"Unsere Demokratie" boomt, seitdem immer mehr Gruppen Anspruch auf den Besitz der früheren Volksherrschaft anmelden. |
Kandidat für das Unwort des Jahres? Oder das Wort des Jahres? Platte Parole oder Enteignungsversuch? Dumpfe Propaganda oder Fake News? Mit Beginn des Wahlkampfes wird die Demokratie als Magd missbraucht, um den Weg zur Macht zu ebnen. Als Totschlagwort ist sie zugleich günstig und unbezahlbar, ein Trendbegriff, den jeder nutzen und ausnutzten kann.
Demokratie als Interpretation
Demokratie ist reine Interpretation. Stets ist der, dem sie nutzt, der Meinung, so sei sie gut und richtig. Und der, der sie gern nutzen möchten, beklagt vehement, wie eingeschränkt sie sei. Im Streit darum, wessen Blickwinkel der richtige ist, geht häufig das Großem und Ganze verloren. Sowohl die Kräfte, die die Demokratie nutzbringend für sich selbst umbauen möchten, als auch die des Verharrens in alten Politikmustern behaupten dann irritierenderweise, sie seien es, die für die einzig wahre Auslegung des Glaubens stünden.
Das Publikum kann häufig kaum folgen. Ist es nun gut, wenn die Meinungsfreiheit durch vom Staat beauftragte Prüfer eingehegt wird? Sollten Wählerinnen und Wähler, die der falschen Partei eine Stimme gegeben haben, dadurch bestraft werden, dass ihre Abgeordneten hinter eine Brandmauer gesteckt werden? Müssen sich Politiker, die über Jahre und Jahrzehnte regiert haben, die Ergebnisse ihrer Tätigkeit zurechnen lassen?
Oder sollte nicht wie im Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" zumindest für einige wichtige Protagonisten gelten, was als Abwehrrecht des Kanzlers in den Cum-Ex-Ermittlungen so gut funktioniert hat: Heute ist der erste Tag unseres Lebens. Frisch auf, ans Werk!
Nicht nur "Wir", sondern "unsere"
Es war der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck, dessen kluge Kampagne nicht mehr nur auf das ewige "Wir" als Abgrenzung vom "Euch" setzte. Stattdessen erweiterte der amtierende letzte Vizekanzler der Fußgängerampel-Koalition die Umschreibung auf das besitzergreifende "unsere" und wählte als dazugehöriges Substantiv gleich die komplette "Demokratie".
Die heißt seitdem bei ihm nur "unsere Demokratie", ein erweiterter Rückgriff auf Walter Ulbricht, der "unsere Jugend" umarmte, bis sie nicht mehr atmen konnte. "Unsere Demokratie" bedeutet eine, in der der Besitzer bestimmt, was dazugehört: Versuche, einen Parteitag mit Blockaden zu verhindern? Ja, Versuche, einen Politiker mit Blockaden am Verlassen einer Fähre zu hindern? Nein. Online-Schmähungen? Niemals. Illegale Werbeaktionen mit einem "piratigen" Charakter? Als "gewisse Provokation" auf jeden Fall. Ausländische Einmischung in den deutschen Wahlkampf? Kommt drauf an. Die Rückabwicklung von Wahlen? Je nach Ergebnis.
Zum Eigentum erklärt
"Unsere Demokratie" ist transparent und unmissverständlich. Unsere Demokratie, das sind unsere Werte, unsere Werte sind unsere Demokratie, ist unsere Freiheit und unser Grundgesetz. Was den einen gehört, kann den anderen nicht mehr gehören. Die Demokratie, die bisher alles gehörte, im Grunde ein Volkseigentum, wird nun von allen reklamiert.
Joe Biden tut es und ein "Focus-Experte", politische Parteien und nie gehörte Radiosender, die Aktionisten, die jedes Problem in der Welt mit einer Petition lösen wollen, sind selbstverständlich dabei. Die ARD sowieso, die Kirchenfürsten unbedingt, die Beamten und die Sozialisten natürlich ganz vorn, wobei sich oder mancher fragt, ob "unsere Demokratie demokratisch genug" ist oder nicht vielleicht doch eher zu sehr.
Die Demokratie duldet die Besitzergreifung still, nie hat sie sich gegen Einvernahme gewehrt. Egal, wer sie für sich reklamiert und für seine Zwecke einzuspannen versucht, sie fügt sich. Seit Kurt A. Körber, erst als NSDAP-Mitglied und Technischer Direktor der Universelle-Werke J. C. Müller & Co. ein wichtiger Rüstungsmanager im Dritten Reich und später ein großer Freund und Förderer des SPD-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, "unsere Demokratie" als Überschrift entdeckte, "um gute Lösungen für ein besseres Miteinander zu finden, Herausforderungen vor Ort zu meistern und die Demokratie mit Leben zu füllen", ist der Begriff in die politische Alltagssprache gesickert.
Der Sieg ist unser
Und zugleich ist die Demokratie, seit sie "unsere" geworden ist, höchst bedroht. Oligarchen bedrohen "unsere Demokratie". Der rechte Rand tut es, die Mitte, die Uneinsichtigen und die Reichen. Von Meinungsfreiheit bis Pazifismus, Putin bis Ostdeutschland ist "unsere Demokratie" von Feinden umgeben, gegen die sie geschützt werden muss. "Unsere Demokratie" hat aber auch Freunde und sogar bei X zwölf Follower. Mit mehr fing Jesus auch nicht an. Dazu kommen Kandidaten aller Parteien, mit dem Philosophen des politischen Berlin an der Spitze, der schon in seinem vorvorletzten Buch deutlich gemacht hatte, "warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht".
Seitdem ist alles noch schlimmer geworden und "unsere Demokratie steht unter Druck" (Habeck), ja, sie wird sogar "angegriffen" (Olaf Scholz), denn "wir sind im Umgang mit den Feinden unserer Demokratie einfach nicht konsequent genug" (Friedrich Merz). Das "unser" vor dem "Demokratie", das früher einmal schnöde "Volksherrschaft" bedeutete, also gar kein besitzanzeigendes Adjektiv vertrug, zeigt heute den Anspruch einer Gruppe auf den Besitztitel an der Mehrheitsherrschaft an. Wer "unsere Demokratie" sagt, beansprucht das Eigentum an der Demokratie, er identifiziert sich als Angehörigen einer Gruppe an, der die Demokratie gehört.
Die Folge ist naheliegend: Je häufiger "unsere Demokratie" bemüht wird, desto öfter heißt es, "unsere Demokratie" müsse "verteidigt" werden.
5 Kommentare:
Aufgabe für die Freunde der Demokratie
Streiche das Überflüssige, um eine stimmige Aussage abzuleiten.
>> "Unsere Demokratie" ist transparent und unmissverständlich.
Wenn 'Demokratie' nicht so viele Silben hätte, könnte man das Lied 'Unsere Heimat' (Keller/Naumilkat) einfacher zu 'Unsere Demokratie' upgraden.
Bei der Gelegenheit müsste man 'Volk' im Text durch 'Bevölkerung' austauschen. Was sagt denn Wiki dazu?
Die Verwendung des Begriffes „Volk“ ist dem Umstand geschuldet, ...
Jaja, das darf nicht wieder passieren. Quasi nie wieder.
https://de.wikipedia.org/wiki/Unsere_Heimat_(Lied)
OT
Für alle, die für Montag vorbereitete Kommentare schreiben wollen. Kürzer geht's nicht.
Elmar der Welterklärer:
"Die gute Nachricht: Es wird nicht gleich am ersten Tag der Frieden ausbrechen..."
https://x.com/rebew_lexa/status/1880176999127470169
Das Video
< Es scheint, als würden die dort gerade konzertiert die EU gegen die Wand laufen lassen. >
Der Hadmut merkt aber auch wirklich alles. Und so schnell vor allem.
< „Lieber Stern ihr seit so peinlich……… wer will ihn stoppen >
Wiederlich, einfach wiederlich.
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