Die Zentrale des neuen EU-Netzwerkes 1social.eu könnte im Stil des Brüsseler Brutalismus gebaut werden - neben dem Bundesblogampelamt (BBAA, links im Bild) wäre im mecklenburgischen Warin noch Platz. |
Schon als es gut war, als alles schlecht. Der Hass marschierte ohne Unterlass, als X noch Twitter hieß. Der Justizminister selbst musste sich gegen ungerechtfertigte Sperrungen stark machen, weil das US-Unternehmen seine Hausmacht nach Gutdünken nutzte. Erst später erließ die EU strikte Regeln, um selbst bestimmen zu können, was gelöscht wird und was noch gesagt werden darf. Nicht immer hielt sich das damals noch von Demokraten geführte Unternehmen daran. Obwohl Deutschland traditionell Weltmeister bei Internetsperrungen ist, ging die Firma von Gründer Jack Dorsey manchmal zu weit. Und manchmal nicht weit genug.
Sehnsucht nach Unabhängigkeit
Dass es eine europäische Alternative braucht, lag auf der Hand. Aber die Gelegenheit, Twitter zu kaufen, als es zu haben war, ließen Bundesregierung und EU-Kommission verstreichen. Ganze 100 Euro pro EU-Bürger hätte die Anschaffung einer ersten großen Internetfirma EU-Europa Ende 2022 gekostet. Als Genossenschaft geführt oder als öffentlich-rechtliche Anstalt unter direkter Aufsicht der Politik, hätte Twitter die Alternative zu den ausländischen Netzriesen sein können, die immer wieder durch schwere Verstöße gegen die europäischen Auflagen auffallen.
Das Geld wäre da gewesen. Seit Jahren profitiert die EU von ihren eigenen Regeln zu Datenschutz und Meinungsverboten. Das Internet ist für die Kommission eine Goldgrube geworden. Immer wieder kassiert sie Milliardenstrafen für Verstöße - eine ungewöhnliche, aber einträgliche Möglichkeit, Einnahmen aus neuen Entwicklungen der Technik in den USA und China zu generieren.
Weggeschnappt vom Milliardär
Der Milliardär Elon Musk schnappte der EU Twitter tragischerweise weg. Forderungen aus den Jugendorganisationen der politischen Parteien, das Unternehmen dann eben zu verstaatlichen, verhallten ungehört. Und alle Versuche, mit Mastodon und Bluesky menschlichere, freundliche und der EU-Definition von Meinungsfreiheit zugeneigtere Alternativen zu etablieren, scheiterten.
Wie dringend Europa aber eine Netzinfrastruktur braucht, die unabhängig ist von ausländischen Mächten, zeigte das Kamingespräch von Elon Musk und Alice Weidel. Noch ehe das erste Wort gesagt, war, brach in Brüssel der Notstand aus. Die Ankündigung des Facebook-Chefs, die "institutionalisierte Zensur" (Mark Zuckerberg) der EU künftig nicht mehr mitzubetreiben, hatte die Wertegemeinschaft wundgeschossen. Die fehlenden Hebel, Musk ein Telefongespräch mit einer in Teilen als rechtsextrem beobachteten Politikerin zu verbieten, zeigten das Ausmaß an Ohnmacht, das 440 Millionen Europäern dem Gutdünken fremder Mächte ausliefert.
X im EU-Format
Es braucht ein X im EU-Format, ein Twitter in Grün, gegründet auf den europäischen Werten der Meinungsäußerungsfreiheit, die streng zu unterscheiden ist vor der in den USA geltende Redefreiheit. In Europa, das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erst vor wenigen Jahren festgestellt, umfasst das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht nur harmlose Äußerungen, sondern auch drastisch-plakativ dargestellte Meinungsäußerungen (40975/08[49]).
Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert, jeder Person "das Recht auf freie Meinungsäußerung" und dieses "Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben" - eine Vorschrift, gegen die Elon Musk mit seinen Äußerungen und Aktionen verstößt, ohne dass die EU-Kommission einzugreifen wagt.
Verstoßener Franzose
Mit dem mutigen Franzosen Thierry Breton musste der letzte Kommissar, der sich für ein strenges Vorgehen gegen Musk und seine Umtriebe starkgemacht hatte, vor wenigen Wochen sein Büro räumen. Als Geste der Unterwerfung in Richtung des neuen US-Präsidenten Donald Trump hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen den für eine zweite Amtszeit nominierten sogenannten Wettbewerbskommissar kurzerhand aussortiert.
Doch Hoffnung gibt es, das zeigen andere Bereiche der Wirtschaft. Mit dem Zahlungssystem Wero ist es europäischen Firmen eben erst gelungen, ein dem US-Dienstleister Paypal ähnliches Angebot zu erfinden. Nur 27 Jahre nach dem Start der Firma aus San José gestattet auch Wero Überweisungen in sogenannter Echtzeit, vorerst aber nur Kunden einiger handverlesener Banken. Ein Weg, den auch eine auf sauberen deutschen und europäischen Servern laufende X- und Facebook-Alternative gehen könnte, wie sie immer mehr Stimmen im politischen und medialen Raum fordern.
Klarnamen und Hassverbot
Statt X im Rahmen einer virtuellen Bodenreform zu enteignen, wie es die Linke und radikale Sozialdemokraten schon länger fordern, prescht jetzt eine Gruppe Grüner mit der Vision eines gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen sozialen Netzwerkes vor, das als "europäische Medienplattform in öffentlicher Trägerschaft" zur vierten Säule neben ARD, ZDF und Deutschlandradio werden soll. Nutzer würden sich hier mit ihrem elektrischen "neuen Personalausweis" (nPA) oder der elektronischen Patientenakte (ePA)anmelden, wären also unter ihren Klarnamen identifizierbar.
Das Projekt unter dem Arbeitstitel "U" - nicht nur eine Abkürzung für das "Union" in "EU", sondern auch eine augenzwinkernde Anspielung und den Spruch vom "X für ein U" - würde nicht nur alle EU-regeln streng durchsetzen, sondern auch mit den nationalen öffentlichen Rundfunkanstalten zusammenarbeiten, um deren Inhalte europaweit zugänglich zu machen.
1social.eu als große Leitmarke
Der Grundsatz für den in Brüssel als 1social.eu bezeichneten neuen Netzwerk-Giganten wäre derselbe wie bei ARD und ZDF: frei von jedweder politischer Einflussnahme agieren, qualitativ hochwertige Inhalte bündeln, Hetze, Hass und Zweifeln keinen Raum geben und den Falschen keine Plattform. Eine am Bundesblogampelamt (BBAA) im wecklenburgischen Warin angesiedelte Stabsstelle Meinungskorridor (SSMK) könnte vom Start weg für eine saubere Diskussionskultur sorgen, indem Meldemöglichkeiten für Nutzer und betroffene Politiker sich jeweils an der strengsten nationalen Regelung einer Meinungsfreiheitsfrage in der EU orientieren. Damit würde die Meinungsfreiheit an sich weitergelten, aber nicht für die Feinde der Freiheit, die sich etwa auf die Legalität bestimmter Symbole in EU-Partnerstaaten berufen.
1 Kommentar:
OT
NRW-Wirtschaftsbosse schlagen Alarm ...
Jetzt schon? Das hält man nicht am Sack aus ...
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