In Berlin stehen noch Teile der früheren Brandmauer, die beim Neubau als Modell dienen können. |
Der Angriff der Konservativen in der CDU auf die erfolgreiche Migrationspolitik der vergangenen zehn Jahre hat erneut eine Debatte über die Brandmauer entfacht. CDU, CSU, FDP, AfD und BSW wollen eine Reform, Grüne, Linkspartei und SPD stellen sich diesem Wunsch entgegen. Fakt ist, dass die bisherige Brandmauer die AfD zur stärksten Kraft in den ostdeutschen Bundesländern gemacht hat. Und in den westdeutschen, die deutlich nachhaltiger demokratisiert sind, wächst die Gefahr, dass auch hier ganze Landstriche kippen.
Höchste Zeit für Sicherheit
Höchste Zeit für Politik und Gesellschaft, die Demokratie zu stärken - doch der Weg kann nicht dorthin führen, wo Friedrich Merz hinwill, sagt Demokratie-Aktivist Hans Henningsen. Der 43-Jährige hat vor Jahren im Rahmen des Anti-Propaganda-Aktionsplans der EU als Cyber-Aktivist unter falscher Identität mitten in einer Trollarmee von Demokratiefeinden gearbeitet. Er weiß, dass sich hinter scheinbar harmlosen Wortmeldungen gerade aus dem Angriffe oft perfide Angriffe auf das Herz der grundgesetzlich verfassten Gesellschaft verbergen.
Statt wie von Union und FDP gefordert, bereit zu Kompromissen mit den Feinden der Grundwerte zu sein, setzt sich Henningsen für eine große Lösung ein: Die Brandmauer soll im Grundgesetz verankert werden. Vorbild für den Plan, hinter dem neben Henningsen bürgerschaftlich engagiertem Verein "Alle für uns" (Afü) eine ganze Reihe bekannter Persönlichkeiten aus Funk und Fernsehen, der Wissenschaft und der Politik stehen, ist die Schuldenbremse.
Zuverlässiger Schutz
Die war vor 16 Jahren mit einer Zweidrittelmehrheit von SPD und Union im Bundestag beschlossen worden und hält seitdem allen Angriffen stand. Artikel 115 GG verhindert zuverlässig, dass Bundesregierungen künftigen Generationen noch tiefer in die Tasche greifen. Mit der Schuldenbremse wird eine strukturelle, also von der Konjunktur unabhängige, staatliche Neuverschuldung begrenzt.
Brauchen Politiker mehr Geld als sie haben, müssen sie seitdem aufwendige Umwege gehen, Notlagen erfinden und Schattenhaushalte gründen, die aktuell als "Sondervermögen" bezeichnet werden. Nicht alles könne so verhindert werden, sagt Hans Henningsen. "Aber wir sehen, wie schwer sich die Ampel-Regierung getan hat, ohne direkte Verletzung der Schuldenbremse genug Geld für ihre Visionen aus künftigen Schuldner herauszupressen."
Genauso soll es nach dem Willen der Aktivsten künftig auch beim Umgang mit der Brandmauer laufen. Die war bisher eine informelle Vereinbarung zwischen Medien, Talkshowgerichten und den Parteien des demokratischen Blocks, die weitgehend beachtet wurde. Zuletzt aber hatte zunehmende Angriffe von Rechtsaußen die Sorge befeuert, dass es zum Äußersten kommen könne. Dann würden die Parteien, die glauben, eine eher rechts stehende gesellschaftliche Mehrheit zu vertreten, ungeachtet aller erlassenen Kooperationsverbote, die bisher mit großem Aufwand umgangen werden mussten.
Noch keine Mehrheit
Die Argumente, mit denen sie verteidigt werden konnten, waren zuletzt aber deutlich schwächer geworden: So hatte Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und für 2029 als Kanzlerkandidat der Union gesetzt, als Gast der Talkshow "Caren Miosga" deutlich gewarnt.
Derzeit bekomme seine Partei im Bundestag keine Mehrheit mit der in Teilen als nachgewiesen rechtsextrem geltenden AfD zusammen, so dass sich die Frage nicht stelle, ob beide Parteien gemeinsam abstimmen, sagte der als traditioneller Merkelianer geltende Vertreter des linken CDU-Flügels bewusst doppeldeutig. Was wäre, wenn die Mehrheit stünde, wurde er nicht gefragt.
"Ein klarer Fingerzeig darauf, dass die Sache anders aussähe, hätten beide zusammen die Mehrheit", warnt Hans Henningsen, der gerade dem aus seiner Sicht nach Macht gierenden Friedrich Merz zutraut, "alles zu tun, um Kanzler zu werden". Um das zu verhindern, müsse die Brandmauer institutionalisiert und durch eine Aufnahme ins Grundgesetz geschützt werden. Wie das geht, hatte die große Koalition der demokratischen Parteien im Dezember vorgemacht: Die kaum bekannten undurchsichtigen Regeln, nach denen Verfassungsrichter abwechselnd von bestimmten Parteien ernannt werden, wurden im Grundgesetz festgeschrieben, um möglicherweise schon demnächst aufkommende Ansprüche anderer Parteien abzuwehren.
Verfassungsrang für die Mauer
Der Weg einer solchen Grundgesetzänderung zur Aufnahme der Brandmauer in die Verfassung steht offen. Henningsen sieht in der Verankerung des auch als "antifaschistischer Schutzwall" bezeichneten Bauwerks eine Möglichkeit, die in der aktuellen deutschen Debatte darüber, wer wo steht, wo stehen darf und was an Gesetzesvorschlägen noch in den Bundestag eingebracht werden kann, ohne den Rechtsstaat nach rechts zu verschieben, viel zu wenig diskutiert werde.
"Eine solche Verankerung würde sicherstellen, dass demokratische Parteien nicht nur durch informelle Vereinbarungen oder einfachgesetzliche Regelungen an ein Kooperationsverbot über die Mauer hinweg gebunden wären, sondern durch die höchste Rechtsnorm unserer Demokratie, das Grundgesetz."
Bürgerrinnen und Bürger, aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen hätten dann bei Verstößen das Recht, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf ihr Grundrecht auf Sicherheit und Schutz des Lebens zu klagen. "Durch die Verankerung der Brandmauer im Grundgesetz würde der Staat im Grunde verpflichtet, diese Rechte durch präventive Maßnahmen zu schützen", glaubt Henningsen.
Um eine Übertretung der Brandmauer, deren Unterminierung oder Umgehung zu verhindern, seien die Verfassungsorgane gefordert, proaktiv zu reagieren. "Das würde eine klare Botschaft senden, dass die Sicherheit der Bürger:innen und deren Anspruch auf eine Gesellschaft, die so bleibt, wie sie ist, eine verfassungsrechtliche Priorität ist."
Die Länder sind gefordert
Der Umbau der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit wäre aus Sicht der Initiatoren, die eine entsprechende Petition vorbereiten, mit einer Grundgesetzänderung noch nicht vollendet. "Wir brauchen eine Harmonisierung der Brandmauervorschriften auch in den Ländern, denn Deutschland ist durch seine föderale Struktur auf der unteren Ebene weiter angreifbar, wenn es unterschiedliche Vorgaben zu Verboten der Kooperation über die Brandmauer hinweg für einzelne Bundesländern gibt."
Hans Henningsen bringt Beispiele dafür, so etwa die Zusammenarbeit der Union in Thüringen und Sachsen mit der linken Abspaltung BSW, ebenso die gleichartige Kooperation der SPD in Brandenburg. Ohne einheitliche Standards für Brandmachern gehe es nicht. "Sie würden bundesweit nicht nur die Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger erhöhen, sondern auch die Komplexität reduzieren, die bisher erlaubt, Annäherungen an den antifaschistischen Schutzwall mit semantischen Tricks als zulässig zu erklären."
Brückelnde Mauer
Gerade wegen der Vielzahl von lokalen Vorschriften in ganz Europa bröckele die Mauer. Ungarn halte seinen Grenzen seit Jahren geschlossen, die Niederlande seien wie Italien nach rechts gekippt, dennoch halte die Bundesregierung der Rest-Ampel weiterhin an einer Zusammenarbeit mit den populistischen und zum Teil neofaschistischen Regierungen der früheren Wertepartner fest. "Wir sind konfrontiert mit einer Wirklichkeit, die langfristige Planungssicherheit nicht mehr erlaubt."
Durch die Verankerung der Brandmauer als letzter Verteidigungslinie unserer Demokratie im Grundgesetz würde die Verpflichtung zu keinerlei jedweder wie auch immer gearteter Zusammenarbeit mit politischen Kräften vond er anderen Seite lange Sicht sichergestellt. "Gesetze können geändert werden, aber Änderungen am Grundgesetz sind aufwendiger und erfordern eine breitere Zustimmung", erklärt Hans Henningsen. Das könne helfen, politische Brandschutzmaßnahmen nicht Opfer von populistischen Wahlkampfinteressen werden zu lassen. "Eine Verfassungsverankerung, wie wir sie uns wünschen, würde das Bewusstsein für den Brandschutz in der Bevölkerung stärken, weil sie die Parteien zwänge, ihre Politik grundsätzlich am Brandmauergedanken auszurichten."
Mitregierungsverbot
Deutschland würde endlich werden, was es schon immer sein wollte: Eine Demokratie, die auf der Basis des Grundgesetzes in der Lage ist, abweichende und irrige Auffassungen ohne das scharfe Schwert des Parteiverbotes zu moderieren. Parteien, die sich jenseits der Brandmauer aufhalten wollen, müssten nicht verboten werdem, für sich gülte jedoch Mitregierungsverbot, das sich auch auf informelle Koalitionen wie seinerzeit das "Magdeburger Modell" erstreckte. Mit dieser Variante der Hinterzimmerduldung hatte die SPD Ende der 90er Jahre die ersten Schritte getan, um die damalige PDS hoffähig zu machen.
Heute steht die Partei zwar vor dem parlamentarischen Aus, doch ob Deutschland in seinem derzeitigen angeschlagenen Zustand ein Vierteljahrhundert mitregierender Rechtspopulisten überstehen würde, erscheint dem Aktivisten fraglich. "Umso wichtiger ist es, über einen Brandmauer-Artikel im Grundgesetz schnell zu einer kulturellen Veränderung zu kommen, indem klargemacht wird, dass Prävention und Sicherheit höher im Bewusstsein der Menschen stehen als Zufallsmehrheiten, die sich aus rein inhaltlichen Überschneidungen bilden."
Wieder ein globales Vorbild
Für das Bild Deutschland in der Welt sieht Henningsen nur Vorteile. "Europarecht und internationale Verträge dürften wie bisher nur gebrochen werden, wenn Parteien diesseits der Brandmauer beschließen, sie zu missachten." Seiner globalen Vorbildfunktion Deutschland beim Einhalten zumindest bestimmter Standards, wenn es gerade passt, würde Deutschland damit endlich wieder gerecht werden. "Das wäre dann verfassungsrechtlich geschützt, wer die Axt an diese Regelung legen wollte, bräuchte eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag."
Selbst gesetzt den Fall, dass eine Vielfaltskoalition unbekannter Farbgebung es nach dem 23. Februar schafft, noch einmal vier Jahre weiterzuregieren wie bisher, sieht Hans Henningsen keine unmittelnare Gefahr, dass sich nach 2029 schlagartig etwas ändert. "Auch wenn die Gegner und Feinde unserer Demokratie dann noch weiter erstarkt sind, steht die Brandmauer im Grundgesetz - sie hat einen Schutz auf allerhöchstem rechtlichem Niveau und könnte selbst von einer rechtspopulistischen Mehrheit nicht so einfach ausgehebelt werden."
Langfristige Prävention
Den damit verbundenen Gedanken einer langfristigen Prävention vor der Versuchung, den im Augenblick noch leicht möglichen breiten gesamtgesellschaftlichen Konsens nicht zu nutzen, stellt Hans Henningsen warnend in den Raum. "Schon in vier Wochen könnte uns die verfassungsändernde Mehrheit nicht mehr zur Verfügung stehen." Die Folgen des Versäumnisses, die Zeit nicht genutzt zu haben, brächten langfristige Nachteile für die Sicherheit und das Zusammenleben in Deutschland. "Deshalb fordern wir eine sofortige namentliche Abstimmung über die Aufnahem der Brandmauer ins Grundgesetz", sagt er und schiebt den berühmten Scholz-Satz nach: "Jetzt!"
1 Kommentar:
Gute Idee! Warum ist da bloß der wandernde Witz nicht drauf gekommen?
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