Freitag, 31. Januar 2025

Angela Antifa: Gewinnt sie noch mal eine Wahl?

Angela, die Antifa: Eben noch moralisch bankrott und schuld am Niedergang des Landes, hat sich Altkanzlerin Merkel mit ihrem Angriff auf Friedrich Merz neue, alte Freunde gemacht.

Sie hatten sie aussortiert, aufs Altenteil geschoben und sich verabredet, ihr die Schuld für die ganze Misere in die Schuhe zu schieben. Angela Merkel hatte den Hof noch nicht ganz verlassen, von dem sie vor knapp vier Jahren gejagt worden war, da bestand bereits weitgehend Einigkeit darüber, welches schreckliche Erbe die Ostdeutsche aus Hamburg ihrem Land und seinen Menschen hinterlassen hatte.  

In Bausch und Bogen

Die Infrastruktur kaputt. Die Energieversorgung von Russland abhängig. Die Grenzen unkontrolliert und die Kommunen überfordert, weil unterfinanziert. Die Zukunftsindustrien nur eine Erinnerung an bessere Zeiten. Das Land dafür gespalten wie durch den Marianengraben. Hier Ost, dort West, unversöhnlich. Hier Stadt und dort Land, nie einer Meinung. Die Energiewende lahmte, die Digitalisierung noch mehr, die Bundeswehr lag in Trümmern und die Rechtspopulisten, am Tag, an dem Angela Merkel ins Kanzleramt eingezogen war, noch nicht einmal existent, begeisterten fast schon jeden fünften Bürger.

Eine desaströse Bilanz, da waren sich eben diese Rechtspopulisten mit SPD, Grünen, FDP und Merkels eigener Partei einig. In Bausch und Bogen wurde Merkels Bilanz abgeurteilt. Gut, dass sie endlich weg ist, atmeten alle auf. Nichts Böses über politisch Tote, aber wenn es half, von der eigenen Mitarbeit abzulenken, machte Olaf Scholz die Regierungen seiner Vorgängerin immer wieder gern für Fehler und Versäumnisse verantwortlich.   

Fast heruntergerissen

Bei den Grünen gehören Angriffe gegen Angela Merkel zur Parteifolklore. Die Ostdeutsche habe "Deutschland fast heruntergerissen", klagte etwa Robert Habeck, der sich seit Jahren müht, die Scherben zusammenzufegen. In der Energiepolitik, klagte Annalena Baerbock, deren Expertise in diesem Bereich unumstritten ist, habe Merkel glatt versagt. 

Moralisch war diese Frau verschlissen. Nur der Anstand hinderte ihre Erben daran, Aufarbeitungs- und Wahrheitskommissionen zu gründen, um endlich herauszufinden, wie ein demokratisch regiertes Land über anderthalb Jahrzehnte in einen Zustand rutschen konnte, in dem ein einzelner Mensch mit ein paar Sätzen die Energieversorgung an Russland übertragen, Wahlen rückgängig machen, Ausgangssperren verhängen, Grundrechte aussetzen und jeden Widerspruch als "Leugnung" abkanzeln lassen konnte. 

Ruhe und Ordnung

Um Ruhe und Ordnung zu erhalten, bekam Merkel den größten Orden, den Deutschland zu vergeben hat. In einem dicken Buch durfte sie ihre Sichtweise auf den Niedergang ungefiltert darlegen. Kein einziger Faktenchecker, so war es wohl verabredet, räumte unter den vielen Legenden und Halbwahrheiten auf, die die einst mächtigste Frau der Welt über ihre Heldentaten verbreitete. 

Ihr Nachfolger im Amt des CDU-Parteivorsitzenden, ein Kerl, den Merkel ihr ganzes Leben lang ebenso inbrünstig verabscheut hatte wie der sie, tat, als würde er sie gegen all die ungerechten Angriffe verteidigen wollen.  "Deutschland sei durch viele gute Entscheidungen Angela Merkels zu dem Land geworden, das es heute sei", lautete ein vergifteter Satz, mit dem Merz durch die Blume zeigte, wie tief seine Verachtung der Lebensleistung der Frau aus Hamburg geht. 

Moralisch bankrott

Moralisch bankrott, von der Wirklichkeit vielfach widerlegt, von der Zeit überholt und von den sogar Medien, die ihr stets gewogen waren, zum alten Eisen geworfen - Angela Merkel hatte noch schneller als ihre Vorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder allen Kredit verloren. Was ihr im Amt noch den Nimbus der Kanzlerin eingebracht hatte, die "die Dinge vom Ende her denkt", fiel ihr nun auf die Füße. Alles an ihrem Wirken habe auf Fehleinschätzungen beruht. Ihre Fehler kämen nun teuer zu stehen. Merkel habe letztlich Deutschlands Wirtschaftsstärke zerstört, seine Energieversorgung kaputtgemacht, die Grundlagen dafür geschaffen, dass die Sozialsysteme nicht mehr sicher sind und damit den Aufstieg der Rechtsextremen erst ermöglicht.

Und doch ist es der 70-Jährigen eben gelungen, sich noch einmal ins Spiel zu bringen: Mit ihrem Verdikt gegen die Entscheidung ihrer Partei, sich im Parlament Zufallsmehrheiten für eigene Anträge zu suchen, verwandelte sich die verachtet und verschmähte Politrentnerin binnen Stunden in den wirkmächtigsten Wahlhelfer der Ampelparteien.

Merkel rettet Scholz

Das Stoßgebet, das Olaf Scholz ausstieß, als die Nachricht von Merkels Intervention im Kanzleramt  ankam, soll bis auf die andere Seite der Spree zu hören gewesen sein. Plötzlich, so spekulieren die Protokollanten der Machttektonik im politischen Berlin, könnte der abgehängte Bürokrat mit der Aktentasche doch wieder Chancen haben. Die Merkelianer, die sich auf dem linken Flügel der Union hinter Wüst und Günther bisher weitgehend versteckt gehalten hätten, würden nun aus dem Gebüsch kommen und sich hinter Rot, Grün, der Linken und den anderen Demokraten versammeln. 

"Diese Aktion bekommt ihre Wucht schon durch die Art, wie sie ausgeführt ist: ansatz- und rücksichtslos", lobt die Hamburger "Zeit" den heimtückischen Angriff der Altkanzlerin auf die Partei, die so richtig noch nie ihre war und es nun schon gar nicht mehr ist. Angela Merkel sei Friedrich Merz in den Rücken gefallen, aber das habe so sein müssen, analysiert ein Georg Löwitsch: "Denn es geht ihr um die AfD, da hat sie Leidenschaft und Überzeugung: Angela, die Antifa."

Die Rache der Kanzlerin

Merkel war es, die die AfD in ihren 16 Jahre groß und fett gefüttert hat. Ihre Sprüche von "Wir schaffen das" bis "nun sind sie halt da", ihr potentantenhaften Regieren an der Spitze einer Partei, die ihrer Vorsitzenden um der Macht willen in jeden Abgrund folgte, all das will Merkel vergessen machen mit ihrer offenen Attacke auf den gehassten Parteifreund, der gerade Kanzler werden will. 

Die Absicht ist klar: Was sie nicht mehr ist, soll er auch nicht werden. Dann lieber der Scholz oder der Habeck, zwei Kollegen, die Merkel zumindest noch nie vorgeworfen haben, ihre Grenzöffnung sei einer der Gründe, warum dem "reichen Land" (Habeck) das Geld heute an allen Ecken fehlt, keine Wohnungen zu haben sind und die Sozialkassen auf dem letzten Loch pfeifen.

Heimtückischer Angriff

Für Friedrich Merz ist die Wirkung des heimtückischen Angriffs kaum abzuschätzen. Niemand weiß, wie groß der Merkel-Flügel in der CDU noch ist, wie viele Unbelehrbare und Ewiggestrige sich an den Gedanken klammern, die Wirtschafts- wie die Asylpolitik unter Merkel seien schon sehr gut gewesen, nur eben ein bisschen schlecht gemacht wie bisher jedes sozialistische Experiment. Reicht er Rückhalt, den der neue CDU-Vorsitzende sich mit seinem Versprechen eines neuen Kurses in der Partei verschafft hat? Oder gelingt es der schattenhaften Gestalt aus der Vergangenheit ein weiteres Mal, eine Wahl zu gewinnen, an der sie nicht teilnimmt?

Angela Merkel hat kein Hehl aus ihrer Absichten gemacht, genau das zu erreichen. Merz fühle sich "nicht mehr gebunden an seinen Vorschlag aus dem November", hat die Frau kritisiert, deren eigene Versprechen bis heute Legende sind. Merkels Versicherung, sie werde sich künftig aus den Parteigeschäften heraushalten, gilt bei einer solch schönen Gelegenheit, Rache zu nehmen, natürlich  nicht mehr gilt. Merz habe sein Wort gebrochen. Das sei "nicht redlich", das habe  keine "Grundlage im geltenden Recht", das, so versteht es Merkel, ausschließt, dass "auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt" (Merkel).

Ja, es ist alles da. Angela Antifa, die Ex-FDJlerin, könnte wirklich noch einmal eine Wahl gewinnen. Die Merkel-Jahre würden dann nicht nur 16 oder, wie bis heute, 20 Jahre dauern, sondern sogar noch weitere vier.

Verdachtsfall CDU: Jetzt droht das Parteiverbot

Viele Demonstranten waren sich einig: An der angespannten Lage in Deutschland ist Friedrich Merz schuld.

Wes' Geistes Kind dieser Kanzlerkandidat ist, konnten auf einmal alle sehen. Friedrich Merz, Parteivorsitzender der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, ließ im Bundestag wirklich einen Antrag ohne Einbeziehung der Parteien der demokratischen Mitte abstimmen. Es geschah, was alle vorher befürchtet hatten: Eine Mehrheit im Hohen Haus stimmte dem Entschließungsantrag zu, der eine Migrationswende nach dem Vorbild des sozialdemokratisch regierten Dänemark forderte.  

In den Abgrund

Selten zuvor seit den letzten nationalen Schicksalstagen rund um den Ampelbruch im Herbst waren die Erschütterungen so schwer, die durch das demokratische Gebälk und die konsternierten Kommentatorenkabinen rollten. Nur 345 Abgeordnete waren stabil geblieben, 348 aber den Rechtspopulisten auf den Leim gegangen. "AfD wird erstes Mal im Bundestag zum entscheidenden Mehrheitsbeschaffer", klagte die grüne Parteivorsitzende Franziska Brandtner in geschliffener Sprache. 

Ihr Parteikollege, Deutschland beliebtester Kanzlerkandidat Robert Habeck, wies umgehend auf die schrecklichen Weiterungen für Europa und die Welt hin. Wenn jetzt auch im Parlament die Mehrheit entscheide, wie die Mehrheit draußen das haben wolle, dann sei das "der steile Weg in den Abgrund".

Verabredungen über dem Haufen

"Kein guter Tag für unsere Demokratie", wie Brandtner traurig feststellte. Doch eine Gelegenheit, sich wehrhaft zu zeigen. Schon am Abend nach der schmählichen Vorstellung im Bundestag regte sich Widerstand gegen den Versuch von CDU-Chef Merz, gemeinsame Verabredungen über den Haufen zu werfen. Rolf Mützenich, der mächtige Lenker und Vordenker der SPD, rieb Merz dessen "leichtfertigen Austritt aus der politischen Mitte" warnend unter die Nase. Hoch im Norden erinnerte Ministerpräsident Daniel Günther  daran, dass "die, die es gut mit der Demokratie meinen und die dieses Land zum Teil über Jahrzehnte geprägt haben, heute zusammenrücken müssen."

Merz hat sich vergaloppiert. Nicht nur der Elfenbeinturm, sondern auch viele WGs, Redaktionen und nahezu alle Parteizentralen wandten sich von ihm ab. Das Wagnis, die Bluttat von Aschaffenburg angesichts stagnierender Umfragewerte spontan zu nutzen, um den als Steherrennen ausgetragenen Wettlauf zum Kanzleramt zu einem Kräftemessen zu machen, zahlt sich nicht aus.

Ganz im  Gegenteil- Junge Menschen marschierten mutig vor der Zentrale der CDU auf. Die Bilder glichen denen, die zuletzt aus Serbien zu sehen waren. Volkszorn über eine politische Klasse, die vergessen hat, in wessen Auftrag sie ihre Aufgaben erfüllen soll.

Merz' Manöver wurde zum Bumerang. Der ganz gewöhnliche Wahlkampf, bei dem alle Beteiligten versuchten, so gut wie möglich über die Runden zu kommen, ohne etwas über ihre Absichten preiszugeben, war vorüber. Er verwandelte sich in eine populistische Veranstaltung, bei der unabgesprochen Vorschläge zur Sprache kommen, die schon im Vorfeld von Faktenfindern und Regierungsparteien gleichermaßen als rechtswidrig, unanständig und undurchführbar bezeichnet worden waren. 

Mutter der Wirtschaftskrise


Ein Geist ist aus der Flasche, der spaltet und damit für das ganze Land gefährlich wird. Der Kanzler gestand im Fernsehen, er könne Merz nun nicht mehr trauen. Michel Friedmann gab sein Parteibuch zurück. Prominente wie Jördis Triebel, Dimitrij Schaad, Albrecht Schuch, Joko und Klaas appellierten, die Brandmauer ins Grundgesetz auszunehmen. Die grüne Jugend brachte eine Brandmauer zur CDU ins Spiel. Die SPD ließ erkennen, dass die Merz-CDU kein Koalitionspartner mehr sein könnte.

Doch es kam noch dicker. Angela Merkel, die Zeit ihres Lebens eine tiefe Freundschaft mit Friedrich Merz verband, übte öffentlich Kritik. Das Wort der letzten lebenden Trägerin des "Großkreuzes des Verdienstordens in Sonderausfertigung" hat in der Union noch immer Gewicht, denn die einstmals mächtigste Frau der Welt genießt bis hin  zu den anderen linken Parteien hohes Ansehen. Merkel gilt etwa bei Robert Habeck als Mutter aller wirtschaftlichen Probleme

Olaf Scholz hat die Ex-Kanzlerin verschiedentlich für "schwere Versäumnisse" verantwortliche gemacht. Dass Merkel nun auf Distanz zu Merz geht, rückt sie noch näher an die beiden Parteien, deren Mitglied sie schon lange viel lieber gewesen wäre. Und weg von der Mithaftung für eine vermeintliche Grenzöffnung (Barack Obama), die es nach ARD-Recherchen nie gegeben hat.

Weichen neu gestellt

Für die letzten Wahlkampfwochen hat das Merkel-Verdikt die Weichen neu gestellt. Wie vor 23 Jahren, als die ostdeutsche CDU-Vorsitzende aus dem Hamburger den Sauerländer schon einmal kaltstellte, droht Merz heute im Bundestag eine krachende Niederlage, die seine Kanzlerträume Knall auf Fall beenden würde. Schon marschiert die Zivilgesellschaft: Eine Welle von Protesten brandet durch die Republik. Aktivisten besetzen CDU-Büros, die Linke rief das Volk auf die Barrikaden, selbst Luisa Neubauer reihte sich ein.

Dass der Staat selbst handeln und sich verteidigen muss, steht aber außer Frage. Unter Verfassungsschützern kursieren dem Vernehmen nach bereits Materialsammlungen, in denen die Aussichten abgewogen werden, die Union insgesamt oder zumindest einige ihrer radikalisierten Teile als Verdachtsfall einzustufen. Bei der Demo vor dem Adenauer-Haus wurden erste Forderungen nach einem CDU-Verbot laut. Abgeordnete könnten heute schon im Bundestag die Initiative ergreifen und die Überprüfung der Verfassungsfeindlichkeit der CDU durch das Bundesverfassungsgericht fordern.

Schwieriges Verfahren

Allerdings gilt das Instrument eines Verbotsverfahrens gegen eine Partei aus historischer Erfahrung heraus immer noch als langwierig und schwierig, meist ist der Ausgang auch völlig offen. fast unmöglich erscheint es selbst nach den beherzten Entbürokrtisierungsschritten in Brüssel, dass die komplexen Abläufen sich in drei Wochen kompromieren lassen, um die Union schon zur anstehenden Bundestagswahl vom Stimmzettel zu nehmen.

Natürlich weisen Indizien wie die gemeinsame Abstimmung der Unionsfraktion im Bundestag mit der in Teilen nachgewiesenermaßen als gesichert rechtsextrem beobachteten AfD darauf hin, dass Merz und seine Parteigenossen Tabus und Verabredungen mit den anderen Parteien der Mitte gebrochen und nicht eingehalten haben. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Union für ihre politischen Ziele bereit ist, alle Mahnungen von SPD und Grünen beiseite zu lassen und selbst den guten Rat der Altkanzlerin auszuschlagen. Sie halten Verabredungen, verschaffen den Rechtsaußen Gelegenheit zum Jubel und ideologisieren den Wahlkampf.

Signal ist nötig

Doch so nötig ein entschiedenes Signal gegen den Rechtsruck wäre -  reicht das für ein Verbotsverfahren? Nun, dieses schärfste Schwert des Rechtsstaates ist von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes genau für eine Situation wie die jetzige geschaffen worden. Die Feinde der Demokratie sollen nicht die Möglichkeit bekommen, die Demokratie abzuschaffen. Schon gar nicht, indem sie über demokratische Wahlen Mehrheiten für ihre Vorhaben im Parlament organisieren. 

Robert Habeck hat es in der Schicksalsstunde vom Mittwoch auf den Punkt gebracht: "In der Sache folgen Sie einer Logik, die Recht brechen will, um Recht zu verändern", erinnerte er Friedrich Merz an die schmerzhaften Erfahrungen, die er selbst bei seinen Verfassungsbruchversuchen machen musste. Habeck ist gelernter Germanist. Er weiß genau, warum er "Recht brechen will" und nicht "Recht bricht" sagt und "Recht verändern" als Vorwurf formuliert, als handele es sich auch dabei um ein ruchloses Vorhaben, dass er die Behauptung entrüstet zurückweisen würde, jemals selbst an einer solchen Aktion beteiligt gewesen zu sein.

Recht muss Recht bleiben

Recht muss Recht bleiben. Wehret den Anfängen und euch gegen jeden, der Recht ändern will, das ist der Grundsatz, der hinter dem Begriff der wehrhaften Demokratie steht. Das Original-Grundgesetz hatte 146 Artikel mit 12.000 Worten auf 47 Seiten. Die mit Hilfe von 54 Änderungsgesetzen an 199 umgeschriebene extended version, die heute gilt, besteht aus 86 Seiten mit 23.000 Worten. Wer das Recht aus Asyl aus dem GG streichen will, geht zu weit. Organisiert er sich aber eine Mehrheit im Parlament, kann er es dennoch tun.

Deswegen sieht das Grundgesetz die Möglichkeit ausdrücklich vor, demokratiefeindliche Parteien zu verbieten, etwa wenn sie Tendenzen zeigen, unsere Demokratie zu untergraben und gegen unsere Verfassung zu handeln, indem sie Völkerrecht hintertreiben, EU-Regeln anders interpretieren und im Bundestag Zuflucht zu Zufallsmehrheiten nehmen. 

Verrat an der linken Volkspartei

Für die radikalisierte Merz-Union trifft das alles zu. Seit der von Angela Merkel damals so weitsichtig aussortierte frühere Generalsekretär zurückkehrte und sich an die Spitze der Partei setzte, hat die bis dahin linke Volkspartei sich kontinuierlich radikalisiert. Befeuert von zugleich steigenden Zustimmungswerten führten Friedrich Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann die Union aus der Parteiengemeinschaft der demokratischen Mitte immer weiter an den Rand. 

Sie hetzten skrupellos über "kleine Paschas" und fehlende Zahlarzttermine, verweigerten die Zustimmung zu wichtigen Gesetzen der Ampel und kündigten ein höheres Renteneintrittsalter für Frührentner an. Schließlich, um sich auch die letzten Sympathien der Mitte zu verscherzen, folgte der Angriff auf die informelle Vereinbarung, niemals mit "denen da" abzustimmen.

Nie mehr Spaltung

Seit der Geheimkonferenz von Potsdam und den Remigrationsplänen des Kanzlers hat niemand mehr für so viel Spaltung gesorgt. Umfragen zeigen, dass die Deutschen mehrheitlich dafür sind. Aber wofür genau? Eine Sehnsucht nach einer Migrationspolitik, die den Laden dicht macht, hegen um die 65 bis 75 Prozent. Allerdings wären es den meisten lieber, die Demokraten, die den Schlamassel angerichtet haben, würden in ihrer Mitte eine Mehrheeit finden, um ihn zu beenden.

Für die Grünen, mehr aber noch für die SPD ist das keine Option. Mangels inhaltlicher Angebote, mit denen sich im Wahlkampf punkten ließe, muss einmal mehr der "Kampf gegen rechts" herhalten, um die Restgemeinde zu aktivieren. Gegen die AfD zum Sturm zu blasen, hat zuletzt viele langweilt. Die Ergebnisse von Widerstand und Signalsetzung waren erschütternd, denn die Partei schien die einzige zu sein, die vom Aufstand der Anständigen profitierte. 

Mit der CDU ist nun aber ein neuer Gegner ausgemacht. Der seit Monaten eifrig neu definierte Faschismus, er umfasst jetzt bereits nahezu alle, die kein Parteibuch von SPD, Grünen oder Linkspartei vorweisen können. Friedrich Merz steht nur noch wenige Stunden vor Hitler.

Donnerstag, 30. Januar 2025

Jahrgedächtnis: Deutschlands Aufstieg zu Moralexportweltmeister

Der junge Maler Kümram hat den historischen Moment gemalt, in dem vor zehn Jahren eine große deutsche Tradition begründet wurde: Das Charlie-Schild war damals allerdings abgedeckt geblieben.

Es gibt ihrer einige, aber nicht viele. Die großen Reisen, die über das Schicksal der Menschheit bestimmten, lassen sich an wenigen Händen abzählen. Die Fahrten des Odysseus. Die Reise nach Sundevit. Joseph und Maria marschierten von Nazareth nach Bethlehem, um sich zählen zu lassen. Jesus ging nach Jerusalem, um sein Schicksal zu finden. Elly Beinhorn, die nach einem Flug über Allahabad in Kalkutta ein und  Silvester im dortigen Deutschen Klub verbrachte.

Große Reisegeschichten

Lange Strecken, große Geschichte. Sei berühmter Gang nach Canossa führte den deutschen König Heinrich IV. von Dezember 1076 bis Januar 1077 zu Papst Gregor VII, Marco Polo entdeckte China und Helmut Kohl, immerhin demokratisch gewählter deutscher Kanzler, war sich nicht zu fein, in den Kaukasus zu fliegen, um bei einem Sowjetdiktator mit Blut an den Händen bei einem mitternächtlichen Spaziergang die Einwilligung zur Wiedervereinigung seines Vaterlandes zu erbitten.

Alle diese großen Ausflüge, die die Weltgeschichte durchrüttelten, sind unvergessen. Bitt- und Bußgänge von Kaisern, Kanzlern und Königen, die Rheinfahrt des Papstes, der die Religiosität nach Deutschland zurückbrachte, und die Pilgerreisen des hochgeehrten SPD-Chefs Martin Schulz nach Washington, wo er dem US-Präsidenten klarmachte, welch hohe Verantwortung sich mit seinem Amt verbindet. Kein Schulkind kann heute an den Vorsitzenden der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung denken, ohne ihn dort zu sehen. Und zu hören, wie er bittet: "Ruft doch mal Martin".

Die vergessene Iran-Expedition

Weitgehend vergessen hingegen ist eine Expedition, die vor zehn Jahren stattfand, in einer anderen Zeit, einer ganz anderen Welt. Kurz nach einer Serie von islamistischen Anschlägen, die damals dafür sorgten, dass die Demokratien zusammenrückten, ihre Führer sich für eine Reihe ikonischer Fotos unterhakten und die Bürgerinnen und Bürger aufforderten, Zuversicht in die Zukunft zu haben, machte sich die damals als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages amtierende ehemalige Grünen-Vorsitzende Claudia Roth auf nach Teheran, mitten hinein in die damalige Hauptstadt des Bösen. 

Fünf Tage lang versuchte eine Delegation des Deutschen Bundestages unter Leitung von Roth, "all diejenigen zu stärken, die für Reformen und die Universalität der Menschenrechte eintreten" und vom Mullah-Regime im Iran verfolgt werden. Es schien eine ganz gewöhnliche Reise zu sein. Ein wenig Sight Seeing. Ein wenig Botschaftern. Die Idee sei gewesen, "einen Einblick in die innenpolitische Situation zu gewinnen, mit Blick auf die anstehenden Wahlen in einem Jahr, auf die Auseinandersetzungen zwischen Reformern und Konservativen sowie auf die Zivilgesellschaft", hatte Claudia Roth selbst über ihre Absichten gesagt.

Die Mahnungen fruchteten

Erst in der Rückschau zeigt sich die historische Dimension dieser Reise in ein Land, das bis heute auf Platz zwei der Hitparade der meisten Hinrichtungen weltweit steht. Claudia Roth begründete mit ihrem Ausflug, damals vielbeachtet, später schnell vergessen, die große Tradition der sogenannten deutschen Elterngespräche: Seit zehn Jahren sieht sich die noch relativ junge Demokratie im Herzen Europas nicht nur verantwortlich für Wohl und Wehe der eigenen Schutzbefohlenen. Sondern auch berufen, mit gutem Rat und guten Gaben allen Menschen, Völkern und Staaten weltweit beizustehen.

Es war deutsches Verdienst, dass der Iran nicht schon in der ersten Amtszeit Donald Trumps aus der Weltgemeinschaft verstoßen und zu noch mehr Terror gezwungen wurde. Als der Amerikaner die Zügel straff zog, erinnerte man sich in Brüssel und Berlin an die Friedensmission von Claudia Roth. So lange der Iran keine fertige Atombombe vorlege, müsse man im Gespräch bleiben, getreu der 2015 geäußerten Rothschen Hoffung, "dass die Reformer die Kraft bekommen, Erneuerungen zu ermöglichen."

Weltgeschichte ist geduldig

Noch ist das nicht geschehen, aber die Weltgeschichte ist geduldig. Irrwege wie der des damaligen SPD-Chefs Sigmar Gabriel, der in Dresden an einer Diskussionsveranstaltung mit Pegida-Anhängern teilnahm, während sich Claudia Roth nach Teheran aufmachte, entpuppen sich als Sackgassen. 

Roths Mission bei den Mullahs dagegen steht in goldenen Lettern im Geschichtsbuch: Gabriel suchte das Gespräch mit den Falschen, er schlug eine Brücke ins Nirgendwo und seine fragwürdige Initiative löste damals schon eine Welle an Kritik aus. Roth hingegen suchte den Dialog mit den Vertretern einer Theokratie, die Kritiker, Abtrünnige und Homosexuelle hingerichtet, Christen und Juden verfolgt, Frauen diskriminiert und den Terror finanziert.

Ehrenwert, denn Claudia Roth gab damit den Startschuss zu einer Entwicklung, die zuvor undenkbar schien: Seit ihrem beispielgebenden Ausflug ins frühere Persien exportiert Deutschland gute Ratschläge in alle Welt. Und nach ihrer Rückkehr entschloss sich das Land, ihnen auch selbst zu folgen. Angela Merkel "öffnete die Grenzen", wie Barack Obama später lobte. Die Deutschen öffneten ihre Herzen. Niemals mehr wird es wie vor diesem Januartag 2015 sein.


Schicksalsstunde: Schon wieder Zeitenwende

Drei Jahre Ampel haben wie ein Dauerwahlkampf für die AfD gewirkt: Die Prozente, die rechts gewonnen wurden, haben die Ampel-Parteien verloren.

Fällt sie oder fällt sie nicht? Kann sie danach überhaupt noch verteidigt werden? Oder gibt es eine blau-schwarze Koalition, wie sie der Kanzler schon dräuen sieht? Wird Rassismus zum Programm? Und steigt Hitler dann aus dem Graben an der Schweinebrücke?  

Es war Schicksalsstunde im Bundestag, und sie dauerte. Ehe nicht alle alles gesagt hatten, obwohl ohne keiner zuhört, konnte es nicht an die Urne gehen, um die Weichen zu stellen. Vorwärts und schnell vergessen. Oder rückwärts in die Nazizeit, der die damaligen Weidels, Melonis und Frederiksens mit ihrem brutalen Grenzregime den Stempel aufgedrückt hatten. "Ehrlich, schonungslos und respektvoll", so die Vorgabe des Präsidiums an die Anwesenden, sollte diskutiert werden. Diskutiert wurde aber dann gar nicht: Gegenseitige Bezichtigungen, je nach eigener Interpretation der Realität, wurden ausgetauscht. 

Vor dem Rückfall 

Dann ging es zum Schwur über die "Entschließungsanträge", im parlamentarischen Geschäft so etwas wie eine Campact-Petition. Vom "steilen Weg in den Abgrund" war vorher die Rede, von "unverzeihlichen Fehlern", bitteren "Gewissensentscheidungen" und dem "Rückfall in eine dunkle Zeit" und einer "Reste-Regierung", die nicht in der Lage sei, das Land zu regieren. "Bundeskanzler darf kein Zocker sein", schimpfte Olaf Scholz. "Wir sind es den Menschen schuldig, endlich abzuschieben", keilte Merz zurück und er zitierte mit Bedacht ein Versprechen, das Scholz vor Jahren gegeben hatte.  

Robert Habeck, der wie immer über den Dingen schwebt, gibt zu bedenken, dass es um mehr gehe als "bloße Sachfragen". Der Grüne macht sich Sorgen um das Erbe von Adenauer und Merkel, die sich "immer in den Dienst Europas gestellt" hötten.

Die vielbeklagte Spaltung der Gesellschaft hatte im Bundestag ihren großen Auftritt: Olaf Scholz ist der Ansicht, seine Regierung habe doch allerlei geliefert. Allenfalls die Vollzugsdefizite in den Ländern seien beklagenswert. Friedrich Merz zeigte seine geplatzte Hutschnur herum. Es reiche jetzt. Robert Habeck predigte Innehalten, Lars Klingbeil Ruhe und Ordnung. Christian Lindner verwies auf EU-Partnerländer, die alles schon lange so machen, wie es die Menschen in Deutschland, die er kennt, auch gern hätten. Alice Weidel drohte der Union mit Zustimmung, weil es ihrer Partei um die Sache gehe.

Die Sache spielt keine Rolle

Jedes Töpfchen hatte den üblichen Deckel, jeder instrumentalisierte nach Kräften für seinen Wahlkampf, was er zu greifen bekam. Eine große Rolle in der Auseinandersetzung spielte die Auffassung, dass die Sache, über die gesprochen werde, gar keine Rolle spiele. Einzig wichtig sei die Entscheidung über die Frage, wer mit wem, warnte Robert Habeck, dessen Partei die Ausweitung des Familiennachzuges neben der Verlängerung der Mietpreisbremse als Wahlversprechen  im Programm hat. Die Logik ist bestechend: Wer "Einwanderung gestalten" will, kann ihr keine Grenzen setzen, wenn er "alle mitnehmen" will "auf dem Weg zur Einwanderungsgesellschaft".

Knapp wird es, doch die Mehrheit steht am Ende hinter Friedrich Merz. Von Buh- und Pfui-Rufen begleitet, verkneift sich Merz jede triumphierende Geste. Er bedauere die Art der Mehrheit, dies ich hinter seinem Fünf-Punkte-Plan versammelt habe und unterbreite noch einmal das Angebot an SPD und Grüne, eine gemeinsame Lösung auf dieser Seite der Brandmauer zu finden. "Aber wir werden nicht zulassen, dass wir hier keine Anträge stellen dürfen, weil die Falschen zustimmen."

Schon wieder Zeitenwende

"Dieser Tag verändert die Politik in Deutschland", schon wieder. Vor lauter Zeitenwenden, Neustarts und gebrochenen Versprechen sind Details nur noch Nebensache. Ein "Tabubruch mit Ansage", findet die ARD. "Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich", verkündet Merz im Stil von Scholz, als er die "roten Linien" vor Jahren für abgeschafft erklärte, ehe er sie wenig später nicht weniger entschieden wieder einführte.

Die Angst, dass eines Tages parlamentarische Mehrheiten entscheiden könnten, sie liegt schwer über dem Hohen Haus. "Tun Sie das nicht", hatte Habeck Merz vor der wegweisenden Entscheidung angefleht, wie stets mit sicherem Gespür für das Pathos, das in diesen wenigen Worten liegt. Dass jetzt "Mehrheit wird, was die Mehrheit im Volk ist", wenn das die AfD einschließe, das wolle er nicht glauben.

Die "Tagesschau" wird später konsequent viel über die Form und wenig über die Funktion berichten. Schon am Freitag steigt die nächste Runde, vorher ist noch Zeit, sich abzusprechen, um den Schaden zu minimieren.

Mittwoch, 29. Januar 2025

Düsteres Vorbild: Warnung vor dem dänischen Weg

Robert Habeck appelliert: Die dänische Lösung, die Friedrich Merz durchsetzen will, würde auch den vom Grünen-Parteitag beschlossenen Familiennachzug behindern.

Er kam aus Auschwitz, noch ganz ergriffen von sich selbst und der Fotosession zwischen Stacheldraht und Todesmauer. Und er wusste nun mehr denn je um die Gefahr, dass es in Deutschland in Bälde werden könnte wie in Dänemark. Kontrollen bei der Einreise. Zurückweisungen an der Grenze. Inhaftierung Ausreisepflichtiger. Eine harte Hand für Illegale ohne gültigen Aufenthaltsstatus.

Wie im Hygge-Sozialismus

Robert Habeck, der das Grenzregime im Norden gut kennt, will es sich nicht vorstellen. Habeck spricht fließend Dänisch, seine vier Söhne studierten in dem Land, das vielen Deutschen als Muster eines Wohlstandssozialismus gilt, wie er sein sollte. Alle gleich reich. Alle nett. Die Luft ist sauber. Die Windkraftanlagen sind groß.

Die dunkle Seite des skandinavischen Hyyge-Sozialismus wird gern verdrängt: Seit die Regierung des rechten Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen auf Deutschland weltweit beachtete und gelobte Willkommenkultur mit der Schließung seiner Grenzen reagierte, haben seine sozialdemokratischen Nachfolger im Amt an der strikten Abschottung festgehalten.

Seit zehn Jahren schon betreibt das zumeist sozialistisch regierte Land im Norden sein unmenschliches Grenzregime, es ist europarechtswidrig und steht nicht im Einklang mit dem Völkerrecht. Dänemark hält stur fest an dauerhaften Grenzkontrollen, das Regime in Kopenhagen weist ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurück, Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, werden in Haft genommen, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden kann. Das Ziel, so formuliert die Regierung, seien "null spontane Asylbewerber".

Verbot illegaler Zuwanderung

Friedrich Merz' Wahlkampfpläne "für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration" erscheinen wie von den rechtspopulistischen dänischen Sozialdemokraten abgeschrieben. Dort oben im Norden haben Forscher  das Märchen vom "Pull-Effekt" längst widerlegt, nach dem Schutzsuchende mit einem Rückbau von Sozialmaßnahmen abgeschreckt werden können (Ole Agersnap & Amalie Jensen & Henrik Kleven, 2020. "The Welfare Magnet Hypothesis: Evidence from an Immigrant Welfare Scheme in Denmark) Doch noch immer wird den Dänen von ihrer Regierung vorgemacht, dass Ab- und Ausgrenzung funktionieren.

Einer wie Merz, ursprünglich wie alle Mitbewerber eingestellt auf einen Wahlkampf rund um Wirtschaft, Wohlstand und wohlklingende Aufschwungversprechen, konnte in der Bluttat von Aschaffenburg nur eine Chance sehen. Wenn ein Wahlkampfzug partout nicht in Fahrt kommt, werden die Fahrgäste unruhig. Als linker Konservativer in einer zuletzt rechten sozialdemokratischen Partei darf Merz auch nicht auf Gnade bei den Leitmedien hoffen. Jeder Geschwindigkeitsverlust seiner Kampagne wird von den Verbündeten seiner Gegner umgehend als Zusammenbruch gedeutet.

Faktisch dänisch

Merz hat beides getan: Dem Volk Futter und dem politischen Gegner ein neues Thema vor die Nase gesetzt. Er selbst bezeichnet sein geplantes Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen, zwar vorsichtig als "faktisches Einreiseverbot" - angedeutet werden soll damit wie im juvenilen "eigentlich", dass es so genau nicht zu nehmen sei, weil es eine Unzahl von Ausnahmen geben wird - doch im Geist ist der Unionskandidat ein Däne.

Das aber ist Konkurrent Olaf Scholz auch. Eben erst hat der Sozialdemokrat in seinem Rennen um die Rückkehr ins Amt nach dem 23. Februar seine enge Beziehung zu europa- und völkerrechtswidrig handelnden Regierung seiner Kollegin Mette Frederiksen betont. Kein Wort der Ermahnung, gemeinsame EU-Regeln einzuhalten oder sich zumindest zu bemühen, sie gemeinsam zu finden. Stattdessen überschwängliches Lob. "Dänemark und Deutschland sind enge Freunde, wir arbeiten eng zusammen", jubelte Scholz, "liebe Mette, es ist gut, solche Partner zu haben – mange tak!"

Der dänische Weg

So war es an Robert Habeck, auf die Folgen hinzuweisen, ginge Deutschland den dänischen Weg. "Von Adenauer bis Merkel haben konservative Kanzler sich stets in den Dienst Europas gestellt", mahnte der letzte Kanzlerkandidat, der noch nicht öffentlich von schnelleren Abschiebungen und einer Begrenzung der Zuwanderung geträumt hat. Wenn Friedrich Merz eine Mehrheit für die dänische Lösung "mit erklärten EU-Feinden" beschließe, dann mache "dieses Verhalten Europa kaputt".

Und das nicht zum ersten Mal. Nachdem von der Großen Koalition unter Angela Merkel vor zehn Jahren vorübergehende Grenzkontrollen" (Merkel) eingeführt worden waren, hatte der damals zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos bald nach dem Ablauf der möglichen Sechs-Monatsfrist begonnen, ein Ende der europarechtswidrigen Maßnahmen zu fordern. Avramopoulos verlor daraufhin seinen Posten, die dem Geist der Schengen-Verträge widersprechenden Kontrollen wurden inzwischen 20 Mal verlängert und auf sämtliche Grenzen erweitert. Zuletzt von Nancy Faeser, Innenministerin der Regierung, der auch Robert Habeck derzeit noch angehört.

Tun Sie es nicht

Habecks Forderung, vom Social-Media-Team auf eine Internet-Kachel geklebt, lautet "Tun Sie es nicht, Herr Merz". Niemand was, weiß nicht. Niemand wird ins Bild gesetzt, worum es geht, was er meint und was denn dann. Zur Erklärung hat Habeck mitgeteilt, dass alle Demokraten verabredet hätten, nicht es bis zur Wahl auf nichts mehr ankommen zu lassen. Im Bundestag abgestimmt werden solle nur, was im Hinterzimmer von den Parteigranden von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP als mehrheitswürdig abgenickt wurde. Eine Spielart der parlamentarischen Demokratie, die an den legendären "Hauptausschuss" erinnert, mit dem sich der Bundestag in der parlamentarischen Agonie des Jahres 2013 ein Notstandsparlament gab,  das weder die Väter des Grundgesetzes vorgesehen noch die Wähler gewählt hatten.

Wirkung von Beschwörungen

Das aber half, die Verantwortung für wegweisende Entscheidungen von den Schultern der gewählten Volksvertreter zu nehmen und den Parteiführungen aufzubürden. Habeck spekuliert heute natürlich darauf, dass sich niemand erinnert, keiner noch etwas weiß und alle übrigen ihn ohnehin für einen honorigen Mann halten, der niemals irgendwelche Themen im Wahlkampf instrumentalisieren würde, weil er ganz allein auf die Wirkung seiner Beschwörungen setzt. 

Einer wie er braucht keine Lösungen, er braucht Vertrauen, er braucht keine Gegner, er braucht Feinde. Im Kampf mit der umzingelnden Wirklichkeit ist die Waffe der Wahl die Mahnpredigt, die Warnung davor, wie fürchterlich es werden wird, wenn es so kommt, wie die wollen, die nicht so wollen, wie er will, weil er weiß, was richtig und anständig ist. 

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag, die in Kürze noch schlimmer sein werden, muss Robert Habeck appellieren: Die dänische Lösung, die Friedrich Merz durchsetzen will, wäre ein Zivilisationsbruch. Das Erbe von Kohl und Merkel würde zerstört. Die Westbindung geriete in Gefahr. Und der vom Grünen-Parteitag beschlossenen Familiennachzug behindert.

Afuera in der EU: Angriff mit der Nagelschere

Berlaymont-Gebäude in Brüssel als Ölgemälde
Hauptquartier der Kettensägen-Fraktion: Im Berlaymont-Gebäude in Brüssel schlägt jetzt das Herz der Entbürokratiesierung Europas. Gemälde: Kümram, Bürotinte auf Glas

Weg mit "Green Deal" und Wiederaufbau der EU. Weg mit den vor der EU-Wahl vollmundig abgegebenen Versprechen "Freiheit, Frieden & Energieunabhängigkeit" und "Stabilität, Respekt und grüne Transformation". Die EU, schwer unter Bedrängnis durch den weltweiten Wetterwechsel der letzten Wochen, erfindet sich wieder einmal neu. Auch diesmal folgt der Instinkt der Bürokraten dem Takt globaler Veränderungen wie ein Pantograph. Er vergrößert allerdings nichts, er malt ohne Tinte.  

Augenblickseinfälle auf der EU-Agenda

Das bekannte Verfahren. War es zu Zeiten von Jean-Claude Juncker noch en vogue in Brüssel, sich für Finanzstabilität stark zu machen, nachdem die großen Pläne vom Ausbau der Gemeinschaft zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt geplatzt waren, hatten später regelmäßig ähnliche Augenblickeinfälle die Agenda bestimmt. Mal versprachen sich alle eine EU-Armee, dann wieder sollte Europa Gesundheitsunion werden, ehe es wichtiger wurde, alles grün zu machen, nachhaltig und, die Mode kam überraschend, mit künstlicher Intelligenz.

Auch diesmal versucht Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dem Wandel hin zu mehr weniger Staat, zu freier Rede und gestutzter Verwaltung die brutale Wucht zu nehmen, indem sie sich an die Spitze der Bewegung stellt. Die Parolen von eben sind vergessen, der "Green Deal" wird eingemottet, die KI Act ist Schnee von gestern, ebenso der desaströs gescheiterte Chips Act und der mit Rekordmilliarden betriebene Wiederaufbau, den die EU dem Kontinent verordnet hatte, obwohl er nach Dafürhalten von Kommission, Parlament und EU-Rat so prima in Schuss war.

Alarm im Elfenbeinturm

Prinzipien aber sind nicht, womit jemand nach Straßburg fährt oder ein Büro im Berlaymont-Gebäude zugewiesen bekommt, einem Haus, das allein schon dadurch weltweit einzigartig ist, dass es als das europäische Gebäude mit den weitaus "allermeisten" (DPA) Energieausweisen gilt. 

Ursula von der Leyen, die es zuletzt nur mit knapper Not und der Hilfe postfaschistischer Regierungen wieder nach Brüssel schaffte, hat als eine der ersten Politikernde in Europa verstanden, woher der Wind künftig weht. Seit Donald Trump in den USA so tut, als könne Politik die Welt bewegen, hat sich die frühere Anwärterin auf den Stuhl des deutschen Kanzlers fix neu erfunden: Die Königin der Verbürokratisierung schwingt jetzt die verbale Kettensäge. Afuera! Mit der Nagelschera!

Der Bock als Gärtner

Der Bock als Gärtner verblasst gegen die Wandlungsfähigkeit dieser Frau. Ursula von der Leyen schaffte es in nur vier Jahren, die Anzahl der von der EU bis dahin ausgegebenen 4.600 sogenannten "grundlegenden Rechtsakte" um rund 2.000 zu erhöhen. Allein im vergangenen Jahr wuchs der Wust an Anweisungen, Richtlinien und legislative Akten um fast 400, heute sind knapp 6.500 in Kraft. Noch nie hat ein Land, hat gar eine Staatengemeinschaft in einer solchen Geschwindigkeit Papier produziert, um alles zu wissen, alles zu regeln und alle zu zwingen, selbst auch immer mehr Papier zu produzieren.

Von der Leyen aber spürt, dass es schwerer wird, die Europäer für ihr Gesellschaftsmodell des weitgehend grundlosen Gängelns zu begeistern. Lange hat man auch in den Brüsseler Bürokratenstuben wie im politischen Berlin gehofft, dass der argentinische Kettensägenmann Javier Milei scheitern werde bei seinem Versuch, den Staat zurückzustutzen. Wäre Trump dann noch bei den amerikanischen Wählern durchgefallen, Green Deal, next Generation EU, Your Europe, EU Life, EU4Health und hunderte andere fantasiereich getaufte Geldsammel- und Verteilungsprogramme würden stoisch weiterlaufen.

Von der Leyen ist für Bürokratieabbau

So aber ist es nicht gekommene. Und so hat sich Ursula von der Leyen ein neues Helmchen aufgesetzt: Die 66-Jährige plant jetzt unvermittelt einen "massiven Bürokratieabbau" in der EU-. Im großen Stil wolle ihre Kommission Regelungen abbauen, Sorgfaltspflichten beschneiden und das Lieferkettengesetz, jenes scharfe Schwert zur globalen Durchsetzung der Menschenrechte durch deutsche Mittelständler, zurück in die Tube drücken. 440 Millionen Europäer, bisher ausgesetzt einem außer Rand und Band geratenen Apparat, der überwiegend zum Selbstzweck Anweisungen erließ, die meistenteils ohne jeden Zweck blieben, dürfen sich freuen.

"Die Behörde werde eine beispiellose Anstrengung für mehr Vereinfachung leisten, heißt es in einem Entwurf zum geplanten Bürokratieabbau, der umso überraschender kommt, als dass Bürokratie im nicht einmal ein Jahr zurückliegenden EU-Wahlkampf keinerlei Rolle spielte. Nun aber regiert die blanke Angst im Elfenbeinturm Berlaymont, in dessen Keller erst kürzlich der Green Deal beerdigt worden war, stillschweigend und kleinlaut.

Es ist dieselbe Küche

Aus derselben Küche, in der das Rezept entworfen wurde, die Wirtschaft eines ganzen Kontinentes mit Hilfe von planwirtschaftlichen Zielvorgaben und vom Steuerzahler über undurchsichtige Förderprogramme vergebene Subventionen umzubauen, kommt jetzt das Signal, dass "Vereinfachungen in den Bereichen Berichterstattung über nachhaltige Finanzen und Sorgfaltspflichten" der neue heiße Scheiß sind. Das muss alles weg. Wichtiger als Menschenrechte sind seit ein paar Tagen niedrige Energiepreise. Wichtiger als Nachhaltigkeit ist es, die nach 15 Jahren stabiler Stagnation allmählich doch ungehalten werdenden Bürger mit neuen Ansagen bei guter Stimmung zu halten.

Wird es einen Bureaucracy Act geben? Eine EU-Abbaubehörde für Anweisungsformulare? Rückbautrupps aus Bürokraten, die Lieferketten mit einer neuen Bürokratieabbaugrundverordnung (BAGV) freiblasen? Und eine Task Force, die den geplanten neuen "Wettbewerbskompass" (von der Leyen) so einnordet, dass wenigstens der Eindruck entsteht, die EU könne weiterhin zugleich klimaneutral werden und niedrige Energiepreise haben, Lieferketten bis nach Tibet überwachen, ohne Berichte darüber anzufordern, mit China Wirtschaftskrieg führen und die Solarenergie ausbauen, den US-Präsidenten brüskieren und auf den Schutz der Amerikaner hoffen. 

Die Katze im Aktenschrank

Es wird nicht mehr lange dauern, dann lässt Ursula von der Leyen die Katze aus dem Aktenschrank. Es ist erst zwei Jahre her, dass die Frau, die die Bundeswehr so erfolgreich kriegsuntüchtig machte, versprach 25 Prozent der Berichtspflichten für Firmen zu streichen, um die EU wettbewerbsfähiger zu machen. Dass große Vorhaben scheiterte damals daran, dass Brüssel vergeblich nach Regeln suchte, die sich abschaffen ließen. 

Die Auswirkungen der ausgebliebenden Abschaffung waren durchweg positiv: Als die Bauern vor einem Jahr auf die Straße gingen, konnte die Kommissionspräsidentin ihnen einen gesonderten "Bürokratieabbau für Bauern" versprechen. Es war ja immer noch mehr an Vorschriften da als vor dem Abbauversprechen von 2023 "um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren". 

Die EU weiß das, denn schon ein halbes Jahr danach begann sie mit einer "Überprüfung des gesamten Rechtsbestand" in der Gemeinschaft. Diese "Vorbereitungsarbeiten zum Abbau der Berichtspflichten im gesamten EU-Rechtsbestand" waren der nächste erste Schritt, um die "regulatorischen Belastungen für europäische Unternehmen zu verringern". 

Ein ewiges Versprechen

Den geht die EU nun ein weiteres Mal, die Schuhe fest geschnürt wie 2019, als die von Angela Merkel frisch nach Brüssel entsandte Ursula von der Leyen der Wirtschaft erstmals "weniger Verwaltungsaufwand und Bürokratieabbau" versprach. Ab Amtsantritt  sollte der "One in, one out"-Grundsatz gelten, wonach für jeden neuen EU-Regelungsvorschlag eine bestehende Regelung abgeschafft werden sollte. Es dennoch geschafft zu haben, als 4500 Regelungen 6500 gemaht zu haben, zeigt, wie ernst die bisher erfolgreichste deutsche EU-Chefin ihr Vorhaben nimmt.

Leyen steht in einer großen Tradition. Legende ist bis heute die selbstverordnete Bürokratie-Entschlackungskur von 2018, Ältere erinnern sich an die Zeit um 2014, als EU-Kommissare selbst den Regulierungswahn stoppen wollten. Edmund Stoiber, ein gescheiterter Kanzlerkandidat, stand damals in der ersten Reihe der Entbürokratisierer. Verbissen (Die Zeit) lichtete er die Regeln und Reglungen aus, als "blonde Fallbeil" war er grau geworden, doch der Kampf gegen das "bürokratisches Monster" mit seinen "unsinnigen Regelungen und Einmischungen" (Stoiber) ließ ihn noch einmal aufleben.  

Stoiber fand damals mit sicherem Gespür die zehn am stärksten belastenden EU-Vorschriften. Zwölf Jahre nach seiner große Entbürokratisierungsmission hat die EU-Kommission die Bürokratie nun wieder zum Hauptfeind erklärt. Da in Brüssel nichts weg komt, außer gelegentlich einmal ein paar SMS, sind die Aktenfestmeter der Stoiberkomission sicher noch da, irgendwo im Keller. Eine Vorarbeit, auf der Ursula von der Leyen wird aufbauen können.

Kraft, Zeit und Energie sind da. Denn nein, die bisher so akute Klimakrise steht nicht mehr auf der Tagesordnung der Kommission.

Dienstag, 28. Januar 2025

Erinnerung als Wahlkampfwaffe: Gnädiges Vergessen

Hatten eigens zum Gedenken ihre Wahlkampfzentralen nach Auschwitz verlegt: Der Kanzler und der nachdenklich über deutsche Schuld sinnierende Kanzlerkandidat der Grünen.

Die "Tagesthemen" sind angereist, natürlich, es gilt schließlich, ein rundes Jubiläum zu begehen. Auch der Rest der Leitmedien ist da, vor Ort und auf Ballhöhe. Wer sich noch Zeitzeuge nennen kann, der bekommt ein Mikrophon vor die Nase gehalten. Einmal im Jahr müssen die Nachgeborenen da durch, auch wenn viele nicht wissen werden, was das eigentlich war, dies es Auschwitz. Zur besten Sendezeit meldet Margot Friedländer ernste Zweifel an der historischen Bildung der Letzten Generation an.

In Erinnerungslücken

Aber das Problem liegt eigentlich tiefer. Die SPD erinnert sich zwar, weiß aber nicht an wen genau. Die Grünen wissen, was auf dem Spiel steht, aber nicht, worum es eigentlich geht. Hier ist es irgendetwas mit Söhnen und Töchtern, Müttern und Vätern, besten Freunden und Nachbarn, Großeltern dazu. Bis heute weiß niemand mehr, warum Hitler ausgerechnet diese Leute umbringen ließ. Dort muss die Erinnerung nicht wegen der Opfer wachgehalten werden, sondern "damit sie uns und unsere Demokratie wachhält". Schuld als Selbstzweck und scharfes Wahlkampfinstrument. Sie fühlen es so. Und jeder soll es wissen.

Wer gedenkt mehr? Wer gedenkt besser? Lauter? Wessen Socialmediateam hat die traurigsten Bilder von sich zum Vorzeigen produziert? Und wem sieht man an, dass er am schwersten von der Last der Geschichte gebeugt wird? Ist denn noch Ofen da, fragen die traurigen Bilder, ausgezeichnet ausgeleuchtet.

Instrumentalisierung über Instagram. Der grüne Kanzlerkandidat hat den Wahlkampfstand von #teamhabeck extra nach Polen verlegt, aber die Instagram-Story mit ihm als nachdenklichem Helden, der nur von hinten zu sehen ist, verstört mehr als dass sie Trauer und Scham vermuten lässt. Gedenken nach Terminkalender? Wahlkampf im Heuchelmodus? Der scheidende Kanzler stellte allerdings klar, er "dulde kein Vergessen". Sein Gesundheitsminister griff beherzt zum Nazivergleich. Der Betroffene gab sich staatsmännisch und geschichtskundig.

Lieber unter uns

Es war nun doch wieder die Rote Armee, die Auschwitz befreit hatte, nicht mehr die Amerikaner, an deren demokratischer Verlässlichkeit sich die Zweifel zuletzt mehrten. Trotzdem wurden die Russen wieder nicht eingeladen. Die Täter feierten das Gedenken lieber unter sich, sicher ist sicher. Polen hätte sogar Europa- und Völkerrecht missachten wollen, wäre es zum Äußersten gekommen. Aber so ist es besser, je kleiner der Kreis der Gedenkenden, desto sauberer die Erinnerung. Und dass die Enkel der Täter neben den Enkeln der Opfer gedenken müssen, obwohl sie deren Schuld genau kennen,wäre allzuvielverlangt.

80 Jahre danach hat Hitler ohnehin Konjunktur wie nie. Erst erklärte die "Zeit" den Faschismus zu einer Pandemie, die nahezu alle Staaten außerhalb der deutschen Grenzen befallen habe. Ungarn, Russland, Argentinien, USA und Italien, alle regiert von Faschisten. Dann sahen die leitmedialen Beobachter in der Herzfluggeste eines gebürtigen Afrikaners den Deutschen Gruß. Und schließlich ernannte ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung den biederen Friedrich Merz zum "Führer" und er grüßte ihn mit einem saftigen "Sieg Heil, liebe CDU".

Wehret den Anfängen, gerade so kurz vor dem Ende.

Vorbild Schuldenbremse: Die Brandmauer ins Grundgesetz

Berliner Mauer Vorbild für Brandmauer
In Berlin stehen noch Teile der früheren Brandmauer, die beim Neubau als Modell dienen können.

Der Angriff der Konservativen in der CDU auf die erfolgreiche Migrationspolitik der vergangenen zehn Jahre hat erneut eine Debatte über die Brandmauer entfacht. CDU, CSU, FDP, AfD und BSW wollen eine Reform, Grüne, Linkspartei und SPD stellen sich diesem Wunsch entgegen. Fakt ist, dass die bisherige Brandmauer die AfD zur stärksten Kraft in den ostdeutschen Bundesländern gemacht hat. Und in den westdeutschen, die deutlich nachhaltiger demokratisiert sind, wächst die Gefahr, dass auch hier ganze Landstriche kippen.

Höchste Zeit für Sicherheit 

Höchste Zeit für Politik und Gesellschaft, die Demokratie zu stärken - doch der Weg kann nicht dorthin führen, wo Friedrich Merz hinwill, sagt Demokratie-Aktivist Hans Henningsen. Der 43-Jährige hat vor Jahren im Rahmen des Anti-Propaganda-Aktionsplans der EU als Cyber-Aktivist unter falscher Identität mitten in einer Trollarmee von Demokratiefeinden gearbeitet. Er weiß, dass sich hinter scheinbar harmlosen Wortmeldungen gerade aus dem Angriffe oft perfide Angriffe auf das Herz der grundgesetzlich verfassten Gesellschaft verbergen. 

Statt wie von Union und FDP gefordert, bereit zu Kompromissen mit den Feinden der Grundwerte zu sein, setzt sich Henningsen für eine große Lösung ein: Die Brandmauer soll im Grundgesetz verankert werden. Vorbild für den Plan, hinter dem neben Henningsen bürgerschaftlich engagiertem Verein "Alle für uns" (Afü) eine ganze Reihe bekannter Persönlichkeiten aus Funk und Fernsehen, der Wissenschaft und der Politik stehen, ist die Schuldenbremse. 

Zuverlässiger Schutz

Die war vor 16 Jahren mit einer Zweidrittelmehrheit von SPD und Union im Bundestag beschlossen worden und hält seitdem allen Angriffen stand. Artikel 115 GG verhindert zuverlässig, dass Bundesregierungen künftigen Generationen noch tiefer in die Tasche greifen. Mit der Schuldenbremse wird eine strukturelle, also von der Konjunktur unabhängige, staatliche Neuverschuldung begrenzt. 

Brauchen Politiker mehr Geld als sie haben, müssen sie seitdem aufwendige Umwege gehen, Notlagen erfinden und Schattenhaushalte gründen, die aktuell als "Sondervermögen" bezeichnet werden. Nicht alles könne so verhindert werden, sagt Hans Henningsen. "Aber wir sehen, wie schwer sich die Ampel-Regierung getan hat, ohne direkte Verletzung der Schuldenbremse genug Geld für ihre Visionen aus künftigen Schuldner herauszupressen."

Genauso soll es nach dem Willen der Aktivsten künftig auch beim Umgang mit der Brandmauer laufen. Die war bisher eine informelle Vereinbarung zwischen Medien, Talkshowgerichten und den Parteien des demokratischen Blocks, die weitgehend beachtet wurde. Zuletzt aber hatte zunehmende Angriffe von Rechtsaußen die Sorge befeuert, dass es zum Äußersten kommen könne. Dann würden die Parteien, die glauben, eine eher rechts stehende gesellschaftliche Mehrheit zu vertreten, ungeachtet aller erlassenen Kooperationsverbote, die bisher mit großem Aufwand umgangen werden mussten.

Noch keine Mehrheit

Die Argumente, mit denen sie verteidigt werden konnten, waren zuletzt aber deutlich schwächer geworden: So hatte Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und für 2029 als Kanzlerkandidat der Union gesetzt, als Gast der Talkshow "Caren Miosga" deutlich gewarnt.

Derzeit bekomme seine Partei im Bundestag keine Mehrheit mit der in Teilen als nachgewiesen rechtsextrem geltenden AfD zusammen, so dass sich die Frage nicht stelle, ob beide Parteien gemeinsam abstimmen, sagte der als traditioneller Merkelianer geltende Vertreter des linken CDU-Flügels bewusst doppeldeutig. Was wäre, wenn die Mehrheit stünde, wurde er nicht gefragt.

"Ein klarer Fingerzeig darauf, dass die Sache anders aussähe, hätten beide zusammen die Mehrheit", warnt Hans Henningsen, der gerade dem aus seiner Sicht nach Macht gierenden Friedrich Merz zutraut, "alles zu tun, um Kanzler zu werden". Um das zu verhindern, müsse die Brandmauer institutionalisiert und durch eine Aufnahme ins Grundgesetz geschützt werden. Wie das geht, hatte die große Koalition der demokratischen Parteien im Dezember vorgemacht: Die kaum bekannten undurchsichtigen Regeln, nach denen Verfassungsrichter abwechselnd von bestimmten Parteien ernannt werden, wurden im Grundgesetz festgeschrieben, um möglicherweise schon demnächst aufkommende Ansprüche anderer Parteien abzuwehren.

Verfassungsrang für die Mauer

Der Weg einer solchen Grundgesetzänderung zur Aufnahme der Brandmauer in die Verfassung steht offen. Henningsen sieht in der Verankerung des auch als "antifaschistischer Schutzwall" bezeichneten Bauwerks eine Möglichkeit, die in der aktuellen deutschen Debatte darüber, wer wo steht, wo stehen darf und was an Gesetzesvorschlägen noch in den Bundestag eingebracht werden kann, ohne den Rechtsstaat nach rechts zu verschieben, viel zu wenig diskutiert werde.

"Eine solche Verankerung würde sicherstellen, dass demokratische Parteien nicht nur durch informelle Vereinbarungen oder einfachgesetzliche Regelungen an ein Kooperationsverbot über die Mauer hinweg gebunden wären, sondern durch die höchste Rechtsnorm unserer Demokratie, das Grundgesetz." 

Bürgerrinnen und Bürger, aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen hätten dann bei Verstößen das Recht, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf ihr Grundrecht auf Sicherheit und Schutz des Lebens zu klagen. "Durch die Verankerung der Brandmauer im Grundgesetz würde der Staat im Grunde verpflichtet, diese Rechte durch präventive Maßnahmen zu schützen", glaubt Henningsen. 

Um eine Übertretung der Brandmauer, deren Unterminierung oder Umgehung zu verhindern, seien die Verfassungsorgane gefordert, proaktiv zu reagieren. "Das würde eine klare Botschaft senden, dass die Sicherheit der Bürger:innen und deren Anspruch auf eine Gesellschaft, die so bleibt, wie sie ist, eine verfassungsrechtliche Priorität ist."

Die Länder sind gefordert

Der Umbau der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit wäre aus Sicht der Initiatoren, die eine entsprechende Petition vorbereiten, mit einer Grundgesetzänderung noch nicht vollendet. "Wir brauchen eine Harmonisierung der Brandmauervorschriften auch in den Ländern, denn Deutschland ist durch seine föderale Struktur auf der unteren Ebene weiter angreifbar, wenn es unterschiedliche Vorgaben zu Verboten der Kooperation über die Brandmauer hinweg für einzelne Bundesländern gibt."

Hans Henningsen bringt Beispiele dafür, so etwa die Zusammenarbeit der Union in Thüringen und Sachsen mit der linken Abspaltung BSW, ebenso die gleichartige Kooperation der SPD in Brandenburg. Ohne einheitliche Standards für Brandmachern gehe es nicht. "Sie würden bundesweit nicht nur die Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger erhöhen, sondern auch die Komplexität reduzieren, die bisher erlaubt, Annäherungen an den antifaschistischen Schutzwall mit semantischen Tricks als zulässig zu erklären." 

Brückelnde Mauer

Gerade wegen der Vielzahl von lokalen Vorschriften in ganz Europa bröckele die Mauer. Ungarn halte seinen Grenzen seit Jahren geschlossen, die Niederlande seien wie Italien nach rechts gekippt, dennoch halte die Bundesregierung der Rest-Ampel weiterhin an einer Zusammenarbeit mit den populistischen und zum Teil neofaschistischen Regierungen der früheren Wertepartner fest. "Wir sind konfrontiert mit einer Wirklichkeit, die langfristige Planungssicherheit nicht mehr erlaubt."

Durch die Verankerung der Brandmauer als letzter Verteidigungslinie unserer Demokratie im Grundgesetz würde die Verpflichtung zu keinerlei jedweder wie auch immer gearteter Zusammenarbeit mit politischen Kräften vond er anderen Seite lange Sicht sichergestellt. "Gesetze können geändert werden, aber Änderungen am Grundgesetz sind aufwendiger und erfordern eine breitere Zustimmung", erklärt Hans Henningsen. Das könne helfen, politische Brandschutzmaßnahmen nicht Opfer von populistischen Wahlkampfinteressen werden zu lassen. "Eine Verfassungsverankerung, wie wir sie uns wünschen, würde das Bewusstsein für den Brandschutz in der Bevölkerung stärken, weil sie die Parteien zwänge, ihre Politik grundsätzlich am Brandmauergedanken auszurichten." 

Mitregierungsverbot

Deutschland würde endlich werden, was es schon immer sein wollte: Eine Demokratie, die auf der Basis des Grundgesetzes in der Lage ist, abweichende und irrige Auffassungen ohne das scharfe Schwert des Parteiverbotes zu moderieren. Parteien, die sich jenseits der Brandmauer aufhalten wollen, müssten nicht verboten werdem, für sich gülte jedoch Mitregierungsverbot, das sich auch auf informelle Koalitionen wie seinerzeit das "Magdeburger Modell" erstreckte. Mit dieser Variante der  Hinterzimmerduldung hatte die SPD Ende der 90er Jahre die ersten Schritte getan, um die damalige PDS hoffähig zu machen.

Heute steht die Partei zwar vor dem parlamentarischen Aus, doch ob Deutschland in seinem derzeitigen angeschlagenen Zustand ein Vierteljahrhundert mitregierender Rechtspopulisten überstehen würde, erscheint dem Aktivisten fraglich. "Umso wichtiger  ist es, über einen Brandmauer-Artikel im Grundgesetz schnell zu einer kulturellen Veränderung zu kommen, indem klargemacht wird, dass Prävention und Sicherheit höher im Bewusstsein der Menschen stehen als Zufallsmehrheiten, die sich aus rein inhaltlichen Überschneidungen bilden."

Wieder ein globales Vorbild

Für das Bild Deutschland in der Welt sieht Henningsen nur Vorteile. "Europarecht und internationale Verträge dürften wie bisher nur gebrochen werden, wenn Parteien diesseits der Brandmauer beschließen, sie zu missachten." Seiner globalen Vorbildfunktion Deutschland beim Einhalten zumindest bestimmter Standards, wenn es gerade passt, würde Deutschland damit endlich wieder gerecht werden. "Das wäre dann verfassungsrechtlich geschützt, wer die Axt an diese Regelung legen wollte, bräuchte eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag." 

Selbst gesetzt den Fall, dass eine Vielfaltskoalition unbekannter Farbgebung es nach dem 23. Februar schafft, noch einmal vier Jahre weiterzuregieren wie bisher, sieht Hans Henningsen keine unmittelnare Gefahr, dass sich nach 2029 schlagartig etwas ändert. "Auch wenn die Gegner und Feinde unserer Demokratie dann noch weiter erstarkt sind, steht die Brandmauer im Grundgesetz - sie hat einen Schutz  auf allerhöchstem rechtlichem Niveau und könnte selbst von einer rechtspopulistischen Mehrheit nicht so einfach ausgehebelt werden." 

Langfristige Prävention

Den damit verbundenen Gedanken einer langfristigen Prävention vor der Versuchung, den im Augenblick noch leicht möglichen breiten gesamtgesellschaftlichen Konsens nicht zu nutzen, stellt Hans Henningsen warnend in den Raum. "Schon in vier Wochen könnte uns die verfassungsändernde Mehrheit nicht mehr zur Verfügung stehen." Die Folgen des Versäumnisses, die Zeit nicht genutzt zu haben, brächten langfristige Nachteile für die Sicherheit und das Zusammenleben in Deutschland. "Deshalb fordern wir eine sofortige namentliche Abstimmung über die Aufnahem der Brandmauer ins Grundgesetz", sagt er und schiebt den berühmten Scholz-Satz nach: "Jetzt!"

Montag, 27. Januar 2025

Saskia Esken: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Berichte für die Blase: Saskia Esken verklappt ihre Nachrichten an einen exklusiven Benutzerkreis.

Sie ist noch da, aber auch nicht. Sie trommelt für ihre Partei, aber nicht für jedermann. Saskia Esken hat dem mählich laufenden Wahlkampf ihrer SPD einen neuen Glanzpunkt aufgesetzt, indem sie ihre Werbeposts auf X nur noch für Eingeweihte schreibt. Wer der Vorsitzenden der früheren Arbeiterpartei als "bestätigter Follwer" folgt, sieht, was Esken zum laufenden Kampf um die Deutungshoheit beizutragen hat. Alle anderen 83,5 Millionen im Land nicht.

Beschädigte politische Kultur

Es ist ein ganz besonderer Trick, den die schärfste Waffe der in Teilen als gesichert rechtsextrem geltenden AfD in der zweiten Hälfte der Schlacht um die künftige Kanzlerschaft zückt. Vor knapp drei Jahren war die frühere Landesschulrätin demonstrativ vor der "Clickbait-getriebenen Empörung, vor misogynem Hass und Fake News" auf der damals noch als Twitter bekannten und streng nach Nützlichkeit sortierten Kurznachrichtenplattform geflüchtet. "Die Ökonomie von Aufmerksamkeit und Empörung, wie wir sie heute in den sozialen Medien erleben, beschädigt unsere politische Kultur", schrieb sie zum Abschied  in einem Gastbeitrag für die "Zeit".

Ihre Partei folgte ihr Monate später, Esken mahnte sie die Bundesregierung, auch sie solle das inzwischen vom US-Milliardär Elon Musk übernommene und als X geführte Portal "nicht weiter füttern". Es sei wichtig, dass "die Daumenschrauben" gegenüber der Plattform anzuziehen und sich endlich alternative Plattformen für die Kommunikation suchen. 

Zerstörerische Auswirkungen

Die SPD machte es vor: Nach vergeblichen Versuchen, bei Bluesky ein Publikum zu finden, folgte zehn Monate nach dem Rückzug von X der Rückzug vom Rückzug, erzwungen von der Angst, im plötzlich beginnenden Wahlkampf nicht durchzudringen zu "den drei Prozent der Deutschen, die auf X aktiv sind".

Seitdem sorgt die frühere Volkspartei in Musks böser Stube dafür, dass niemandem "ein X für ein U vorgemacht" wird und die "zerstörerischen Auswirkungen manipulativer Algorithmen und der bewussten Abschaffung von Faktenprüfungen" (SPD) wenigstens auch der deutschen Sozialdemokratie zugutekommen. Die Vorsitzende der Partei steht dabei "stabil für die Werte der Sozialdemokratie", weil sie ihren Account auch beim Rückzug von X nicht abgemeldet hatte, zählt sie immer noch mehr als 88.000 Gefolgsleute.

Verheerend nicht nur im Osten

Mehr wären zu viele, als dass nicht Schaden entstehen würde, wenn jeder alles lesen könnte. Länger schon steht Saskia Esken in der eigenen Partei unter Verdacht, am erfolgreichsten Wahlkampf für die Konkurrenz zu machen. Zuletzt hatte die Brandenburger Finanzministerin Katrin Lange mit Blick auf die Vorsitzende gemahnt, es wäre "schon einiges gewonnen, wenn bestimmte Leute grundsätzlich nicht mehr an Talkshows teilnehmen würden", sagte Lange. Der Eindruck, den Esken öffentlich vermittle, sei "verheerend – und nicht nur hier im Osten". 

Esken gilt schon länger als das Gesicht des Niedergangs der deutschen Sozialdemokratie. Immer wieder hatte die 63-jährige Quereinsteigerin Freund und Feind mit kruden Thesen verwirrt, verunsichert und provoziert. So sah sie das Wählerpotenzial der SPD bei "47 Prozent", sie bezeichnete die Ampel kurz vor deren Zusammenbruch als "starke Regierung" und bescheinigte Olaf Scholz, er habe "das Heft des Handelns in die Hand genommen", nachdem der seine Bundestagsmehrheit verloren hatte.

Abserviert im Bundestag

Der scheidende Bundeskanzler fühlte sich offenbar verhöhnt, er reagierte brüsk und ließ Saskia Esken vor aller Augen im Bundestag stehen wie eine Saaldienerin. In der Parteiführung, die sie unter Anleitung des inzwischen abgetretenen Hoffnungsträgers Kevin Kühnert vor sechs Jahren erobert hatte, spielt die Frau aus Stuttgart nur noch die zweite Geige: Ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil hat die staatliche geprüfte Informatikerin an den Rand gedrückt. Während er die großen Attacken gegen die ehemaligen und immer noch zur Stange haltenden Koalitionspartner reitet, beackert Esken die kleinen Furchen auf dem flachen Land.

Dort könne sie weniger Schaden anrichten, heißt es in der SPD, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Konsequenzen gezogen. Eskens X-Präsenz aber blieb ein Problem. Im Unterschied zu ihrem Auftritt bei Mastodon, den Esken ebenso wie den bei Bluesky schon seit Monaten nicht mehr mit Inhalten bestückt, hat sich die Spitzenpolitikerin bei X bisher zwar an ihren Plan gehalten, "nicht zu viel über Migration zu sprechen". 

Mitteilungen per Hauspost

Auch das aber könnte noch zu viel sein, wenn es zu viele mitbekommen. Nur konsequent deshalb der Schritt, Mitteilungen an die Bevölkerung nur noch einem ausgewählten Kreis bestätigter X-Genossen zukommen zu lassen. "Willste was gelten, mache dich selten", sagt ein altes Sprichwort aus dem Schwäbischen, das Esken sich zur Maxime gemacht hat. 

Ein Wahlkampf ohne Öffentlichkeit, bei dem die eigenen Positionen ungestört von Widerspruch verbreitet werden, ist das Ideal einer Partei, die den Wählerinnen und Wählern seit Monaten vorwirft, ihre Leistungen einfach nicht ausreichend wertzuschätzen. Der knurrige Kanzler lässt in keiner Rede Zweifel daran aufkommen, dass er so manches drängendes Problem längst gelöst hat oder doch zumindest in Kürze gelöst haben wird, leider aber politische Gegner und Medien seine Leistungen nicht zu würdigen bereit seien.

Dagegen anzusenden, das zeigen die harschen Reaktionen auf Wortmeldungen von Genossinnen, die noch öffentlich zur SPD stehen, hat keinen Sinn. Da die SPD im Gegensatz zur AfD nicht in der Lage ist, ihren Wahlkampf ganz ohne Zuschaustellung in der "Tagesschau" durchzuführen, muss sie selbst tun, was sie kann, um ungesehen bis zum 23. Februar zu kommen.