Montag, 3. Februar 2025

Bewegung Habeck: Da ist sie nun doch noch

Robert Habeck die Bewegung
Lange war seine "Bewegung" nur ein trauriger Traum. Mittlerweile aber ist sie auf allen Straßen und Plätzen gegen den Rechtsruck in den Verrat der CDU unterwegs.

Das also ist nun die Bewegung, jener von seinen Feinden als "grüner Mob" denunzierte Anhang des scheidenden Klimawirtschaftsministers, den der grüne Kanzlerkandidat monatelang beschworen hat, ohne ihn außerhalb der sozialen Hassnetzwerke vorweisen zu können. Was auch immer der Chef versuchte, es gelang nicht.

Gleich zum Auftakt der heißen Phase trat er vor eine ARD-Kamera, um ein wenig Sturm ins laue Wahlkampflüftchen zu bringen. Nicht mehr 10 Prozent auf alles, geschenkt vom Staat für jeden, der trotz allem noch in Deutschland investiert. Sondern Versicherungsbeiträge für alle, die trotz bis zu 48 Prozent Steuern auf Kapitalerträge Gewinn mit dem Ersparten machen.

Die Zugriffslogik

Habecks Logik war einfach. Die eigene Klientel hat einerseits entweder wenig gespart oder längst genug, um ein bisschen mehr fürs gute Gewissen abgeben zu können. Die anderen teilen sich in die, die es gern sehen würden, wenn der Staat noch mehr nimmt, um ihnen noch mehr geben zu können. Und die, die gar nicht zuhören, weil sie schon lange nichts mehr glauben.

Die Bewegung, die Habeck mit sich als "Bündniskanzler" gegründet hatte, blieb von außen unsichtbar und drohte, als untauglicher Versuch zu enden. Habecks Werber provozierten mit piratigen Ordnungswidrigkeiten. Die unermüdlichen Internettrolle versuchten vergeblich, ihren Liebling in die Elefantenrunden bei ARD und ZDF zu petitionieren. Habeck saß an Küchentischen und in Talkshows, er feierte grüne Messen draußen im Land, umgeben von eingeschworenen Fans. Er spielte den Erwachsenen unter den Parteiführern. Und wies lieber Donald Trump in die Schranken als Christian Lindner. Einfach eher seine neue Kragenweite.

Und alles schien doch aussichtslos. Selbst die Umfragewerte, die besonders freundlich mit dem Helden aus Heikendorf umgingen, erzählten eine Geschichte von Stagnation  und fehlender Überzeugungskraft. Die "Zuversicht", die Habeck plakatierte, ergriff die Massen nicht. Das plakative "Zusammen", mit dem die 2021 gescheiterte Kandidatenvorgängerin assistierte, war ein Zusammen in der polierten Blase des grünen Elfenbeinturmes.

Auf eine Karte

Erst dem All in des Konkurrenten von der Union verdankt Habecks Bewegung ihre wahre Geburt. Fragte sich zuletzt selbst die grüne Basis, was genau die "Bewegung" sein sollte, der Habeck vorsteht. Auf einmal war es da gewesen, das Wort, auf einmal wurde aus der Gemeinsamkeit ein Unterhaken, wie Scholz es fordert. Gegen die Strömung, gegen den Wind. 

Der grüne Vizekanzler verzichtete recht absichtsvoll auf das "Bürger" das der Teil der Grünen aus der DDR mitbrachte, der längst am liebsten vergessen wird wie ein Cum-ex-Treffen. Welches andere Bündnis aber meint Habeck? Die Militärallianz NATO? Das Bündnis, das in der vormaligen DDR Arbeiter mit Bauern und Intelligenz eingingen, ohne die groß nach Zustimmung zu fragen? Ist gar der mächtige Bund der europäischen Völker gemeint, jener wage durch Verträge aneinandergebundene 27er-Verein, der sich nur schwer bis nie auf irgendetwas einigen kann?

Ohne geheimen Händedruck

Was auch immer es sein sollte, Robert Habeck war sein Gesicht wie Sahra Wagenknecht das des anderen angetretenen bunten Bundes. Im Gegensatz zur Kaderpartei der linken Rechtsauslegerin kann bei Habecks Bündnis jeder mitmachen, alle waren eingeladen : Ostdeutsche, Westdeutsche, Arme und Reiche, Linke und reuige Rechte. Die "Bewegung", aus der Taufe gehoben 85 Jahre nach dem Ende der ersten, die damals von einem fast Gleichaltrigen geführt wurde, kam ohne Erkennungszeichen, geheimen Händedruck und signalhaften Gruß aus. 

Die Farbe und der ruhelos predigende Messias waren der laue Glutkern des Wahlkampfwanderzirkus. Bis das Volk aufstand wie bei Theodor Körner und der Sturm losbrach aus ehrlicher Empörung über den Verrat von freidrich Merz an einer Abmachung, die er selbst vorgeschlagen hatte. Keine Zufalls mherheiten! Keine Wiederholung der gemeinsamen Parlamentsabstimmungen mit Nazis, die die große Historie der deutschen Sozialdemokratie bis heute wie dunkle Flecken beschmutzen.

Hinterm Ofen

Theodor Körner fragte einst "Wer legt noch die Hände feig in den Schoß? Pfui über dich Buben hinter dem Ofen!" Niemand, antwortet Berlin, niemand, antwortet Chemnitz. niemand, schallt es aus Hamburg und Saarbrücken. Die Bewegung, die zu sein Robert Habeck behauptet hatte, da ist sie nun wirklich: Jung und engagiert, leidenschaftlich, voller Liebe und mit Parolen wie "ganz Deutschland hasst die AfD" und "CDU-Verbot jetzt" deutlich machen, dass sie nach nur 82 Jahren wieder zu allem bereit sind.

Farbbeutelwürfe, Bürobesetzungen, Beschimpfungen von bisher ehrbaren Christdemokraten als Faschisten, rohe Eier und "Telefonterror" (Berliner Zeitung) - wie auf Knopfdruck springt der Volkszorn aus der der Kiste und selbst der Philosophengeneral an der Spitze verurteilt "Drohungen und Gewalt" gegen den politischen Gegner. Stellt aber die Verantwortlichkeiten klar: "Dass Friedrich Merz sein Wort gebrochen hat und seine Union mit Rechtsextremisten paktiert, ist ein Bruch in unserer demokratischen Kultur". Die Welle der überschießenden Empörung, die Gewalt und der selbstbewusst spazieren geführte Hass, sie werden zur verdienten Quittung, die die Bewegung nur allzu gern ausstellt.

SPD im Widerstand: So kurz sind 162 Jahre

Die Wahrheit über die Zusammenarbeit der SPD mit Nazis ist bitter, aber in der Partei kaum bekannt.

Nirgend irgendwo werde so oft gelogen wie im Ersten und beim ersten Date, behauptet ein altes deutsches Sprichwort. Aber das ist natürlich geschwindelt. Angeblich in Umlauf gebracht von der ZDF-Spezialredaktion für Multimediale Manipulation, sollte der Spruch am Ruf des öffentlich-rechtlichen Konkurrenten kratzen, um dem Zweiten Vorteile im Wettbewerb um die begehrten Gebührenmilliarden zu verschaffen.  

Auf der Spur einer Lüge

Ein Randaspekt nur, denn wenn um Lügen geht, liefern Wahlkämpfe Ort und Zeit, um fündig zu werden. Wann immer es um die Plätze in einem Parlament geht, wird noch deutlich mehr gelogen als im ersten Programm und bei jedem ersten Date. Wahlkampf heißt Verkürzen, Verbergen und Verstecken. Behauptungen ersetzen Fakten. Fadenschein bekleidet Plakate.

Ein aktuelles Beispiel liefert die in diesen Tagen die SPD, die auf den Rechtsruck im Parlament mit einer Propagandakachel reagiert hat: Keine Zusammenarbeit mit Nazis seit 1863, behauptet der Vorstand der einst größten Arbeiterpartei der Republik da selbstbewusst. Ein Statement, das einem Faktencheck keine Minute standhält. Mit Karl Ahrens, Mitgliedsnummer 9.128.937, saß noch 1990 ein SPD-Genosse im Deutschen Bundestag, der ab 1942 Mitglied in der NSDAP gewesen war.

Hat die deutsche Sozialdemokratie nicht mit dem Mann zusammengearbeitet, der sie immerhin 21 Jahre lang im Hohen Haus vertrat? War sie dagegen, dass er als Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg sozialdemokratische Werte nach Europa trug? Und sich als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion Verdienste erwarb?

Ja, die ersten Jahre war es einfach für die SPD, nicht mit Nazis zusammenzuarbeiten. So lange es keine  Nationalsozialisten gab, konnte niemand sich mit ihnen einlassen. Später wurde es deutlich schwieriger, manchmal mussten selbst im Reichstag Kompromisse gemacht werden. Am 18. Juli 1930 etwa nahm die SPD die Stimmen der NSDAP gern an, um eine Notverordnung von Reichskanzler Heinrich Brüning im Parlament aufheben zu lassen. Auch am 17. Mai 1933 

Friedensresolution mit Zustimmung der SPD und des Zentrums

Scholz und Meloni Zusammenarbeit mit Nazis
Details stören nur.
Um eine breite Unterstützung dieser Position in Deutschland zu demonstrieren, legte Hitler dem Reichstag noch am 17. Mai 1933 war von "keiner Zusammenarbeit mit Nazis" bei der SPD wenig zu sehen. Hitlers "Friedensresolution" kam knapp zwei Monate nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes gut an bei den nach Verhaftungen und Vertreibungen dezimierten deutschen Sozialdemokraten, die es nicht bei deklamatorischer Zustimmung beließen, sondern nach vollzogenen Akt auch noch aufstanden, um gemeinsam mit den Nazis die Nationalhymne zu singen.

Getilgter Chor

Nach "heftiger Diskussion" immerhin, die allerdings wie der Akt selbst aus den Annalen der SPD getilgt wurde. Vermerkt ist dort nur noch, dass das sozialdemokratische Auslandszentrum "zwischen jenen Abgeordneten und den Kräften in der Partei, die es für ihre Pflicht halten, entschieden gegen A. Hitler zu kämpfen, eine tiefe Kluft" entdeckte

Die SPD pflegt bis heute ein eklektizistisches Erinnerungswesen. "Keine Zusammenarbeit mit Nazis seit 1863" bedeutet etwa, dass Bundeskanzler Olaf Scholz im Herbst vor zwei Jahren stolz eine "engere Kooperation" mit dem von der "Post-Faschistin" (Stern) Giorgia Meloni geführten Italien verkünden konnte. Einer Frau, vor der die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament ausdrücklich warnte.

Die Weste der SPD ist blütenrein, zumindest von innen gesehen. Der Parteivorstand kann sich sicher sein, dass der Versuch, mit polierten Schwindel von 162 Jahren stabiler Haltung auf Stimmenfang zu gehen, nirgendwo auf Widerspruch treffen wird. Karl Ahrens ist lange vergessen. Paul Löbe, der damals an der Spitze der letzten Sozialdemokraten im Reichstag sang, hat ein eigenes Haus in Berlin.

Sonntag, 2. Februar 2025

Der letzte Bonner Präsident: Merkels erster Knall

Heute unvorstellbare Szenen: Näher als Horst ist kein deutscher Bundespräsident lebenden Menschen je wieder gekommen.
 

Nach fünf Wochen erst zog damals eine leise Ahnung durchs Land, warum Bundespräsident Horst Köhler plötzlich und völlig grundlos das Handtuch geworfen hatte. Offiziell war der letzte Amtsinhaber aus dem Milieu der alten Bonner Republik natürlich gegangen, weil er unzulässige Sätze gesprochen  hatte. Köhler selbst spielte die Scharade mit, indem er ging, ohne die Tür zuzuschlagen. Die junge Kanzlerin, sie sollte nicht beschädigt werden. Die Partei, sie sollte nicht leiden müssen.

Anlass für den Abgang

Ein Anlass für den Abgang war schnell gefunden. Deutschland müsse verstehen, so sagte der höchste Repräsentant des Staates an Bord einer Bundeswehrmaschine in Mikrophone gesprochen, "dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren". Freie Handelswege fallen nicht vom Himmel, regionale Instabilitäten müssten auch mal handfest verhindert werden. "Fehlende Sicherheit" schlage "auch auf unsere Chancen zurück, negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen."

Die Medienrepublik war aus dem tiny Häuschen. Wie kann er nur. Das darf er nicht. 

Köhler kam aus einer Generation von Politikern, die noch wusste, wovon sie sprach. Im Februar 1943 im polnischen Skierbieszów als siebtes von acht Kindern geboren, 1944 vor den sowjetischen Truppen nach Markkleeberg bei Leipzig geflohen und später weitergeflüchtet in die Bundesrepublik, wächst Horst Köhler in verschiedenen Flüchtlingslagern auf. 

Ein Leben voller Wendungen

In Ludwigsburg geht er zur Schule, er macht Abitur, leistet seinen Wehrdienst ab und wird Leutnant der Reserve. Köhler studiert, fängt im Bundeswirtschaftsministeriums in Bonn an, wechselt in die Staatskanzlei Schleswig-Holstein und wird 1990 Staatssekretär von Bundesfinanzminister Theo Waigel. Köhler verhandelt mit der DDR-Führung über die deutsch-deutsche Währungsunion, er pokert mit den Russen um den Truppenabzug, ist Chefunterhändler beim Maastricht-Vertrag über die Europäische Währungsunion.

Helmut Kohl schickt ihn als Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung nach London, Gerhard Schröder macht ihn zum Direktor des Internationalen Währungsfonds in Washington. Wie die Morgendämmerung der Ära Merkel wirkt es, dass der 60-Jährige 2004 mit CDU-Parteibuch Bundespräsident einer rot-grün regierten Republik wird. Köhler hat den Job länger als eine Legislatur. 

Mittendrin der Knall

Aber die zweite schafft er nicht. Mittendrin der Knall, mittendrin der Abgang. Sein Vorschlag, "alles das soll diskutiert werden", denn "wir sind auf einem nicht so guten Weg", wäre vielleicht noch erträglich gewesen, obwohl im demokratischen Gespräch natürlich stets ausgewählt werden muss, worüber und mit wem gesprochen werden darf. Doch Köhlers Behauptung "heute sind wir im Roten Meer, um unsere ökonomischen Interessen zu schützen", ging zu weit. Deutschland und Interessen in einem Satz! Die Medienwelt war auf der Palme. Die politische Konkurrenz übte Kritik. Köhler packte und ging.

Offiziell, weil er sich das nicht antun wollte. Inoffiziell aber, diese wahre Geschichte des Rücktritts des letzten Präsidenten mit Bonner Stallgeruch wird bis heute ungern erzählt, weil Horst Köhler sich geweigert hatte, das Gesetz zur Installation des "Rettungsschirmes" zu unterschreiben. Es unter großem Druck dann doch getan hatte. Und nach der Veröffentlichung einer Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) wusste, dass er recht gehabt hatte: Der unter Mitwirkung der Bundesregierung von der Europäischen Union beschlossene "Euro-Rettungsschirm" verstieß grob gegen das deutsche Grundgesetz und EU-Vorschriften.

Gewissensbisse im Amt

Die Öffentlichkeit sei, so hieß es in dem Gutachten, "über die Ausgestaltung des Euro-Rettungsschirms in einigen Punkten getäuscht". So sei der "Europäische Finanzierungsmechanismus", der regelt, dass reichere Länder die Schulden der armen abtragen, nicht auf drei Jahre begrenzt, sondern "zeitlich  unbefristet installiert". Auch die Genehmigung für die EU-Kommission, selbst Schulden zu machen, um Kredite an notleidende Euro-Staaten geben zu können, habe keine Rechtsgrundlage. Einen Bruch von EU-Recht stelle der Rettungsschirm auch deshalb dar, weil das Europäische Parlament dem Beschluss hätte zustimmen müssen, was aber versäumt wurde.

Horst Köhler, ein Beamter alter Schule, gab sich die Schuld daran, dass eine Verordnung geltendes Recht geworden war, die "nicht die vom EU-Recht gestellten formellen Voraussetzungen", erfüllte, wie die "Welt" seinerzeit aus dem Papier zitierte. 

Horst Köhler, der sich aus verfassungsrechtlichen Bedenken bereits einmal geweigert hatte, ein Gesetz zu unterschreiben, hatte sich dem Druck von Kanzlerin und Partei gebeugt. Doch sein Gewissen schlug ihm umso lauter: Eine Woche nach seiner Entscheidung, das Rettungspaket war bekanntgemacht worden, hatte die Märkte aber keineswegs beruhigt und neue Rettungspläne lagen schon in der Luft, entschloss sich der Bundespräsident, zurückzutreten.

Remonstration auf höchster Ebene

Eine Remonstration auf höchster Ebene, wie es sie noch nie zuvor gegeben hatte. Und nie wieder geben wird. Denn was nach Köhler an Hausherren ins Schloss Bellevue einzog, brachte alles mit, was der letzte Bonner Präsident nicht hatte. 

Der windige Wulff hatte ein Bobby-Car und Schulden und ein paar auf flott gefönte Sprüche im Gepäck. Gauck, der ostdeutsche Pfarrer, wurde nach dem schnellen Ende der Ära des Baulöwen aus Niedersachsen als langweiliger Mahner besetzt, dem immer ein pastoraler Spruch einfiel, um irgendeine Spaltung oder vergessene Erinnerung zu betrauern. Schließlich Steinmeier, als Kanzlerkandidat gescheitert, als Verfassungsbrecher verurteilt, als Bundespräsident aber Vorbote des großen sozialdemokratischen Zeitalters, das eines Tages kommen wird.

Horst Köhler wird es nicht mehr miterleben. Der letzte Bundespräsident, der es noch gewagt hatte, auf Straßen und Plätzen ganz normalen lebendigen Menschen entgegenzutreten, starb gestern nach, wie es heißt, kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 81 Jahren.

Dass sein Plädoyer für eine interessengeleitete Politik, für das Militär aus Fortsetzung der inneren Sicherheit im Ausland und Kriegseinsätze im Roten Meer im Dienst von Deutschlands Wirtschaftsbilanz vom hysterisch bekämpften Verrat an allen Werten der Wehrlosigkeit zur Staatsräson bis hinaus auf den linken Flügel der Grünen wurde, wird Köhler indes amüsiert zur Kenntnis genommen haben.

Die Macht der Straße: Bodentruppen an der Brandmauer

Demos gegen rechts mit Handylampen
Aller paar Monate ein Aufstand des Gewissens. Diesmal gehen es um die Verteidigung der Brandmauer.

Erst Melonie, dann die Niederlande, Frankreich wackelt, Belgien fiel und der Einzug von Donald Trump erschien manchem schon wie die Morgendämmerung eines neuen Zeitalters. Würde es zu einer globalen Abkehr von den politischen Prämissen der vergangenen 20 Jahre kommen? Würde der Erziehungsstaat zurückgebaut? Die Klimaplanwirtschaft beendet? Die Vielfalt als Einheitsbrei für alle von der Karte gestrichen? Und wann in Deutschland?  

Fanal im Bundestag

Der Mittwoch im Bundestag wirkte wie ein Fanal für andere Zeiten, die auch im Lande des Moralweltmeisters Einzug halten. Wie schon häufiger hatte eine ganz große Koalition aus CDU, CSU, FDP, Linken und AfD einem Antrag zugestimmt, der grundlegende Änderungen mit einer zentralen Gegenwartsfrage anregt. Chancen auf Umsetzung gab es keine, aber die Chance, aus dem symbolischen Wechsel der Stimmenmehrheit im Parlament einen Glaubenskampf zu machen, bei dem es um die Existenz von Demokratie, Frieden, Völkerfreundschaft und Zukunft geht, die konnte sich die bisherige Parlamentsmehrheit nicht entgehen lassen.

"Auf die Barrikaden", rief es aus dem Hohen Haus, und nun zeigte sich, über welche Kräfte SPD, Grüne und Linkspartei außerhalb der hohen Hallen gebieten. Tausende und Zehntausende fanden sich ein, um mit Handytaschenlampen, Pappschildern und mit der Besetzung von Büroräumen der nun als "offen rechts" einsortierten CDU ein neue Drittes Reich zu verhindern, samt nächstem Holocaust, staatlicher Vorschriften, "was man zu denken und zu fühlen hat" (Annalena Baerbock), und der Unterwerfung vor Russland, über die Experten wie Rolf Mützenich (SPD) alles wissen.

Verlorener Gewinner

Friedrich Merz hatte die Bundestagswahl schon gewonnen. Natürlich, sein Wahlkampf begeisterte niemanden, seine Versprechen glaubte keiner und echte Sympathien flogen dem knorrigen Halbkonservativen aus keiner gesellschaftliochen Gruppe zu. Merz wusste, er würde gewählt werden, weil alle anderen noch weniger zu bieten haben. 
 
Doch er wollte wohl mehr. Angespornt vom Beispiel des Donald Trump, der sich im Wahlkampf die Beinfreiheit verschaffte, im Amt wirklich durchregieren zu können, ließ sich Merz auf einen echten Kampf ein, als er noch im alten Parlament, vom Wähler zusammengestellt auf dem Höhepunkt der Thunberg-Euphorie, der Klimabegeisterung und der von SPD und Grünen Anfang der 2000er Jahre zementierten Energeiabhängigkeit von Russland, die Machtfrage stellte.

Das Glück kaum fassen

Merz gewann, und Merz verlor. Im Team Habeck und bei der Leitung der Kampagne Scholz aber konnten sie ihr Glück kaum fassen. Unverhofft hatte  Friedrich Merz den beiden Fußgängerampel-Parteien die last von den Schultern genommen, einen Wahlkampf mit Vorschlägen, Plänen und den üblichen haltlosen Versprechen zu führen. 
 
Olaf Scholz war schlagartig die Ukraine-Debatte los, seine Haushaltslöcher von der Zeit 26 Milliarden schrumpften zur Strumpfmasche im Demokratenzwirn. Noch lauter atmete Robert Habeck auf, dem die leidige Debatte um noch höhere Abgaben für die hart sparende Mitte die ganze mühsam aufgebaute Philosophenpropaganda zu zerstören gedroht hatte. Selbst die Linke, im Wahlkampf auf Abschiedstour nach 35 Jahren Parlamentarismus, witterte wieder Morgenluft. Wenn Nazis marschieren, dann hat immer auch Rotfront Konjunktur.

Ansatzlos im Angriffsmodus

Ansatzlos gingen die Linksparteien in den Angriffsmodus. Den Holocaust als Schild, den Hitlerpopanz als Schwert, riefen sie ihr Gefolgschaft auf die Straßen. Die üblichen Promis reihten sich ein, Angela Merkel mobilisierte ihre Getreuen. In den Elfenbeintürmen der Leitmedien von ARD bis "Zeit" griff zu den Wortwaffen, wer noch irgendein Schreibmaschinengewehr bedienen konnte: Alles auf die Straße. Rot ist der Mai. 
 
Friedrich Merz war ein wohl einmaliges Kunststück gelingen. Mit zwei Bundestagsabstimmungen hatte der 69-Jährige den bis dahin katatonisch auf die Hinrichtung am Wahltag wartenden Parteien links der Mitte neues Leben eingehaucht. Alles was Beine hat und Sympathien für Links, SPD oder Grüne, malte Pappen, lud das Handy durch und marschierte gegen alles außerhalb der eigenen Blase. 

Ausweitung der Kampfzone

Nicht mehr nur die AfD war jetzt der Feind, sondern CDU, CSU und FDP genauso. Binnen Stunden war es den Parteizentralen von Grünen und SPD gelungen, aus Friedrich Merz den neuen Hindenburg zu machen, ein Bild, das auch historisch so schräg ist, dass nur Annalena Baerbock es als "nachhallend" bezeichnen würde. 
 
Kein Vergleich ist groß genug, um die erste Woche seit Jahren, in der im Bundestag mit offenem Visier gestritten und mit Leidenschaft argumentiert wurde, zur Abgrundfahrt, zur Katastrophe und zum Anfang des Endes der deutschen Zivilisation zu erklären. Die simple und rein symbolische Bundestagsabstimmung wurde zum "Tabubruch"  umgedeutet. 

Frei von der Mehrheit

Merzens Versuch, sich freizumachen von der Macht der einer linken Minderheit, die durch die hohen Stimmanteile der AfD den Ausschlag über jede Mehrheit im Parlament gibt, endete im gemeinsamen Aufstand aller linken Parteien gegen die Bedrohung ihrer Schlüsselstellung. Dort, wo links sich zur Mitte erklärt hat, istallen die Bedeutung dieser Schlacht nur zu klar: Steht am Ende ein Sieg und der demokratische Teil der Nicht-Linken beugt das Knie, wird die Union für alle Zeiten nur noch Gesetze in den Bundestag einbringen dürfen, die zuvor die Billigung von SPD und Grünen gefunden haben.
 
Welche Macht die Linke außerhalb der Parlamente aufgebaut hat, um in diesem Krieg um die Zukunft erfolgreich zu sein, zeigten die vergangenen Tage. Wie auf Knopfdruck gelang es ihr, Millionen Menschen zu beunruhigen, ihnen Angst vor einem neuen Faschismus zu machen und aus der ersten emotionalen Aufwallung Profit zu schlagen. Die Bilder von jungen Leuten, die sich im Jahr 1932 wähnen und nun glauben, mit ihren Taschenlampen mutig wie die "Weiße Rose" zu sein, gingen durch die Republik. 

Medialer Konsens

Binnen Stunden war medial der Konsens hergestellt, dass nicht etwa die miserable Regierungspolitik der vergangenen Jahre verantwortlich dafür ist, dass eine rechtspopulistische Partei ihren Stimmanteil verdoppeln wird. Sondern die Grenzüberschreitung des Unionskandidaten, der den blauen Braunen den roten Teppich ausrollte.
 
Beeindruckend sind sowohl Geschwindigkeit als auch Wucht, die die Kampagne entfaltet hat. Zahllose Vorfeldorganisationen, zumindest teilweise direkt von der Regierung finanziert, erfahrene digitale Einpeitscher, eng vernetzte und bereitwillige Gefolgsleute und die aus der letzten Kampagne vor einem Jahr bekannte freundliche Flankierung durch die Medien schafften es, aus Demonstrationen, die wegen mangelnder Größe früher gern als allenfalls regional bedeutsam aussortiert wurden, eine Volksbewegung zu zaubern. 
 
Als Antifaschismus verkleidet, wendet die sich gegen die Art traditioneller Demokratie, in der vor jeder Entscheidung Alternativen diskutiert wurden, ehe eine Mehrheit entscheid, welche es sein soll.

Unsere Demokratie

Mit Angela Merkel, deren Erklärung ihrer eigenen politischen Entscheidungen als "alternativlos" 2010 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Unwort des Jahres gekürt worden war, hatte sich diese Art der Volksherrschaft in die neue "unsere Demokratie" verwandelt - eine Spielart, in der nicht mehr das Volk sich Politiker als Dienstleister halten, sondern Politiker bestimmen, was das Volk als  Demokratie zu begreifen hat. 
 
Die Demokratie als Staatsform, die ohne Alternativen verdorrt, hatte damit ausgespielt. Wie Autokraten und Diktatoren regierte Angela Merkel in der Corona-Zeit mit Hilfe verfassungsrechtlich nicht vorgesehener Kungelrunden durch. Ihr Nachfolger Scholz zeigte sich als gelehriger Schüler. Auch er beschränkte sich auf den Versuch, den immer offenkundiger werdenden Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung auszuzsitzen.

Er ist ein Nazi

Das "Haltet den Dieb, er ist ein Nazi", das jetzt aus allen Gazetten springt und aus sämtlichen Sendern dröhnt, ist alternativlos als Möglichkeit, an der Wahlurne vielleicht doch nicht für die Misere verantwortlich gemacht zu werden, für die man eigentlich den Kopf hinhalten müsste. Mag die Wirtschaft zusammenbrechen, mögen die Arbeitslosenzahlen steigen, der Wohlstand sinken, die Zukunftsaussichten immer düsterer werden - wer einen hübschen Hitler an die Wand malen kann, darf immer darauf hoffen, dass der als größere Bedrohung angesehen wird. 
 
Zugleich muss man auch über nichts mehr mit niemandem debattieren. So lange die demokratischen Mitbewerber sich nicht entschuldigt und Einsicht wie Besserung gelobt haben, wird die eigene  Realitätsverweigerung wie Prinzipienfestigkeit erscheinen. Die Brandmauer, gebaut aus purer Verzweiflung über den galoppierenden Verlust der Deutungshoheit, wird zur tragenden Wand des Parteienstaates erklärt. Der wiederum, so heißt es, dürfe niemals und nicht in keinem einzigen Punkt je verändert werden. Ja, schon der Versuch sei strafbar.

In der Nationalen Front

Die Nationale Front marschiert. Die Brandmauer ist ihr neuer antifaschistischer Schutzwall. Das Knacken der Flammen dahinter, die Temperatur, die immer weiter steigt, so lange eine immer größere gesellschaftlich Gruppe aus jeder Beteiligung an demokratischen Entscheidungen ausgeschlossen wird, sie beunruhigen aber nicht etwa. 
 
Nein, die letzten Tage zeigen, dass das von Angela Merkel entzündete Feuer, das Scholz, Habeck und Lindner, aber auch Merz und von der Leyen gefüttert und genährt haben, sich nützlich macht im Kampf gegen den eigenen Untergang. Man hat versagt. Aber wer würde davon noch reden, wenn die nächste Machtergreifung der Faschisten droht? Man hat seine Chance verspielt, das Land auf Vordermann zu bringen. Aber stört das noch, wenn man jetzt anbietet, es vor dem Untergang im braunen Sumpf zu retten?

Danke, Friedrich

SPD, Grüne und Linkspartei haben Friedrich Merz viel zu verdanken. Nach drei Jahren, in denen die beiden linken Regierungsparteien es gemeinsam mit der FDP geschafft haben, Deutschland in die längste Rezession aller Zeiten zu manövrieren und schneller mehr Wohlstand abzubauen als jede Regierung vor ihnen, bestimmen sie allein die Debatte darüber, was wichtig ist und was nicht, welche Lösungen infrage kämen und welches Problem überhaupt eins ist. 
 
Dass sie es waren, inklusive der Union, die sich über Jahrzehnte als zunehmend unfähig erwiesen, den Wählerinnen und Wählern den Wunsch nach Freiheit, Wohlstand und einem funktionierenden Staatswesen zu erfüllen, erscheint als lässliche Sünde, wenn es ihnen jetzt gelingt, den Fachismus zu verhindern.

Samstag, 1. Februar 2025

Zitate zur Zeit: Der, der ich bin

Friedrich Merz unter vom Gas
Die Wahlkampagne des Favoriten ist unversehends in Unordnung geraten.

"Wenn die Wähler mich nicht als den wollen, der ich bin..."

"Die Wähler, die Wähler", erwiderte Eddy finster. "Die sind faul. Sie wollen, dass ihnen jemand sagt, wen sie wählen sollen. Man muss es ihnen in ihre schwachen Gehirne eintrichtern, damit sie nicht selbst entscheiden müssen."
 
Sandra Brown, "Trügerischer Spiegel", 1993

Sieg der Demokraten über die Demokratie

In der rechten Ecke: Unionskandidat Friedrich Merz hat nur wegen einer Sachfrage die Brandmauer beschädigt.

Der giftige Rauch aus dem Feuer an der Brandmauer zog schon in die Lungen der Gesellschaft. Annalena Baerbock konnte ihn riechen, denn "diese Bilder hallen nach", wie sie sagte. Es waren plötzlich wieder "Brunnenvergifter" unterwegs. Rolf Mützenich hatte sie selbst gesehen, wie er im Bundestag gestand, nur 72 Stunden nach der Gedenkstunde zum Jahrestag der Auschwitz-Befreiung. Erstmals seit 1990, als mit dem SPD-Abgeordneten Karl Ahrends das letzte frühere NSDAP-Mitglied den Deutschen Bundestag verließ, drohte wieder ein Gesetz mit den Stimmen Rechtsextremer beschlossen zu werden. 

Keine Zustrombegrenzung

Am Mittwoch noch hatte die Merz-Mehrheit für das im Gedenken an Angela Merkel auf den Namen "Zustrombegrenzungsgesetz" getaufte Gesetzeswerk gestanden. Merz schien auf dem besten Weg, den festen Bund mit der linken Mehrheit im Bundestag aufzukündigen. Alles Barmen und Betteln der möglichen künftigen Koalitionäre vermochten den Spätberufenen nicht zu erweichen. Er gehe diesen Weg, sagte Merz, ganz egal, wer ihm folge.

Die eigenen Leute waren es dann nicht, auch die um das Wohlwollen des CDU-Vorsitzenden buhlenden ehemaligen Liberalen fielen in der Stunde der Entscheidung zu Dutzenden ab. Merz, der sich angesichts zusehends trauriger werdenden Umfragewerte recht spontan entschlossen hatte, den seit Wochen auf Autopilot laufenden Schlafwagenwahlkampf mit einem Vabanque-Zug auf Neustart zu stellen, hatte als Tiger zu einem Trump-Sprung angesetzt. Sich nach dem ersten Etappensieg für seinen Erfolg entschuldigt. Und im Endspiel setzte er sich selbst Schachmatt.

Triumph der Demokratie

Zwölf Christdemokraten wandten sich ab und hörten lieber auf die Mahnungen der Kanzlerin im Ruhestand. Bei der FDP fiel gleich ein Drittel der Fraktion aus, krankheitsbedingt, schuldbeladen, aus Reue darüber, dass sie in einer Schicksalsstunde Sachfragen höher gewichtet hatten als die Frage, wer wo stehen muss

Das Ergebnis der Abstimmung wurde zum Triumph für unsere Demokratie, diese spezielle Spielart der Volksherrschaft, die sich durch eine klare Kategorisierung der Abgeordneten auszeichnet: Viele sind demokratisch. Andere auch gewählt. Aber wegen falscher Überzeugungen, falscher Ziele und einer teilweise nachgewiesenermaßen gesichert rechtsextremen Ausrichtung mit Hilfe einer Brandmauer dauerhaft auszugrenzen.

Merzens Manöver hätte aufgehen können. Allerdings hätte der Kanzlerkandidat der Union es gar nicht riskieren müssen. Uneinholbar lag er noch vor wenigen Tagen auf Platz eins Starterfeldes aus Spitzenkandidaten, die allesamt vermutlich niemand wählen würde, träte auch nur ein Politiker von Format an. Aber nirgendwo ist ein Adenauer oder Ehrhardt, Baum oder Brandt zu sehen, kein Schmidt, kein Strauß, kein Kohl und kein Genscher. Nicht einmal ein Gerhard Schröder bietet sich an, auch kein Joschka Fischer, Thomas Dehler, Manfred Kanther, Wolfgang Schäuble oder Klaus Kinkel.

Unnützes Risiko

Neben all den anderen Angetretenen war Merz die Wahl zum Kanzler eigentlich nicht mehr zu nehmen. Er hätte es sich nach dem 23. Februar nur noch aussuchen müssen, ob er wie immer mit der SPD oder zur Abwechslung mal mit den Grünen regieren will. Vier Jahre hätte das zweifellos noch funktioniert. Hier ein Kompromisschen, dort ein Versprechen. Eine Freibetragsgrenze da hoch, dafür eine Steuer dort. Die Schuldenbremse wäre geblieben, nur ohne Bremsscheiben. Die Bundeswehr hätte er leicht mit dem Bleistift kriegstüchtig bekommen können: Mit 200 neuen Fregatten aus der Reihe 126 würden sich 160 Milliarden Euro im Handumdrehen verpulvern lassen, um den deutschen Nato-Beitrag auf fünf Prozent des BIP zu treiben. 

Aber Friedrich Merz will nicht. Der Verdacht, dass der ehrgeizige Christdemokrat in Wahrheit zwar ein großes Interesse daran hat, es seiner Vorgängerin im Amt des Parteichefs noch mal richtig zu zeigen, aber ein sehr viel weniger großes, ihr im Kanzleramt nachzufolgen, wurde schon früh geäußert. Zu auffällig erschien es, dass Merz seine Strategie immer dann abrupt änderte, wenn sie Erfolg zu haben drohte. Mit seinem Angriff auf die Brandmauer, ausgeführt ohne vorherige demoskopische Analyse, setzte er dieser Taktik die Krone auf: Olaf Scholz und Robert Habeck, wegen ihrer Leistungsbilanz bis dahin ohne jede Chance, ihren Herausforderer inhaltlich zu stellen, sahen sich unverhofft zurück ins Rennen der Lahmenden, Angeschlagenen und Aussortierten geworfen.

Der Eimer Wasser steht

Der Mann, der gegen die erfolgloseste, übergriffigste und unbeliebteste Bundesregierung aller Zeiten antreten durfte, hat es nicht geschafft, den Eimer Wasser umzustoßen. Denn Friedrich Merz traf unglücklicherweise ausgerechnet auf den einen Menschen im ganzen Land, der seine Kanzlerschaft noch verhindern konnte: Friedrich Merz. 

Den Wirtschaftswahlkampf, den er hatte führen wollen und den er hätte führen können, haben ihm nicht die SPD und die Grünen kaputtgemacht, er erledigte das selbst. Auch das Trump'sche "jetzt alles auf Anfang", auf das zumindest Teile der Bevölkerung sehnsüchtig warten, hat Friedrich Merz selbst beiseite gewischt. Und dann hat die Migrationskarte nicht einmal gestochen.

Die Demokraten siegten, ein bisschen auch über die Demokratie. Der Sauerländer, dem die Kanzlerschaft gerade noch nicht mehr zu nehmen war, steht blamiert da. Die FDP, die vielleicht noch eine Chance gehabt hätte, irgendwie doch wieder in den Bundestag zu rutschen, hat sich als Partei gezeigt, die ihrem Chef noch weniger zu folgen bereit ist als die Unionsfraktion dem gemeinsamen Kandidaten. Die Mehrheit von 2021, zerfleddert, durch Neu- und Umgruppierungen zerrissen und zu großen Teilen vor dem Abschied aus dem parlamentarischen Leben, hat den status quo noch einmal betonieren können.

Klappt alles, wie es nicht klappen soll, wird Friedrich Merz nach der Wahl nicht mehr aussuchen müssen, ob er mit Rot oder Grün regiert. Er wird für eine Mehrheit beide brauchen.

Freitag, 31. Januar 2025

Angela Antifa: Gewinnt sie noch mal eine Wahl?

Angela, die Antifa: Eben noch moralisch bankrott und schuld am Niedergang des Landes, hat sich Altkanzlerin Merkel mit ihrem Angriff auf Friedrich Merz neue, alte Freunde gemacht.

Sie hatten sie aussortiert, aufs Altenteil geschoben und sich verabredet, ihr die Schuld für die ganze Misere in die Schuhe zu schieben. Angela Merkel hatte den Hof noch nicht ganz verlassen, von dem sie vor knapp vier Jahren gejagt worden war, da bestand bereits weitgehend Einigkeit darüber, welches schreckliche Erbe die Ostdeutsche aus Hamburg ihrem Land und seinen Menschen hinterlassen hatte.  

In Bausch und Bogen

Die Infrastruktur kaputt. Die Energieversorgung von Russland abhängig. Die Grenzen unkontrolliert und die Kommunen überfordert, weil unterfinanziert. Die Zukunftsindustrien nur eine Erinnerung an bessere Zeiten. Das Land dafür gespalten wie durch den Marianengraben. Hier Ost, dort West, unversöhnlich. Hier Stadt und dort Land, nie einer Meinung. Die Energiewende lahmte, die Digitalisierung noch mehr, die Bundeswehr lag in Trümmern und die Rechtspopulisten, am Tag, an dem Angela Merkel ins Kanzleramt eingezogen war, noch nicht einmal existent, begeisterten fast schon jeden fünften Bürger.

Eine desaströse Bilanz, da waren sich eben diese Rechtspopulisten mit SPD, Grünen, FDP und Merkels eigener Partei einig. In Bausch und Bogen wurde Merkels Bilanz abgeurteilt. Gut, dass sie endlich weg ist, atmeten alle auf. Nichts Böses über politisch Tote, aber wenn es half, von der eigenen Mitarbeit abzulenken, machte Olaf Scholz die Regierungen seiner Vorgängerin immer wieder gern für Fehler und Versäumnisse verantwortlich.   

Fast heruntergerissen

Bei den Grünen gehören Angriffe gegen Angela Merkel zur Parteifolklore. Die Ostdeutsche habe "Deutschland fast heruntergerissen", klagte etwa Robert Habeck, der sich seit Jahren müht, die Scherben zusammenzufegen. In der Energiepolitik, klagte Annalena Baerbock, deren Expertise in diesem Bereich unumstritten ist, habe Merkel glatt versagt. 

Moralisch war diese Frau verschlissen. Nur der Anstand hinderte ihre Erben daran, Aufarbeitungs- und Wahrheitskommissionen zu gründen, um endlich herauszufinden, wie ein demokratisch regiertes Land über anderthalb Jahrzehnte in einen Zustand rutschen konnte, in dem ein einzelner Mensch mit ein paar Sätzen die Energieversorgung an Russland übertragen, Wahlen rückgängig machen, Ausgangssperren verhängen, Grundrechte aussetzen und jeden Widerspruch als "Leugnung" abkanzeln lassen konnte. 

Ruhe und Ordnung

Um Ruhe und Ordnung zu erhalten, bekam Merkel den größten Orden, den Deutschland zu vergeben hat. In einem dicken Buch durfte sie ihre Sichtweise auf den Niedergang ungefiltert darlegen. Kein einziger Faktenchecker, so war es wohl verabredet, räumte unter den vielen Legenden und Halbwahrheiten auf, die die einst mächtigste Frau der Welt über ihre Heldentaten verbreitete. 

Ihr Nachfolger im Amt des CDU-Parteivorsitzenden, ein Kerl, den Merkel ihr ganzes Leben lang ebenso inbrünstig verabscheut hatte wie der sie, tat, als würde er sie gegen all die ungerechten Angriffe verteidigen wollen.  "Deutschland sei durch viele gute Entscheidungen Angela Merkels zu dem Land geworden, das es heute sei", lautete ein vergifteter Satz, mit dem Merz durch die Blume zeigte, wie tief seine Verachtung der Lebensleistung der Frau aus Hamburg geht. 

Moralisch bankrott

Moralisch bankrott, von der Wirklichkeit vielfach widerlegt, von der Zeit überholt und von den sogar Medien, die ihr stets gewogen waren, zum alten Eisen geworfen - Angela Merkel hatte noch schneller als ihre Vorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder allen Kredit verloren. Was ihr im Amt noch den Nimbus der Kanzlerin eingebracht hatte, die "die Dinge vom Ende her denkt", fiel ihr nun auf die Füße. Alles an ihrem Wirken habe auf Fehleinschätzungen beruht. Ihre Fehler kämen nun teuer zu stehen. Merkel habe letztlich Deutschlands Wirtschaftsstärke zerstört, seine Energieversorgung kaputtgemacht, die Grundlagen dafür geschaffen, dass die Sozialsysteme nicht mehr sicher sind und damit den Aufstieg der Rechtsextremen erst ermöglicht.

Und doch ist es der 70-Jährigen eben gelungen, sich noch einmal ins Spiel zu bringen: Mit ihrem Verdikt gegen die Entscheidung ihrer Partei, sich im Parlament Zufallsmehrheiten für eigene Anträge zu suchen, verwandelte sich die verachtet und verschmähte Politrentnerin binnen Stunden in den wirkmächtigsten Wahlhelfer der Ampelparteien.

Merkel rettet Scholz

Das Stoßgebet, das Olaf Scholz ausstieß, als die Nachricht von Merkels Intervention im Kanzleramt  ankam, soll bis auf die andere Seite der Spree zu hören gewesen sein. Plötzlich, so spekulieren die Protokollanten der Machttektonik im politischen Berlin, könnte der abgehängte Bürokrat mit der Aktentasche doch wieder Chancen haben. Die Merkelianer, die sich auf dem linken Flügel der Union hinter Wüst und Günther bisher weitgehend versteckt gehalten hätten, würden nun aus dem Gebüsch kommen und sich hinter Rot, Grün, der Linken und den anderen Demokraten versammeln. 

"Diese Aktion bekommt ihre Wucht schon durch die Art, wie sie ausgeführt ist: ansatz- und rücksichtslos", lobt die Hamburger "Zeit" den heimtückischen Angriff der Altkanzlerin auf die Partei, die so richtig noch nie ihre war und es nun schon gar nicht mehr ist. Angela Merkel sei Friedrich Merz in den Rücken gefallen, aber das habe so sein müssen, analysiert ein Georg Löwitsch: "Denn es geht ihr um die AfD, da hat sie Leidenschaft und Überzeugung: Angela, die Antifa."

Die Rache der Kanzlerin

Merkel war es, die die AfD in ihren 16 Jahre groß und fett gefüttert hat. Ihre Sprüche von "Wir schaffen das" bis "nun sind sie halt da", ihr potentantenhaften Regieren an der Spitze einer Partei, die ihrer Vorsitzenden um der Macht willen in jeden Abgrund folgte, all das will Merkel vergessen machen mit ihrer offenen Attacke auf den gehassten Parteifreund, der gerade Kanzler werden will. 

Die Absicht ist klar: Was sie nicht mehr ist, soll er auch nicht werden. Dann lieber der Scholz oder der Habeck, zwei Kollegen, die Merkel zumindest noch nie vorgeworfen haben, ihre Grenzöffnung sei einer der Gründe, warum dem "reichen Land" (Habeck) das Geld heute an allen Ecken fehlt, keine Wohnungen zu haben sind und die Sozialkassen auf dem letzten Loch pfeifen.

Heimtückischer Angriff

Für Friedrich Merz ist die Wirkung des heimtückischen Angriffs kaum abzuschätzen. Niemand weiß, wie groß der Merkel-Flügel in der CDU noch ist, wie viele Unbelehrbare und Ewiggestrige sich an den Gedanken klammern, die Wirtschafts- wie die Asylpolitik unter Merkel seien schon sehr gut gewesen, nur eben ein bisschen schlecht gemacht wie bisher jedes sozialistische Experiment. Reicht er Rückhalt, den der neue CDU-Vorsitzende sich mit seinem Versprechen eines neuen Kurses in der Partei verschafft hat? Oder gelingt es der schattenhaften Gestalt aus der Vergangenheit ein weiteres Mal, eine Wahl zu gewinnen, an der sie nicht teilnimmt?

Angela Merkel hat kein Hehl aus ihrer Absichten gemacht, genau das zu erreichen. Merz fühle sich "nicht mehr gebunden an seinen Vorschlag aus dem November", hat die Frau kritisiert, deren eigene Versprechen bis heute Legende sind. Merkels Versicherung, sie werde sich künftig aus den Parteigeschäften heraushalten, gilt bei einer solch schönen Gelegenheit, Rache zu nehmen, natürlich  nicht mehr gilt. Merz habe sein Wort gebrochen. Das sei "nicht redlich", das habe  keine "Grundlage im geltenden Recht", das, so versteht es Merkel, ausschließt, dass "auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt" (Merkel).

Ja, es ist alles da. Angela Antifa, die Ex-FDJlerin, könnte wirklich noch einmal eine Wahl gewinnen. Die Merkel-Jahre würden dann nicht nur 16 oder, wie bis heute, 20 Jahre dauern, sondern sogar noch weitere vier.

Verdachtsfall CDU: Jetzt droht das Parteiverbot

Viele Demonstranten waren sich einig: An der angespannten Lage in Deutschland ist Friedrich Merz schuld.

Wes' Geistes Kind dieser Kanzlerkandidat ist, konnten auf einmal alle sehen. Friedrich Merz, Parteivorsitzender der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, ließ im Bundestag wirklich einen Antrag ohne Einbeziehung der Parteien der demokratischen Mitte abstimmen. Es geschah, was alle vorher befürchtet hatten: Eine Mehrheit im Hohen Haus stimmte dem Entschließungsantrag zu, der eine Migrationswende nach dem Vorbild des sozialdemokratisch regierten Dänemark forderte.  

In den Abgrund

Selten zuvor seit den letzten nationalen Schicksalstagen rund um den Ampelbruch im Herbst waren die Erschütterungen so schwer, die durch das demokratische Gebälk und die konsternierten Kommentatorenkabinen rollten. Nur 345 Abgeordnete waren stabil geblieben, 348 aber den Rechtspopulisten auf den Leim gegangen. "AfD wird erstes Mal im Bundestag zum entscheidenden Mehrheitsbeschaffer", klagte die grüne Parteivorsitzende Franziska Brandtner in geschliffener Sprache. 

Ihr Parteikollege, Deutschland beliebtester Kanzlerkandidat Robert Habeck, wies umgehend auf die schrecklichen Weiterungen für Europa und die Welt hin. Wenn jetzt auch im Parlament die Mehrheit entscheide, wie die Mehrheit draußen das haben wolle, dann sei das "der steile Weg in den Abgrund".

Verabredungen über dem Haufen

"Kein guter Tag für unsere Demokratie", wie Brandtner traurig feststellte. Doch eine Gelegenheit, sich wehrhaft zu zeigen. Schon am Abend nach der schmählichen Vorstellung im Bundestag regte sich Widerstand gegen den Versuch von CDU-Chef Merz, gemeinsame Verabredungen über den Haufen zu werfen. Rolf Mützenich, der mächtige Lenker und Vordenker der SPD, rieb Merz dessen "leichtfertigen Austritt aus der politischen Mitte" warnend unter die Nase. Hoch im Norden erinnerte Ministerpräsident Daniel Günther  daran, dass "die, die es gut mit der Demokratie meinen und die dieses Land zum Teil über Jahrzehnte geprägt haben, heute zusammenrücken müssen."

Merz hat sich vergaloppiert. Nicht nur der Elfenbeinturm, sondern auch viele WGs, Redaktionen und nahezu alle Parteizentralen wandten sich von ihm ab. Das Wagnis, die Bluttat von Aschaffenburg angesichts stagnierender Umfragewerte spontan zu nutzen, um den als Steherrennen ausgetragenen Wettlauf zum Kanzleramt zu einem Kräftemessen zu machen, zahlt sich nicht aus.

Ganz im  Gegenteil- Junge Menschen marschierten mutig vor der Zentrale der CDU auf. Die Bilder glichen denen, die zuletzt aus Serbien zu sehen waren. Volkszorn über eine politische Klasse, die vergessen hat, in wessen Auftrag sie ihre Aufgaben erfüllen soll.

Merz' Manöver wurde zum Bumerang. Der ganz gewöhnliche Wahlkampf, bei dem alle Beteiligten versuchten, so gut wie möglich über die Runden zu kommen, ohne etwas über ihre Absichten preiszugeben, war vorüber. Er verwandelte sich in eine populistische Veranstaltung, bei der unabgesprochen Vorschläge zur Sprache kommen, die schon im Vorfeld von Faktenfindern und Regierungsparteien gleichermaßen als rechtswidrig, unanständig und undurchführbar bezeichnet worden waren. 

Mutter der Wirtschaftskrise


Ein Geist ist aus der Flasche, der spaltet und damit für das ganze Land gefährlich wird. Der Kanzler gestand im Fernsehen, er könne Merz nun nicht mehr trauen. Michel Friedmann gab sein Parteibuch zurück. Prominente wie Jördis Triebel, Dimitrij Schaad, Albrecht Schuch, Joko und Klaas appellierten, die Brandmauer ins Grundgesetz auszunehmen. Die grüne Jugend brachte eine Brandmauer zur CDU ins Spiel. Die SPD ließ erkennen, dass die Merz-CDU kein Koalitionspartner mehr sein könnte.

Doch es kam noch dicker. Angela Merkel, die Zeit ihres Lebens eine tiefe Freundschaft mit Friedrich Merz verband, übte öffentlich Kritik. Das Wort der letzten lebenden Trägerin des "Großkreuzes des Verdienstordens in Sonderausfertigung" hat in der Union noch immer Gewicht, denn die einstmals mächtigste Frau der Welt genießt bis hin  zu den anderen linken Parteien hohes Ansehen. Merkel gilt etwa bei Robert Habeck als Mutter aller wirtschaftlichen Probleme

Olaf Scholz hat die Ex-Kanzlerin verschiedentlich für "schwere Versäumnisse" verantwortliche gemacht. Dass Merkel nun auf Distanz zu Merz geht, rückt sie noch näher an die beiden Parteien, deren Mitglied sie schon lange viel lieber gewesen wäre. Und weg von der Mithaftung für eine vermeintliche Grenzöffnung (Barack Obama), die es nach ARD-Recherchen nie gegeben hat.

Weichen neu gestellt

Für die letzten Wahlkampfwochen hat das Merkel-Verdikt die Weichen neu gestellt. Wie vor 23 Jahren, als die ostdeutsche CDU-Vorsitzende aus dem Hamburger den Sauerländer schon einmal kaltstellte, droht Merz heute im Bundestag eine krachende Niederlage, die seine Kanzlerträume Knall auf Fall beenden würde. Schon marschiert die Zivilgesellschaft: Eine Welle von Protesten brandet durch die Republik. Aktivisten besetzen CDU-Büros, die Linke rief das Volk auf die Barrikaden, selbst Luisa Neubauer reihte sich ein.

Dass der Staat selbst handeln und sich verteidigen muss, steht aber außer Frage. Unter Verfassungsschützern kursieren dem Vernehmen nach bereits Materialsammlungen, in denen die Aussichten abgewogen werden, die Union insgesamt oder zumindest einige ihrer radikalisierten Teile als Verdachtsfall einzustufen. Bei der Demo vor dem Adenauer-Haus wurden erste Forderungen nach einem CDU-Verbot laut. Abgeordnete könnten heute schon im Bundestag die Initiative ergreifen und die Überprüfung der Verfassungsfeindlichkeit der CDU durch das Bundesverfassungsgericht fordern.

Schwieriges Verfahren

Allerdings gilt das Instrument eines Verbotsverfahrens gegen eine Partei aus historischer Erfahrung heraus immer noch als langwierig und schwierig, meist ist der Ausgang auch völlig offen. fast unmöglich erscheint es selbst nach den beherzten Entbürokrtisierungsschritten in Brüssel, dass die komplexen Abläufen sich in drei Wochen kompromieren lassen, um die Union schon zur anstehenden Bundestagswahl vom Stimmzettel zu nehmen.

Natürlich weisen Indizien wie die gemeinsame Abstimmung der Unionsfraktion im Bundestag mit der in Teilen nachgewiesenermaßen als gesichert rechtsextrem beobachteten AfD darauf hin, dass Merz und seine Parteigenossen Tabus und Verabredungen mit den anderen Parteien der Mitte gebrochen und nicht eingehalten haben. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Union für ihre politischen Ziele bereit ist, alle Mahnungen von SPD und Grünen beiseite zu lassen und selbst den guten Rat der Altkanzlerin auszuschlagen. Sie halten Verabredungen, verschaffen den Rechtsaußen Gelegenheit zum Jubel und ideologisieren den Wahlkampf.

Signal ist nötig

Doch so nötig ein entschiedenes Signal gegen den Rechtsruck wäre -  reicht das für ein Verbotsverfahren? Nun, dieses schärfste Schwert des Rechtsstaates ist von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes genau für eine Situation wie die jetzige geschaffen worden. Die Feinde der Demokratie sollen nicht die Möglichkeit bekommen, die Demokratie abzuschaffen. Schon gar nicht, indem sie über demokratische Wahlen Mehrheiten für ihre Vorhaben im Parlament organisieren. 

Robert Habeck hat es in der Schicksalsstunde vom Mittwoch auf den Punkt gebracht: "In der Sache folgen Sie einer Logik, die Recht brechen will, um Recht zu verändern", erinnerte er Friedrich Merz an die schmerzhaften Erfahrungen, die er selbst bei seinen Verfassungsbruchversuchen machen musste. Habeck ist gelernter Germanist. Er weiß genau, warum er "Recht brechen will" und nicht "Recht bricht" sagt und "Recht verändern" als Vorwurf formuliert, als handele es sich auch dabei um ein ruchloses Vorhaben, dass er die Behauptung entrüstet zurückweisen würde, jemals selbst an einer solchen Aktion beteiligt gewesen zu sein.

Recht muss Recht bleiben

Recht muss Recht bleiben. Wehret den Anfängen und euch gegen jeden, der Recht ändern will, das ist der Grundsatz, der hinter dem Begriff der wehrhaften Demokratie steht. Das Original-Grundgesetz hatte 146 Artikel mit 12.000 Worten auf 47 Seiten. Die mit Hilfe von 54 Änderungsgesetzen an 199 umgeschriebene extended version, die heute gilt, besteht aus 86 Seiten mit 23.000 Worten. Wer das Recht aus Asyl aus dem GG streichen will, geht zu weit. Organisiert er sich aber eine Mehrheit im Parlament, kann er es dennoch tun.

Deswegen sieht das Grundgesetz die Möglichkeit ausdrücklich vor, demokratiefeindliche Parteien zu verbieten, etwa wenn sie Tendenzen zeigen, unsere Demokratie zu untergraben und gegen unsere Verfassung zu handeln, indem sie Völkerrecht hintertreiben, EU-Regeln anders interpretieren und im Bundestag Zuflucht zu Zufallsmehrheiten nehmen. 

Verrat an der linken Volkspartei

Für die radikalisierte Merz-Union trifft das alles zu. Seit der von Angela Merkel damals so weitsichtig aussortierte frühere Generalsekretär zurückkehrte und sich an die Spitze der Partei setzte, hat die bis dahin linke Volkspartei sich kontinuierlich radikalisiert. Befeuert von zugleich steigenden Zustimmungswerten führten Friedrich Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann die Union aus der Parteiengemeinschaft der demokratischen Mitte immer weiter an den Rand. 

Sie hetzten skrupellos über "kleine Paschas" und fehlende Zahlarzttermine, verweigerten die Zustimmung zu wichtigen Gesetzen der Ampel und kündigten ein höheres Renteneintrittsalter für Frührentner an. Schließlich, um sich auch die letzten Sympathien der Mitte zu verscherzen, folgte der Angriff auf die informelle Vereinbarung, niemals mit "denen da" abzustimmen.

Nie mehr Spaltung

Seit der Geheimkonferenz von Potsdam und den Remigrationsplänen des Kanzlers hat niemand mehr für so viel Spaltung gesorgt. Umfragen zeigen, dass die Deutschen mehrheitlich dafür sind. Aber wofür genau? Eine Sehnsucht nach einer Migrationspolitik, die den Laden dicht macht, hegen um die 65 bis 75 Prozent. Allerdings wären es den meisten lieber, die Demokraten, die den Schlamassel angerichtet haben, würden in ihrer Mitte eine Mehrheeit finden, um ihn zu beenden.

Für die Grünen, mehr aber noch für die SPD ist das keine Option. Mangels inhaltlicher Angebote, mit denen sich im Wahlkampf punkten ließe, muss einmal mehr der "Kampf gegen rechts" herhalten, um die Restgemeinde zu aktivieren. Gegen die AfD zum Sturm zu blasen, hat zuletzt viele langweilt. Die Ergebnisse von Widerstand und Signalsetzung waren erschütternd, denn die Partei schien die einzige zu sein, die vom Aufstand der Anständigen profitierte. 

Mit der CDU ist nun aber ein neuer Gegner ausgemacht. Der seit Monaten eifrig neu definierte Faschismus, er umfasst jetzt bereits nahezu alle, die kein Parteibuch von SPD, Grünen oder Linkspartei vorweisen können. Friedrich Merz steht nur noch wenige Stunden vor Hitler.

Donnerstag, 30. Januar 2025

Jahrgedächtnis: Deutschlands Aufstieg zu Moralexportweltmeister

Der junge Maler Kümram hat den historischen Moment gemalt, in dem vor zehn Jahren eine große deutsche Tradition begründet wurde: Das Charlie-Schild war damals allerdings abgedeckt geblieben.

Es gibt ihrer einige, aber nicht viele. Die großen Reisen, die über das Schicksal der Menschheit bestimmten, lassen sich an wenigen Händen abzählen. Die Fahrten des Odysseus. Die Reise nach Sundevit. Joseph und Maria marschierten von Nazareth nach Bethlehem, um sich zählen zu lassen. Jesus ging nach Jerusalem, um sein Schicksal zu finden. Elly Beinhorn, die nach einem Flug über Allahabad in Kalkutta ein und  Silvester im dortigen Deutschen Klub verbrachte.

Große Reisegeschichten

Lange Strecken, große Geschichte. Sei berühmter Gang nach Canossa führte den deutschen König Heinrich IV. von Dezember 1076 bis Januar 1077 zu Papst Gregor VII, Marco Polo entdeckte China und Helmut Kohl, immerhin demokratisch gewählter deutscher Kanzler, war sich nicht zu fein, in den Kaukasus zu fliegen, um bei einem Sowjetdiktator mit Blut an den Händen bei einem mitternächtlichen Spaziergang die Einwilligung zur Wiedervereinigung seines Vaterlandes zu erbitten.

Alle diese großen Ausflüge, die die Weltgeschichte durchrüttelten, sind unvergessen. Bitt- und Bußgänge von Kaisern, Kanzlern und Königen, die Rheinfahrt des Papstes, der die Religiosität nach Deutschland zurückbrachte, und die Pilgerreisen des hochgeehrten SPD-Chefs Martin Schulz nach Washington, wo er dem US-Präsidenten klarmachte, welch hohe Verantwortung sich mit seinem Amt verbindet. Kein Schulkind kann heute an den Vorsitzenden der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung denken, ohne ihn dort zu sehen. Und zu hören, wie er bittet: "Ruft doch mal Martin".

Die vergessene Iran-Expedition

Weitgehend vergessen hingegen ist eine Expedition, die vor zehn Jahren stattfand, in einer anderen Zeit, einer ganz anderen Welt. Kurz nach einer Serie von islamistischen Anschlägen, die damals dafür sorgten, dass die Demokratien zusammenrückten, ihre Führer sich für eine Reihe ikonischer Fotos unterhakten und die Bürgerinnen und Bürger aufforderten, Zuversicht in die Zukunft zu haben, machte sich die damals als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages amtierende ehemalige Grünen-Vorsitzende Claudia Roth auf nach Teheran, mitten hinein in die damalige Hauptstadt des Bösen. 

Fünf Tage lang versuchte eine Delegation des Deutschen Bundestages unter Leitung von Roth, "all diejenigen zu stärken, die für Reformen und die Universalität der Menschenrechte eintreten" und vom Mullah-Regime im Iran verfolgt werden. Es schien eine ganz gewöhnliche Reise zu sein. Ein wenig Sight Seeing. Ein wenig Botschaftern. Die Idee sei gewesen, "einen Einblick in die innenpolitische Situation zu gewinnen, mit Blick auf die anstehenden Wahlen in einem Jahr, auf die Auseinandersetzungen zwischen Reformern und Konservativen sowie auf die Zivilgesellschaft", hatte Claudia Roth selbst über ihre Absichten gesagt.

Die Mahnungen fruchteten

Erst in der Rückschau zeigt sich die historische Dimension dieser Reise in ein Land, das bis heute auf Platz zwei der Hitparade der meisten Hinrichtungen weltweit steht. Claudia Roth begründete mit ihrem Ausflug, damals vielbeachtet, später schnell vergessen, die große Tradition der sogenannten deutschen Elterngespräche: Seit zehn Jahren sieht sich die noch relativ junge Demokratie im Herzen Europas nicht nur verantwortlich für Wohl und Wehe der eigenen Schutzbefohlenen. Sondern auch berufen, mit gutem Rat und guten Gaben allen Menschen, Völkern und Staaten weltweit beizustehen.

Es war deutsches Verdienst, dass der Iran nicht schon in der ersten Amtszeit Donald Trumps aus der Weltgemeinschaft verstoßen und zu noch mehr Terror gezwungen wurde. Als der Amerikaner die Zügel straff zog, erinnerte man sich in Brüssel und Berlin an die Friedensmission von Claudia Roth. So lange der Iran keine fertige Atombombe vorlege, müsse man im Gespräch bleiben, getreu der 2015 geäußerten Rothschen Hoffung, "dass die Reformer die Kraft bekommen, Erneuerungen zu ermöglichen."

Weltgeschichte ist geduldig

Noch ist das nicht geschehen, aber die Weltgeschichte ist geduldig. Irrwege wie der des damaligen SPD-Chefs Sigmar Gabriel, der in Dresden an einer Diskussionsveranstaltung mit Pegida-Anhängern teilnahm, während sich Claudia Roth nach Teheran aufmachte, entpuppen sich als Sackgassen. 

Roths Mission bei den Mullahs dagegen steht in goldenen Lettern im Geschichtsbuch: Gabriel suchte das Gespräch mit den Falschen, er schlug eine Brücke ins Nirgendwo und seine fragwürdige Initiative löste damals schon eine Welle an Kritik aus. Roth hingegen suchte den Dialog mit den Vertretern einer Theokratie, die Kritiker, Abtrünnige und Homosexuelle hingerichtet, Christen und Juden verfolgt, Frauen diskriminiert und den Terror finanziert.

Ehrenwert, denn Claudia Roth gab damit den Startschuss zu einer Entwicklung, die zuvor undenkbar schien: Seit ihrem beispielgebenden Ausflug ins frühere Persien exportiert Deutschland gute Ratschläge in alle Welt. Und nach ihrer Rückkehr entschloss sich das Land, ihnen auch selbst zu folgen. Angela Merkel "öffnete die Grenzen", wie Barack Obama später lobte. Die Deutschen öffneten ihre Herzen. Niemals mehr wird es wie vor diesem Januartag 2015 sein.


Schicksalsstunde: Schon wieder Zeitenwende

Drei Jahre Ampel haben wie ein Dauerwahlkampf für die AfD gewirkt: Die Prozente, die rechts gewonnen wurden, haben die Ampel-Parteien verloren.

Fällt sie oder fällt sie nicht? Kann sie danach überhaupt noch verteidigt werden? Oder gibt es eine blau-schwarze Koalition, wie sie der Kanzler schon dräuen sieht? Wird Rassismus zum Programm? Und steigt Hitler dann aus dem Graben an der Schweinebrücke?  

Es war Schicksalsstunde im Bundestag, und sie dauerte. Ehe nicht alle alles gesagt hatten, obwohl ohne keiner zuhört, konnte es nicht an die Urne gehen, um die Weichen zu stellen. Vorwärts und schnell vergessen. Oder rückwärts in die Nazizeit, der die damaligen Weidels, Melonis und Frederiksens mit ihrem brutalen Grenzregime den Stempel aufgedrückt hatten. "Ehrlich, schonungslos und respektvoll", so die Vorgabe des Präsidiums an die Anwesenden, sollte diskutiert werden. Diskutiert wurde aber dann gar nicht: Gegenseitige Bezichtigungen, je nach eigener Interpretation der Realität, wurden ausgetauscht. 

Vor dem Rückfall 

Dann ging es zum Schwur über die "Entschließungsanträge", im parlamentarischen Geschäft so etwas wie eine Campact-Petition. Vom "steilen Weg in den Abgrund" war vorher die Rede, von "unverzeihlichen Fehlern", bitteren "Gewissensentscheidungen" und dem "Rückfall in eine dunkle Zeit" und einer "Reste-Regierung", die nicht in der Lage sei, das Land zu regieren. "Bundeskanzler darf kein Zocker sein", schimpfte Olaf Scholz. "Wir sind es den Menschen schuldig, endlich abzuschieben", keilte Merz zurück und er zitierte mit Bedacht ein Versprechen, das Scholz vor Jahren gegeben hatte.  

Robert Habeck, der wie immer über den Dingen schwebt, gibt zu bedenken, dass es um mehr gehe als "bloße Sachfragen". Der Grüne macht sich Sorgen um das Erbe von Adenauer und Merkel, die sich "immer in den Dienst Europas gestellt" hötten.

Die vielbeklagte Spaltung der Gesellschaft hatte im Bundestag ihren großen Auftritt: Olaf Scholz ist der Ansicht, seine Regierung habe doch allerlei geliefert. Allenfalls die Vollzugsdefizite in den Ländern seien beklagenswert. Friedrich Merz zeigte seine geplatzte Hutschnur herum. Es reiche jetzt. Robert Habeck predigte Innehalten, Lars Klingbeil Ruhe und Ordnung. Christian Lindner verwies auf EU-Partnerländer, die alles schon lange so machen, wie es die Menschen in Deutschland, die er kennt, auch gern hätten. Alice Weidel drohte der Union mit Zustimmung, weil es ihrer Partei um die Sache gehe.

Die Sache spielt keine Rolle

Jedes Töpfchen hatte den üblichen Deckel, jeder instrumentalisierte nach Kräften für seinen Wahlkampf, was er zu greifen bekam. Eine große Rolle in der Auseinandersetzung spielte die Auffassung, dass die Sache, über die gesprochen werde, gar keine Rolle spiele. Einzig wichtig sei die Entscheidung über die Frage, wer mit wem, warnte Robert Habeck, dessen Partei die Ausweitung des Familiennachzuges neben der Verlängerung der Mietpreisbremse als Wahlversprechen  im Programm hat. Die Logik ist bestechend: Wer "Einwanderung gestalten" will, kann ihr keine Grenzen setzen, wenn er "alle mitnehmen" will "auf dem Weg zur Einwanderungsgesellschaft".

Knapp wird es, doch die Mehrheit steht am Ende hinter Friedrich Merz. Von Buh- und Pfui-Rufen begleitet, verkneift sich Merz jede triumphierende Geste. Er bedauere die Art der Mehrheit, dies ich hinter seinem Fünf-Punkte-Plan versammelt habe und unterbreite noch einmal das Angebot an SPD und Grüne, eine gemeinsame Lösung auf dieser Seite der Brandmauer zu finden. "Aber wir werden nicht zulassen, dass wir hier keine Anträge stellen dürfen, weil die Falschen zustimmen."

Schon wieder Zeitenwende

"Dieser Tag verändert die Politik in Deutschland", schon wieder. Vor lauter Zeitenwenden, Neustarts und gebrochenen Versprechen sind Details nur noch Nebensache. Ein "Tabubruch mit Ansage", findet die ARD. "Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich", verkündet Merz im Stil von Scholz, als er die "roten Linien" vor Jahren für abgeschafft erklärte, ehe er sie wenig später nicht weniger entschieden wieder einführte.

Die Angst, dass eines Tages parlamentarische Mehrheiten entscheiden könnten, sie liegt schwer über dem Hohen Haus. "Tun Sie das nicht", hatte Habeck Merz vor der wegweisenden Entscheidung angefleht, wie stets mit sicherem Gespür für das Pathos, das in diesen wenigen Worten liegt. Dass jetzt "Mehrheit wird, was die Mehrheit im Volk ist", wenn das die AfD einschließe, das wolle er nicht glauben.

Die "Tagesschau" wird später konsequent viel über die Form und wenig über die Funktion berichten. Schon am Freitag steigt die nächste Runde, vorher ist noch Zeit, sich abzusprechen, um den Schaden zu minimieren.

Mittwoch, 29. Januar 2025

Düsteres Vorbild: Warnung vor dem dänischen Weg

Robert Habeck appelliert: Die dänische Lösung, die Friedrich Merz durchsetzen will, würde auch den vom Grünen-Parteitag beschlossenen Familiennachzug behindern.

Er kam aus Auschwitz, noch ganz ergriffen von sich selbst und der Fotosession zwischen Stacheldraht und Todesmauer. Und er wusste nun mehr denn je um die Gefahr, dass es in Deutschland in Bälde werden könnte wie in Dänemark. Kontrollen bei der Einreise. Zurückweisungen an der Grenze. Inhaftierung Ausreisepflichtiger. Eine harte Hand für Illegale ohne gültigen Aufenthaltsstatus.

Wie im Hygge-Sozialismus

Robert Habeck, der das Grenzregime im Norden gut kennt, will es sich nicht vorstellen. Habeck spricht fließend Dänisch, seine vier Söhne studierten in dem Land, das vielen Deutschen als Muster eines Wohlstandssozialismus gilt, wie er sein sollte. Alle gleich reich. Alle nett. Die Luft ist sauber. Die Windkraftanlagen sind groß.

Die dunkle Seite des skandinavischen Hyyge-Sozialismus wird gern verdrängt: Seit die Regierung des rechten Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen auf Deutschland weltweit beachtete und gelobte Willkommenkultur mit der Schließung seiner Grenzen reagierte, haben seine sozialdemokratischen Nachfolger im Amt an der strikten Abschottung festgehalten.

Seit zehn Jahren schon betreibt das zumeist sozialistisch regierte Land im Norden sein unmenschliches Grenzregime, es ist europarechtswidrig und steht nicht im Einklang mit dem Völkerrecht. Dänemark hält stur fest an dauerhaften Grenzkontrollen, das Regime in Kopenhagen weist ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurück, Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, werden in Haft genommen, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden kann. Das Ziel, so formuliert die Regierung, seien "null spontane Asylbewerber".

Verbot illegaler Zuwanderung

Friedrich Merz' Wahlkampfpläne "für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration" erscheinen wie von den rechtspopulistischen dänischen Sozialdemokraten abgeschrieben. Dort oben im Norden haben Forscher  das Märchen vom "Pull-Effekt" längst widerlegt, nach dem Schutzsuchende mit einem Rückbau von Sozialmaßnahmen abgeschreckt werden können (Ole Agersnap & Amalie Jensen & Henrik Kleven, 2020. "The Welfare Magnet Hypothesis: Evidence from an Immigrant Welfare Scheme in Denmark) Doch noch immer wird den Dänen von ihrer Regierung vorgemacht, dass Ab- und Ausgrenzung funktionieren.

Einer wie Merz, ursprünglich wie alle Mitbewerber eingestellt auf einen Wahlkampf rund um Wirtschaft, Wohlstand und wohlklingende Aufschwungversprechen, konnte in der Bluttat von Aschaffenburg nur eine Chance sehen. Wenn ein Wahlkampfzug partout nicht in Fahrt kommt, werden die Fahrgäste unruhig. Als linker Konservativer in einer zuletzt rechten sozialdemokratischen Partei darf Merz auch nicht auf Gnade bei den Leitmedien hoffen. Jeder Geschwindigkeitsverlust seiner Kampagne wird von den Verbündeten seiner Gegner umgehend als Zusammenbruch gedeutet.

Faktisch dänisch

Merz hat beides getan: Dem Volk Futter und dem politischen Gegner ein neues Thema vor die Nase gesetzt. Er selbst bezeichnet sein geplantes Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen, zwar vorsichtig als "faktisches Einreiseverbot" - angedeutet werden soll damit wie im juvenilen "eigentlich", dass es so genau nicht zu nehmen sei, weil es eine Unzahl von Ausnahmen geben wird - doch im Geist ist der Unionskandidat ein Däne.

Das aber ist Konkurrent Olaf Scholz auch. Eben erst hat der Sozialdemokrat in seinem Rennen um die Rückkehr ins Amt nach dem 23. Februar seine enge Beziehung zu europa- und völkerrechtswidrig handelnden Regierung seiner Kollegin Mette Frederiksen betont. Kein Wort der Ermahnung, gemeinsame EU-Regeln einzuhalten oder sich zumindest zu bemühen, sie gemeinsam zu finden. Stattdessen überschwängliches Lob. "Dänemark und Deutschland sind enge Freunde, wir arbeiten eng zusammen", jubelte Scholz, "liebe Mette, es ist gut, solche Partner zu haben – mange tak!"

Der dänische Weg

So war es an Robert Habeck, auf die Folgen hinzuweisen, ginge Deutschland den dänischen Weg. "Von Adenauer bis Merkel haben konservative Kanzler sich stets in den Dienst Europas gestellt", mahnte der letzte Kanzlerkandidat, der noch nicht öffentlich von schnelleren Abschiebungen und einer Begrenzung der Zuwanderung geträumt hat. Wenn Friedrich Merz eine Mehrheit für die dänische Lösung "mit erklärten EU-Feinden" beschließe, dann mache "dieses Verhalten Europa kaputt".

Und das nicht zum ersten Mal. Nachdem von der Großen Koalition unter Angela Merkel vor zehn Jahren vorübergehende Grenzkontrollen" (Merkel) eingeführt worden waren, hatte der damals zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos bald nach dem Ablauf der möglichen Sechs-Monatsfrist begonnen, ein Ende der europarechtswidrigen Maßnahmen zu fordern. Avramopoulos verlor daraufhin seinen Posten, die dem Geist der Schengen-Verträge widersprechenden Kontrollen wurden inzwischen 20 Mal verlängert und auf sämtliche Grenzen erweitert. Zuletzt von Nancy Faeser, Innenministerin der Regierung, der auch Robert Habeck derzeit noch angehört.

Tun Sie es nicht

Habecks Forderung, vom Social-Media-Team auf eine Internet-Kachel geklebt, lautet "Tun Sie es nicht, Herr Merz". Niemand was, weiß nicht. Niemand wird ins Bild gesetzt, worum es geht, was er meint und was denn dann. Zur Erklärung hat Habeck mitgeteilt, dass alle Demokraten verabredet hätten, nicht es bis zur Wahl auf nichts mehr ankommen zu lassen. Im Bundestag abgestimmt werden solle nur, was im Hinterzimmer von den Parteigranden von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP als mehrheitswürdig abgenickt wurde. Eine Spielart der parlamentarischen Demokratie, die an den legendären "Hauptausschuss" erinnert, mit dem sich der Bundestag in der parlamentarischen Agonie des Jahres 2013 ein Notstandsparlament gab,  das weder die Väter des Grundgesetzes vorgesehen noch die Wähler gewählt hatten.

Wirkung von Beschwörungen

Das aber half, die Verantwortung für wegweisende Entscheidungen von den Schultern der gewählten Volksvertreter zu nehmen und den Parteiführungen aufzubürden. Habeck spekuliert heute natürlich darauf, dass sich niemand erinnert, keiner noch etwas weiß und alle übrigen ihn ohnehin für einen honorigen Mann halten, der niemals irgendwelche Themen im Wahlkampf instrumentalisieren würde, weil er ganz allein auf die Wirkung seiner Beschwörungen setzt. 

Einer wie er braucht keine Lösungen, er braucht Vertrauen, er braucht keine Gegner, er braucht Feinde. Im Kampf mit der umzingelnden Wirklichkeit ist die Waffe der Wahl die Mahnpredigt, die Warnung davor, wie fürchterlich es werden wird, wenn es so kommt, wie die wollen, die nicht so wollen, wie er will, weil er weiß, was richtig und anständig ist. 

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag, die in Kürze noch schlimmer sein werden, muss Robert Habeck appellieren: Die dänische Lösung, die Friedrich Merz durchsetzen will, wäre ein Zivilisationsbruch. Das Erbe von Kohl und Merkel würde zerstört. Die Westbindung geriete in Gefahr. Und der vom Grünen-Parteitag beschlossenen Familiennachzug behindert.