Die Bluttat von Aschaffenburg lieferte Friedrich Merz die Vorlage, um aus der drögen Wahlkampfroutine auszubrechen. Aber glaubt ihm das noch jemand? |
Friedrich Merz ließ es früh erkennen. Nur langsam mit die jungen Pferde! Der Kanzlerkandidat der Union, als Favorit gesetzt, betrieb seinen Wahlkampf von Anfang an als aufwendiges Vermeidungsmanöver. Bloß keine Inhalte, bloß nichts, an das sich jemand erinnern könnte, wenn er an der Wahlurne steht. Geduckt geht der 69-Jährige durch die Wochen des Wartens auf den großen Tag, an dem sich sein Lebenstraum erfüllen wird. Der Merkel endlich zeigen, dass man auch Kanzler kann.
Der Beste unter allen Schlechten
Merz, ähnlich unbeliebt wie der Kandidat seines künftigen Koalitionspartners, setzte nicht auf Sieg, sondern auf den ersten Platz. Dem Spätdochnochberufenen, knapp jünger als Adenauer, als er zum ersten Mal Kanzler wurde, reicht es, als Bester unter lauter Schlechten und weit vor den Hundsmiserablen anzukommen. Nach den Zeiten, in denen die CDU und die CSU gemeinsam auf 45 Prozent der Stimmen kamen, sehnt sich der Sauerländer nicht einmal zurück. Regieren wird er auch so. Nur mit deutlich weniger Verantwortung.
Friedrich Merz hat deshalb einen Zickzack-Wahlkampf hingelegt, mit dem er Freund und Feind immer wieder neu verwirrte. Mal zeigte er sich als knochenharter Konservativer, dann forderte er die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Er machte den Eindruck, viele unsinnige Gesetze, Verordnungen und Regeln auslichten zu wollen. Knickte aber anschließend umgehend ein und entschuldigte sich schon vorab: Das sei wegen der EU leider nicht möglich.
Noch liegt er vorn
Dass Merz immer noch ganz vorn liegt, hat er nicht sich, sondern seinen Mitbewerbern um das Kanzleramt zu verdanken. Sie alle irrlichtern, sie alle wirken alleweil so, als wollten sie gut abschneiden, Aber bloß nicht zu gut. Olaf Scholz, der gescheiterte Amtsinhaber, der drei Jahre lang gezeigt hat, dass auch ein Übermaß an Chefsachen keine Politik ersetzen, hat das geplante "Weiterso" auf seinen Veranstaltungen durch das Synonym "Neuanfang" ersetzt.
Eine Drohung, die Scholz selbst für ein großartiges Versprechen hält. Um es einzuhalten, ohne zu sagen, woraus es genau besteht, irrlichtert der selbst in seiner Partei wenig geschätzte Sozialdemokrat zwischen Klassenkampf-Parolen und Anflügen von Einsichten in die Notwendigkeit. Gelegentlich gewürzt mit Ausbrüchen von Altersstarrsinn: Seine Aufholjagd werde er gewinnen wie letztes Mal. Denn er führe einen Kampf für das Gute gegen das Böse, den er für die Menschen gewinnen müsse.
Im Bereich der Fehlertoleranz
Seine drögen Auftritte, im politischen Berlin verhöhnt als "Aktentaschenshows", schmückt Scholz mit dem Wahlslogan "Mehr für Dich", der die Bürgerinnen und Bürger cool ankumpelt, als seien sie Bros von der Nachbarbushaltestelle. Den Umfragen zufolge verfängt Scholz' Kampagne bislang in einem ähnlichen Maße wie die von Merz: Seit dem Beginn des Wahlkampfes mit dem Ende der Ampel-Koalition fluoreszieren die Umfrageergebnisse im Bereich der Fehlertoleranz.
Was nicht weiter schlimm ist, da es allen anderen Angetretenen ähnlich geht. Christian Lindner von der FDP, Robert Habeck von den Grünen, Sahra Wagenknecht und Alice Weidel touren mittlerweile seit Wochen durch die Lande. Groß in Schwung gekommen aber ist keine Kampagne. Schlafwandelnd schleppt sich der vermeintliche Wahlkampf über die Bretter. Weder der "Stolz", den Merz wiedererwecken will, noch die guten Gaben von Scholz, weder Weidels "Wir holen uns unser Land zurück" noch Lindner Zusage, demnächst schon ein bisschen Trump und Milei sein zu wollen, erreichen irgendjemanden.
Selbst Habeck stagniert
Nicht einmal die frohen Botschaften von Robert Habeck, dem Geheimfavorit seiner eigenen eingeschworenen kleinen Gemeinde. Der Grüne glaubt fest daran, dass auch außerhalb des Ghettos seiner Glaubensgemeinschaft mit ihren zwölf bis 16 Prozent noch jede Menge Menschen darauf warten, von ihm an die Leine genommen und ins gelobte Land geführt zu werden.
Die Umfragezahlen, die die aufwendigste
und mit Sicherheit teuerste Wahlkampagne produziert, die Bündnis90/Die
Grünen jemals betrieben haben, sind ungeachtet dessen ernüchternd. Seit
"Team Habeck" als Massenbewegung ausgerufen wurde, haben es die Grünen wieder auf den Stand von Juni 2024 geschafft. Damals erreichten sie ihre schlechtesten Werte seit Antritt der Ampel. Es wird knapp im Kampf um Platz drei nach der Wahl, den Platz, der allen Berechnungen vor der Brandmauer zufolge reichen würde, als Minister in Amt und Würden zu bleiben.
Nur bei Merz läuft es richtig schlecht
Schlechter läuft es nur bei Friedrich Merz, dem Anti-Merkel, dem sie im politischen Berlin den Spottnamen "Merzkel" hinterherflüstern. Aus den Umfragebereichen von Mitte der 30 Prozent hat der CDU-Chef sich und die Seinen recht rasch zurückbefördert in die Tiefebenen der 20er-Prozentzahlen. Dort richtet sich die Union gerade häuslich, schließlich reicht das zum Weiterkommen.
Während Habeck auf die populistische Pauke haut, auch wenn er manchmal danebentrifft, und Scholz als Arbeiterführer und abgeklärter Landesvater wahrgenommen werden will, wird Merz als müder alter Mann inszeniert, der mit "Mehr drin für Euch" gerade noch knapp am "Mehr für Dich" der SPD vorbeischrammt.
Farbloses Blassblau
Ja, mit dem neuen, fast farblosen Blassblau hat die CDU die passende Schattierung gewählt. Im CDU-Shop gibt es auch die passenden Plakate dazu: "Runter vom Gas" heißt es da, gern zu kombinieren mit damit "wir wieder stolz sein können".
Nein, "seriöser geht es nicht. Langweiliger auch nicht", hat "Horizont"-Herausgeber Uwe Vorkötter die authentische Drögheit des kommenden Kanzlers beschrieben, der gegen die vibrierende Energie Donald Trumps wirkt wie eine Versteinerung. Merz mache "Wahlkampf auf der sicheren Seite", schrieb Vorkötter bei "T-Online": "Bloß kein Risiko!" Wie alle Kandidaten vermied es Friedrich Merz bis zu diesem Zeitpunkt tunlichst, deutlich das zu sagen, was große Teile der Wählerinnen und Wähler hören wollen.
Ein hohes Risiko
Das war hochriskant, denn auch wenn Friedrich Merz die Bundestagswahl nach derzeitigem Stand selbst mit den traurigen 25 Prozent der Stimmen noch sicher gewinnen würde, die der seit Mitte Dezember eingeleitete Abwärtstrend ihm Ende Februar noch zuspricht, ließe sich ein solch schwaches Ergebnis kaum als Sieg verkaufen. 24,1 Prozent der Stimmen eroberte die Union 2021, als sie die Wahl mit einem ähnlich leisen und vorsichtigen Spitzenkandidaten Armin Laschet gegen eine nicht einmal auf Sieg spielende SPD verlor.
Ein Gewinn von einem oder zwei Prozent würde zwar reichen, Merz zum Kanzler zu machen. Es würde aber auch reichen, ihn vom ersten Tag an schwach aussehen zu lassen. Schafft es die FDP nicht zurück ins Parlament, stünde vielleicht nicht einmal die Frage, ob die Union mit SPD oder Grünen regieren will. Sie müsste mangels Mehrheit beide nehmen.
Passende Vorlage
Angesichts dieser verfahrenen Situation hat Merz nun Nerven gezeigt. Die "Bluttat von Aschaffenburg" (DPA), ein Ereignis, das vor fünf Monaten noch abmoderiert worden wäre, liefert Merz die Vorlage. Ohne auf Mahnungen zu hören, er breche damit "Europarecht" (SZ), instrumentalisierte der Unionskandidat die Morde, um sich als Volkstribun zu inszenieren. Mit der "Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers" werde er am ersten Tag im Amt, das Trump-Echo ist beabsichtigt, anweisen, "die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen", sagte der CDU-Vorsitzende. Das sei ein "faktisches Einreiseverbot" für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente. Mit anderen Worten: Eine komplette Aussetzung des Asylrechts.
Niemand hat damit gerechnet, dass Friedrich Merz so weit gehen würde. Niemand ist jetzt mehr auf der guten Seite der Brandmauer zu sehen, der mit diesem Mann noch koalieren könnte. Friedrich Merz ist mit seiner Attacke einer ähnlichen Eingebung gefolgt wie Robert Habeck mit seiner Idee, Deutschlands Sparer ein weiteres Mal kräftig zur Kasse zu bitten.
Aus einer Falle in die nächste
Er entkommt damit einer strategischen Falle, in der die CDU noch 30 Tage lang verzwergt worden wäre. Und rennt in eine neue: Gerade erst hatte der CDU-Chef sein politisches Schicksal mit der Absage an eine Partei verknüpft, die "ausländerfeindlich ist, die antisemitisch ist, die Rechtsradikale in ihren Reihen, die Kriminelle in ihren Reihen hält – eine Partei, die mit Russland liebäugelt und aus der Nato und aus der Europäischen Union austreten will". Und auf einmal bleibt ihm zur Umsetzung seiner neuen Pläne gar kein anderer Koalitionspartner mehr übrig.
Ein Umstand, der hinter Merzens wackerer Ankündigung, er gehe diesen Weg, auch wenn niemand mitgehe, ein neues taktisches Manöver vermuten lässt. Sagen lässt sich jetzt viel, umsetzen dann später halt weniger, das Blut der Demokratie ist der Kompromiss, fast ist Merz schon zu hören, wie er das bedauernd einräumt. So schön es gewesen wäre, etwas schon immer Illegales noch einmal strikt zu verbieten, nach dem 23. Februar wird es vielleicht doch nicht möglich sein.
3 Kommentare:
Er wird nie über seinen eigenen Schatten springen können.
https://x.com/JHillje/status/1882841593616707841
“Ich möchte, dass wir jetzt nur noch die Dinge auf die Tagesordnung setzen, die wir vorher im Konsens von Opposition und restlicher Regierung vereinbart haben, ums uns alle davor zu bewahren, dass wir plötzlich Zufallsmehrheiten mit AfD oder Linken haben.”
Was soll man zur Besetzung der politischen Rollen noch groß sagen.
Der Friederich, der Friederich,
Das war ein arger Wüterich!
Er fing die Fliegen in dem Haus
Und riß ihnen die Flügel aus.
Er schlug die Stühl’ und Vögel tot,
Die Katzen litten große Not.
Und höre nur, wie bös er war:
Er peitschte seine Gretchen gar!
Bei aller berechtigten Betrübnis über die zum Himmel nicht schreiende, sondern brüllende Dummheit des
profanum vulgus bleibt doch ein gewisser Unterhaltungsfaktor, wie sich Merzel windet, und alle zwei Stunden eine Drehung um 180° vollzieht. Wäre er nicht eine derartige (Selbstzensur), möchte man fast Mitleid haben.
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