Auch die frühere Kanzlerkandidatin der Grünen macht sich Sorgen um den grünen Schein. Der junge Maler Kümran hat die Ministerin vor einer Stahlhütte mit Wasserstoffpipeline gemalt. |
Friedrich Merz erzählte wieder Tünkram. "Die Zeit" zitierte, höchstwahrscheinlich aus Platzgründen, nur arg verkürzt. Die Grünen sahen sofort ihre Chance, die fürchterliche neue "Veggie-Day"-Diskussion um die Enteignung der deutschen Sparer abzuwürgen, noch ehe aus dem Debakel ein Desaster wird. Die Zweifel des CDU-Kanzlerkandidaten am Plan, Stahl künftig nicht nur mit den rekordhohen deutschen Stromkosten zu weltmarktfähigen Preisen zu kochen, sondern das mit noch dreimal teurerem grünen Wasserstoff tun wollen, sorgten für eine Welle der Empörung. Verrat. Untergang! Dolchstoß!
Tiefe Glaubenskrise
Auf einmal war Deutschland in einer tiefen Glaubenskrise. Wer nicht an grünen Stahl glaube, zerstöre die Reste des Standortes, rief es. Jeder müsse beteuern, dass er an grünen Stahl glaube, wurde gefordert. Die Kirche des grünen Stahls, eine wachsende, aber immer noch marginale Bewegung, stahl für Momente allem anderen die Show. Die rechte Gefahr? Vergessen. Der Mammutkampf des Kanzlers um neues Geld für die Ukraine? Kein Thema mehr. Der Notfall, der dazu noch vor zweieinhalb Monaten hatte ausgerufen werden müssen, um die Schuldenbremse aufheben zu können? Überwunden.
Was jetzt stand, war die Stahlfrage. Mehrere Stunden lang wurde grüner Stahl das Lebenselixier eines Wahlkampfes, der bislang vollkommen ohne jeden Inhalt ausgekommen war. Abgesehen von verschiedenen Fehltritten, die sich die Wahlkämpfer gegenseitig als Verletzung des großen Bundesfairnessabkommen ankreideten, hatten sie es alle geschafft, bei Forderungen und Versprechen im Ungefähren zu bleiben.
Wähler entscheiden nur über Details
Alle würden nach ihrem Sieg die Steuern senken, die Wirtschaft fit machen und die Menschen ganz kräftig entlasten, so viel ist klar. Nur inwieweit der Kampf gegen rechts, gegen das Klima und den Mann im Kreml weiter erfolgreich vorangetrieben wird, das müssen die Wählerinnen und Wähler noch entscheiden.
Und das Stahl-Schicksal. Hierzulande werden der Stahlindustrie vier Millionen Arbeitsplätze und zwei Drittel der Exporte zugerechnet. Die produzierte Menge an Stahl liegt allerdings nur noch bei drei Millionen Tonnen im Jahr. Deutschland liegt damit weit abgeschlagen hinter China, Indien, Japan, den USA, Russland und Südkorea. Was hierzulande hergestellt wird, ließe sich problemlos auch noch importieren - bei Smartphones, Chips, Medikamenten, Schuhen, Heimelektronik und Bekleidung klappt das meist, ohne dass Endverbraucher es überhaupt bemerken.
Voodootrick mit Champagner
Doch wo nun schon andere Teile der Industrie dem deutschen Klimastrompreis ihren Tribut zollen müssen, Bäcker nicht mehr backen und Industrieunternehmen Werke schließen, soll die Stahlindustrie beweisen, dass ein Energiewunder möglich ist. Eigens dafür wurde die bereits von der Bundesregierung gegründete "NOW GmbH Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie zurück auf ihr altes Gleis gesetzt.
Anfangs hatte die bundeseigene Gesellschaft alles mit Wasserstoff machen sollen, dann aber wurde sie wegen des modischen Trends zur Elektromobilität zur "Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur" ernannt. Erst später ging es zurück zu den Wurzeln. Nun sollte wieder ein Voodootrick mit dem Champagner der Energiewende her, um Deutschlands Misere mit den hohen Energiekosten zu beenden.
Der große Überstromplan
NOW fördert nach Kräften. Anderthalb Milliarden wurden schon verpulvert, ohne dass die ersehnte Wasserstoffwirtschaft realer wurde. Und jetzt riss Merz auch noch den Rest der Träume vom Überstrom ein, aus dem kostenfrei erst H2 und dann grüner Stahl wird. Häresie und Leugnung des Energieträgers der Zukunft.
Wasserstoff, am liebsten Überstrom gemachter grüner, ist unter anderem fest eingeplant, eines Tages die 30 bis 40 neuen Gaskraftwerke anzutreiben, die ja doch irgendwie mögliche Dunkelflauten energetisch überbrücken sollen. Der Plan steht seit 2021. Gebaut werden soll bis 2030. Geschafft sind bisher null, im Bau ist eins. Aber es sind ja noch fünf Jahre. Und woher der Wasserstoff kommen soll, weiß ohnehin noch niemand.
Zumal er ja auch in der Stahlindustrie dringend gebracht werden wird, wenn alles klappt. Dazu muss aber jetzt ein Stahlpakt her, ein Bundesschwur auf Wasserstoff, diesen edlen Perlsekt der Energiewende, den niemand hat und keiner will. Der aber, weil da alle wissen und sein praktischer Einsatz als Retter der großen Transformation deshalb weit hinter dem Ereignishorizont liegt, als bedeutendster Baustein der deutschen Industrie gilt.
Verschwinden der Schwerindustrie
Was ein Wunder. Hatte Patrick Graichen, der Visionenflüsterer des Klimawirtschaftsministers, in seiner aktiven Zeit als Umbaulobbyist im Wirtschaftsministerium noch versichert, dass das Verschwinden der lästigen Schwerindustrie aus der CO2-Sparnation integraler teil der Transformation sein werde, gilt ihr Verbleib heute Gewähr dafür, dass bei allen notwendigen Veränderungen ein Hauch vom alten Deutschland weiterstinkt.
Der wegen seiner Sozialversicherungspläne bedrängte Chef von Team Habeck hat die Lösung der Stahlfrage deshalb umgehend auf seinen Tisch gezogen. Wer daran zweifelt, dass grüner Wasserstoff, dreimal teurer als alles, was Stahlwerke im Ausland zum Kochen verwenden, die Rettung der deutschen Stahlindustrie sein werde, sei deren Totengräber. "Wer sagt, er glaube nicht an grünen Stahl, kann den Stahlunternehmen und ihren Beschäftigten in Deutschland auch gleich sagen: Ich glaube nicht an Euch, auf Nimmerwiedersehen!", schalt der grüne Kanzlerkandidat den schwarzen.
Schlag ins Gesicht
Habeck wiederholte dabei die Argumente seines früheren Staatssekretärs, nannte sie aber nun einen "Schlag in das Gesicht all der Beschäftigten". Die leben von Glauben und Zuspruch aus Berlin, die vertrauen auf die Politiker, die sagen, dass alles gut werden wird. Auch die Außenministerin machte sich deshalb weniger Sorgen und die Lage an sich, sondern mehr um die Konkurrenz, die sie "schlecht" nennt. "Die Union ignoriert den globalen Wettlauf um grüne Technologien", sagte die Mutter der speichernden Netze in ihrer überhaupt allerersten Äußerung zur Stahlfrage.
"Wer die Arbeitsplätze in der Stahlindustrie sichern möchte, muss jetzt auf grünen Stahl setzen und damit die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts stärken", schimpfte Baerbock auf Merz. Dem aber scheinen Zahlen, Berechnungen und Gewinne wichtiger zu sein scheinen als Glaube, Liebe und Hoffnung auf ein gutes Ende. Die Quittung wird ihm der Wähler geben. Oder ihr.
9 Kommentare:
Hier sind die Factchecker (wir haben neuerdings Temine frei)
Habeck:
Alle großen Volkswirtschaften, die USA, China, haben sich auf den Weg gemacht, den Stahl zu dekarbonisieren.
https://energyandcleanair.org/publication/turning-point-china-permitted-no-new-coal-based-steel-projects-in-h1-2024-as-policies-drive-decarbonisation/
The most affected steel mills will be those running blast furnace-basic oxygen furnaces (BF-BOFs) because of their high carbon intensity. Electric arc furnaces (EAFs) will be prioritised to ensure good production rates.</i<
China genehmigt aktuell nur neue Anlagen mit Lichtbogenöfen, in denen Stahlschrott recyclet wird, keine koks-basierten neuen Hochöfen. Von Wasserstoff keine Rede.
Wertung: Habeck verbreitet Halbwahrheiten. Das ist gemessen an den üblichen grünen Komplettlügen ein absolutes W für grün.
OT Fefe: In anderen Nachrichten heute: Die Bundeswehr darf im Moment keine feindlichen Drohnen abschießen,
Die Bundeswehr (Luftwaffe) schießt in Friedenszeiten gar nichts ab, nicht mal von Terroristen entführte Flugzeuge im Anflug auf den Reichstag.
Ja ich werde irgendwann einfach ein Watchblog aufmachen extra für diesen witzigen Menschen.
china wird von uns lernen müssen!
Nach jeder Äußerung von Grünen (auch solchen aus den anderen Parteien) zur "Energiewende" stellt sich die Frage: Wollen die die deutsche Wirtschaft zerstören oder sind sie einfach nur dumm? Ich schwanke seit Jahren bei der Antwort, aber inzwischen glaube ich, beides ist richtig.
Bei Aufschlüsselung der Wahlergebnisse nach Bildungsstand schneiden die Grünenden bei besser Ausgebildeten ja offenbar besser ab. Da frage ich mich, was für eine Art Bildung das sein kann, wenn man denen so einen Schwachsinn wie grünen Stahl andrehen kann. Vielleicht wäre da ein Test mit den Matheaufgaben der PISA-Studie sinnvoll ... oder - damit das nicht zu deprimierend wird - besser mit TIMMS.
Ich spendiere ein schließendes Kursiv.
>Da frage ich mich, was für eine Art Bildung
Lehrer und Professoren mit nominell hohen Abschlüssen sind die verstrahltesten und korruptesten Gruppen, mit fließenden Übergängen.
Annalena Baerbock hat uns allen geschlechtsneutral formulierte Gesetzestexte versprochen (https://www.tagesspiegel.de/politik/kanzlerkandidatin-baerbock-im-interview-das-hat-mich-sehr-geschmerzt-201713.html). Allein ein Blick in die StPO (aus gegebenem Anlass) zeigt: Versprechen nicht gehalten!
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