Die Union hat sich ein Wahlprogramm gegeben, das auf den ersten Blick kaum von dem von 2005 zu unterscheiden ist. |
Halbzeit in einem Wahlkampf, der wieder keiner ist. Peinlich achten alle Parteien darauf, nicht allzuviel über ihre künftigen Pläne zu verraten. Auf den Plakaten, die sie aushängen, stehen populäre Binsen wie "Schulen und Kitas sanieren" oder "Mehr Geld für Arme". In den sozialen Netzwerken beharkt man sich mit verkürzten Zitaten. Die meisten Veranstaltungen finden im Saale statt, da ist man unter sich und es muss kein Widerspruch befürchtet werden.
Im Gespräch mit dem Medienforscher und Regressionsspezialisten Hans Achtelbuscher vom Institut für Angewandte Entropie in Frankfurt an der Oder wird deutlich, wie sehr dieser Wahlkampf eine Qual für alle Beteiligten ist.
Lauwarme Halbzeitbilanz
PPQ: Herr Achtelbuscher, lassen Sie uns einen kurzen Blick zurück und dann einen längeren nach vorne werfen. Wir stehen ungefähr in der Halbzeit des Wahlkampfes zu den Bundestagswahlen im Februar 2025. Es ist einer der kürzesten Wahlkämpfe, die wir je erlebt haben. Wie schätzen Sie den Verlauf bisher ein?
Achtelbuscher: Lassen Sie mich etwas voraus schicken und von vornherein einordnen, damit wir uns richtig verstehen: Es handelt sich nicht um einen der kürzesten oder sogar den kürzesten Wahlkampf aller Zeiten. Das ist im Grunde genommen reine Desinformation, eine Fake News, wie man heutzutage sagt.
PPQ: Was meinen Sie damit? Wir haben doch nur 100 Tage oder sogar nur 80 Tage Zeit, wenn man Weihnachten abzieht. Ist das nicht sehr wenig?
Achtelbuscher: Das ist richtig, aber schauen Sie auf den normalen Wahlkalender. Danach ist immer im September eine Sommerpause, die bis Anfang August dauert. Wir kommen also nie, wir sind noch nie gekommen, darauf muss ich bestehen, auf einen Wahlkampf, der länger gedauert hat als sechs, vielleicht sieben oder allerhöchstens acht Wochen. Und ich will Ihnen etwas sagen: Das ist auch gar nicht möglich. Nach acht Wochen, das zeigen uns alle Untersuchungen, die wir dazu gemacht haben, und auch Kollegen bestätigen das mit vielen Studien, dass acht Wochen das Äußerste sind, was ein normaler Mensch an Wahlkampf-Parolen, an Botschaften, an Versprechen, an Zusage-Erklärungen, wie man so sagt, gerade noch ertragen kann. Alles, was mehr wäre, wäre ja kontraproduktiv, auch für die Parteien.
PPQ: Sie meinen also, ein längerer Wahlkampf würde viel von der Wissensvermittlung zunichte machen, die vorher vielleicht doch gelungen ist?
Achtelbuscher: Genau so ist es. Wenn Sie den Menschen nach vier Wochen eingetrichtert haben, dass sie die Steuern senken werden, dass die Energiepreise sinken werden, dass die Abgabenlast nicht steigen wird, aber auf jeden Fall auch sinken, dass es mit der Wirtschaft wieder aufwärts gehen soll und dass sie ganz, ganz klare Pläne haben, wie sich alle anderen Probleme relativ schnell durch angestrengte Arbeit beseitigen lassen werden, dann haben Sie im Grunde genommen ab Woche fünf schon nichts Neues mehr zu erzählen. Sie können das alles wiederholen und wiederholen und wiederholen, aber das kommt den Menschen irgendwann zu den Ohren heraus, und sie beginnen dann, nicht mehr zu wissen, wer ihnen eigentlich was fest zugesagt hat.
PPQ: Und warum sind sich dann alle Parteien jetzt im Grunde genommen einig in der Klage darüber, dass der Wahlkampf so kurz sei, dass sie mit ihren Botschaften in der Schnelle gar nicht durchdringen könnten?
Achtelbuscher: Ja, das liegt natürlich auf der Hand. Im Grunde genommen ist es das Phänomen des Sprinters, der die falschen Schuhe mit hat, er ist nur auf Langstrecke eingerichtet, sagt er. Weil er ahnt, dass das Rennen nicht gut für ihn ausgehen wird, weil er schlecht trainiert ist, schlecht gelaunt und ohne jeden Optimismus. Der wird dann sicherlich sagen, die Strecke sei nicht die seine, er habe nur die Schuhe für Langstrecke dabei. Dieses Phänomen können wir im Moment in den politischen Parteien beobachten, wenn wir sehen, was über den Wahlkampf gesagt wird.
PPQ: Das haben wir verstanden. Lassen Sie uns zu Ihrer aktuellen Einschätzung kommen. Wie sieht das aus? Was ist Ihnen aufgefallen an diesem doch recht untypischen Winterwahlkampf?
Achtelbuscher: Auch da geht es eigentlich wieder um lange Linien, die sich fortsetzen, ob nun Winter oder im Sommer. Der Wahlkampf, wie er früher war, den gibt es nicht mehr. Die größte Anstrengung, ich würde fast sagen die einzige, unternehmen Parteien inzwischen nicht mehr irgendwo da draußen in der Welt oder im Fernsehen. Mit Fernsehen meine ich Talkshow-Auftritte, vermeintlich objektiv besetzt. Das läuft nebenher. Wirklich angestrengt wird sich in den sozialen Netzwerken: TikTok oder X oder Facebook. Da wird viel Geld und Strategie reingesteckt, wobei ich denke, dass sich das für kaum eine Partei lohnt, weil die Glaubwürdigkeit, die Reaktion sieht man ja, ich sage mal, tief im Keller ist.
PPQ: Wie meinen Sie das?
Achtelbuscher: Schauen Sie sich an, wenn die Grünen posten, was dann an Echo kommt. Da ist natürlich zuerst einmal die organisierte Welle der Zustimmung aus der eigenen Blase. Wenn Sie weiter schauen, ist da Widerspruch, Widerspruch in Legionen. Da wird auch niemand überzeugt werden, der nicht schon überzeugt ist. Dazu müssten die Parteien raus, dazu müssten sie zu den Leuten, nicht nur in irgendwelche Küchen ihrer Kumpels. Ich glaube, das ist genau das, was zumindest einige Parteien vermeiden.
PPQ: Herbert Wehner, ein früherer Chef der damals noch imposant großen Bundestagsfraktion der SPD, hat über solche Politiker wie Olaf Scholz, die die Marktplöätze meiden, einmal gesagt, sie baden ihn gern lau.
Achtelbuscher: Das hat er gut erkannt. Der Herr Scholz führt seinen Wahlkampf durchweg im geschlossenen Saal. Marktplätze, öffentliche Freiluftveranstaltungen, das ist offenbar, was er am meisten scheut. Allerdings ist er nicht der Einzige. Auch sein schärfster Konkurrent Merz von der CDU geht gern dorthin, wo seine Leute sind, also Unternehmer, Handwerker, Manager, Leute, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben. Robert Habeck macht es genauso; wenn er irgendwo Wahlkampf macht, dann in Universitätsstädten, dort gern in Studentenclubs oder deren Umfeld. Wir müssen da jetzt mal die Küchentisch-Aktionen rausnehmen, denn die dienen ja nicht wirklich dem Wahlkampf, sondern sind im Mittel zum Zweck, um Wahlkampf in den sozialen Netzwerken machen zu können.
PPQ: Gibt es Ausnahmen?
Achtelbuscher: Ja, natürlich gibt es Ausnahmen. Die FDP, die ja nun ums Überleben kämpft wie andere Parteien auch, versucht einen Kontrapunkt zu setzen, indem ihr Chef sich direkt auf Marktplätzen inszeniert. Das ist natürlich ein starkes Signal, lässt sich Lindner doch sozusagen stellvertretend für die politische Klasse die Winter-Wirklichkeit um die Nase wehen, ein symbolisches Zeichen. Allerdings zweifle ich stark daran, dass es von den Wählerinnen und Wählern als solches erkannt wird. Die sehen dann nur einen Mann im Anzug, leicht angegraut, vor Kälte blass, dynamischer als etwa CDU-Mitbewerber, aber ja, das sind vorsichtig gesagt keine Trump-Reden, die da gehalten werden, sondern Vorträge im üblichen Berliner Format: ein bisschen Kritik, ein bisschen Kampfgeist, ein abgebremster Eifer, mit gut gespielter Leidenschaft vorgetragen.
PPQ: Sie scheinen skeptisch.
Achtelbuscher: Unbedingt. Sehen Sie, das Problem ist, dass jemand ein Trump sein möchte, ohne ein Trump zu sein. In drei Jahren in einer Regierung, die sich bemüht hat, gegen den Trumpismus zu regieren, hat er grünes Licht gegeben für noch mehr Bürokratie, für einen Staat, der immer dicker wurde und noch dicker wird. Nun steht er da und wettert gegen genau diese Erscheinung, die er mitbetrieben hat. Ich glaube, man müsste mit dem Klammerbeutel gepudert sein, um jemanxdem diese Wandlung abzunehmen. Nein, ich fürchte, das wird nicht verfangen; das durchschauen zu viele Leute.
PPQ: Die Kampagnen sder Grünen dagegen scheint sehr erfolgreich zu sein. Robert Habeck als öffentlich sinnierenden Menschenfänger ist jhetzt schoin so beliebt, dass mancher denkt, er hat die Wahl schon so gut wie gewonnen,
Achtelbuscher: Um Himmels willen, nein, weiß Gott nicht! Natürlich ist der Eindruck, schon gesiegt zu haben, der, den am liebsten alle Wahlkämpfer möglichst früh heraufbeschwören wollen. Weil viele Menschen dazu tendieren, das zu wählen, von dem sie meinen, sie könnten dann am Ende mal mitgewinnen, und sich dann wenigstens für einen Moment als Sieger fühlen. Aus diesem Grund wird ihnen auch der am weitesten abgeschlagenste Kandidat bis zum Wahltag um 18 Uhr erklären, dass er über sichere Informationen verfüge, dass eine Aufholjagd begonnen habe und er kurz davor sei, den weit vorne liegenden Favoriten zu überholen. Nein, das hat nichts mit der Realität zu tun.
PPQ: Aber 2021 bei der letzten Bundestagswahl ist doch genauso ein Wunder passiert, und die SPD, der zuvor kaum Chancen gegeben wurden, war am Ende...
Achtelbuscher: Da müssen Sie genau hinschauen. Das lag ja nun weniger an der SPD als an einem Konkurrenten namens CDU, der einen Wahlkampf geführt hat, für den eigentlich anschließend Leute ins Parteigefängnis hätten gesperrt werden müssen (lacht). Falscher Kandidat, falsche Botschaft, falsche Wahlkampfführung. Alle Experten haben damals nur mit dem Kopf geschüttelt und gedacht: "Nun ja, vielleicht wollen sie nicht..."
PPQ: Das ist ein Eindruck, den man im Augenblick allerdings auch bei dem derzeitigen Spitzenkandidaten Friedrich oder, wie Olaf Scholz sagt, "Fritze" Merz haben kann.
Achteluscher: Ja, da agiert ein Mann ohne
Leidenschaft, ein Spitzenkandidat, der mit seiner Körperhaltung und nahezu jedem Wort sagt, ich werde gezwungen, diese Rolle des
Kanzlerkandidaten auszufüllen, ich kann es nicht, ich will es nicht, ich habe eigentlich keine Ambitionen und Pläne und Absichten habe ich schon gar nicht. Merz ist das Gesicht dieses Wahlkrampfes, eine Personifizierung von Arbeitsverweigerung im Amt. Selbst Olaf Scholz, dem niemand nachsagen kann, er sei ein charismatischer Anführer, der jemals irgendwelche Ambitonen hat erkennen lassen, wirkt neben Merz hochmotiviert und springlebendig.
PPQ: Wie kann das passieren? Wie kann die immer noch größte deutsche Partei sich zum dritten Mal hintereinander so im Regal vergreifen und nach Merkel und Laschet jetzt Merz nach vorn schieben?
Achtelbuscher: In der Partei war man der Meinung, es würde reichen, weil die Gegnerschaft schwach und unbeliebt ist wie noch keine Regierung zuvor. Weil sich Merz seinen Anspruch redlich ersessen hat, über Jahre, ja, mehr als ein Jahrzehnt hat er auf seine Chance gewartet, es Angela Merkel zu zeigen. Das wurde honoriert, er wurde dann halt genommen, weil ja auch kein anderer sich anbot. Es ist ja in der Union nicht anders als in anderen Parteien, da herrscht ein Fachkräftemangel, der ist fürchterlicher als im Klempnerhandwerk und bei der Müllabfuhr.
PPQ: Nun ist aber friedrich Merz für Freund und Feind überraschend ausgebrochen aus seiner bisherigen Duldungshaltung. Was sagt uns das?
Achterbuscher: Abschließend lässt sich das so kurze Zeit danach noch nicht seriös beurteilen. Eine wichtige Rolle für seine recht spontane Entscheidung, all in zu gehen, wie er es ja selbst genannt haben soll, war sicherlich die wachsende Beunruhigung über die doch schneller als gedacht abbröckelnden Umfragewerte. In der Partei war Unruhe zu spüren, hörten wir, nicht alle waren einverstanden mit dieser Strategie, keinen Wahlkampf zu führen. Ob Merz aber richtig spekuliert hat, als er sich entschloss, jetzt ins Kostüm des harten Hundes zu steigen, werden erst die nächsten Tage zeigen.
1 Kommentar:
Auf die nächsten Tage muss man beim Fritze nicht warten. Wäre Zurückrudern olympisch, wäre der Deutschland-Achter mit ihm als Steuermann wieder der Stolz der Nation.
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