Samstag, 18. Januar 2025

Bachstelzen-Sinfonie: Der Sisyphos von Schleswig

Robert Habecks neues Buch empfiehlt nicht, wie die Lachse zum Sterben gegen den Strom  zu schwimmen. Vielmehr ist die Bachstelze Vorbild, die stolz ausschreitet und mit dem Schwanz wippt. Abb: Kümram, Blasserfarben


Für die meisten wäre die Aufgabe groß genug gewesen. Eine Wirtschaft führen, die immerhin die drittgrößte der Welt ist, und nicht irgendwohin, sondern im Eiltempo durch den größten Umbau, den sie seit mehr als 100 Jahren erlebt hat, damit das Klima gerettet werden kann. Und es war ja nicht nur die Wirtschaft! Parallel stand die Aufgabe, Millionen Menschen zum Umbau ihrer Heizungskeller zu bewegen, Wohlstandsverluste zu verhindern und Ersatz für die Energielieferungen zu besorgen, die nicht mehr aus Russland kommen konnten.

Unter der Last der Verwantwortung

Aufgaben, die für viele kaum zu bewältigen gewesen wären. Manchen hätte die Last der Verantwortung für das Schicksal von Millionen niedergedrückt. Andere der Mangel an ausreichend Zeit frustriert, so viele wichtige Themen zu verstehen, zu durchdringen und über sie so zu entscheiden, dass das Land vor dem Absturz bewahrt und vor dem Untergang geschützt wird. Das weite Feld, das ein deutscher Wirtschaftsminister beackert, der zudem auch noch die Klimapolitik verantworten muss, zieht sich bis zum Horizont und weit darüber hinaus. Allein, diese Flächen abzuschreiten, erfordert die Kraft eines Leistungssportlers. Sie zu beherrschen, nach dem eigenen Plan zu bestellen und auf ihnen zu ernten, was blüht und grünt, dazu muss ein Mann ein Gigant sein.

So ein Mann ist dieser Robert Habeck. Der 55-Jährige aus Heikendorf in Schleswig-Holstein bewältigt  als Klima- und Wirtschaftsminister seit Jahren ein ganz anderes Pensum als gewöhnliche Menschen. In den Monaten des Jahres 2024, in denen sich die Krise immer mehr zuspitzte, blieb er ruhig und gelassen.

Standhalten im Sturm

Als selbst die treuesten Begleiter in den Medien begannen, von einer Rezession zu raunen, hielt er stand. Als mancher langjährige Freund und Fan ob der Vielzahl gescheiterter großer Pläne verzagte, strahlte er Zuversicht aus. Und als selbst die von der Regierung beauftragten Wirtschaftsforscher nur noch vorsichtig umschrieben, dass sie schwarz sehen, rief er nach mehr Optimismus. Zwischen dem Zusammenbruch der Regierung und der Anarchie, zwischen Kapitulation und Fortschritt stand oft nur einer. Eine Brandmauer aus einem Mann: Robert Habeck.

Was viele nicht wussten: In diesen Tagen schwerer Entscheidungen hatte Robert Habeck aber bei weitem nicht dafür zu sorgen, dass der grüne Stahl nicht ausgeht und die Erdgasnetze zurückgebaut werden. Nebenher musste der frühere grüne Parteivorsitzende vom Sommer an auch noch umfangreiche Manöver planen, um die Führung seiner Partei umzubauen. 

Die Partei auf Linie bringen

Die beiden bis dahin neben ihm agierenden Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang wurden nach den verloren gegangenen Landtagswahlen im Herbst ausgetauscht. Habeck besetzte die offenen Stellen mit handverlesenen Getreuen. Seine Konkurrentin Annalena Baerbock zog ihren Anspruch auf die Kanzlerkandidatenwürde zurück. Seitdem herrscht Habeck in seiner Partei unumschränkt, er hat sie zum Team Habeck gemacht, eine schlanke, scharfe Waffe, die er führt wie ein Rōninmeister aus der Niten-Ichiryū-Schule.

Es mutet fast unmöglich an, aber es ist doch wahr. Während all das geschah, fand Robert Habeck in sich noch die Kraft und in seinem übervollen Terminkalender noch die Zeit und die Gelegenheit, ein ganzes Buch zu schreiben. "Den Bach rauf" heißt das Werk, das die alte Tradition grüner Kanzlerkandidierender fortschreibt, im Wahlkampf in einem Grundsatzwerk zu erklären, wie man "Deutschland verändern will und worauf es ankommt, wenn wir es in eine gute Zukunft führen möchten". Habecks Titelbild mutet im ersten Augenblick schräg an: Wer den Bach hinaufschwimmt, dem kommt das Wasser entgegen, er ist gegen den Strom unterwegs, muss sich gegen die Strömung stemmen, gegen Zeitgeist und Mehrheitsmeinung. 

Ausgelaufene Sympathiewelle

Genau dort aber sieht sich Robert Habeck. Der studierte Philosoph hat erkannt, dass die Welle der Sympathie, die ihn und seine Partei vor drei Jahren ins Amt spülte, ausgelaufen ist. Die vielen fleißigen  Vorfeldorganisationen, denen die Grünen ihren Aufstieg zur Macht verdanken, sind weg: Die Letzte Generation aufgelöst, Fridays for Future besteht nur noch aus drei, vier bekannten Fernsehgesichtern, die Klimapropaganda als Kleingewerbe betreiben. Die Grünen verzeichnen zwar einen Ansturm von jungen, neuen Mitgliedern. Aber das tut die Linke auch und die steht nach jahrelangen Wahlniederlagen und einer Verwandlung von der Kümmererpartei im Osten zu einer westdeutsch dominierten Sekte vor dem endgültigen Aus.

Eine bedrohliche Situation, in der Robert Habeck gerade recht kommt, um Trost zu spenden, den Kurs zu bestimmen und den "Mut" (Habeck) wiederzufinden. Das höhnische Bild vom Mann, der sich jesusgleich übers Wasser gehen sieht, ist in manchen Medien benutzt worden. Doch es ist falsch. Die schmalen 144 Seiten, die Robert Habeck im Urlaub zu Papier gebracht hat, beschreiben einen anderen Plan. 

Gegen den Strom stelzen

Habeck weiß, wie mühsam es ist, gegen den Strom zu schwimmen. Man wird nicht mehr überall nur gelobt. Man wird nicht mehr als Heilsbringer gerühmt. Man wird nicht mehr eingeladen, um seine Sprüche zu klopfen. Man wird nicht mehr gewählt. 

"Den Bach rauf" soll es im Stil der Bachstelze (Motacilla alba) gehen: Schreitend, mit weit ausgreifenden Schritten, die von rhythmischen Kopfbewegungen und einem flachen Schwanzwippen begleitet werden. Dort oben auf dem Berg kommen alle, die folgen, endlich an der Quelle und dort wird Robert Habeck sie selbst erwarten, aus den Quellen der eigenen Weisheit schöpften und den Durst der Massen stillend.

"Robert Habeck will das schaffen", schreibt die FAZ. Der Kanzlerkandidat der Grünen hat erkannt, dass "die Zeiten sehr anspruchsvoll" sind und "von vielen viel fordern", die Nachrichten seien "oft schlecht" klagt er, und "die Aussichten nicht besser". Zeit, über "Perspektiven" zu sprechen, über Hoffnung und  Zuversicht. Robert Habeck analysiert, dass "wirtschaftliche Prosperität die Voraussetzung von Freiheit ist", nicht umgekehrt!, dass er vorhat, die soziale Marktwirtschaft zu erneuern und - so viel Zeit muss sein - auch die "Fundamente der Gesellschaft" zu stärken gedenkt. 

Die Bachstelze kennt kein Verzagen

Habeck weiß genau, "was das Land stark gemacht hat und was wir wieder brauchen, um die Mutlosigkeit zu überwinden, die Gesellschaft zu versöhnen und wieder nach vorn zu schauen". Die Bachstelze etwa kennt keine Verzagtheit, kein Stillstehen und Abwarten. Sondern nur wenig oder mehr Schwanzwippen. Bei raschen Bewegungen, nach dem Landen, dem Anhalten aus dem Laufen heraus oder beim Aufpicken von Nahrung ist das Schwanzwippen heftiger. Vor dem Abflug oder bei einem schnellen Übergang von der Landung zur laufenden Fortbewegung unterbleibt es kurz - in genau diesem Augenblick sieht der grüne Kanzlerkandidat sich und das Land.

"Wir können den Bach raufgehen", sagt er, spricht einmal mehr für alle und erinnert die Gesellschaft daran, dass Lachse diesen Weg nicht nur zum Laichen., sondern auch zum Sterben nehmen. Habecks  im wahrsten Sinne wegweisendes Werk klingt nur wenig wie die Bergpredigt, viel mehr wie ein Produkt einer Selbstvergewisserung. Die Bachpredigt ist auch ein Gebet an sich selbst, geleitet von einer Ideologie, die davon ausgeht, dass der, der das richtige glaubt, anderen Bescheid sagen kann, ohne selbst Bescheid zu wissen. 

Suchender mit Strubbelhaaren

Robert Habeck zeigt sich hier einmal mehr selbst als Suchender. Das ist eine der Posen, von denen die grünen Wahlkampagnenplaner sicher wissen, dass sie stets Wähler von Habeck zu überzeugen weiß, die vielleicht mit seinen politischen Erfolgen nicht einverstanden sind, aber die grüblerische Kunstfigur mit den Strubbelhaaren gut finden. 

Klar nach der Lektüre des schmalen Bändchens, das sofort an die Spitze der Bücherhitparaden stürmte, dass Robert Habeck etwas von Marktwirtschaft versteht - und zwar weit mehr als so manche frühere Kanzlerin. So war etwa Angela Merkel wegen des als horrend empfundenen Preises ihrer wuchtigen Autobiografie "Freiheit" schwer in die Kritik geraten. In Zeiten knapper Kassen könnten sich gerade die Ärmeren und Abgehängten kein Buch leisten, das 42 Euro koste, hieß es. Merkel musste sich gar vorwerfen lassen, jetzt Millionärin zu werden, auf Kosten der Ostdeutschen, der Migranten, die für Minilöhne schuften, und auf die Knochen Alleinerziehender.

Marktwirtschaft kann er auch

Habecks stellt es klüger an: Die 18 Euro, die er für seine 144 Seiten aufruft, wirken taschengeldfreundlich und vermochten es in der Tat, die gesamte Medienlandschaft zu täuschen. Niemand übte Kritik an Habecks Preispolitik. Niemand wies auf den inflationstreibenden Einfluss eines Buches hin, das mit elf Cent pro Seite fast doppelt so teuer ist wie Angela Merkels Großwerk (0,057 Cent): Wäre Habecks Nachwanderung so dick wie Merkels Vermächtnis, müssten Leser 92 Euro auf den Tisch legen, um es ihrer Sammlung maßgeblicher Politikerbücher einzuverleiben.

Ganz ohne Kritik kommt aber auch Robert Habeck nicht davon. Schnell war im politischen Berlin, jener mit Neid und populistischer Politikverachtung (Daniel Günther) abgefüllten Blase, die böse Parole im Umlauf, man müsse doch mal fragen, wann Robert Habeck mitten in Deutschlands größter Wirtschaftskrise auch noch ein Buch haben schreiben können. Hätte er nicht genug zu tun gehabt, die Wirtschaft vor dem Absturz zu retten? Die Menschen vor drohenden Entlassungen? Die Firmen vor erzwungenen Schließungen? 

Etwas anderes tun kann er gar nicht

Alle diese Beschuldigungen hat der Wirtschaftsminister souverän ins Leere laufen lassen. Er gibt zu, während seiner Tage des Kampfes mit dem Manuskript, für ihn gleichbedeutend mit der schweren Zeit, die Moses in der Wüste verbrachte, auch ans Aufgeben gedacht zu haben. Die Politik aufgeben, etwas anderes zu tun als Wirtschaftsminister zu sein, für einige Momente schien ihm das wohl verlockend. 

Bis ihm dann selbst auffiel, dass es das ist, was er die ganze Zeit schon macht.


4 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

OT zum Sisyphos von Zypern

Sisyphos zeichnete sich durch große Weisheit aus , doch Schweine sind Allesfresser. Hühner manchmal auch, sogar die dummen.

Arminius hat gesagt…

Heute morgen habe ich ein Plakat mit dem Bild eines Ministers, der seine Mitbürger anzeigt, gesehen. Auf dem Plakat stand das Wort "Vertrauen".
Das muß ein Satireplakat gewesen sein.

Die Anmerkung hat gesagt…

War das der Anzeigenhauptminister?

Anonym hat gesagt…

a propos grün

Wie Danisch berichtet, berichtet BILD von einem Gau für Grün. Ich wusste nicht, dass die Gauen restituiert wurden und kann die Einwohner des Grünen Gaus nur bedauern. Oder meinen die GAU? Oh mein Fehler.

Also GAU für Grün wegen Gelbhaar.
oder
Führt grüner Gelbhaar-GAU zu Aua für Audretsch?
oder
Hammer für Habeck: Aua für für Audretsch wegen grünem Gelbhaar-GAU?
Ja, so.