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Die ausgebildete Psychosoziologin Svenja Prantl schaut derzeit überaus optimistisch auf die Welt. |
Sie gilt als seine der stärksten Stimmen der jungen Generation, sie setzt sich unumwunden für soziale Freiheit und Grundgerechtigkeit in der Verteilungsgesellschaft ein, aber beherzt auch in die Wespennester des Widerspruchs. Svenja Prantl hat dem gewohnten bürgerlichen Leben schon als junge Frau rasch entsagt, vor sieben Jahren packte ihren Laptop und machte sich auf eine lange Reise raus aus
Deutschland, weg von Europa, ins ferne Ausland, wo das Wetter besser und die Strände leer sind. Hier, weitab von den deutschen Alltagssorgen,
arbeitet die heute 36-Jährige, wann immer sie Lust hat – und zwar am liebsten am Strand, von dem aus die deutschen Verhältnisse oft besonders bizarr anmuten.
Für PPQ begleitet die überzeugte Digitalnomadin den Fortgang der Ereignisse mit Kolumnen und Interviews mit Zeitzeugen. Heute allerdings sitzt sie selbst vor dem Mikrofon, um Auskunft zu geben und mit geübter Hand einzuordnen, was inländische Beobachter zusehends überfordert.
PPQ: Frau Prantl, überall heißt es, die Welt sei aus den Fugen geraten, Amerika lasse seine Verbündeten im Stich, alles breche zusammen und bald wohl ein Krieg aus. Wie positiv blicken Sie gerade in die Zukunft?
Svenja Prantl: Überaus positiv. Wir kommen aus Jahren der politischen Lähmung, aus einer Zeit, in der alle Dinge für immer festgezurrt zu sein schienen. Wenn wir Europa betrachten, dann hatten wir eine Perspektive des Immerweiterso. Aller paar Jahre wählten alle Politiker, die niemand kannte und von denen niemand wusste, wieso gerade sie auf dem Wahlzettel stehen. Die verschwanden dann nach Brüssel, wo sie übereinstimmenden Angaben zufolge nichts zu sagen und nichts zu entscheiden haben. Parallel dazu wuchs uns dann immer eine Kommission zu, die niemand gewählt hatte, die aber alles entscheidet, etwa auch, wer was sagen darf. Sogar den nationalen Regierungen weist diese Meta-Bürokratie bis heute zu, was sie dürfen und was nicht. Das ganze Konstrukt haben wir "unsere Demokratie" genannt und so tief inhaliert, dass jedermann und jede Frau in der EU sich schon fürchtet, wenn ihm insgeheim der Gedanke kam, dass das ja wohl nicht der demokratischen Verhältnisse letzter Schluss sein könne.
PPQ: Diese Beschreibung ist vielleicht justiziabel, aber optimistisch klingt sie nicht.
Prantl: Mein Optimismus erwächst aus dem Pessimismus dieser Situationsbeschreibung. Schlimmer kann es doch nicht kommen. Sehen Sie, 440 Millionen Europäer akzeptieren Verhältnisse, die so konstruiert sind, dass demokratisch gewählte nationale Regierungen Entscheidungen treffen und Gesetze beschließen müssen, die ihnen von einer überhaupt von niemandem gewählten Kommission und einem unter sehr fragwürdigen und undemokratischen Regeln gewählten Parlament ohne Parlamentsrechte vorgegeben werden. Das klingt doch dystopisch! Das ist doch eine Horrorvorstellung für jeden Demokraten. Um diese Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, wie ein großer kommunistischer Vordenker mal gesagt hat, braucht es ein Erdbeben, eine umfassende Erschütterung. Und die spüren wir gerade. Das macht mich optimistisch, nicht weil ich an ein gutes Ende glaube, sondern weil ich denke, dass ein gutes Ende ohne Anfang unmöglich ist.
PPQ: Viele einfach Menschen draußen auf der Straße und viele Hinterbänkler im Parlament und Beisitzer in den Koalitionsverhandlungen empfinden die derzeitige Phase aber als sehr heftige Zeit, weil gerade viele politische Glaubenssätze infrage gestellt werden und es so scheint, als seien alle Schutzmechanismen vollkommen überfordert.
Prantl: Diesen Effekt kennen wir aus der Katastrophenforschung. Sie können da rund um die Welt schauen und quer durch alle Zeitalter. Immer stellt sich nach einem Unglück, sei es nun eine Naturkatastrophe oder ein menschengemachtes Auto- oder Messervorkommnis, heraus, dass die Vorsorge nicht ausgereicht hat, dass es Fehler gab, Versäumnisse und Dinge, die niemand vorausgesehen hat, als alle sich wappneten, wie man das ja inzwischen nennt. Letztlich ist es nie genug, aber ohne Katastrophe erfährt das eben keiner. Aus Sicht der Demokratieanwender im politischen Berlin ist das immer der Idealfall, es garantiert, dass man weitermachen kann, ohne von Brüchen und neuen Herausforderungen gestört zu werden. Das Ideal einer solchen Führung ist die berühmte EU-Fake-News von den vermeintlich 75 Jahren Frieden, die die Gemeinschaft garantiert habe. Man eignet sich einfach etwas an, das andere verbürgt haben, feiert sich dafür und zieht daraus die Bestätigung, dass es keinerlei Bedarf mehr nach Fortschritt, Entwicklung oder auch nur Veränderung gibt.
PPQ: Aber wenn alles gut läuft, braucht es das doch auch nicht. Never change a winnig team, sagt man doch?
Prantl: Ja, läuft es denn? Hat denn diese ganze große EU, der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum der Welt seit mehr als zwei Jahrzehnten, im vergangenen Vierteljahrhundert irgendeine Entwicklung von Belang zum Fortschritt der Menschheit beigesteuert? Ich rede jetzt nicht von den 12.000 Rechtsakten und Gesetzen, nicht von der neuen Spitzenstufe der Bürokratisierung und nicht vom kreativen Umgang mit früher festgelegten Begriffen wie Einigkeit, Solidarität und Gemeinsamkeit. Nein, ich meine zum Beispiel technische Innovationen, die das Leben von Millionen besser machen, einfacher und lebenswerter. Hat Europa da etwas vorzuweisen? Irgendetwas? Ein kleines soziales Netzwerk im Internet? Einen winzigen Routenplaner? Ein überzeugendes Smartphone? Computersoftware? Ein Satellitennetz? Künstliche Intelligenz? Raumfahrtpläne? Wiederverwendbare Raketen? Irgendetwas? Sagen Sie es mir!
PPQ: Auf Anhieb springt einem da sicher nichts ins Gesicht, aber in einer Welt, die auf Arbeitsteilung beruht, ist das vielleicht gar nicht wichtig. Jahrhundertelang hat Europa die Welt mit Innovationen und dann auch mit Produkten versorgt. Warum soll das über die nächsten Jahrhunderte nicht andersherum sein?
Prantl: Es wird andersherum sein. Ein kluger Mann, weitgereist und welterfahren, hat mir kürzlich erzählt, dass er sich immer dann, wenn er aus Asien zurück nach Europa fliege, vorkomme wie bei einem Besuch im, so wörtlich "Museum unserer Überheblichkeit". Während wir selbstverliebt auf unsere Vergangenheit schauten, ziehe Asien unaufhaltsam an uns vorbei. Und, so sehe ich das, mit jeder Stunde, die EU-Europa in seinen kalten, leeren Ritualen verharrt, sinken die Chancen, dass diese zerrüttete, zerstrittene und von jeder einzelnen Krise der vergangenen 20 Jahre sofort überforderte angebliche Wertegemeinschaft noch einmal den Anschluss schafft.
PPQ: Nun heißt es ja aber, in den USA sei mit der Wiederwahl von Donald Trump eine neue Zeit unter Vorzeichen einer Kleptokratie angebrochen und Europa sei nun gefordert, die alte weltpolitische Ordnung aufrechtzuerhalten, also gerade den Status Quo zu verteidigen, von dem Sie sagen, er müsse enden. Wie geht das aus?
Prantl: Wie immer. Es hat in den zurückliegenden acht Jahrzehnten einige Fälle gegeben, in denen sich die Kleinmächte des Westens amerikanischen Wünschen verweigert haben. Denken Sie an de Gaulle oder Gerhard Schröder. Aber das waren kurze, taktische Aufstände, meist aus innenpolitischen Gründen losgetreten. So ist es auch diesmal, weil Europa und insbesondere Deutschland sich natürlich in den zurückliegenden zehn Jahren ein Bild von Trump und dessen Ambitionen und Zielen zurechtgezimmert hat, das sich jetzt nicht so einfach beiseitefegen lässt. Der Mann ist ja für irre und für wahnsinnig erklärt worden, man hat ihn bekämpft mit allem bisschen, was man hatte, er wurde zum Hassprediger, zum russischen Agenten und zum Kriegstreiber ernannt und jeder Versuch, wenigstens halbwegs bei den Fakten zu bleiben, unterblieb, je länger dieser Kampf erfolglos geführt wurde. Niemand kann jetzt so einfach den Schalter umlegen und sagen, okay, er hat gewonnen, wir machen wie immer mit. Ei großes Problem, das sich aber wie immer auswachsen wird.
PPQ: Aber bleiben dann nicht unsere zentralen Inhalte auf der Strecke? Europa hat sich zuletzt vor allem über den Kampf für den Schutz des Klimas und der Meere, für Biodiversität, für Nachhaltigkeit und so weiter definiert. Das fiele ja alles weg.
Prantl: Zweifellos, aber das wird niemand bemerken, abgesehen von denjenigen, die die Felder aus geschäftlichen Zwecken beackern. Seit wir mit dem Ukrainekrieg aus der Zeit der monothematischen Beschäftigung mit dem Klima herausgerutscht sind, haben sich Angebot und Nachfrage nach diesen ehemaligen Zukunftsthemen ja bereits halbiert, ohne dass Klagen kamen. Das resultiert natürlich aus den Grundgesetzen der Mediendynamik: Es kann immer nur eine begrenzte Anzahl an Wichtigkeiten geben, weil eine Tagesschau, wie die Medienforscher sagen, eben nur 15 Minuten hat und auch noch der Sport, das Wetter und irgendetwas Launiges über Kultur gesendet werden muss.
PPQ: Steht also das Abendland vor einem Neustart und die Menschheit vor goldenen Jahren? Da sind Sie eine recht einsame Stimme.
Prantl: Die Zukunft ist wie immer offen, beziehungsweise sie ist jetzt wieder offen. Nach Jahren, in denen sich erwiesen hat, das eine multilaterale Kooperation über Klimaverträge und globale Abmachungen mit Mindestssteuervorgaben und ähnlichen Trick ersten langwierig und zweitens erfolglos ist, bekommen wir nun die Chance, auszuprobieren, ob sich diese Themen mit Hilfe eines konkurrenzbasierten Modells in den Griff bekommen lassen. Wir haben im Moment drei Blöcke, die unterschiedliche Ansätze verfolgen und wechselseitig in großen Abhängigkeiten stecken. Die Amerikaner haben Europa angeboten, weiterhin zu kooperieren, allerdings wieder nach eher konservativen Vorgaben. Das folgt der strengen Logik von Zbigniew K. Brzezinskis Klassiker "The Grand Chessboard" , in dem er "Amerikas Strategie der Vorherrschaft" schon Ende der 90er Jahre als notwendigen Schutz vor einem Weltmachtstreben Chinas beschrieben hat. EU-Europa kann dieses Angebot annehmen. Oder es wird auf der globalen Wippe, von der Brzezisnki sprach, Richtung Osten kippen.
PPQ: Wenn Europa nur diese Wahl hat, warum wehrt es sich dann so?
Prantl: Weil die Entscheidung den derzeitigen Akteuren wohl gegen den Strich geht. Sie sind Gefangene ihrer eigenen Propaganda von der EU als moralischer Weltmacht und zugleich alles andere als Weltstrategen. Hätten zumindest einige von ihnen Brzezinskis Buch gelesen, wüssten sie, dass die Trump-Administration mit ihren Befriedungsmanövern Russland gegenüber natürlich einen Schachzug gegenüber China macht, den Brzinski schon 1999 für unausweichlich erklärt hat. Russland war für ihn schlicht der Schlüsselstaat, an dem sich entscheidet, auf welche Seite Eurasien kippt.
PPQ: Das klingt einleuchtend, spielt aber in der öffentlichen Diskussion keinerlei Rolle. Haben wir es hier auch mit eineem Medienversagen zu tun?
Prantl: Immer. Mit funktionierenden Medien wäre die EU niemals in eine so prekäre Lage geraten, weil kein Politiker wie Angela Merkel über anderthalb Jahrzehnte mit einer Politik des absoluten Stillstands, der Vertröstung und der Konservierung durchgekommen wäre. Das muss man wohl heute einräumen.