Freitag, 17. Januar 2025

Letzte Chance für die EU: Darum muss Europa TikTok kaufen

Auch der noch amtierende Bundeskanzler ist stolz auf seinen TikTok-Kanal, mit dem er nach Auffassung von Experten täglich europäische Datenschutzvorschrtiften bricht.

Vor zwei Jahren öffnete sich schon einmal ein Startfenster. Twitter, wirtschaftlich schwer in Bedrängnis und als übles Hassportal verschrien, suchte Hilfe. Und fand sie leider nur in Elon Musk, der die Gelegenheit ergriff und seinem Firmenimperium ein einflussreiches soziales Netzwerk einverleibte. Alles ging ganz schnell, die Aktion wurde begleitet von Gelächter. Ehe in Europa klar wurde, was für eine Chance in einem Kauf gelegen hätte, war das Kurznachrichtenportal schon weg - gekauft mit Geldern, die nicht nur von Musk, sondern auch von einigen arabischen Blutprinzen und anderen Tech-Milliardären aufgebracht worden waren.

Abgehängt und aussortiert

Die EU blieb, was sie gewesen war. Ein ganzer Kontinent ohne moderne Großunternehmen. Eine prekäre High-Tech-Mangelwirtschaft, deren 440 Millionen Insassen gezwungen sind, ihre öffentlichen Debatten über amerikanische oder chinesischen Plattformen zu führen. 

PPQ-Techexpertin Svenja Prantl zeigt einen Weg, wie sich die EU aus der digitalen Abhängigkeit von den Regimen in den USA und China befreien kann.

Prantl empfiehlt der EU, TikTok zu kaufen.
Eine problematische Sachlage, wie der aktuelle Streit zwischen den Kommissaren in Brüssel, den Ministern in Berlin und den Social-Media-Milliardären zeigt. Gerade noch hatte die Kommission angekündigt, ihre Regeln zum erweiterten Meinungsfreiheitsschutz auch gegen die Partner aus den USA durchsetzen zu wollen.  Ein deutscher Minister brachte Sanktionen ins Spiel, sollten die Wertepartner auf der anderen Seite des Atlantik versuchen, ihre Definition von unveräußerlichen Grundrechten auch diesseits durchzusetzen.

Im lecken Boot zurückrudern

Doch das Boot zur großen Fahrt war noch nicht im Wasser, das musste Brüssel schon zurückrudern. Klar ist seitdem nicht nur der grünen Wahlkampfleitung, dass die EU ein eigenes soziales Netzwerk braucht, eine saubere, von verbeamteten Meinungshütern kontrolliere Alternative. Klar ist das auch einer Öffentlichkeit geworden, die es leid ist, ungefilterte Meinungen ertragen zu müssen. Schon in den Stunden des Großangriffs von Elon Musk und Alice Weidel auf die demokratisch verfassten Gesellschaften in der EU wurden Stimmen laut, die ein eigenes X für die EU forderten.  

Da ein großangelegter Versuch, mit  "EU Voice" und "EU Video"  entsprechende Alternativen aus dem Boden zu stampfen,  in der Vergangenheit schon einmal tragisch gescheitert war und eine Enteignung von X und Facebook vermutlich zum Auftauchen von US-Flugzeugträgern vor Hamburg führen würde, sind frische Ideen gefragt, wie Europa schnell zu einem DSA-konformen und mit den Grundregeln der eingeschränkten Meinungsfreiheit kongruenten eigenen sozialen Netzwerk kommt.

Öffentlich-rechtliches X

Die etwa bei den Grünen geplante Gründung einer neuen öffentlich-rechtlichen Anstalt mit kostspieligen Intendantenkompanien, Social-Media-Räten, riesigen Glaspalästen für die Serverfarmen und Aufsichtsbeamten würde zu lange dauern. In Zeiten knapper Kassen und eines weitverbreiteten Unmuts über den Rundfunkbeitrag erscheint es zudem fast ausgeschlossen, dass über einen - dem Modell bei den Krankenkassen vergleichen - Zusatzbeitrag genug Geld eingespielt wird, um eine neue kostspielige digitale Infrastruktur auf die Beine zustellen.

In den Sternen stünde auch, ob sich geplante Anmeldemodell mit digitalem neuen Personalausweis oder elektronischer Patientenakte ausreichend rasch umsetzen ließen, um die gesellschaftliche Debatte sauber und zweckdienlich zu halten. Es bestünde die Gefahr, davor hat der hessische Innenminister Roman Poeseck gewarnt, dass wieder "ungefilterte Meinungen" sich Gehör verschaffen. 

Zwar stünde nach den Worten des CDU-Politikers das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen mit einer eigens geschaffenen "spezielle temporäre Organisationsstruktur" bereit. Eine eigens eingerichtete Sonderauswertungseinheit bündele Erkenntnisse aus den Bereichen Spionageabwehr und Extremismus im Zusammenhang mit der Bundestagswahl und bereitet diese für zuständige Stellen in Hessen, aber auch für den bundesweiten Austausch auf. Doch reicht das, um ausreichend auszusieben? 

Gegen enthemmte Milliardäre

Ein günstiger Umstand erspart Europa weiteres Nachdenken über Wege zu einer digitalen Resilienz, die auch den Einflüsterungen von normalen Menschen widersteht, die ohne Reichweiterführerschein senden, was ihnen in den Kopf kommt. Denn ausgerechnet jetzt, im Moment der akutesten Bedrohung der engen europäischen Art von freier Meinungsäußerung durch enthemmte US-Milliardäre, ergibt sich eine wohl einmalige letzte Chance, ein fertiges, funktionierendes soziales Netzwerk für kleines Geld zu übernehmen. 

Es ist zudem das jüngste, das fresheste, das mit dem halbwüchsigen Publikum und mit den angesagtesten Influencern. Eine Jahrhundertgelegenheit für die EU, die so oft als lahm, verknöchert und als in einem unvorstellbaren Maße abgehoben kritisiert wird. Es ist das chinesische Kurzvideoportal TikTok, das im Augenblick zu haben ist. 

Den Milliardären wegschnappen

Die US-Tochter der chinesischen Firma Bytedance steht zum Verkauf, weil die US-Regierung das Regime in Peking verdächtigt, über die Algorithmen der Plattform Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft nehmen zu können. Eine Fähigkeit also, die genau dem entspricht, was EU-Kommission, Bundesregierung und politische Akteure als Aufgabe eines sozialen Netzwerkes ansehen. Zwar würde der Kauf wohl "hunderte Milliarden Dollar" (Heise.de) kosten. Doch für 440 Millionen Europäer ist die Finanzierung leicht zu stemmen: 1.000 Euro pro Person, kreditfinanziert als Sondervermögen für digitale Unabhängigkeit, und kein anderer Bieter wird mithalten können.

Für die digitale Öffentlichkeit in Europa wäre es ein Quantensprung. Heute schon ist TikTok bei deutschen Politikern, bei Kirchen, Institutionen, aber auch bei Aktivisten, Medien und Organisationen   weitaus beliebter als die Hassplattform X. Vom Kanzler bis zur Linkspopulistin und von Behörden bis zu anerkannten Adressen für Hass und Hetze sind bereits viele Akteure beim chinesischen Spionageportal vertreten. 

Strikt ignoriertes EU-Recht

Dabei müssen der Kanzler und Kanzlerkandidaten derzeit noch mehr als nur ein Auge zudrücken, was die europäischen Vorschriften für den Datenschutz betrifft. Leider fließen sämtliche Nutzerinformationen, die bei TikTok anfallen, nach China, ohne dass die EU mit dem kommunistischen Großreich wenigstens wie mit den USA ein symbolisches Datenschutzabkommen geschlossen hat. Bekannt ist, dass die Gesetze in China es den dortigen Behörden erlauben,  in jeder gewünschten Weise auf Nutzerdaten zuzugreifen die sich in den Datenbanken der großen chinesischen Internetfirmen finden. Transparenzberichte belegen, dass solche behördlichen Zugriffe in der Praxis erfolgen.

Außer der Form halber Gespräche mit über einen "neuen Mechanismus für den grenzüberschreitenden Datenaustausch" zu führen, schaut die EU-Kommission dem rechtswidrigen Treiben seit Jahren tatenlos zu. Mit den USA wurden währenddessen drei Verträge mit Fantasienamen wie "Privacy Shield" verhandelt und abgeschlossen, ehe sie jeweils von Gerichten als unzureichend verworfen werden mussten. So weit kam es mit China nie, hier setzt die EU ganz auf Anarchie. 

Widerspruch zum eigenen Recht

Das widerspricht den EU-Vorgaben zum Schutz der Daten der Bürgerinnen und Bürger, nach denen eine Übermittlung an Drittländer nur zulässig ist, wenn die Bedingungen der Datenverarbeitung dort den europäischen Vorschriften entspricht. Diese bisher strikt ignorierte Auflage aus Art. 44 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) könnte durch einen Kauf von TikTok durch die EU endlich umgesetzt werden. Damit würde auch das massenhafte rechtswidrige Handelns verantwortlicher Politiker und Organisationen schlagartig beendet. Und die paar wenigen Bedenken, die die Datenschutz-NGO Noyb jetzt öffentlich formuliert hat, könnten beseitegewischt werden.

Win-Win. Die Regierung in Peking tut sich schwer, TikTok an einen amerikansichen Bieter abzugeben. Ein möglicher Verkauf des US-Geschäfts der Videoplattform an Elon Musk, über den die Finanznachrichtenagentur Bloomberg spekuliert hatte, um auf den Busch zu klopfen, wurde eilig als "reine Fiktion" dementiert. Die EU könnte folglich noch als weißer Ritter einreiten: Ihr traut Peking mehr, denn sie gilt in Fernost als kranker, sterbender Riese, dessen führende Politiker das Wort "Algorithmen" zwar aussprechen können, aber keinerlei Vorstellung haben, worum es sich dabei handelt. 

Keine Gefahr für Vormacht

Gelten die USA als Konkurrent, spielt die EU in Chnia nur als Absatzmarkt noch eine Rolle. Das Schicksal von TikTok in die Hände etwa der EU-Kommission zu legen, würde zudem bedeuten, dass das Netzwerk jegliche Vitalität und Relevanz binnen weniger Jahre verlieren würde. Die Kommission könnte sich dafür auf die Schulter klopfen, der Wertegemeinschaft endlich einen bedeutsamen globalen Marktanteil in der Social-Media-Branche gesichert zu haben - etwas in Deutschland, wo die schrille App von 20 Millionen Menschen benutzt wird. 

Dennoch gäbe es keine Bedrohung der Vormacht von US-Firmen und chinesischen Plattformen bei der digitalen Kommunikation und dem Austausch von Informationen, denn zweifellos würde es der Kommission gelingen, durch strengste Datenschutzauflagen und rigorose Meinungsaufsicht jedes bisschen Leben bei TikTok abzutöten. Damit wäre der Datenschutz für europäische Nutzer verbessert und die Kontrolle über sämtliche Einträge läge direkt bei den von der EU beauftragten Aufsichtsbehörden. 

Die letzte Chance

Die hätten sogar die Möglichkeit TikToks Algorithmus, der für personalisierte Inhalte sorgt, gezielt dahingehend weiterzuentwickeln, dass gezielt ausschließlich Inhalte gefördert werden, die europäische Werte und Kultur stärken. Die Zeit drängt jedoch, da ein geltendes Gesetz ByteDance bis zum 19. Januar zwingt, sich von dem US-Geschäft zu trennen. Zwar drängt Donalkd Trum auf eine Verlänegrung der First., Doch wenn die EU weiterhin zögert, sollte Deutschland einen Alleingang wagen:So eine Gelegenheit kommt niemals wieder.


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