Hauptquartier der Kettensägen-Fraktion: Im Berlaymont-Gebäude in Brüssel schlägt jetzt das Herz der Entbürokratiesierung Europas. Gemälde: Kümram, Bürotinte auf Glas |
Weg mit "Green Deal" und Wiederaufbau der EU. Weg mit den vor der EU-Wahl vollmundig abgegebenen Versprechen "Freiheit, Frieden & Energieunabhängigkeit" und "Stabilität, Respekt und grüne Transformation". Die EU, schwer unter Bedrängnis durch den weltweiten Wetterwechsel der letzten Wochen, erfindet sich wieder einmal neu. Auch diesmal folgt der Instinkt der Bürokraten dem Takt globaler Veränderungen wie ein Pantograph. Er vergrößert allerdings nichts, er malt ohne Tinte.
Augenblickseinfälle auf der EU-Agenda
Das bekannte Verfahren. War es zu Zeiten von Jean-Claude Juncker noch en vogue in Brüssel, sich für Finanzstabilität stark zu machen, nachdem die großen Pläne vom Ausbau der Gemeinschaft zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt geplatzt waren, hatten später regelmäßig ähnliche Augenblickeinfälle die Agenda bestimmt. Mal versprachen sich alle eine EU-Armee, dann wieder sollte Europa Gesundheitsunion werden, ehe es wichtiger wurde, alles grün zu machen, nachhaltig und, die Mode kam überraschend, mit künstlicher Intelligenz.
Auch diesmal versucht Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dem Wandel hin zu mehr weniger Staat, zu freier Rede und gestutzter Verwaltung die brutale Wucht zu nehmen, indem sie sich an die Spitze der Bewegung stellt. Die Parolen von eben sind vergessen, der "Green Deal" wird eingemottet, die KI Act ist Schnee von gestern, ebenso der desaströs gescheiterte Chips Act und der mit Rekordmilliarden betriebene Wiederaufbau, den die EU dem Kontinent verordnet hatte, obwohl er nach Dafürhalten von Kommission, Parlament und EU-Rat so prima in Schuss war.
Alarm im Elfenbeinturm
Prinzipien aber sind nicht, womit jemand nach Straßburg fährt oder ein Büro im Berlaymont-Gebäude zugewiesen bekommt, einem Haus, das allein schon dadurch weltweit einzigartig ist, dass es als das europäische Gebäude mit den weitaus "allermeisten" (DPA) Energieausweisen gilt.
Ursula von der Leyen, die es zuletzt nur mit knapper Not und der Hilfe postfaschistischer Regierungen wieder nach Brüssel schaffte, hat als eine der ersten Politikernde in Europa verstanden, woher der Wind künftig weht. Seit Donald Trump in den USA so tut, als könne Politik die Welt bewegen, hat sich die frühere Anwärterin auf den Stuhl des deutschen Kanzlers fix neu erfunden: Die Königin der Verbürokratisierung schwingt jetzt die verbale Kettensäge. Afuera! Mit der Nagelschera!
Der Bock als Gärtner
Der Bock als Gärtner verblasst gegen die Wandlungsfähigkeit dieser Frau. Ursula von der Leyen schaffte es in nur vier Jahren, die Anzahl der von der EU bis dahin ausgegebenen 4.600 sogenannten "grundlegenden Rechtsakte" um rund 2.000 zu erhöhen. Allein im vergangenen Jahr wuchs der Wust an Anweisungen, Richtlinien und legislative Akten um fast 400, heute sind knapp 6.500 in Kraft. Noch nie hat ein Land, hat gar eine Staatengemeinschaft in einer solchen Geschwindigkeit Papier produziert, um alles zu wissen, alles zu regeln und alle zu zwingen, selbst auch immer mehr Papier zu produzieren.
Von der Leyen aber spürt, dass es schwerer wird, die Europäer für ihr Gesellschaftsmodell des weitgehend grundlosen Gängelns zu begeistern. Lange hat man auch in den Brüsseler Bürokratenstuben wie im politischen Berlin gehofft, dass der argentinische Kettensägenmann Javier Milei scheitern werde bei seinem Versuch, den Staat zurückzustutzen. Wäre Trump dann noch bei den amerikanischen Wählern durchgefallen, Green Deal, next Generation EU, Your Europe, EU Life, EU4Health und hunderte andere fantasiereich getaufte Geldsammel- und Verteilungsprogramme würden stoisch weiterlaufen.
Von der Leyen ist für Bürokratieabbau
So aber ist es nicht gekommene. Und so hat sich Ursula von der Leyen ein neues Helmchen aufgesetzt: Die 66-Jährige plant jetzt unvermittelt einen "massiven Bürokratieabbau" in der EU-. Im großen Stil wolle ihre Kommission Regelungen abbauen, Sorgfaltspflichten beschneiden und das Lieferkettengesetz, jenes scharfe Schwert zur globalen Durchsetzung der Menschenrechte durch deutsche Mittelständler, zurück in die Tube drücken. 440 Millionen Europäer, bisher ausgesetzt einem außer Rand und Band geratenen Apparat, der überwiegend zum Selbstzweck Anweisungen erließ, die meistenteils ohne jeden Zweck blieben, dürfen sich freuen.
"Die Behörde werde eine beispiellose Anstrengung für mehr Vereinfachung leisten, heißt es in einem Entwurf zum geplanten Bürokratieabbau, der umso überraschender kommt, als dass Bürokratie im nicht einmal ein Jahr zurückliegenden EU-Wahlkampf keinerlei Rolle spielte. Nun aber regiert die blanke Angst im Elfenbeinturm Berlaymont, in dessen Keller erst kürzlich der Green Deal beerdigt worden war, stillschweigend und kleinlaut.
Es ist dieselbe Küche
Aus derselben Küche, in der das Rezept entworfen wurde, die Wirtschaft eines ganzen Kontinentes mit Hilfe von planwirtschaftlichen Zielvorgaben und vom Steuerzahler über undurchsichtige Förderprogramme vergebene Subventionen umzubauen, kommt jetzt das Signal, dass "Vereinfachungen in den Bereichen Berichterstattung über nachhaltige Finanzen und Sorgfaltspflichten" der neue heiße Scheiß sind. Das muss alles weg. Wichtiger als Menschenrechte sind seit ein paar Tagen niedrige Energiepreise. Wichtiger als Nachhaltigkeit ist es, die nach 15 Jahren stabiler Stagnation allmählich doch ungehalten werdenden Bürger mit neuen Ansagen bei guter Stimmung zu halten.
Wird es einen Bureaucracy Act geben? Eine EU-Abbaubehörde für Anweisungsformulare? Rückbautrupps aus Bürokraten, die Lieferketten mit einer neuen Bürokratieabbaugrundverordnung (BAGV) freiblasen? Und eine Task Force, die den geplanten neuen "Wettbewerbskompass" (von der Leyen) so einnordet, dass wenigstens der Eindruck entsteht, die EU könne weiterhin zugleich klimaneutral werden und niedrige Energiepreise haben, Lieferketten bis nach Tibet überwachen, ohne Berichte darüber anzufordern, mit China Wirtschaftskrieg führen und die Solarenergie ausbauen, den US-Präsidenten brüskieren und auf den Schutz der Amerikaner hoffen.
Die Katze im Aktenschrank
Es wird nicht mehr lange dauern, dann lässt Ursula von der Leyen die Katze aus dem Aktenschrank. Es ist erst zwei Jahre her, dass die Frau, die die Bundeswehr so erfolgreich kriegsuntüchtig machte, versprach 25 Prozent der Berichtspflichten für Firmen zu streichen, um die EU wettbewerbsfähiger zu machen. Dass große Vorhaben scheiterte damals daran, dass Brüssel vergeblich nach Regeln suchte, die sich abschaffen ließen.
Die Auswirkungen der ausgebliebenden Abschaffung waren durchweg positiv: Als die Bauern vor einem Jahr auf die Straße gingen, konnte die Kommissionspräsidentin ihnen einen gesonderten "Bürokratieabbau für Bauern" versprechen. Es war ja immer noch mehr an Vorschriften da als vor dem Abbauversprechen von 2023 "um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren".
Die EU weiß das, denn schon ein halbes Jahr danach begann sie mit einer "Überprüfung des gesamten Rechtsbestand" in der Gemeinschaft. Diese "Vorbereitungsarbeiten zum Abbau der Berichtspflichten im gesamten EU-Rechtsbestand" waren der nächste erste Schritt, um die "regulatorischen Belastungen für europäische Unternehmen zu verringern".
Ein ewiges Versprechen
Den geht die EU nun ein weiteres Mal, die Schuhe fest geschnürt wie 2019, als die von Angela Merkel frisch nach Brüssel entsandte Ursula von der Leyen der Wirtschaft erstmals "weniger Verwaltungsaufwand und Bürokratieabbau" versprach. Ab Amtsantritt sollte der "One in, one out"-Grundsatz gelten, wonach für jeden neuen EU-Regelungsvorschlag eine bestehende Regelung abgeschafft werden sollte. Es dennoch geschafft zu haben, als 4500 Regelungen 6500 gemaht zu haben, zeigt, wie ernst die bisher erfolgreichste deutsche EU-Chefin ihr Vorhaben nimmt.
Leyen steht in einer großen Tradition. Legende ist bis heute die selbstverordnete Bürokratie-Entschlackungskur von 2018, Ältere erinnern sich an die Zeit um 2014, als EU-Kommissare selbst den Regulierungswahn stoppen wollten. Edmund Stoiber, ein gescheiterter Kanzlerkandidat, stand damals in der ersten Reihe der Entbürokratisierer. Verbissen (Die Zeit) lichtete er die Regeln und Reglungen aus, als "blonde Fallbeil" war er grau geworden, doch der Kampf gegen das "bürokratisches Monster" mit seinen "unsinnigen Regelungen und Einmischungen" (Stoiber) ließ ihn noch einmal aufleben.
Stoiber fand damals mit sicherem Gespür die zehn am stärksten belastenden EU-Vorschriften. Zwölf Jahre nach seiner große Entbürokratisierungsmission hat die EU-Kommission die Bürokratie nun wieder zum Hauptfeind erklärt. Da in Brüssel nichts weg komt, außer gelegentlich einmal ein paar SMS, sind die Aktenfestmeter der Stoiberkomission sicher noch da, irgendwo im Keller. Eine Vorarbeit, auf der Ursula von der Leyen wird aufbauen können.
Kraft, Zeit und Energie sind da. Denn nein, die bisher so akute Klimakrise steht nicht mehr auf der Tagesordnung der Kommission.
3 Kommentare:
Wenn man die Tagesmeldungen so überfliegt... könnte angesichts der anstehenden Wahl eine Form von Torschlusspanik bei Leyen c/o EU sein.
Es läuft. "Fehlentwicklung" (eigentlich oder faktisch - ist völlig Wumpe!) - Ha, ha, ich lach' mich tot! (Alf)
Frei nach Mordechai Levi: Die Philosophie hat die Bürokratie bisher nur verschieden interpretiert - es kömmt darauf an, den Brüdern das Gruseln beizubringen! Und zwar nachhaltig.
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