Donnerstag, 30. Januar 2025

Schicksalsstunde: Schon wieder Zeitenwende

Drei Jahre Ampel haben wie ein Dauerwahlkampf für die AfD gewirkt: Die Prozente, die rechts gewonnen wurden, haben die Ampel-Parteien verloren.

Fällt sie oder fällt sie nicht? Kann sie danach überhaupt noch verteidigt werden? Oder gibt es eine blau-schwarze Koalition, wie sie der Kanzler schon dräuen sieht? Wird Rassismus zum Programm? Und steigt Hitler dann aus dem Graben an der Schweinebrücke?  

Es war Schicksalsstunde im Bundestag, und sie dauerte. Ehe nicht alle alles gesagt hatten, obwohl ohne keiner zuhört, konnte es nicht an die Urne gehen, um die Weichen zu stellen. Vorwärts und schnell vergessen. Oder rückwärts in die Nazizeit, der die damaligen Weidels, Melonis und Frederiksens mit ihrem brutalen Grenzregime den Stempel aufgedrückt hatten. "Ehrlich, schonungslos und respektvoll", so die Vorgabe des Präsidiums an die Anwesenden, sollte diskutiert werden. Diskutiert wurde aber dann gar nicht: Gegenseitige Bezichtigungen, je nach eigener Interpretation der Realität, wurden ausgetauscht. 

Vor dem Rückfall 

Dann ging es zum Schwur über die "Entschließungsanträge", im parlamentarischen Geschäft so etwas wie eine Campact-Petition. Vom "steilen Weg in den Abgrund" war vorher die Rede, von "unverzeihlichen Fehlern", bitteren "Gewissensentscheidungen" und dem "Rückfall in eine dunkle Zeit" und einer "Reste-Regierung", die nicht in der Lage sei, das Land zu regieren. "Bundeskanzler darf kein Zocker sein", schimpfte Olaf Scholz. "Wir sind es den Menschen schuldig, endlich abzuschieben", keilte Merz zurück und er zitierte mit Bedacht ein Versprechen, das Scholz vor Jahren gegeben hatte.  

Robert Habeck, der wie immer über den Dingen schwebt, gibt zu bedenken, dass es um mehr gehe als "bloße Sachfragen". Der Grüne macht sich Sorgen um das Erbe von Adenauer und Merkel, die sich "immer in den Dienst Europas gestellt" hötten.

Die vielbeklagte Spaltung der Gesellschaft hatte im Bundestag ihren großen Auftritt: Olaf Scholz ist der Ansicht, seine Regierung habe doch allerlei geliefert. Allenfalls die Vollzugsdefizite in den Ländern seien beklagenswert. Friedrich Merz zeigte seine geplatzte Hutschnur herum. Es reiche jetzt. Robert Habeck predigte Innehalten, Lars Klingbeil Ruhe und Ordnung. Christian Lindner verwies auf EU-Partnerländer, die alles schon lange so machen, wie es die Menschen in Deutschland, die er kennt, auch gern hätten. Alice Weidel drohte der Union mit Zustimmung, weil es ihrer Partei um die Sache gehe.

Die Sache spielt keine Rolle

Jedes Töpfchen hatte den üblichen Deckel, jeder instrumentalisierte nach Kräften für seinen Wahlkampf, was er zu greifen bekam. Eine große Rolle in der Auseinandersetzung spielte die Auffassung, dass die Sache, über die gesprochen werde, gar keine Rolle spiele. Einzig wichtig sei die Entscheidung über die Frage, wer mit wem, warnte Robert Habeck, dessen Partei die Ausweitung des Familiennachzuges neben der Verlängerung der Mietpreisbremse als Wahlversprechen  im Programm hat. Die Logik ist bestechend: Wer "Einwanderung gestalten" will, kann ihr keine Grenzen setzen, wenn er "alle mitnehmen" will "auf dem Weg zur Einwanderungsgesellschaft".

Knapp wird es, doch die Mehrheit steht am Ende hinter Friedrich Merz. Von Buh- und Pfui-Rufen begleitet, verkneift sich Merz jede triumphierende Geste. Er bedauere die Art der Mehrheit, dies ich hinter seinem Fünf-Punkte-Plan versammelt habe und unterbreite noch einmal das Angebot an SPD und Grüne, eine gemeinsame Lösung auf dieser Seite der Brandmauer zu finden. "Aber wir werden nicht zulassen, dass wir hier keine Anträge stellen dürfen, weil die Falschen zustimmen."

Schon wieder Zeitenwende

"Dieser Tag verändert die Politik in Deutschland", schon wieder. Vor lauter Zeitenwenden, Neustarts und gebrochenen Versprechen sind Details nur noch Nebensache. Ein "Tabubruch mit Ansage", findet die ARD. "Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich", verkündet Merz im Stil von Scholz, als er die "roten Linien" vor Jahren für abgeschafft erklärte, ehe er sie wenig später nicht weniger entschieden wieder einführte.

Die Angst, dass eines Tages parlamentarische Mehrheiten entscheiden könnten, sie liegt schwer über dem Hohen Haus. "Tun Sie das nicht", hatte Habeck Merz vor der wegweisenden Entscheidung angefleht, wie stets mit sicherem Gespür für das Pathos, das in diesen wenigen Worten liegt. Dass jetzt "Mehrheit wird, was die Mehrheit im Volk ist", wenn das die AfD einschließe, das wolle er nicht glauben.

Die "Tagesschau" wird später konsequent viel über die Form und wenig über die Funktion berichten. Schon am Freitag steigt die nächste Runde, vorher ist noch Zeit, sich abzusprechen, um den Schaden zu minimieren.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es gibt immer kleine Erdbeben bei den demokratischen Medien, wenn die AfD wieder einen Schritt näher kommt, auch wenn es nur um parlamentarischen Spam wie diesen Quatschantrag geht.

Anonym hat gesagt…

Es dürfte weitergehen wie bisher.
Vielleicht aber, dass sich die drei Großterritorien wie in "1984" allmählich herausformen.

Carl Gustaf hat gesagt…

Wie hat meine Oma immer gesagt: "Wenn dein Gegner dich lobt, dann hast Du irgendetwas verkehrt gemacht."

Anonym hat gesagt…

Bürgerrechtler, Kulturschaffende und engagierte Bürger appellieren an die Bevölkerung, an einer sozialistischen Alternative zur Bundesrepublik festzuhalten: "... Noch haben wir die Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln. Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale , von denen wir einst ausgegangen sind. Alle Bürgerinnen und Bürger, die unsere Hoffnung und unsere Sorge teilen, rufen wir auf, sich diesem Appell durch ihre Unterschrift anzuschließen.
https://www.ddr89.de/texte/land.html