbst in einem Kabinett, das sich wie das rot-grün-gelbe mehr als Gang verstand denn als Regierung, stach der Schauwert Robert Habecks stets heraus.  
 
Mochte auch Christian Lindner versuchen, ohne Binder so cool zu wirken wie der frühere grüne Parteivorsitzende, es gelang ihm nicht. Und noch weniger hatte Olaf Scholz eine Chance, in seinem blauen Anzug, jener Polit-Uniform, die das Bild des modernen Berlin prägt, neben der bestechenden Optik seines grünen Nebenkanzlers zu punkten. 
 

Gemeinsam gegenseitig

 
Sie alle, als sie gemeinsam versuchten, sich gegenseitig ein Bein zu stellen, verstanden sich als eine Art Kriegsregierung, die mit aufgekrempelten Ärmeln, ohne Schlips und mit deutlichen Worten agiert. Gesetze, EU-Vorgaben, Verfassung, all das interessierte die erste Ampel-Regierung in Berlin nur, wenn es ihre Kreise ernsthaft einschränkte. Man gab sich tatkräftig, um nichts tun zu müssen. Man trug den offenen Kragen als Arbeitsanzug, um sich vor der Arbeit zu drücken.
 
Die windige Konstruktion hielt verblüffend lange, ehe sie krachend scheiterte. Aus den Trümmern aber stieg, das wird nach der Hälfte des Wahlkampfes immer deutlicher, nur einer, der verstanden hat, dass die hart arbeitende Mitte dort draußen mehr geboten bekommen will als hemdsärmlige Polit-Handwerker, die für ihre hausgemachten Lösungen passende Probleme suchen und scheitern, sobald die Wirklichkeit sie umzingelt.

Scholz mit Aktentasche

Olaf Scholz, der unbelehrbare Sozialdemokrat, versucht immer noch, sich mit einer Aktentasche, die er unentwegt dabei hat, einen Hauch von Seriosität zu geben, während der demonstrativ offene Hemdkragen Tatendurst symbolisiert. Friedrich Merz dagegen spielt den Sparkassendirektor im maßgeschneiderten Polit-Blaumann, langweilig, aber gerade darum für all die Wähler verführerisch, die der ideologischen Dauergefechte der scheidenden Regierung müde sind.

Robert Habeck versucht den Spagat. Der Mann aus Schleswig-Holstein hat sich von seinen Style-Beratern einen dritten Look neben dem Hemdsärmelhoch-Kostüm und der Pulli-Variante auf den Leib schneidern lassen. Habeck trägt neuerdings Weste, auch bei seiner letzten Besinnungsrede im Bundestag, als er als Trauerredner unsere Demokratie zu Grabe trug.

Was aber ist das? Die Verbürgerlichung der "Bewegung"? Ausweis einer Partei, die sich nach den alten Zeiten sehnt, als alte weiße Männer in Westen das Schicksal der Welt lenkten? Nein, es ist eine Referenz nicht nur an die Werte eben jenes Westens, sondern auch an Joschka Fischer, der seine Wandlung vom Polizistenschläger zum Staatsmann vor knapp 30 Jahren nach außen symbolisierte, indem er sich das bis dahin als Assescoire der Kuponschneider, Konservativen und ausbeuterischen Kapitalisten geltende Gilet überzog.

Kulturelle Aneignung

Ein Akt kultureller Aneignung, der Fischer mehr Achtung einbrachte als sein  "langer Lauf zu mir selbst", mit dem sich auf das halbe Körpergewicht herunterhungerte und trainierte - heute wegweisend für eine Generation an jungen Politikern, die es ebenso leid sind, überernährte, dicke Wohlstandskörper mit sich herumzuschleppen, die Weltklima und Gesundheitswesen über Gebühr belasten. 

Habecks neues Westentaschenformat ist ein Signal in vielerlei Hinsicht. Jung von Matt, die Agentur, die dem grünen Kandidaten mehr Tiefe und neue Persönlichkeitsdimensionen auf den Leib geschneidert hat, sorgte nicht nur für ein Re-Branding, das aus dem kindischen "#TeamRobert" der ersten, euphorischen Tage das seriöse "Team Habeck machte. 
 
Es borgte sich für seinen Mandanten auch die Weste von Joschka Fischer, der sie von Helmut Schmidt übernommen hatte. Solche Unterzieher stehen buchstäblich für Westbindung, auch wenn sie schwarz sind und ein dadurch zwangsläufig immer ein wenig pastorales Flair verbreiten.

Pastorales Flair

 
Das passt zu Robert Habeck, der bekanntermaßen gern predigt. Zudem symbolisiert das Gilet, Habeck trägt es derzeit noch ohne die früher unerlässliche Taschenuhr, die sprichwörtliche "weiße Weste", die Otto von Bismarck allen zugebilligt hatte, die unschuldig waren. Auf wen träfe das mehr zu?
 
Westenträger sind nie irgendwer. Ihnen wird zugetraut, auch den Staat zu tragen, die Last der Herausforderungen und die Verantwortung für die gesamte  Gesellschaft. Robert Habeck trägt darüberhinaus noch unsere Demokratie. Er ist die Kraft, die den Karren zieht, direkt aus dem Dreck, und er schont die Haute Couture nicht, zu der ihn seine Berater vielleicht nicht einmal überreden mussten. Robert Habeck weiß schließlich, was zu ihm passt.

Montag, 3. Februar 2025

Bewegung Habeck: Da ist sie nun doch noch

Robert Habeck die Bewegung
Lange war seine "Bewegung" nur ein trauriger Traum. Mittlerweile aber ist sie auf allen Straßen und Plätzen gegen den Rechtsruck in den Verrat der CDU unterwegs.

Das also ist nun die Bewegung, jener von seinen Feinden als "grüner Mob" denunzierte Anhang des scheidenden Klimawirtschaftsministers, den der grüne Kanzlerkandidat monatelang beschworen hat, ohne ihn außerhalb der sozialen Hassnetzwerke vorweisen zu können. Was auch immer der Chef versuchte, es gelang nicht.

Gleich zum Auftakt der heißen Phase trat er vor eine ARD-Kamera, um ein wenig Sturm ins laue Wahlkampflüftchen zu bringen. Nicht mehr 10 Prozent auf alles, geschenkt vom Staat für jeden, der trotz allem noch in Deutschland investiert. Sondern Versicherungsbeiträge für alle, die trotz bis zu 48 Prozent Steuern auf Kapitalerträge Gewinn mit dem Ersparten machen.

Die Zugriffslogik

Habecks Logik war einfach. Die eigene Klientel hat einerseits entweder wenig gespart oder längst genug, um ein bisschen mehr fürs gute Gewissen abgeben zu können. Die anderen teilen sich in die, die es gern sehen würden, wenn der Staat noch mehr nimmt, um ihnen noch mehr geben zu können. Und die, die gar nicht zuhören, weil sie schon lange nichts mehr glauben.

Die Bewegung, die Habeck mit sich als "Bündniskanzler" gegründet hatte, blieb von außen unsichtbar und drohte, als untauglicher Versuch zu enden. Habecks Werber provozierten mit piratigen Ordnungswidrigkeiten. Die unermüdlichen Internettrolle versuchten vergeblich, ihren Liebling in die Elefantenrunden bei ARD und ZDF zu petitionieren. Habeck saß an Küchentischen und in Talkshows, er feierte grüne Messen draußen im Land, umgeben von eingeschworenen Fans. Er spielte den Erwachsenen unter den Parteiführern. Und wies lieber Donald Trump in die Schranken als Christian Lindner. Einfach eher seine neue Kragenweite.

Und alles schien doch aussichtslos. Selbst die Umfragewerte, die besonders freundlich mit dem Helden aus Heikendorf umgingen, erzählten eine Geschichte von Stagnation  und fehlender Überzeugungskraft. Die "Zuversicht", die Habeck plakatierte, ergriff die Massen nicht. Das plakative "Zusammen", mit dem die 2021 gescheiterte Kandidatenvorgängerin assistierte, war ein Zusammen in der polierten Blase des grünen Elfenbeinturmes.

Auf eine Karte

Erst dem All in des Konkurrenten von der Union verdankt Habecks Bewegung ihre wahre Geburt. Fragte sich zuletzt selbst die grüne Basis, was genau die "Bewegung" sein sollte, der Habeck vorsteht. Auf einmal war es da gewesen, das Wort, auf einmal wurde aus der Gemeinsamkeit ein Unterhaken, wie Scholz es fordert. Gegen die Strömung, gegen den Wind. 

Der grüne Vizekanzler verzichtete recht absichtsvoll auf das "Bürger" das der Teil der Grünen aus der DDR mitbrachte, der längst am liebsten vergessen wird wie ein Cum-ex-Treffen. Welches andere Bündnis aber meint Habeck? Die Militärallianz NATO? Das Bündnis, das in der vormaligen DDR Arbeiter mit Bauern und Intelligenz eingingen, ohne die groß nach Zustimmung zu fragen? Ist gar der mächtige Bund der europäischen Völker gemeint, jener wage durch Verträge aneinandergebundene 27er-Verein, der sich nur schwer bis nie auf irgendetwas einigen kann?

Ohne geheimen Händedruck

Was auch immer es sein sollte, Robert Habeck war sein Gesicht wie Sahra Wagenknecht das des anderen angetretenen bunten Bundes. Im Gegensatz zur Kaderpartei der linken Rechtsauslegerin kann bei Habecks Bündnis jeder mitmachen, alle waren eingeladen : Ostdeutsche, Westdeutsche, Arme und Reiche, Linke und reuige Rechte. Die "Bewegung", aus der Taufe gehoben 85 Jahre nach dem Ende der ersten, die damals von einem fast Gleichaltrigen geführt wurde, kam ohne Erkennungszeichen, geheimen Händedruck und signalhaften Gruß aus. 

Die Farbe und der ruhelos predigende Messias waren der laue Glutkern des Wahlkampfwanderzirkus. Bis das Volk aufstand wie bei Theodor Körner und der Sturm losbrach aus ehrlicher Empörung über den Verrat von freidrich Merz an einer Abmachung, die er selbst vorgeschlagen hatte. Keine Zufalls mherheiten! Keine Wiederholung der gemeinsamen Parlamentsabstimmungen mit Nazis, die die große Historie der deutschen Sozialdemokratie bis heute wie dunkle Flecken beschmutzen.

Hinterm Ofen

Theodor Körner fragte einst "Wer legt noch die Hände feig in den Schoß? Pfui über dich Buben hinter dem Ofen!" Niemand, antwortet Berlin, niemand, antwortet Chemnitz. niemand, schallt es aus Hamburg und Saarbrücken. Die Bewegung, die zu sein Robert Habeck behauptet hatte, da ist sie nun wirklich: Jung und engagiert, leidenschaftlich, voller Liebe und mit Parolen wie "ganz Deutschland hasst die AfD" und "CDU-Verbot jetzt" deutlich machen, dass sie nach nur 82 Jahren wieder zu allem bereit sind.

Farbbeutelwürfe, Bürobesetzungen, Beschimpfungen von bisher ehrbaren Christdemokraten als Faschisten, rohe Eier und "Telefonterror" (Berliner Zeitung) - wie auf Knopfdruck springt der Volkszorn aus der der Kiste und selbst der Philosophengeneral an der Spitze verurteilt "Drohungen und Gewalt" gegen den politischen Gegner. Stellt aber die Verantwortlichkeiten klar: "Dass Friedrich Merz sein Wort gebrochen hat und seine Union mit Rechtsextremisten paktiert, ist ein Bruch in unserer demokratischen Kultur". Die Welle der überschießenden Empörung, die Gewalt und der selbstbewusst spazieren geführte Hass, sie werden zur verdienten Quittung, die die Bewegung nur allzu gern ausstellt.

SPD im Widerstand: So kurz sind 162 Jahre

Die Wahrheit über die Zusammenarbeit der SPD mit Nazis ist bitter, aber in der Partei kaum bekannt.

Nirgend irgendwo werde so oft gelogen wie im Ersten und beim ersten Date, behauptet ein altes deutsches Sprichwort. Aber das ist natürlich geschwindelt. Angeblich in Umlauf gebracht von der ZDF-Spezialredaktion für Multimediale Manipulation, sollte der Spruch am Ruf des öffentlich-rechtlichen Konkurrenten kratzen, um dem Zweiten Vorteile im Wettbewerb um die begehrten Gebührenmilliarden zu verschaffen.  

Auf der Spur einer Lüge

Ein Randaspekt nur, denn wenn um Lügen geht, liefern Wahlkämpfe Ort und Zeit, um fündig zu werden. Wann immer es um die Plätze in einem Parlament geht, wird noch deutlich mehr gelogen als im ersten Programm und bei jedem ersten Date. Wahlkampf heißt Verkürzen, Verbergen und Verstecken. Behauptungen ersetzen Fakten. Fadenschein bekleidet Plakate.

Ein aktuelles Beispiel liefert die in diesen Tagen die SPD, die auf den Rechtsruck im Parlament mit einer Propagandakachel reagiert hat: Keine Zusammenarbeit mit Nazis seit 1863, behauptet der Vorstand der einst größten Arbeiterpartei der Republik da selbstbewusst. Ein Statement, das einem Faktencheck keine Minute standhält. Mit Karl Ahrens, Mitgliedsnummer 9.128.937, saß noch 1990 ein SPD-Genosse im Deutschen Bundestag, der ab 1942 Mitglied in der NSDAP gewesen war.

Hat die deutsche Sozialdemokratie nicht mit dem Mann zusammengearbeitet, der sie immerhin 21 Jahre lang im Hohen Haus vertrat? War sie dagegen, dass er als Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg sozialdemokratische Werte nach Europa trug? Und sich als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion Verdienste erwarb?

Ja, die ersten Jahre war es einfach für die SPD, nicht mit Nazis zusammenzuarbeiten. So lange es keine  Nationalsozialisten gab, konnte niemand sich mit ihnen einlassen. Später wurde es deutlich schwieriger, manchmal mussten selbst im Reichstag Kompromisse gemacht werden. Am 18. Juli 1930 etwa nahm die SPD die Stimmen der NSDAP gern an, um eine Notverordnung von Reichskanzler Heinrich Brüning im Parlament aufheben zu lassen.

Friedensresolution mit Zustimmung der SPD und des Zentrums

Scholz und Meloni Zusammenarbeit mit Nazis
Details stören nur.
Um eine breite Unterstützung dieser Position in Deutschland zu demonstrieren, legte Hitler dem Reichstag noch am 17. Mai 1933 war von "keiner Zusammenarbeit mit Nazis" bei der SPD wenig zu sehen. Hitlers "Friedensresolution" kam knapp zwei Monate nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes gut an bei den nach Verhaftungen und Vertreibungen dezimierten deutschen Sozialdemokraten, die es nicht bei deklamatorischer Zustimmung beließen, sondern nach vollzogenen Akt auch noch aufstanden, um gemeinsam mit den Nazis die Nationalhymne zu singen.

Getilgter Chor

Nach "heftiger Diskussion" immerhin, die allerdings wie der Akt selbst aus den Annalen der SPD getilgt wurde. Vermerkt ist dort nur noch, dass das sozialdemokratische Auslandszentrum "zwischen jenen Abgeordneten und den Kräften in der Partei, die es für ihre Pflicht halten, entschieden gegen A. Hitler zu kämpfen, eine tiefe Kluft" entdeckte

Die SPD pflegt bis heute ein eklektizistisches Erinnerungswesen. "Keine Zusammenarbeit mit Nazis seit 1863" bedeutet etwa, dass Bundeskanzler Olaf Scholz im Herbst vor zwei Jahren stolz eine "engere Kooperation" mit dem von der "Post-Faschistin" (Stern) Giorgia Meloni geführten Italien verkünden konnte. Einer Frau, vor der die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament ausdrücklich warnte.

Die Weste der SPD ist blütenrein, zumindest von innen gesehen. Der Parteivorstand kann sich sicher sein, dass der Versuch, mit polierten Schwindel von 162 Jahren stabiler Haltung auf Stimmenfang zu gehen, nirgendwo auf Widerspruch treffen wird. Karl Ahrens ist lange vergessen. Paul Löbe, der damals an der Spitze der letzten Sozialdemokraten im Reichstag sang, hat ein eigenes Haus in Berlin.

Sonntag, 2. Februar 2025

Der letzte Bonner Präsident: Merkels erster Knall

Heute unvorstellbare Szenen: Näher als Horst ist kein deutscher Bundespräsident lebenden Menschen je wieder gekommen.
 

Nach fünf Wochen erst zog damals eine leise Ahnung durchs Land, warum Bundespräsident Horst Köhler plötzlich und völlig grundlos das Handtuch geworfen hatte. Offiziell war der letzte Amtsinhaber aus dem Milieu der alten Bonner Republik natürlich gegangen, weil er unzulässige Sätze gesprochen  hatte. Köhler selbst spielte die Scharade mit, indem er ging, ohne die Tür zuzuschlagen. Die junge Kanzlerin, sie sollte nicht beschädigt werden. Die Partei, sie sollte nicht leiden müssen.

Anlass für den Abgang

Ein Anlass für den Abgang war schnell gefunden. Deutschland müsse verstehen, so sagte der höchste Repräsentant des Staates an Bord einer Bundeswehrmaschine in Mikrophone gesprochen, "dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren". Freie Handelswege fallen nicht vom Himmel, regionale Instabilitäten müssten auch mal handfest verhindert werden. "Fehlende Sicherheit" schlage "auch auf unsere Chancen zurück, negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen."

Die Medienrepublik war aus dem tiny Häuschen. Wie kann er nur. Das darf er nicht. 

Köhler kam aus einer Generation von Politikern, die noch wusste, wovon sie sprach. Im Februar 1943 im polnischen Skierbieszów als siebtes von acht Kindern geboren, 1944 vor den sowjetischen Truppen nach Markkleeberg bei Leipzig geflohen und später weitergeflüchtet in die Bundesrepublik, wächst Horst Köhler in verschiedenen Flüchtlingslagern auf. 

Ein Leben voller Wendungen

In Ludwigsburg geht er zur Schule, er macht Abitur, leistet seinen Wehrdienst ab und wird Leutnant der Reserve. Köhler studiert, fängt im Bundeswirtschaftsministeriums in Bonn an, wechselt in die Staatskanzlei Schleswig-Holstein und wird 1990 Staatssekretär von Bundesfinanzminister Theo Waigel. Köhler verhandelt mit der DDR-Führung über die deutsch-deutsche Währungsunion, er pokert mit den Russen um den Truppenabzug, ist Chefunterhändler beim Maastricht-Vertrag über die Europäische Währungsunion.

Helmut Kohl schickt ihn als Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung nach London, Gerhard Schröder macht ihn zum Direktor des Internationalen Währungsfonds in Washington. Wie die Morgendämmerung der Ära Merkel wirkt es, dass der 60-Jährige 2004 mit CDU-Parteibuch Bundespräsident einer rot-grün regierten Republik wird. Köhler hat den Job länger als eine Legislatur. 

Mittendrin der Knall

Aber die zweite schafft er nicht. Mittendrin der Knall, mittendrin der Abgang. Sein Vorschlag, "alles das soll diskutiert werden", denn "wir sind auf einem nicht so guten Weg", wäre vielleicht noch erträglich gewesen, obwohl im demokratischen Gespräch natürlich stets ausgewählt werden muss, worüber und mit wem gesprochen werden darf. Doch Köhlers Behauptung "heute sind wir im Roten Meer, um unsere ökonomischen Interessen zu schützen", ging zu weit. Deutschland und Interessen in einem Satz! Die Medienwelt war auf der Palme. Die politische Konkurrenz übte Kritik. Köhler packte und ging.

Offiziell, weil er sich das nicht antun wollte. Inoffiziell aber, diese wahre Geschichte des Rücktritts des letzten Präsidenten mit Bonner Stallgeruch wird bis heute ungern erzählt, weil Horst Köhler sich geweigert hatte, das Gesetz zur Installation des "Rettungsschirmes" zu unterschreiben. Es unter großem Druck dann doch getan hatte. Und nach der Veröffentlichung einer Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) wusste, dass er recht gehabt hatte: Der unter Mitwirkung der Bundesregierung von der Europäischen Union beschlossene "Euro-Rettungsschirm" verstieß grob gegen das deutsche Grundgesetz und EU-Vorschriften.

Gewissensbisse im Amt

Die Öffentlichkeit sei, so hieß es in dem Gutachten, "über die Ausgestaltung des Euro-Rettungsschirms in einigen Punkten getäuscht". So sei der "Europäische Finanzierungsmechanismus", der regelt, dass reichere Länder die Schulden der armen abtragen, nicht auf drei Jahre begrenzt, sondern "zeitlich  unbefristet installiert". Auch die Genehmigung für die EU-Kommission, selbst Schulden zu machen, um Kredite an notleidende Euro-Staaten geben zu können, habe keine Rechtsgrundlage. Einen Bruch von EU-Recht stelle der Rettungsschirm auch deshalb dar, weil das Europäische Parlament dem Beschluss hätte zustimmen müssen, was aber versäumt wurde.

Horst Köhler, ein Beamter alter Schule, gab sich die Schuld daran, dass eine Verordnung geltendes Recht geworden war, die "nicht die vom EU-Recht gestellten formellen Voraussetzungen", erfüllte, wie die "Welt" seinerzeit aus dem Papier zitierte. 

Horst Köhler, der sich aus verfassungsrechtlichen Bedenken bereits einmal geweigert hatte, ein Gesetz zu unterschreiben, hatte sich dem Druck von Kanzlerin und Partei gebeugt. Doch sein Gewissen schlug ihm umso lauter: Eine Woche nach seiner Entscheidung, das Rettungspaket war bekanntgemacht worden, hatte die Märkte aber keineswegs beruhigt und neue Rettungspläne lagen schon in der Luft, entschloss sich der Bundespräsident, zurückzutreten.

Remonstration auf höchster Ebene

Eine Remonstration auf höchster Ebene, wie es sie noch nie zuvor gegeben hatte. Und nie wieder geben wird. Denn was nach Köhler an Hausherren ins Schloss Bellevue einzog, brachte alles mit, was der letzte Bonner Präsident nicht hatte. 

Der windige Wulff hatte ein Bobby-Car und Schulden und ein paar auf flott gefönte Sprüche im Gepäck. Gauck, der ostdeutsche Pfarrer, wurde nach dem schnellen Ende der Ära des Baulöwen aus Niedersachsen als langweiliger Mahner besetzt, dem immer ein pastoraler Spruch einfiel, um irgendeine Spaltung oder vergessene Erinnerung zu betrauern. Schließlich Steinmeier, als Kanzlerkandidat gescheitert, als Verfassungsbrecher verurteilt, als Bundespräsident aber Vorbote des großen sozialdemokratischen Zeitalters, das eines Tages kommen wird.

Horst Köhler wird es nicht mehr miterleben. Der letzte Bundespräsident, der es noch gewagt hatte, auf Straßen und Plätzen ganz normalen lebendigen Menschen entgegenzutreten, starb gestern nach, wie es heißt, kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 81 Jahren.

Dass sein Plädoyer für eine interessengeleitete Politik, für das Militär aus Fortsetzung der inneren Sicherheit im Ausland und Kriegseinsätze im Roten Meer im Dienst von Deutschlands Wirtschaftsbilanz vom hysterisch bekämpften Verrat an allen Werten der Wehrlosigkeit zur Staatsräson bis hinaus auf den linken Flügel der Grünen wurde, wird Köhler indes amüsiert zur Kenntnis genommen haben.

Die Macht der Straße: Bodentruppen an der Brandmauer

Demos gegen rechts mit Handylampen
Aller paar Monate ein Aufstand des Gewissens. Diesmal gehen es um die Verteidigung der Brandmauer.

Erst Melonie, dann die Niederlande, Frankreich wackelt, Belgien fiel und der Einzug von Donald Trump erschien manchem schon wie die Morgendämmerung eines neuen Zeitalters. Würde es zu einer globalen Abkehr von den politischen Prämissen der vergangenen 20 Jahre kommen? Würde der Erziehungsstaat zurückgebaut? Die Klimaplanwirtschaft beendet? Die Vielfalt als Einheitsbrei für alle von der Karte gestrichen? Und wann in Deutschland?  

Fanal im Bundestag

Der Mittwoch im Bundestag wirkte wie ein Fanal für andere Zeiten, die auch im Lande des Moralweltmeisters Einzug halten. Wie schon häufiger hatte eine ganz große Koalition aus CDU, CSU, FDP, Linken und AfD einem Antrag zugestimmt, der grundlegende Änderungen mit einer zentralen Gegenwartsfrage anregt. Chancen auf Umsetzung gab es keine, aber die Chance, aus dem symbolischen Wechsel der Stimmenmehrheit im Parlament einen Glaubenskampf zu machen, bei dem es um die Existenz von Demokratie, Frieden, Völkerfreundschaft und Zukunft geht, die konnte sich die bisherige Parlamentsmehrheit nicht entgehen lassen.

"Auf die Barrikaden", rief es aus dem Hohen Haus, und nun zeigte sich, über welche Kräfte SPD, Grüne und Linkspartei außerhalb der hohen Hallen gebieten. Tausende und Zehntausende fanden sich ein, um mit Handytaschenlampen, Pappschildern und mit der Besetzung von Büroräumen der nun als "offen rechts" einsortierten CDU ein neue Drittes Reich zu verhindern, samt nächstem Holocaust, staatlicher Vorschriften, "was man zu denken und zu fühlen hat" (Annalena Baerbock), und der Unterwerfung vor Russland, über die Experten wie Rolf Mützenich (SPD) alles wissen.

Verlorener Gewinner

Friedrich Merz hatte die Bundestagswahl schon gewonnen. Natürlich, sein Wahlkampf begeisterte niemanden, seine Versprechen glaubte keiner und echte Sympathien flogen dem knorrigen Halbkonservativen aus keiner gesellschaftliochen Gruppe zu. Merz wusste, er würde gewählt werden, weil alle anderen noch weniger zu bieten haben. 
 
Doch er wollte wohl mehr. Angespornt vom Beispiel des Donald Trump, der sich im Wahlkampf die Beinfreiheit verschaffte, im Amt wirklich durchregieren zu können, ließ sich Merz auf einen echten Kampf ein, als er noch im alten Parlament, vom Wähler zusammengestellt auf dem Höhepunkt der Thunberg-Euphorie, der Klimabegeisterung und der von SPD und Grünen Anfang der 2000er Jahre zementierten Energeiabhängigkeit von Russland, die Machtfrage stellte.

Das Glück kaum fassen

Merz gewann, und Merz verlor. Im Team Habeck und bei der Leitung der Kampagne Scholz aber konnten sie ihr Glück kaum fassen. Unverhofft hatte  Friedrich Merz den beiden Fußgängerampel-Parteien die last von den Schultern genommen, einen Wahlkampf mit Vorschlägen, Plänen und den üblichen haltlosen Versprechen zu führen. 
 
Olaf Scholz war schlagartig die Ukraine-Debatte los, seine Haushaltslöcher von der Zeit 26 Milliarden schrumpften zur Strumpfmasche im Demokratenzwirn. Noch lauter atmete Robert Habeck auf, dem die leidige Debatte um noch höhere Abgaben für die hart sparende Mitte die ganze mühsam aufgebaute Philosophenpropaganda zu zerstören gedroht hatte. Selbst die Linke, im Wahlkampf auf Abschiedstour nach 35 Jahren Parlamentarismus, witterte wieder Morgenluft. Wenn Nazis marschieren, dann hat immer auch Rotfront Konjunktur.

Ansatzlos im Angriffsmodus

Ansatzlos gingen die Linksparteien in den Angriffsmodus. Den Holocaust als Schild, den Hitlerpopanz als Schwert, riefen sie ihr Gefolgschaft auf die Straßen. Die üblichen Promis reihten sich ein, Angela Merkel mobilisierte ihre Getreuen. In den Elfenbeintürmen der Leitmedien von ARD bis "Zeit" griff zu den Wortwaffen, wer noch irgendein Schreibmaschinengewehr bedienen konnte: Alles auf die Straße. Rot ist der Mai. 
 
Friedrich Merz war ein wohl einmaliges Kunststück gelingen. Mit zwei Bundestagsabstimmungen hatte der 69-Jährige den bis dahin katatonisch auf die Hinrichtung am Wahltag wartenden Parteien links der Mitte neues Leben eingehaucht. Alles was Beine hat und Sympathien für Links, SPD oder Grüne, malte Pappen, lud das Handy durch und marschierte gegen alles außerhalb der eigenen Blase. 

Ausweitung der Kampfzone

Nicht mehr nur die AfD war jetzt der Feind, sondern CDU, CSU und FDP genauso. Binnen Stunden war es den Parteizentralen von Grünen und SPD gelungen, aus Friedrich Merz den neuen Hindenburg zu machen, ein Bild, das auch historisch so schräg ist, dass nur Annalena Baerbock es als "nachhallend" bezeichnen würde. 
 
Kein Vergleich ist groß genug, um die erste Woche seit Jahren, in der im Bundestag mit offenem Visier gestritten und mit Leidenschaft argumentiert wurde, zur Abgrundfahrt, zur Katastrophe und zum Anfang des Endes der deutschen Zivilisation zu erklären. Die simple und rein symbolische Bundestagsabstimmung wurde zum "Tabubruch"  umgedeutet. 

Frei von der Mehrheit

Merzens Versuch, sich freizumachen von der Macht der einer linken Minderheit, die durch die hohen Stimmanteile der AfD den Ausschlag über jede Mehrheit im Parlament gibt, endete im gemeinsamen Aufstand aller linken Parteien gegen die Bedrohung ihrer Schlüsselstellung. Dort, wo links sich zur Mitte erklärt hat, istallen die Bedeutung dieser Schlacht nur zu klar: Steht am Ende ein Sieg und der demokratische Teil der Nicht-Linken beugt das Knie, wird die Union für alle Zeiten nur noch Gesetze in den Bundestag einbringen dürfen, die zuvor die Billigung von SPD und Grünen gefunden haben.
 
Welche Macht die Linke außerhalb der Parlamente aufgebaut hat, um in diesem Krieg um die Zukunft erfolgreich zu sein, zeigten die vergangenen Tage. Wie auf Knopfdruck gelang es ihr, Millionen Menschen zu beunruhigen, ihnen Angst vor einem neuen Faschismus zu machen und aus der ersten emotionalen Aufwallung Profit zu schlagen. Die Bilder von jungen Leuten, die sich im Jahr 1932 wähnen und nun glauben, mit ihren Taschenlampen mutig wie die "Weiße Rose" zu sein, gingen durch die Republik. 

Medialer Konsens

Binnen Stunden war medial der Konsens hergestellt, dass nicht etwa die miserable Regierungspolitik der vergangenen Jahre verantwortlich dafür ist, dass eine rechtspopulistische Partei ihren Stimmanteil verdoppeln wird. Sondern die Grenzüberschreitung des Unionskandidaten, der den blauen Braunen den roten Teppich ausrollte.
 
Beeindruckend sind sowohl Geschwindigkeit als auch Wucht, die die Kampagne entfaltet hat. Zahllose Vorfeldorganisationen, zumindest teilweise direkt von der Regierung finanziert, erfahrene digitale Einpeitscher, eng vernetzte und bereitwillige Gefolgsleute und die aus der letzten Kampagne vor einem Jahr bekannte freundliche Flankierung durch die Medien schafften es, aus Demonstrationen, die wegen mangelnder Größe früher gern als allenfalls regional bedeutsam aussortiert wurden, eine Volksbewegung zu zaubern. 
 
Als Antifaschismus verkleidet, wendet die sich gegen die Art traditioneller Demokratie, in der vor jeder Entscheidung Alternativen diskutiert wurden, ehe eine Mehrheit entscheid, welche es sein soll.

Unsere Demokratie

Mit Angela Merkel, deren Erklärung ihrer eigenen politischen Entscheidungen als "alternativlos" 2010 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Unwort des Jahres gekürt worden war, hatte sich diese Art der Volksherrschaft in die neue "unsere Demokratie" verwandelt - eine Spielart, in der nicht mehr das Volk sich Politiker als Dienstleister halten, sondern Politiker bestimmen, was das Volk als  Demokratie zu begreifen hat. 
 
Die Demokratie als Staatsform, die ohne Alternativen verdorrt, hatte damit ausgespielt. Wie Autokraten und Diktatoren regierte Angela Merkel in der Corona-Zeit mit Hilfe verfassungsrechtlich nicht vorgesehener Kungelrunden durch. Ihr Nachfolger Scholz zeigte sich als gelehriger Schüler. Auch er beschränkte sich auf den Versuch, den immer offenkundiger werdenden Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung auszuzsitzen.

Er ist ein Nazi

Das "Haltet den Dieb, er ist ein Nazi", das jetzt aus allen Gazetten springt und aus sämtlichen Sendern dröhnt, ist alternativlos als Möglichkeit, an der Wahlurne vielleicht doch nicht für die Misere verantwortlich gemacht zu werden, für die man eigentlich den Kopf hinhalten müsste. Mag die Wirtschaft zusammenbrechen, mögen die Arbeitslosenzahlen steigen, der Wohlstand sinken, die Zukunftsaussichten immer düsterer werden - wer einen hübschen Hitler an die Wand malen kann, darf immer darauf hoffen, dass der als größere Bedrohung angesehen wird. 
 
Zugleich muss man auch über nichts mehr mit niemandem debattieren. So lange die demokratischen Mitbewerber sich nicht entschuldigt und Einsicht wie Besserung gelobt haben, wird die eigene  Realitätsverweigerung wie Prinzipienfestigkeit erscheinen. Die Brandmauer, gebaut aus purer Verzweiflung über den galoppierenden Verlust der Deutungshoheit, wird zur tragenden Wand des Parteienstaates erklärt. Der wiederum, so heißt es, dürfe niemals und nicht in keinem einzigen Punkt je verändert werden. Ja, schon der Versuch sei strafbar.

In der Nationalen Front

Die Nationale Front marschiert. Die Brandmauer ist ihr neuer antifaschistischer Schutzwall. Das Knacken der Flammen dahinter, die Temperatur, die immer weiter steigt, so lange eine immer größere gesellschaftlich Gruppe aus jeder Beteiligung an demokratischen Entscheidungen ausgeschlossen wird, sie beunruhigen aber nicht etwa. 
 
Nein, die letzten Tage zeigen, dass das von Angela Merkel entzündete Feuer, das Scholz, Habeck und Lindner, aber auch Merz und von der Leyen gefüttert und genährt haben, sich nützlich macht im Kampf gegen den eigenen Untergang. Man hat versagt. Aber wer würde davon noch reden, wenn die nächste Machtergreifung der Faschisten droht? Man hat seine Chance verspielt, das Land auf Vordermann zu bringen. Aber stört das noch, wenn man jetzt anbietet, es vor dem Untergang im braunen Sumpf zu retten?

Danke, Friedrich

SPD, Grüne und Linkspartei haben Friedrich Merz viel zu verdanken. Nach drei Jahren, in denen die beiden linken Regierungsparteien es gemeinsam mit der FDP geschafft haben, Deutschland in die längste Rezession aller Zeiten zu manövrieren und schneller mehr Wohlstand abzubauen als jede Regierung vor ihnen, bestimmen sie allein die Debatte darüber, was wichtig ist und was nicht, welche Lösungen infrage kämen und welches Problem überhaupt eins ist. 
 
Dass sie es waren, inklusive der Union, die sich über Jahrzehnte als zunehmend unfähig erwiesen, den Wählerinnen und Wählern den Wunsch nach Freiheit, Wohlstand und einem funktionierenden Staatswesen zu erfüllen, erscheint als lässliche Sünde, wenn es ihnen jetzt gelingt, den Fachismus zu verhindern.

Samstag, 1. Februar 2025

Zitate zur Zeit: Der, der ich bin

Friedrich Merz unter vom Gas
Die Wahlkampagne des Favoriten ist unversehends in Unordnung geraten.

"Wenn die Wähler mich nicht als den wollen, der ich bin..."

"Die Wähler, die Wähler", erwiderte Eddy finster. "Die sind faul. Sie wollen, dass ihnen jemand sagt, wen sie wählen sollen. Man muss es ihnen in ihre schwachen Gehirne eintrichtern, damit sie nicht selbst entscheiden müssen."
 
Sandra Brown, "Trügerischer Spiegel", 1993

Sieg der Demokraten über die Demokratie

In der rechten Ecke: Unionskandidat Friedrich Merz hat nur wegen einer Sachfrage die Brandmauer beschädigt.

Der giftige Rauch aus dem Feuer an der Brandmauer zog schon in die Lungen der Gesellschaft. Annalena Baerbock konnte ihn riechen, denn "diese Bilder hallen nach", wie sie sagte. Es waren plötzlich wieder "Brunnenvergifter" unterwegs. Rolf Mützenich hatte sie selbst gesehen, wie er im Bundestag gestand, nur 72 Stunden nach der Gedenkstunde zum Jahrestag der Auschwitz-Befreiung. Erstmals seit 1990, als mit dem SPD-Abgeordneten Karl Ahrends das letzte frühere NSDAP-Mitglied den Deutschen Bundestag verließ, drohte wieder ein Gesetz mit den Stimmen Rechtsextremer beschlossen zu werden. 

Keine Zustrombegrenzung

Am Mittwoch noch hatte die Merz-Mehrheit für das im Gedenken an Angela Merkel auf den Namen "Zustrombegrenzungsgesetz" getaufte Gesetzeswerk gestanden. Merz schien auf dem besten Weg, den festen Bund mit der linken Mehrheit im Bundestag aufzukündigen. Alles Barmen und Betteln der möglichen künftigen Koalitionäre vermochten den Spätberufenen nicht zu erweichen. Er gehe diesen Weg, sagte Merz, ganz egal, wer ihm folge.

Die eigenen Leute waren es dann nicht, auch die um das Wohlwollen des CDU-Vorsitzenden buhlenden ehemaligen Liberalen fielen in der Stunde der Entscheidung zu Dutzenden ab. Merz, der sich angesichts zusehends trauriger werdenden Umfragewerte recht spontan entschlossen hatte, den seit Wochen auf Autopilot laufenden Schlafwagenwahlkampf mit einem Vabanque-Zug auf Neustart zu stellen, hatte als Tiger zu einem Trump-Sprung angesetzt. Sich nach dem ersten Etappensieg für seinen Erfolg entschuldigt. Und im Endspiel setzte er sich selbst Schachmatt.

Triumph der Demokratie

Zwölf Christdemokraten wandten sich ab und hörten lieber auf die Mahnungen der Kanzlerin im Ruhestand. Bei der FDP fiel gleich ein Drittel der Fraktion aus, krankheitsbedingt, schuldbeladen, aus Reue darüber, dass sie in einer Schicksalsstunde Sachfragen höher gewichtet hatten als die Frage, wer wo stehen muss

Das Ergebnis der Abstimmung wurde zum Triumph für unsere Demokratie, diese spezielle Spielart der Volksherrschaft, die sich durch eine klare Kategorisierung der Abgeordneten auszeichnet: Viele sind demokratisch. Andere auch gewählt. Aber wegen falscher Überzeugungen, falscher Ziele und einer teilweise nachgewiesenermaßen gesichert rechtsextremen Ausrichtung mit Hilfe einer Brandmauer dauerhaft auszugrenzen.

Merzens Manöver hätte aufgehen können. Allerdings hätte der Kanzlerkandidat der Union es gar nicht riskieren müssen. Uneinholbar lag er noch vor wenigen Tagen auf Platz eins Starterfeldes aus Spitzenkandidaten, die allesamt vermutlich niemand wählen würde, träte auch nur ein Politiker von Format an. Aber nirgendwo ist ein Adenauer oder Ehrhardt, Baum oder Brandt zu sehen, kein Schmidt, kein Strauß, kein Kohl und kein Genscher. Nicht einmal ein Gerhard Schröder bietet sich an, auch kein Joschka Fischer, Thomas Dehler, Manfred Kanther, Wolfgang Schäuble oder Klaus Kinkel.

Unnützes Risiko

Neben all den anderen Angetretenen war Merz die Wahl zum Kanzler eigentlich nicht mehr zu nehmen. Er hätte es sich nach dem 23. Februar nur noch aussuchen müssen, ob er wie immer mit der SPD oder zur Abwechslung mal mit den Grünen regieren will. Vier Jahre hätte das zweifellos noch funktioniert. Hier ein Kompromisschen, dort ein Versprechen. Eine Freibetragsgrenze da hoch, dafür eine Steuer dort. Die Schuldenbremse wäre geblieben, nur ohne Bremsscheiben. Die Bundeswehr hätte er leicht mit dem Bleistift kriegstüchtig bekommen können: Mit 200 neuen Fregatten aus der Reihe 126 würden sich 160 Milliarden Euro im Handumdrehen verpulvern lassen, um den deutschen Nato-Beitrag auf fünf Prozent des BIP zu treiben. 

Aber Friedrich Merz will nicht. Der Verdacht, dass der ehrgeizige Christdemokrat in Wahrheit zwar ein großes Interesse daran hat, es seiner Vorgängerin im Amt des Parteichefs noch mal richtig zu zeigen, aber ein sehr viel weniger großes, ihr im Kanzleramt nachzufolgen, wurde schon früh geäußert. Zu auffällig erschien es, dass Merz seine Strategie immer dann abrupt änderte, wenn sie Erfolg zu haben drohte. Mit seinem Angriff auf die Brandmauer, ausgeführt ohne vorherige demoskopische Analyse, setzte er dieser Taktik die Krone auf: Olaf Scholz und Robert Habeck, wegen ihrer Leistungsbilanz bis dahin ohne jede Chance, ihren Herausforderer inhaltlich zu stellen, sahen sich unverhofft zurück ins Rennen der Lahmenden, Angeschlagenen und Aussortierten geworfen.

Der Eimer Wasser steht

Der Mann, der gegen die erfolgloseste, übergriffigste und unbeliebteste Bundesregierung aller Zeiten antreten durfte, hat es nicht geschafft, den Eimer Wasser umzustoßen. Denn Friedrich Merz traf unglücklicherweise ausgerechnet auf den einen Menschen im ganzen Land, der seine Kanzlerschaft noch verhindern konnte: Friedrich Merz. 

Den Wirtschaftswahlkampf, den er hatte führen wollen und den er hätte führen können, haben ihm nicht die SPD und die Grünen kaputtgemacht, er erledigte das selbst. Auch das Trump'sche "jetzt alles auf Anfang", auf das zumindest Teile der Bevölkerung sehnsüchtig warten, hat Friedrich Merz selbst beiseite gewischt. Und dann hat die Migrationskarte nicht einmal gestochen.

Die Demokraten siegten, ein bisschen auch über die Demokratie. Der Sauerländer, dem die Kanzlerschaft gerade noch nicht mehr zu nehmen war, steht blamiert da. Die FDP, die vielleicht noch eine Chance gehabt hätte, irgendwie doch wieder in den Bundestag zu rutschen, hat sich als Partei gezeigt, die ihrem Chef noch weniger zu folgen bereit ist als die Unionsfraktion dem gemeinsamen Kandidaten. Die Mehrheit von 2021, zerfleddert, durch Neu- und Umgruppierungen zerrissen und zu großen Teilen vor dem Abschied aus dem parlamentarischen Leben, hat den status quo noch einmal betonieren können.

Klappt alles, wie es nicht klappen soll, wird Friedrich Merz nach der Wahl nicht mehr aussuchen müssen, ob er mit Rot oder Grün regiert. Er wird für eine Mehrheit beide brauchen.