Dienstag, 14. Januar 2025

Kartoffelbleiche Vorstadtmuttis: MoM statt biodeutsch

"Biodeutsch" schaffte nie den Durchbruch in die Alltagssprache. Aber mit dem Urteil der Sprachjury darf es nun auch in Medien nicht mehr verwendet werden.

Ist biodeutsch nur ein anderes Wort für Arier? Eine Frage, die vor sieben Jahren die ganze Republik quälte. Das Wort war damals selbst dem "Spiegel"-Outlet "Bento"  neu. Es galt umgehend aufzuklären, "was hinter dem neuen Wort steckt", das bereits 1996 vom unverdächtigen Ulmer Kabarettist Muhsin Omurca erfunden, aber erst durch den damaligen Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, popularisiert worden war.  

"Biodeutsch" war ursprünglich abwertend gemeint. Wer biodeutsch war, war zu deutsch. Ihm mangelte es an anderweitigen Wurzeln, an Vielfalt der Herkunft und Bereitschaft, auch anders sein zu wollen. Dass der Begriff jetzt, wo er keinerlei Verwendungsauffälligkeiten mehr zeigt, zum "Unwort des Jahres" gekrönt wurde, ist ein später Erfolg einer Umdeutung: Anfangs gedacht, um die zu markieren, für die es keine Bezeichnung außer "Deutsche" gab, verwandelt die damit Bezeichneten ihre Beschimpfung auf dieselbe Weise in eine Auszeichnung, wie es Rapper mit dem N-Wort und Ostdeutsche mit dem O-Wort gehandhabt haben.

Sprachpolizei in Aktion

Ein Affront, den die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft nicht länger hinnehmen konnte. Die Unwort-Jury, ein lockerer Kreis von Sprachdeutern, denen einmal im Jahr die selbstgewählte Aufgabe zufällt, sprachpolizeilich in die gesellschaftliche Debatte einzugreifen, entschied sich diesmal für "biodeutsch". Ein würdiger Nachfolger für "Remigration", "Klimaterroristen", "Pushback" und "Corona-Diktatur", die Sieger der vergangenen Auslosungen. Auch "biodeutsch" macht am Sprachpranger eine ähnlich gute Figur wie zuvor "Anti-Abschiebe-Industrie", "alternative Fakten" und "Volksverräter", allesamt Worte, die nie den Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden hatten. Durch die Preisvergabe aber zumindest im letzten Verglühen vor dem gnädigen Vergessen noch einmal kurz aufleuchteten.

Die "Grundannahme" der "ehrenamtlichen und institutionell unabhängigen" Jury, dass "Unworte im Gebrauch" entstehen, ist lange widerlegt. Dass "Sprachkritik" (Jury) ihren Gebrauch verhindern kann, behaupten nicht einmal mehr die Verfechter der These, dass "die Sensibilisierung für diskriminierende, stigmatisierende, euphemisierende, irreführende oder menschenunwürdige Sprachgebräuche" sogenannte "Sprecher:innen" auf die Verantwortlichkeit für ihr "sprachliches Handeln" hinweist. 

"Biodeutsche Vorstadtmuttis"

Es sind immer weniger die rechten Scharfmacher gewesen, die "biodeutsch" als Begriff etablieren wollten, sondern immer mehr deren erklärte Gegner, die von "biodeutschen Vorstadtmuttis" (Taz) fabelten und Einladungen an "Biodeutsche" zum gemeinsamen Kampf gegen Rassismus als Gnadengeste betrachteten.

Jetzt, wo "biodeutsch" als "diskriminierend" und "eine Form von Alltagsrassismus" (SZ) enttarnt worden ist, müssen die großen Gazetten die die Wortbildung des Mitgründers des ersten "deutschsprachigen türkischen Kabarett in Deutschland" (SWR) gern und oft verwendet haben, allerlei umschreiben. Dass die "Zeit" von "biodeutschen Mitbewerbern" spricht oder gar von "Personen, die als biodeutsch gelesen werden", wird nicht mehr möglich sein. Auch Firedrich Merz wird den "neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt", nach der strebt, nicht befördern können, wenn er dabei auf die "Biodeutschen" verweist. Und Betroffene von rassistischer Diskriminierung werden sich eine neue Vokabel ausdenken müssen, um ihre Peiniger korrekt zu bezeichnen.

Vergessene Unwortvorgänger

Da fehlt nun eine Waffe im Arsenal des Guten, denn erfahrungsgemäß wird das Böse sich vom Juryentscheid kaum davon abhalten lassen, ein Wort zu verwenden, das von der freiwilligen Fünfer-Jury mit einer Pressemitteilung als menschenunwürdig verworfen wurde. "Remigration" etwa, Unwortvorgänger im vergangenen Jahr, war damals "rechter Kampfbegriff" und "beschönigende Tarnvokabel" verurteilt worden. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" verwendete es in den 20 Jahren vor dem Urteil 55 Mal. Seitdem aber 222 Mal.

"Biodeutsch" als eine Vokabel, die eine Art Mensch beschreibt, die "kartoffelbleich" (Bento) ist und schon Eltern hatte "deren Eltern in Deutschland aufgewachsen sind", droht ein ähnliche Karriere. Ohne Wurzeln, ohne "Migrationshintergrund" und ohne "Deutschbindestrichirgendwas" und Doppelpass haben die Biodeutschen ihre Bezeichnung verloren, nicht aber das, was sie bezeichnet hat.  

Das neue Wort heißt MoM

"Biodeutsch" soll nach einer früheren Beurteilung des "Spiegel" das Gegenteil von "Mensch mit Migrationshintergrund" sein, eine gar nicht so kleine gesellschaftliche Gruppe, die sich hindefinieren und ausdifferenzieren, aber schwerlich gar nicht bezeichnen lässt. Der Logik des antirassistischen Sprachgebrauches, der aus Nicht-Weißen den zu "PoC" und "BIPoc" verklausulierten "People of Colour" gemacht hat, läge die künftige Bezeichnung "MoM" nahe - Mensch ohne Migrationshintergrund. 

Verwendbar wäre das Wort zumindest bis zum Zeitpunkt, an dem die früheren Biodeutschen die wertfreie Abkürzung nutzen, "um Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich biologischer Abstammungskriterien einzuteilen, zu bewerten und zu diskriminieren", wie die Sprachjury ihren Ukas über "biodeutsch" begründet hat. Auch MoM würde mit seinem Gebrauch schließlich eine Unterteilung in angeblich "echte" Deutsche und Deutsche zweiter Klasse vornehmen, wäre also "eine Form von Alltagsrassismus".


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Jury über sich selbst:
Die Jury kritisiert nicht den ironisch-satirischen, sondern den diskriminierenden Wortgebrauch...

Als Hobbylingiust streiche ich hier die Segel und frage bzw. hinterfrage: Könnt ihr nicht woanders blöd sein?

Witziger ist das Ehepaar Saba-Nur Cheema x Meron Mendel, das 2024 mitspielen durfte.

Das persönliche Unwort unserer diesjährigen Gäste Saba-Nur Cheema und Meron Mendel:
importierter Antisemitismus: Der Ausdruck importierter Antisemitismus suggeriert, dass Judenhass insbesondere mit dem Zuzug von Migrantinnen und Migranten (aus arabischen Ländern) zu einem Problem geworden sei.


'Insbesondere' nennen Rhetoriker (aber vermutlich nicht Linguisten) ein Wieselwort. Das ganze ist eine Aussage, die so keiner auf der Gegenseite tätigen würde, und damit haben auch zum Wieselwort noch einen Strohmann. Nicht schlecht.

ppq hat gesagt…

alles eine frage der betonung. nur welche muss ich?

Anonym hat gesagt…

Erfreulich, daß die freiwillige Fünfer-Jury nicht auch noch den Paßdeutschen verboten hat.