Samstag, 4. Januar 2025

Alle Jahre wieder: Bundesregierung will Vorratsdatenspeicherung

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Wie immer nach einem Anschlag wird die Forderung nach einer Abschaffung von Bürgerrechten schon erhoben, wenn das Blut noch gar nicht trocken ist.

Wie lassen sich "Wahnsinnige" (Oaf Schitz) am besten jagen? Wie fängt man verrückte Psychiater? Wie enttarnt man arabische Ärzte, die morgens im Landesdienst kranke Straftäter behandeln und nach Feierabend selbst Straftaten planen? Wie lassen sich Gefährderansprachen durchführen, um Mörder auf die Strafbarkeit der von ihnen geplanten Handlungen hinzuweisen, auch wenn die Zielpersonen ihre Klingel abgestellt haben? Und wie kann es dem deutschen Sicherheitsapparat unter Einbeziehung des  Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ) gelingen, öffentlich einsehbare Drohungen und Anschlagsankündigungen bei sozialen Netzwerken wenigstens gelegentlich zu bemerken?

Nur kurze Ruhe

Es sind Fragen wie diese, die im neuen Jahr neu auf der Agenda im politischen Berlin stehen. Nach einigen Tagen Ruhe in der stillen Zeit, die die zahlreichen zuständigen Politiker und Behörden nutzten, dem Attentäter von Magdeburg die Maske des gewöhnlichen Terroristen vom Gesicht zu ziehen, steht  im Wahlkampf die langfristige Strategie auf dem Programm, mit der sich weitere solche Taten verhindern lassen. 

Eine aufwendige Suche, der "jeder Stein umgedreht wird" (Nancy Faeser) braucht es dazu zum Glück nicht: In der sogenannten Vorratsdatenspeicherung hat noch jeder Bundesinnenminister der vergangenen  25 Jahre ein Mittel gesehen, mit dem sich Verbrechen vielleicht nicht verhindern, aber ein guter Eindruck beim Wähler machen lässt.

Aussetzung der Grundrechte

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die jeder Person "das Recht auf die Achtung ihrer Kommunikation" und "das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten" garantiert, hatte das Europäische Parlament als Vertreter der Interessen der Bürgerinnen und Bürger deshalb vor 20 Jahren ausgehebelt, auch der EU-Rat votierte später für eine Aufhebung der Grundrechte, um alle Personen in der EU unter Generalverdacht stellen und dauerhaft überwachen zu können. 

Nur so, glaubte eine große Koalition von Sozialisten, Konservativen und Christdemokraten, seien Taten wie die von Magdeburg dauerhaft wohl nicht zu verhindern. Aber Vorwürfe zu widerlegen, nicht alles getan zu haben. Auch nach Taleb Al Abdulmohsen Mordfahrt durch eine friedliche Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt funktioniert der Reflex wie immer. Das Blut auf der Straße war noch nicht getrocknet, das fiel das Wort Vorratsdatenspeicherung zum ersten Mal. 

Die Fußgängerampel ist dafür

Mehrere Sondersitzungen später ist klar: Die verbliebene rot-grüne Bundesregierung aus SPD und Grünen - Stichwort Fußgängerampel - ist für eine Vorratsdatenspeicherung. Die Union sowieso, denn bei den früheren Konservativen sind gerade nach dem vollzogenen Wandel zur fünften sozialdemokratischen Partei große Teile der Führung der Ansicht, dass sich ein ordentliches Law and Order-Image am besten aufbauen lässt, wenn es gelingt, alle und alles jederzeit und überall im Auge zu behalten. 

Im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Nachrichtendienste und im Innenausschuss des Bundestages, die sich in einer Sondersitzung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Vertretern der Sicherheitsbehörden über alles "was wir wissen und was wir nicht wissen" (DPA) unterrichten ließen, kam kein Widerspruch auf. Die Grünen sind nun, mit Blick auf ihre neue Sicherheitsstrategie, auch dafür. Egal, wie es nach der Wahl kommt, eine Mehrheit wird einen neuen Anlauf unternehmen.

Weg mit den Bürgerrechten

Damit fällt die vormalige Alternative für Deutschland, die in jungen Jahren hart für Bürgerrechte, Datenschutz und staatlichen Kontrollwahn kämpfte, auch in diesem Bereich um. Mäkelig hatten die Grünen noch kürzlich der Idee widersprochen, mit einer neuen anlasslosen Überwachung aller nach allen anderen auch dieses letzte bisschen Prinzip aus früheren Zeiten aufzugeben. Doch jetzt, wo die aktuelle Alternative für Deutschland, dagegen ist, kann man nicht nur dafür sein, man muss geradezu.

Es ist Wahlkampf, es ist die Stunde des Populismus. Für die Fußgängerampel ist die Vorratsdatenspeicherung nun ein Wunschprojekt. Ungeachtet aller Umstände, die dafür sprechen, dass keine wie auch immer befristete oder unbefristete IP-Adressenspeicherung Abdulmohsen von seinen Plänen abgehalten oder irgendeiner Behörde eine Handhabe zum Eingreifen gegen den "mit der AfD sympathisierende" (DPA) Landesbediensteten gegeben hätte, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser ihr Wunschprojekt im Handumdrehen wieder aus der Tasche gezogen. 

Auf Vorrat im Sicherheitspaket

Günstiger war die Gelegenheit nie. Im sogenannten Sicherheitspaket der Bundesregierung, die diese Art von Schutzversprechen mittlerweile nicht mehr durchnummeriert, sind die IP-Vorratsdatenspeicherung, ein Aufbau von Gesichtserkennungsdatenbanken und eine Datenabgleichsmöglichkeit von Datenbeständen aller Behörden mit allen der zentrale Punkt. Dass es geholfen hätte oder beim nächsten Mal helfen würde, hat Nancy Faeser nicht behauptet. Sie "glaube", hat sie zurückhaltend formuliert,  "dass in diesem vorliegenden Fall sicherlich wichtig gewesen wäre, einen Erkenntnisabgleich zu haben, das heißt, der Datenabgleich wäre ein wichtiger Punkt, aber verhindern können hätte er es nicht." 

Dennoch sei "die Speicherung von IP-Adressen im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus von entscheidender Bedeutung", hat eine Regierungssprecherin auf die schwierige Frage geantwortet, wie sich möglichst großer Schaden für die Bürgerrechte ohne Nutzen für die Kriminalitätsbekämpfung anrichten lasse. 

Da die Innenminister der Bundesländer ohnehin schon lange nach der neuen Waffe rufe und die Unionsfraktion die Einführung schon zu Zeiten von Wolfgang Schäuble und Thomas de Maiziere forderte, steht zwischen der Vorratsdatenspeicherung und einer Bundestagsmehrheit nur noch ein wacklige Allianz aus Linkspartei, AfD und FDP, wobei die AfD bereits signalisiert hat, dass es ihr aufs Prinzip nicht ankommt und sie durchaus bereit sei, über die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zu reden.

Ein  Trauerspiel

Ein Trauerspiel, weil der Fall Abdulmohsen objektiv betrachtet überhaupt keinen Anlass bietet, anzunehmen, vorliegende IP-Daten hätten mehr bewirken können als die der Bundesinnenministerin direkt vorliegenden X-Tweets mit Drohungen. Im vergangenen Jahr erst hatte das Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sich für 20 Jahre "erfolgreiche Zusammenarbeit im Kampf gegen islamistischen Terrorismus" und seine "wichtige Rolle bei der Verhinderung von Anschlägen" gefeiert. Anwesend damals auch noch Thomas_Haldenwang, der inzwischen in Ungnaden entlassene Verfassungsschutzchef, an dem ein rechtzeitiges AfD-Verbot vor der Bundestagswahl gescheitert war.  

Das GTAZ ist spezialisiert auf eine Tätigkeit als "Koordinierungsstelle der islamistischen Terrorismusabwehr" (BMI), es diente als Vorbild für das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), das 2012 von CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich eingerichtet wurde und sich seitdem mit der Bekämpfung aller übrigen Formen der politisch motivierten Kriminalität befasst. 

Keine Passform

Taleb Al Abdulmohsen hatte sich nun trickreich so verhalten, dass sein Täterprofil offenbar nicht in das Raster der Gefährder- und Terorismusverdächtigen-Datenbanken des GTAZ, aber auch nicht in eine der des GETZ passte.  Ob Ablenkungsstrategie des Täters oder wirre Handlungsweise eines echten "Wahnsinnigen" (Olaf Scholz) - niemand im politischen Berlin möchte derzeit eine Debatte über eine Neuausrichtung der verdienstvollen Gemeinsamen Abwehrzentren führen. In denen arbeiten immerhin  16 Landesämter für Verfassungsschutz, 16 Landeskriminalämter für die Polizeien der Länder sowie die Bundessicherheitsbehörden Bundesamt für den militärischen Abschirmdienst, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, Bundespolizei, der Generalbundesanwalt und das Zollkriminalamt sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammen. Und das sehr erfolgreich.

Gemeinsames Gemeinsamkeitszentrum

Beim GETZ sind es "40 Behörden in verschiedenen Arbeitsgruppen", die jährlich mehr als 500 Sitzungen absolvieren. Beides Zusammenzubinden, ergäbe ein Gemeinsames Gemeinsamkeitszentrum (GEGZ) im XXL-Format, das bis zum Abschluss der Errichtung der gemeinsamen Dateninfrastruktur für Polizeibehörden namens Polizei 2020 (P20) die Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform (VeRA) nutzen könnte. Die weitere Aufklärung der Ereignisse und Versäumnisse, die schuld an den Geschehnissen von Magdeburg waren, könnte dann in der kommenden Legislaturperiode eine Untersuchungsausschuss im Bundestag übernehmen, sobald dort nach der Aufarbeitung der Corona-Jahre Kapazitäten frei werden.

Bis zum Abschluss der Verhandlungen wird es absehbar einige Monate dauern. Mangels vorhandener Aufzeichnungen liegt bisher noch keine vollständige, chronologische Liste der zahlreichen Behördenkontakte des Täters vor, über den Akten in verschiedenen Staaten, Bundesländern und bei unterschiedlichen Behörden, Hochschulen, Berufsverbänden und Unternehmen geführt wurden.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Mit KI wird alles besser werden.