Mittwoch, 5. März 2025

Bange machen gilt nicht: Frau Prantl, wie positiv blicken Sie in die Zukunft?

Die ausgebildete Psychosoziologin Svenja Prantl schaut derzeit überaus optimistisch auf die Welt.

Sie gilt als seine der stärksten Stimmen der jungen Generation, sie setzt sich unumwunden für soziale Freiheit und Grundgerechtigkeit in der Verteilungsgesellschaft ein, aber beherzt auch in die Wespennester des Widerspruchs. Svenja Prantl hat dem gewohnten bürgerlichen Leben schon als junge Frau rasch entsagt, vor sieben Jahren packte ihren Laptop und machte sich auf eine lange Reise raus aus Deutschland, weg von Europa, ins ferne Ausland, wo das Wetter besser und die Strände leer sind. Hier, weitab von den deutschen Alltagssorgen, arbeitet die heute 36-Jährige, wann immer sie Lust hat – und zwar am liebsten am Strand, von dem aus die deutschen Verhältnisse oft besonders bizarr anmuten.

Für PPQ begleitet die überzeugte Digitalnomadin den Fortgang der Ereignisse mit Kolumnen und Interviews mit Zeitzeugen. Heute allerdings sitzt sie selbst vor dem Mikrofon, um Auskunft zu geben und mit geübter Hand einzuordnen, was inländische Beobachter zusehends überfordert.

PPQ: Frau Prantl, überall heißt es, die Welt sei aus den Fugen geraten, Amerika lasse seine Verbündeten im Stich, alles breche zusammen und bald wohl ein Krieg aus. Wie positiv blicken Sie gerade in die Zukunft? 

Svenja Prantl: Überaus positiv. Wir kommen aus Jahren der politischen Lähmung, aus einer Zeit, in der alle Dinge für immer festgezurrt zu sein schienen. Wenn wir Europa betrachten, dann hatten wir eine Perspektive des Immerweiterso. Aller paar Jahre wählten alle Politiker, die niemand kannte und von denen niemand wusste, wieso gerade sie auf dem Wahlzettel stehen. Die verschwanden dann nach Brüssel, wo sie übereinstimmenden Angaben zufolge nichts zu sagen und nichts zu entscheiden haben. Parallel dazu wuchs uns dann immer eine Kommission zu, die niemand gewählt hatte, die aber alles entscheidet, etwa auch, wer was sagen darf. Sogar den nationalen Regierungen weist diese Meta-Bürokratie bis heute zu, was sie dürfen und was nicht. Das ganze Konstrukt haben wir "unsere Demokratie" genannt und so tief inhaliert, dass jedermann und jede Frau in der EU sich schon fürchtet, wenn ihm insgeheim der Gedanke kam, dass das ja wohl nicht der demokratischen Verhältnisse letzter Schluss sein könne. 

PPQ: Diese Beschreibung ist vielleicht justiziabel, aber optimistisch klingt sie nicht.

Prantl: Mein Optimismus erwächst aus dem Pessimismus dieser Situationsbeschreibung. Schlimmer kann es doch nicht kommen. Sehen Sie, 440 Millionen Europäer akzeptieren Verhältnisse, die so konstruiert sind, dass demokratisch gewählte nationale Regierungen Entscheidungen treffen und Gesetze beschließen müssen, die ihnen von einer überhaupt von niemandem gewählten Kommission und einem unter sehr fragwürdigen und undemokratischen Regeln gewählten Parlament ohne Parlamentsrechte vorgegeben werden. Das klingt doch dystopisch! Das ist doch eine Horrorvorstellung für jeden Demokraten. Um diese Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, wie ein großer kommunistischer Vordenker mal gesagt hat, braucht es ein Erdbeben, eine umfassende Erschütterung. Und die spüren wir gerade. Das macht mich optimistisch, nicht weil ich an ein gutes Ende glaube, sondern weil ich denke, dass ein gutes Ende ohne Anfang unmöglich ist.

PPQ: Viele einfach Menschen draußen auf der Straße und viele  Hinterbänkler im Parlament und Beisitzer in den Koalitionsverhandlungen empfinden die derzeitige Phase aber als sehr heftige Zeit, weil gerade viele politische Glaubenssätze infrage gestellt werden und es so scheint, als seien alle Schutzmechanismen vollkommen überfordert.

Prantl: Diesen Effekt kennen wir aus der Katastrophenforschung. Sie können da rund um die Welt schauen und quer durch alle Zeitalter. Immer stellt sich nach einem Unglück, sei es nun eine Naturkatastrophe oder ein menschengemachtes Auto- oder Messervorkommnis, heraus, dass die Vorsorge nicht ausgereicht hat, dass es Fehler gab, Versäumnisse und Dinge, die niemand vorausgesehen hat, als alle sich wappneten, wie man das ja inzwischen nennt. Letztlich ist es nie genug, aber ohne Katastrophe erfährt das eben keiner. Aus Sicht der Demokratieanwender im politischen Berlin ist das immer der Idealfall, es garantiert, dass man weitermachen kann, ohne von Brüchen und neuen Herausforderungen gestört zu werden. Das Ideal einer solchen Führung ist die berühmte EU-Fake-News von den vermeintlich 75 Jahren Frieden, die die Gemeinschaft garantiert habe. Man eignet sich einfach etwas an, das andere verbürgt haben, feiert sich dafür und zieht daraus die Bestätigung, dass es keinerlei Bedarf mehr nach Fortschritt, Entwicklung oder auch nur Veränderung gibt.

PPQ: Aber wenn alles gut läuft, braucht es das doch auch nicht. Never change a winnig team, sagt man doch?

Prantl: Ja, läuft es denn? Hat denn diese ganze große EU, der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum der Welt seit mehr als zwei Jahrzehnten, im vergangenen Vierteljahrhundert irgendeine Entwicklung von Belang zum Fortschritt der Menschheit beigesteuert? Ich rede jetzt nicht von den 12.000 Rechtsakten und Gesetzen, nicht von der neuen Spitzenstufe der Bürokratisierung und nicht vom kreativen Umgang mit früher festgelegten Begriffen wie Einigkeit, Solidarität und Gemeinsamkeit. Nein, ich meine zum Beispiel technische Innovationen, die das Leben von Millionen besser machen, einfacher und lebenswerter. Hat Europa da etwas vorzuweisen? Irgendetwas? Ein kleines soziales Netzwerk im Internet? Einen winzigen Routenplaner? Ein überzeugendes Smartphone? Computersoftware? Ein Satellitennetz? Künstliche Intelligenz? Raumfahrtpläne? Wiederverwendbare Raketen? Irgendetwas? Sagen Sie es mir!

PPQ: Auf Anhieb springt einem da sicher nichts ins Gesicht, aber in einer Welt, die auf Arbeitsteilung beruht, ist das vielleicht gar nicht wichtig. Jahrhundertelang hat Europa die Welt mit Innovationen und dann auch mit Produkten versorgt. Warum soll das über die nächsten Jahrhunderte nicht andersherum sein?

Prantl: Es wird andersherum sein. Ein kluger Mann, weitgereist und welterfahren, hat mir kürzlich erzählt, dass er sich immer dann, wenn er aus Asien zurück nach Europa fliege, vorkomme wie bei einem Besuch im, so wörtlich "Museum unserer Überheblichkeit". Während wir selbstverliebt auf unsere Vergangenheit schauten, ziehe Asien unaufhaltsam an uns vorbei. Und, so sehe ich das, mit jeder Stunde, die EU-Europa in seinen kalten, leeren Ritualen verharrt, sinken die Chancen, dass diese zerrüttete, zerstrittene und von jeder einzelnen Krise der vergangenen 20 Jahre sofort überforderte angebliche Wertegemeinschaft noch einmal den Anschluss schafft.

PPQ: Nun heißt es ja aber, in den USA sei mit der Wiederwahl von Donald Trump eine neue Zeit unter Vorzeichen einer Kleptokratie angebrochen und Europa sei nun gefordert, die alte weltpolitische Ordnung aufrechtzuerhalten, also gerade den Status Quo zu verteidigen, von dem Sie sagen, er müsse enden. Wie geht das aus?

Prantl: Wie immer. Es hat in den zurückliegenden acht Jahrzehnten einige Fälle gegeben, in denen sich die Kleinmächte des Westens amerikanischen Wünschen verweigert haben. Denken Sie an de Gaulle oder Gerhard Schröder. Aber das waren kurze, taktische Aufstände, meist aus innenpolitischen Gründen losgetreten. So ist es auch diesmal, weil Europa und insbesondere Deutschland sich natürlich in den  zurückliegenden zehn Jahren ein Bild von Trump und dessen Ambitionen und Zielen zurechtgezimmert hat, das sich jetzt nicht so einfach beiseitefegen lässt. Der Mann ist ja für irre und für wahnsinnig erklärt worden, man hat ihn bekämpft mit allem bisschen, was man hatte, er wurde zum Hassprediger, zum  russischen Agenten und zum Kriegstreiber ernannt und jeder Versuch, wenigstens halbwegs bei den Fakten zu bleiben, unterblieb, je länger dieser Kampf erfolglos geführt wurde. Niemand kann jetzt so einfach den Schalter umlegen und sagen, okay, er hat gewonnen, wir machen wie immer mit. Ei großes Problem, das sich aber wie immer auswachsen wird.

PPQ: Aber bleiben dann nicht unsere zentralen Inhalte auf der Strecke? Europa hat sich zuletzt vor allem über den Kampf für den Schutz des Klimas und der Meere, für Biodiversität, für Nachhaltigkeit und so weiter definiert. Das fiele ja alles weg.

Prantl: Zweifellos, aber das wird niemand bemerken, abgesehen von denjenigen, die die Felder aus geschäftlichen Zwecken beackern. Seit wir mit dem Ukrainekrieg aus der Zeit der monothematischen Beschäftigung mit dem Klima herausgerutscht sind, haben sich Angebot und Nachfrage nach diesen ehemaligen Zukunftsthemen ja bereits halbiert, ohne dass Klagen kamen. Das resultiert natürlich aus den Grundgesetzen der Mediendynamik: Es kann immer nur eine begrenzte Anzahl an Wichtigkeiten geben, weil eine Tagesschau, wie die Medienforscher sagen, eben nur 15 Minuten hat und auch noch der Sport, das Wetter und irgendetwas Launiges über Kultur gesendet werden muss.

PPQ: Steht also das Abendland vor einem Neustart und die Menschheit vor goldenen Jahren? Da sind Sie eine recht einsame Stimme.

Prantl: Die Zukunft ist wie immer offen, beziehungsweise sie ist jetzt wieder offen. Nach Jahren, in denen sich erwiesen hat, das eine multilaterale Kooperation über Klimaverträge und globale Abmachungen mit Mindestssteuervorgaben und ähnlichen Trick ersten langwierig und zweitens erfolglos ist, bekommen wir nun die Chance, auszuprobieren, ob sich diese Themen mit Hilfe eines konkurrenzbasierten Modells in den Griff bekommen lassen. Wir haben  im Moment drei Blöcke, die unterschiedliche Ansätze verfolgen und wechselseitig in großen Abhängigkeiten stecken. Die Amerikaner haben Europa angeboten, weiterhin zu kooperieren, allerdings wieder nach eher konservativen Vorgaben. Das folgt der strengen Logik von Zbigniew K. Brzezinskis Klassiker "The Grand Chessboard" , in dem er "Amerikas Strategie der Vorherrschaft" schon Ende der 90er Jahre als notwendigen Schutz vor einem Weltmachtstreben Chinas beschrieben hat. EU-Europa kann  dieses Angebot annehmen. Oder es wird auf der globalen Wippe, von der Brzezisnki sprach, Richtung Osten kippen.

PPQ: Wenn Europa nur diese Wahl hat, warum wehrt es sich dann so?

Prantl: Weil die Entscheidung den derzeitigen Akteuren wohl gegen den Strich geht. Sie sind Gefangene ihrer eigenen Propaganda von der EU als moralischer Weltmacht und zugleich alles andere als Weltstrategen. Hätten zumindest einige von ihnen Brzezinskis Buch gelesen, wüssten sie, dass die Trump-Administration mit ihren Befriedungsmanövern Russland gegenüber natürlich einen Schachzug gegenüber China macht, den Brzinski schon 1999 für unausweichlich erklärt hat. Russland war für ihn schlicht der Schlüsselstaat, an dem sich entscheidet, auf welche Seite Eurasien kippt. 

PPQ: Das klingt einleuchtend, spielt aber in der öffentlichen Diskussion keinerlei Rolle. Haben wir es hier auch mit eineem Medienversagen zu tun?

Prantl: Immer. Mit funktionierenden Medien wäre die EU niemals in eine so prekäre Lage geraten, weil kein Politiker wie Angela Merkel über anderthalb Jahrzehnte mit einer Politik des absoluten Stillstands, der Vertröstung und der Konservierung durchgekommen wäre. Das muss man wohl heute einräumen.


Sondergebirge aus Geld: Die neue Freiheit

Als Begründung für neue Schuldenberge, die in wenigen Stunden höher wuchern als zuvor in vielen Jahrzehnten, ist der Ukrainekrieg so gut wie jede andere Ausrede.
Als Begründung für das neue Sondergeldgebirge, das in wenigen Stunden höher wucherte als zuvor in vielen Jahrzehnten, ist der Ukrainekrieg so gut wie jede andere Ausrede.


Nun ist es doch auch egal. Dann lässt eben nun auch Deutschland ab vom Versuch, eines Tages doch einzuhalten, was als Maastricht-Kriterien ehemals die Grundlage für das familiäre Zusammengehen der EU-Länder sein sollte. Mehr als die Hälfte der Partnerstaaten hat den Versuch nie unternommen oder längst aufgegeben. Die Zeiten, in denen Politiker über den Tag hinaus dachten und angesichts der in den vergangenen Jahrzehnten aufgelaufenen Schuldenlasten meinten, sie dürften den kommenden Generationen, absehbar zahlenmäßig kleiner, absehbar weniger wohlhabend, nicht solche Berge an Kreditlasten hinterlassen, sind vorüber.

Jetzt gehts richtig los! Schafft eins, zwei, viele "Sondervermögen", die Lage ist danach. Als Sahneklecks gibt es die Aufhebung der Schuldenbremse obendrauf. Was alle eben noch ablehnten, wollen zehn Tage später alle umso mehr. Die SPD war schon immer dafür, die Grünen sowieso, die Linken aus ehrlicher Überzeugung, jetzt stößt auch noch die EU-Kommission ins Schuldenhorn und die Bundesbank verleiht die höheren Weihen. Geschickt hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auch diese Gelegenheit genutzt, sich eine Genehmigung für - eigentlich immer noch verbotene - gemeinsame EU-Schulden zu erbitten. In der Pandemie klappte das prima, das "abschreckende Beispiel" (Die Welt) wurde zum Präzedenzfall. 

Nicht einmal mehr leiser Widerstand ist diesmal zu befürchten, zu verführerisch sind die Aussichten, noch einmal in größerem Maßstab weiterwirtschaften zu können wie bisher. Den Hinweis der Bundesbank, die zusätzliche Neuverschuldung solle sich an der 60-Prozent-Marke der Maastricht-Verträge orientieren, fällt hinten runter. Jetzt bloß nicht kleinlich werden. Wenn einmal gründlich durchgefegt wird, kann auch gleich alles weg. Taugt ja nichts und stört nur.

Geld muss her

Um die Welt heute besser zu machen und das Leben der Nachgeborenen angenehm, gibt es nur ein einziges, von allen anerkanntes Mittel. Wo kein Geld mehr ist, muss mehr her. Seit die Schuldenbremse, einst eingeführt von SPD und Union, sich neuen Begehrlichkeiten hinderlich in den Weg stellt, haben einfallsreiche Politiker sich von den Experten der Bundesworthülsenfabrik BWHF den Begriff "Sondervermögen"®© anfertigen lassen, der für neue Schulden steht, die nicht wie Schulden aussehen sollen. 

Das umständliche Umgehungsmanöver war von Anfang an allgemein anerkannt. Wat mut, dat mut, denn Not kennt kein Gebot und beim Marsch der Demokraten auf den Schuldenberg geht es nicht um Gipfelstürmerei, sondern vor allem darum, den Frieden im Lande zu erhalten. Keinem etwas nehmen, aber allen etwas geben, so hatten es alle Parteien zuletzt wieder im Wahlkampf versprochen. 

Das große Geldwunder

Die Methoden, das neue große Geldwunder zu bewirken, sahen unterschiedlich aus. Auch die Begründungen dafür, warum die gemeinsam mit den anderen EU-Staaten einst vereinbarten Maastricht-Kriterien und die selbstverordnete Schuldenbremse wieder nicht gelten sollten, wichen von Partei zu Partei voreinander ab. Mal war der Umbau von allem für die Klimarettung so dringend, dass es neues Geld in Hülle und Fülle brauchte. Mal musste für die soziale Absicherung in die leere Tasche gegriffen werden. Immer hatte Trump mit allem zu tun, der Krieg, Putin, die Wirtschaftsmisere, die malade Bundeswehr, Brücken, Migranten, Rentner, Mieten, Lebensmittel.

Das Ergebnis sollte immer das gleiche sein: Weniger zahlen mehr. Mehr wählen wieder demokratisch. Über 75 Jahre lang, so gibt es die EU nach wie vor offiziell an, habe Schuldenwirtschaft und das gemeinsame Ignorieren selbstauferlegter Regeln zu Frieden und Prosperität geführt. Immer behaupteten die jeweils regierenden Politiker natürlich, es sei kein Geld da für Investitionen in Klima, Soziales Bildung, für Rente, Aufrüstung oder Familie, die Sanierung der Infrastruktur, Steuersenkungen, das versprochene Klimageld oder die Digitalisierung. 

Immer mehr Nullen

Kaum war es da, das Geld, das die Steuerzahler in immer größeren Mengen heranschafften und der Staat in immer höheren Summen lieh, war es auch schon weg. Kein Betrag, und war er auch noch so hoch, hat je gereicht, vielmehr legte das, was fehlte, von Jahr zu Jahr an Nullen zu. Noch vor fünf Jahren hatte das Standard-Rettungspaket einer Bundesregierung den Umfang von höchstens 100 Millionen Euro.

Eine Million für den Mittelstand, zehn für ein Großunternehmen, auch mal 100 Millionen, ja. Aber mehr musste nie sein. Mehr war auch nie nötig. Selbst als Angela Merkel und Nicolas Sarkozy 2010 im berühmten "Endspiel um den Euro" ganz Europa retten mussten, reichten ein paar Milliarden Euro. 

Summen mit elf Nullen waren seinerzeit noch vollkommen unvorstellbar. Erst vor vier Jahren starb die Million einen stillen Tod, beerbt von der Milliarde als neuer Einheitswährung für alle Krisenfälle. Mit seinem "Sondervermögen Bundeswehr", selbst ausgedacht in einer Februarnacht des Jahres 2022, griff Olaf Scholz dann gleich tief ins Rettungsregal. 

Jenseits der Verfassung

Nicht eine, nicht zehn, sondern 100 Milliarden neue Schulden jenseits aller verfassungsrechtlichen Regeln sollten es sein, auch, um eine ganze Armee an Beschaffungsbeamten zu ernähren, die auf Anweisung der früheren Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatten beschließen müssen, für die deutsche Luftwaffe ein Flugzeug zu bestellen, das es nicht gibt. Doch jenseits des Jahres 2040 würde es gemeinsam mit Frankreich gebaut werden. Ein "Luftkampfprojekt" (von der Leyen) unter dem furchteinflößenden Namen Future Combat Air System (FCAS) das dann, Termintreue vorausgesetzt,  den 70 Jahre alten Tornado-Jagdbomber ablösen würde.

Schnell schießen die Preußen nicht, aber teuer. Kaum hatte Putin die Ukraine angegriffen, war schon Gefahr im Verzug. "Bis zu 35 Jets" des Typs F-35 Lightning II wurden nun in den USA bestellt. Auch, weil der Jäger die amerikanischen Atombomben ins Ziel tragen kann, die in Deutschland mutmaßlich, aber nicht offiziell, für den Fall stationiert sind, dass sie eines Tages benötigt werden müssen. Liefertermin offen, irgendwann nach 2030, vermutlich aber vor Eintreffen des imaginären Future Combat Air System. 

Versorgung für Feldflugplätze

Doch ehe nicht die Nato-Kerosin-Pipeline nach Osteuropa fertiggestellt ist, das künftige Rückgrat für die Kraftstoffversorgung der Feldflugplätze in Frontnähe im Kriegsfall, braucht die Flieger ohnehin nicht. Die Pipeline aber, Kostenpunkt 21 Milliarden Euro, führt durch Wassereinzugs- und Naturschutzgebiete.  Die Genehmigungsverfahren werden langwierig, die juristischen Auseinandersetzungen wohl mindestens ebenso.

Was also wirklich fehlt, ist noch mehr Geld, um das erfolgreich anvisierte, dann aber doch verfehlte Personalziel der Bundeswehr zumindest finanziell zu erreichen. In ihren Sondierungsgesprächen kamen SPD und Union offenbar an dieser Stelle schnell auf einen Nenner: Das nächste Sondervermögen hängt dem letzten noch eine knappe Null dran. Statt vor drei Jahren noch fast unvorstellbarer 100 Milliarden Euro - immerhin mehr als das Dreifache dessen, was sich der Staat einst die Rettung des Finanzsystems hatte kosten lassen - geht es jetzt um 400 oder was Milliarden für die Bundeswehr. Und, auch die SPD möchte ihren letzten paar Handvoll Wählern irgendetwas vorweisen können - zusätzlich 500 Milliarden für die Sanierung der Infrastruktur. Plus 800 Milliarden von der EU, die das Geld nicht hat und die Summe nur "vorschlägt". Nebst weiterer Fantastrilliarden irgendwoher für irgendetwas weiß man noch nicht.

Ein Drittel mehr in wenige Stunden

Es sind Summen, die vorher bereits gewispert worden waren. Doch sie sind dennoch atemberaubend. In den 76 Jahren seit Gründung der Bundesrepublik haben deutsche Staatslenker rund 2.500 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Das entspricht einer Summe von etwa 30.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung oder aber 55.000 Euro pro Steuerzahler. Friedrich Merz und Lars Klingbeil planen nun, binnen einiger weniger Tage ein Drittel der bisherigen Schuldensumme aufzusatteln - und das handstreichartig mit Hilfe eines bereits abgewählten Bundestages.

Irgendeinen Grund hätten sie natürlich auch finden können, um den Notstand auszurufen und die Schuldenbremse auszusetzen. Doch der Ärger auf dem Weg dorthin! Jede Partei im neuen Bundestag, soweit sie angesprochen werden darf, hätte für ihre Zustimmung ein Säftchen verlangt, ein Bonbon, ein bisschen Zuwendung für dieses Traumprojekt und ein wenig mehr für ein anderes. Ein Sondervermögen dagegen, begründet mit Trump und Putin und Europas neuer Rolle als künftiger Kriegsschauplatz, das macht was her, das gibt vor allem etwas her.

Könnte Geld Russen erschießen

Könnte Geld Russen erschießen, wäre der Kreml allerdings bereits gestürmt und Putin säße hinter Gittern. Was es können soll und vielleicht auch können wird, ist, den von den USA brachial herbeigepressten Frieden hinauszuzögern und den Stellungskrieg im Osten zu verlängern. Der wird mittlerweile seit Monaten als Stellungskrieg entlang einer 600 Kilometer langen aktiven Front geführt, an der mit hohem Blutzoll von beiden Seiten um Geländegewinne vom Ausmaß eines Fußballplatzes gekämpft wird. Den russischen Truppen fehlt die Kraft, die zermürbten ukrainischen Einheiten aus ihren Stellungen zu vertreiben. Den Verteidigern fehlt sie, die Invasoren bis hinter die ursprüngliche Grenze zurückzuschlagen.

An dieser grundsätzlichen Lage wird deutsches Geld nichts ändern, weder zehn noch 100 oder 1.000 Milliarden können Kiew den immer wieder beschworenen Siegfrieden kaufen. Das weiß Friedrich Merz, das weiß Lars Klingbeil. Aber als Begründung dafür, die Geldschleusen nicht nur noch weiter zu öffnen, sondern sie aus den Angeln zu reißen, um endlich wirtschaften zu können, ohne auf den Cent zu schauen, ist der Ukrainekrieg so gut wie jede andere.


Dienstag, 4. März 2025

Das Heldenlied von Jakob und Timon

Freiwillig an der Front: Im Freikorps Gert Bastian
Jakob und Timon sind zum Freikoprs "Gert Bastian" gegangen, um die Freiheit zu verteidigen.

Wie nur weiter, was nur tun? Nach der rücksichtslosen Kündigung der transatlantischen Partnerschaft durch die neue US-Administration sind die Anführer Europas hektisch auf der Suche nach einem Ausweg aus der drohenden Einsamkeit beim nächsten Waffengang mit Russland. Brexitannien prescht vor, handausgewählte Europäer schmieden an einer neuen "Koalition der Willigen", die deutsche Marine rüstet ihre Heringsflotte, um die Nordflanke zu schließen.

Nichts davon wird reichen, um eine heranwalzende Lawine aus russischen Schrottpanzern dauerhaft aufzuhalten. Nur numerisch ist Europa stark, im Einsatz aber, das hat der fluchtartige Abzug aus Afghanistan gezeigt, der bis heute anhält, vermag die starke Truppe mangels Rekruten, Waffen und Munition kaum standzuhalten. 

Dienstfrei für immer

Aus der ehemals stärksten konventionellen Armee Westeuropas mit ihren fast 500.000 Soldaten und Offizieren, 7.000 Panzern, 800 Kampfflugzeugen und 200 Schiffen, die nur zwischen Freitagnachmittag und Montagmorgen dienstfrei machte, ist eine Verwaltungsarmee geworden, die kaum mehr als 60.000 Frauen und Männer in kämpfenden Truppen zählt. 

Für Jakob Blasel und Timon Dzienus, den Chef der Grünen Jugend und seinen Vorgänger, sind die alten Rezepte zur Verteidigung der Freiheit angesichts der Bedrohung aus Amerika keine Option. "Wer in dieser Weltlage noch immer zögert, Europas Freiheit auch mit Waffen zu verteidigen, ist nicht links - sondern naiv und unsolidarisch", hat Blasel dem bisher als grundpazifistisch und wenig geltenden Parteinachwuchs ins Stammbuch geschrieben. 

Rüstungsgegner machen mobil

Dzienus, in seiner Zeit als grüner Jugendführer noch erklärter Gegner von Rüstung und Sondervermögen, schloss sich an. Wer sich jetzt noch weigere, die Schuldenbremse grundlegend zu reformieren, also aufzuheben, "gefährdet unsere Freiheit". Aber Reden gewinnt keine Kriege, ein modernisiertes Beschaffungswesen schreckt keinen russischen Hybridkrieger ab und Milliarden für neue Uniformen gewinnen keine Schlacht.

Jakob und Timon wissen genau, dass es boots on the ground braucht, um resilient zu werden in einer Zeit, in der düstere Wolken über Europa ziehen und unsere Demokratie von Osten her bedroht wird. Die beiden jungen Helden, Fleisch vom Fleisch des Volkes, sind jung und stark, mutig und von einem Feuer erfüllt, das nur die Gerechten kennen. 

Jakob, mit wilden Locken in der Farbe reifen Korns und Augen, aus denen Entschlossenheit spricht, ist  ein Mann des Wortes. Timon, ein Lausbubentyp wie der brave Soldat Schwejk, ist nicht breitschultrig, aber zu allem entschlossen. Gemeinsam sind die beiden fest gewillt, in der Stunde der Not nicht zuzuwarten, bis die älteren Kollegen und Genossen sich durchgerungen haben zu einer Rückkehr zur Wehrpflicht und einer Mobilisierung aller noch verfügbaren Kräfte. Ihre Idee, öffentlich bislang unausgesprochen, ist die Gründung einer Freiwilligentruppe - einer grüne Armee.

Im Freikorps "Gert Bastian"

Das Freikorps "Gert Bastian", benannt nach dem grünen Generalmajor, der in den 80er zu einer der Führungsfiguren der westdeutschen Friedensbewegung geworden war, soll die Friedenslücken schließen, die derzeit zwischen den im Baltikum stationierten 5.000 Soldatinnen und Soldaten der Brigade Litauen und der Jägerkaserne im sächsischen Schneeberg klafft. Gebildet aus grünen Jugendlichen und jungen Leuten bester Bio-Gesinnung und aufgeteilt in die drei leichten Brigaden "Petra Kelly", "Thomas Ebermann" und "Daniel Cohn-Bendit", soll das Korps bereitstehen, Europas Freiheit mangels Ausbildung an Gewehr und Panzerbüchse mit Worten und der blanken Klinge zu verteidigen.

Links sein, das heißt bewaffnet sein in Zeiten, in denen die Boomer die Friedensdividende aufgezehrt haben. Wer nicht vorn marschiert, ist naiv und unsolidarisch, wenn die langjährige Schutzmacht Amerika den monatlichen Scheck kündigt. Timon und Jakob sind mit ihrem kühnen Entschluss, sich den Verteidigern von Heimat und Freiheit anzuschließen, Pioniere einer Generation, der nachgesagt wird, sie daddele nur, pflege ihre Neurosen und quengele über ausbleibend straffe amtliche Sprachregelungen.

Ein Duft von frischem Brot

Es wird vielleicht ein kühler Sommer- oder Herbstmorgen sein, an dem Jakob die Tür seines Elternhaus in Kiel entschlossen zuziehen wird. Der Wind wird den Duft von frischem Brot aus einem der letzten  nahegelegenen Bäckerläden herübertragen, Freunde und Nachbarn werden winkend grüßen und alles Beste wünschen. Der Klang der Glocken von St. Nikolai am Alten Markt klingt herüber. Mancher langjährige Wegbegleiter weint ein paar stille Tränen. "Du bist unser ganzer Stolz, Jakob", sagt einer der Brüder mit rauer Stimme zum ältesten Sohn der Familie. "Musst du wirklich gehen?", fragt eine Freundin, die Stimme zitternd.

Doch Jakob hat es nicht nur Timon versprochen, der für seinen Platz bei "Gert Bastian" den eben erst eroberten sicheren Sitz im Bundestag aufgeben wird. Auch die Menschen draußen im Land setzen auf das Beispiel der beiden jungen Männer. Und so spricht auch Timon im 400 Kilometer entfernten Nordhorn Sätze, die ihm nicht leicht fallen. "Wenn ich nicht gehe, wer soll dann unsere Freiheit bewahren? Ich kämpfe für dich, für uns, für alle", sagt er und macht die ersten Schritte ins Ungewisse. 

Fest entschlossen die Füße

Fest setzt er die Füße, die jene boots sein sollen, die Europas Zukunft sichern. Es geht ins erste Ausbildungslager, Monate der Grundausbildung an Schild und Holzschwert folgen. Eine Sondergenehmigung des Bundesinnenministeriums erlaubt den jungen Kriegern auch Kämpfe mit blankem Stahl auf einer kleinen Freifläche neben dem Basketballplatz, der in Friedenszeiten so beliebt war bei Jugendfreizeitschüler*innen aus der gesamten Republik. Weiter führt der Weg gen Osten, stets haben die beiden Helden die Stimmen ihrer Liebsten im Ohr: "Ich werde warten", haben die zum Abschied geflüstert. Ein Schwur, nicht geringerwertiger als der, den Jakob und Timon abgelegt haben.

"Ich komme zurück", haben beide den Zurückbleibenden in die Hand versprochen, ehe sie mit einem letzten Blick auf die vertrauten Straßen ihre Bündel über die Schultern warfen und den Bus des Bastian-Korps bestiegen, der sie hinausfährt in die unbekannte Weite, in der ein mächtiger Feind nur darauf wartet, dass die beiden Jungen und ihre Kameraden Schwäche zeigen.

 Ohne viele Worte

Den Gefallen aber werden sie und die Hundertschaften grüner Mädchen und Jungen, die ihrem Aufruf gefolgt sind und noch folgen werden, dem Kreml-Diktator nicht tun. Ohne viele Worte waren Jakob und Timon sich darüber von Anfang an einig – zwei Brüder im Geiste, vom einem stählernen Schicksal verbunden, das sie bezwingen wollen. 

Ihre Reise führt sie über weite Felder, durch dichte Wälder und entlang reißender Flüsse in die Ferne, dort, wo fern hinter der Türkei die Völker seit Jahren aufeinanderschlagen. Überall jubeln die Menschen ihnen unterwegs zu, überall aber wispern sie auch von Krieg und Furcht.

Jakob und Timon sind sich der Blicke bewusst, die ihnen folgen. Und sie tragen ihren Mut wie ein Banner vor sich her. "Glaubst du, das Schicksal hat uns auserwählt?", fragt Timon eines Abends am Lagerfeuer und die Flammen spiegeln sich in seinen Augen. Jakob lächelt grimmig zurück: "Auserwählt oder nicht – wir haben uns selbst erwählt. Das war unser Schicksal."

Schülersprecher am Schwert

Im Heerlager angekommen, einem aus Bundesgeheimhaltungsgründen nicht näher bezeichneten Un-Ort, wird ihr Dasein vollkommen anders sein als alles, was die beiden früheren Schülersprecher bisher kannten: Immer ist da das Klirren von Schwertern, sind da gebrüllte Befehle, Pferde wiehern und ganze Marschkolonnen beklagen barmend frische Blasen. Anton Hofreiter, ein älterer, erfahrener Grünenpolitiker, der als einer der ersten aus der ehemaligen Pazifistenpartei erkannt hatte, dass "wir uns verteidigen können müssen, um einem Krieg vorzubeugen", wird so manches Mal still schmunzeln, wenn er seine frischen Rekruten barsch trösten muss. 

Der Heerführer, ein Mann mit Haaren wie ein Statement gegen jeden Kommisgeist, appeliert dann oft an den alten inneren Schweinehund in seinen Männern und Mädchen. "Warum seid ihr hier?", fragt er, "wisst ihr noch, warum ihr hier seid?" Meist sind es Jakob und Timon, die mutig vortreten und sagen: "Wir kämpfen für Europa, für die Freiheit. Russland bedroht unser Land, und wir werden nicht zusehen." Hofacker nickt dann zufrieden. "So ist es recht, meine Recken", spricht er den jungen Leuten gut zu: "Euer Mut wird geprüft werden, aber ihr werdet die Prüfung bestehen."

Eine Woge aus Stahl und Feuer

Sie kommt vielleicht früher als jeder bisher fürchtet, vielleicht später oder aber nie, weil die Mobilisierungsanstrengungen im Lager der Bastians auch dem Kreml nicht verborgen bleiben werden. Während die Einheiten von "Kelly", "Ebermann" und der internationalen "Cohn-Bendit"-Brigade üben , sich rüsten und ihre Waffen und Stiefel putzen, wird in Moskau das Nachdenken einsetzen. Wird den eigenen Truppen als Woge aus Stahl und Feuer ein Durchmarsch bis Finistère an der Küste der Bretagne gelingen? Oder wird es werden wie in der Ukraine: Viel Blut, viel Leiden, wenig Raumgewinn?

Jakob und Timo hoffen auf Einsicht im Osten. Sie wollen ein Zeichen setzen in ihren glänzenden Rüstungen und mit ihren Kameraden, deren Marschtritt den Boden erzittern lässt, wenn die Truppentrompeten "Hamburg ist ein schönes Stadtchen" und "Des Förster Töchterlein"
schmettern. 

Vorbild, Freund und Fels

Niemand will hier die Schlacht, niemand will eine Begegnung im Felde, wenn das Krachen der Geschütze dröhnt und Schreie die Ebene erfüllen. Jakob ist dennoch entschlossen, wie ein Löwe zu kämpfen, sollte es so weit kommen. Timon sitzt abends oft auf seiner Feldliege und er poliert seine Klinge, wetzt sie an einem Stein, auf dass sie rasiermesserscharf werde. 

In ihrer Einheit bei den Bastians sind die beiden Vorbild, Freund und Fels in der Brandung. Jeder der Bastians weiß, dass Timon hinzuspringen und seinen Schild gegen den Feind erheben wird, droht der, die Oberhand zu gewinnen. Jeder weiß auch, dass Jakob nicht zögern wird, zu kämpfen, bis der Gegner weicht.  

Oft singen sie abends, müde von Märschen, Sturmbahn und Kantinenessen, das alte Lied, das vom Leben derer erzählt, die Wache stehen für die, die ihr Leben einfach weiterführen. "Schüsse fallen mitten in der Nacht, der Sergeant ruft: ,Steh auf und kämpfe', heißt es da, und "die Nacht bricht herein und du kannst einfach nichts sehen, ist das Illusion oder Realität?"

"Wir tun das Richtige, Timon", sagt Jakob manchmal, wenn Timon zweifelt. "Denk an die, die wir lieben, an die, die nach uns kommen", muntert Timon seinen Freund an anderen Tagen auf, wenn das Heimweh kommt wie ein hungriger Wolf und dem Freund am Herzen frisst. 

Robert im Ruhestand: Ein Mensch, kein Wort

Robert Habeck hat kernige Arbeiter am Küchentisch besucht
Im Wahlkampf traf sich Robert Habeck einfache Menschen aus der hart arbeitenden Mitte an Küchentischen. Jetzt zelebriert er "Ein Mensch. Kein Wort."

Er ist noch da, einer wie immer, ungebeugt und ungebrochen von der Wahlniederlage, die er hatte lange kommen sehen, die er am Ende aber doch nicht verhindern konnte. Russische Trollarmeen, viele seiner Unterstützer waren sich sicher, hatten mit einer gezielt provozierten Welle von Einzeltaten gegen die Zivilgesellschaft Unsicherheit und Unruhe geschürt. 

Große Medienhäuser hatten mitgemacht, um aus Ausländerfeindlichkeit und dem Traum von geschlossenen Grenzen in einer weltweit offenen Welt Klicks zu melken. Und schließlich hatte sich Friedrich Merz, Spitzenkandidat der Unionsparteien, nicht anders zu helfen gewusst, als aufzuspringen auf den Zug. 

Schlimme Wahlkampfverletzung

Sein Tabubruch im Bundestag, als der selbsternannte Geburtshelfer einer ins Konservative zurückfallenden CDU gestattete, dass in Teilen als gesichert Rechtsextreme  einem seiner Anträge zustimmte, ist fast vergessen, doch er wird bleiben. Eine tiefe, schwärende Wunde im Fleisch der Gesellschaft. 

Eine Verletzung, die aus Robert Habeck, dem Mit-Favoriten für das Kanzleramt, einen einfachen Bundestagsabgeordneten machte, auf dessen Ablehnung führender Parteiämter zwar Fans aus dem #TeamHabeck mit einer Petition reagierten. Aus der Parteiführung aber niemand mit der ersehnten Bitte, aber doch unbedingt wieder an eine der letzten beiden Spitzen zu rücken, die nach dem Absturz zu besetzen bleiben.

40 Tage Pause

Nur 40 Tage dauerte es von Aschaffenburg, der sogenannten Merz-Zäsur, die zu allem anderen führte, bis zum nächsten Knall. Längst hatte Merz seine Schließungsfantasien aus dem Wahlkampf beerdigt. Längst ist der "So-geht-es-nicht-weiter"-Politiker weitergeeilt zum nächsten Brennpunkt. Friedrich Merz muss jetzt die Einigkeit des Westens retten. Jeden Moment wartet er auf eine Vorladung nach Washington, wo er dem US-Präsidenten Bescheid stoßen will, dass es nicht in Ordnung war, Europas Verbündeten Volodymyr Selenskyj in einer gezielten Inszenierung vor einen "Bus" zu schubsen, wie es die grüne Parteichefin  Franziska Brantner kindgerecht umschrieben hatte.

Das Telefon klingelt nicht. Dafür holt Merz, der gerade anfängt, das Jonglieren mit Milliarden zu üben, sein Wahlkampfmanöver ein. Diesmal nicht Magdeburg, nicht Aschaffenburg, sondern wiedermal Mannheim. Diesmal nicht vor der Wahl, sondern knapp danach. Was womöglich das traurige Abschneiden von zwei der drei Fraktionen von "Einiges Russland" hätte verhindern können, kommt zu spät. Putins Schläfer haben verschlafen.

Die üblichen Worthülsen

Machen lässt anschließend immer nichts mehr. Es bleiben die üblichen Worthülsen über die tiefe Trauer und das virtuelle bei den Familien der Opfer sein, Mahnungen zum Vermeiden von Hast beim Stellen von Fragen, Dank an die Rettungskräfte und rituell geäußertes Vertrauen für die Polizei, die dann stets gefordert ist, die Hintergründe schnell aufzuklären. Aber bitte nicht schnell, dass die Leute noch wissen, was jetzt genau Solingen von Hanau und Magdeburg von Mannheim I unterschied. 

Der kommende Kanzler hat zumindest sein Social-Media-Team im Griff. Bei X kam alles, was muss, Erschütterung, Gedanken, Angehörige, Einsatzkräfte, verhindern. Merz war zudem 31 Minuten vor seinem Vorgänger dran, der wie immer von Trauer schrieb, von einer "sinnlosen Gewalttat", die aus seiner Sicht noch einmal deutlich schlimmer ist als eine sinnvolle. Das Ganze hübsch garniert mit dem Bangen um Verletztem, den Einsatzkräften, der Kraft und der nun anstehenden Verarbeitung des "Erlebten" (Scholz).

Echte Staatsmänner

Staatsmänner, beide. Noch mit dem Schippenstiel im Gesicht tun sie wacker ihr Werk, vielleicht gnatzig auf die Wirklichkeit, die es Kanzlern bis vor einigen Jahren ersparte, dauernd solche Beleidsbekunden abgeben zu müssen. Und sie nun, aus bis heute unerfindlichen Gründen, dazu verurteilt, aller paar Tage auf die Tränendrüsen zu drücken. Sie tun es. Ratlos, aber pflichtschuldig. In dürren, toten Worten, aber sich durchaus bewusst, dass deren Fehlen ihnen als Empathielosigkeit ausgelegt werden würde. Weder Scholz noch Merz wollen so gesehen werden. Beide leiden unter ihrer öffentlichen Figur, innerlich kalt und äußerlich bürokratisch zu sein.

Einem aber ist das egal, einer auch. Obwohl die grüne Vordenkerin Katrin Göring-Eckardt wie immer schnell mit ihrem Buchstabenbausatz "Ich bin in Gedanken bei den Opfern und ihren Nächsten. Großer Dank an die Einsatzkräfte, die sofort zur Stelle waren und noch immer helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Gut, dass der mutmaßliche Täter schnell dingfest gemacht werden konnte" zur Stelle war und Parteichefin Brandner umgehend ihre Gedanken als auch "bei den Hinterbliebenen" beschrieb, blieb es bei Robert Habeck ebenso still wie bei Annalena Baerbock und Co-Parteichef Felix Banaszak

Ein Mann, kein Wort

Habeck, seit dem Wahlabend immer wieder mufflig, schlecht gelaunt und angefasst unterwegs, hat sein Wahlversprechen genauso schnell vergessen wie Friedrich Merz: Auch "Ein Mensch, ein Wort" wurde im Handumdrehen "Ein Mensch, kein Wort". Was die aktuellen Ereignisse betrifft, steht Robert Habeck, so seine letzte Wortmeldung, "an der Seite der Ukraine. Wir lassen sie nicht fallen". Dort in der Nöhe steht auch seine Co-Wahlkämpferin Baerbock, die Stand letzter Logbuch-Eintrag am 24. Februar, "heute vor drei Jahren" in "einer anderen Welt aufgewacht" war und sich zum Jahrestag daran erinnerte: "Die Welt wartet nicht auf Deutschland". 

Für die Opfer von Mannheim diesmal kein Satz, kein launiges Filmchen mit Ausflügen in Religion und Philosophie, keine beschaulichen Bilder aus Auschwitz und kein Selfie beim Joggen. Nicht mal zur Pflichtübung für jeden aktiven Minister, ein paar Buchstaben zu Worthülsen wie "unbegreiflich", "fürchterliche Straftaten" und "in Zukunft verhindern" zusammenzuschieben, reicht die Lust am Regieren noch. 

Der Held von Heikendorf, Trümmermann der fossilen Welt und mitten im Aufschwung der deutschen Degrowth-Erfolge Autor des von Liebhabern als "Bachstelzen-Sinfonie" gerühmten Bändchens "Der Bach rauf", steckt in der N achwahldepression. Er lässt den schönen Schein fallen, entpuppt sich als Egomane, verliert die sorgsam antrainierten Reflexe. Das Gucken mit den Rehaugen ist weg, das Verwuschelte, die mäandernde Rede ins Nichts, bis jedermann und jedefrau ihm meint, überallhin folgen müssen zu wollen.

Die Stille ist atemberaubend

Heute schweigt er sogar, wo es anlassbezogen mit ein paar hingetupften Plattheiten Mitgefühl zu simulieren gilt. Wie Annalena Baerbock, Wahlkampfmotto "Zusammen". Nach dem Anschlag Ende Januar hatte die scheidende Außenministerin noch von der "Niederträchtigkeit" des "furchtbaren Messerangriffs in #Aschaffenburg" salbadert, "wo die Eltern eines kleinen Kindes die schlimmste Nachricht erhalten haben, die Eltern sich vorstellen können". Sie als Mutter. Und so weiter.  Mit Mitgefühl, klug ausgespielt, so hatte die Kampagne in Aussicht gestellt, lasse sich vielleicht viel gewinnen.

Baerbocks Mitgefühl galt damals den Angehörigen der Opfer, es bot aber auch Chancen für die eigene Karriere: "Die Welt wartet nicht auf Deutschland". Aber danach war es alle, denn der Wahlkampf ist vorbei, es lohnt sich einfach nicht mehr, empathisch zu tun. 

Montag, 3. März 2025

Mäuseaufstand am Katzentisch: Die Pfeifen im Wald

Jahrzehntelang bettelte Donald Tusk als hoher EU-Funktionär im Namen von 500 Millionen Europäern 300 Millionen Amerikaner an, sie vor 140 Millionen Russen zu beschützen. Damit ist jetzt Schluss.


Vor sieben, acht Jahren hat er gemault. Ihr müsste mehr Geld für Eure Verteidigung ausgeben, quengelte Donald Trump in den Jahren seiner ersten Präsidentschaft immer wieder. In Europa predigte er tauben Ohren. Angela Merkel ließ ihn abtropfen. Sie war die mächtigste Frau der Welt. Er würde bald wieder verschwunden sein. Und bis dahin könnte man ihn hinhalten, indem man das selbst gegebene Zwei-Prozent-Versprechen auf den halben Satz "in Richtung zwei Prozent" definierte.  

In  Walter Steinmeier, dem Bundespräsidenten, der den Staats- und Regierungschef von Deutschland wichtigstem Verbündeten öffentlich einen "Hassprediger" genannt hatte, kam alle Unterstützung. Von  Haus aus Kommunist, war Steinmeier immer schon ein Vertreter des Kreml_Flügels in der SPD gewesen. Mit seinem vormaligen Herren und Meister Gerhard Schröder akzeptierte er nicht nur amerikanisch Foltermethoden, sondern auch die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Öl und Gas. Steinmeier, ein Funktionärskind des Kalten Krieges, war sicher, dass gegenseitige Abhängigkeiten Frieden schaffen.

Belehrungen für den Steinzeit-Amerikaner

Trumps Forderungen prallten an ihnen allen ab. Der Steinzeit-Amerikaner wusste nichts von der Welt, schon gar nichts davon, wie EU-Europa funktioniert. Deutschland hat die Moral gepachtet, es ist, sobald es vor einem Spiegel steht, das Vorbild aller Völker und Staaten. Der übrigen Länder können damit gut leben, solange der eitle Geck aus Berlin am Ende immer die Rechnung übernimmt. 

Um nichts weiter war sich zu kümmern. Operettengeneralinnen in Stöckelschuhen führten eine Operetten-Bundeswehr, bei der jeden Tag Karneval gefeiert wurde. Wenn nicht gerade eine Parade auf einem Einhorn geritten werden musste. Für die Verteidigung waren die Amerikaner zuständig. Schließlich hatten sie die Wehrmacht mit ihren drei Millionen Soldaten kaputtgemacht und sich stets geweigert, der seit dem 2+4-Vertrag absolut, vollständig und endgültig souveränen Regierung der Bundesrepublik offizielle Angaben zu Anzahl und Stationierung von Kernwaffen auf deutschem Boden zu machen. 

Merkel sagt ab

Nun sollten sie mal schön zahlen für ihre Überseegebiete. Von uns kommt kein Cent mehr, wir haben andere Probleme, ließ Angela Merkel auch noch nach der Übernahme der Krim durch Russland bestellen. Das 1,5-Grad-Ziel zur Klimaerwärmung bis 2050 erschien der Dauerkanzlerin, die alles vom Ende her zu denken pflegte, deutlich dringlicher als das Nato-Ziel von zwei Prozent.

Ihr Nachfolger Olaf Scholz setzte diese erfolgreiche Politik fort. Mit einem als "Sondervermögen" bezeichneten neuen Schuldentopf signalisierte er Washington nach Putins Angriff auf die Ukraine, dass er bereit sei, Zeichen zu setzen. Die Festlegung der Höhe der geplanten Ausgaben auf eine schöne, runde Summe statt einer Festlegung nach der Notwendigkeit der dringendsten Investitionen bewies aber: Es ging um Zeichen, nicht um Wirkung.

Die EU hielt an ihren Friedenskurs fest. Gemeinsam mit Joe Biden fütterte sie die Ukraine immer gerade mit so viel Material, dass das angegriffene Land nicht verlor. Doch mehr auszugeben, weigerte sich nicht zuletzt Olaf Scholz, dem es gelang, dem alten Mann im Weißen Haus Brunnenbau in Afrika als Verteidigungsausgabe unterzujubeln. Ein Trick, auf den Donald Trump nicht hereinfällt. Erst recht nicht, nachdem die Europäer seinem Vizepräsidenten klargemacht haben, dass es im "Streit der Ideologien und die gemeinsame. Sicherheit" keine Kompromisse geben wird. Zu viel Freiheit ist nicht gut für die Europäer. Zu viel Freiheit wollen die gar nicht haben.

Zahlungsverweigerer in Übersee

Aus den USA kam daraufhin ein "Wir zahlen auch nicht mehr." Die EU antwortete konsterniert, aber prinzipienfest. Trump verrate die gemeinsamen Werte. Er verrate die Ukraine. Trump sei der beste Freund Putins. Trump täusche sich, wieder einmal. Trump müsse eines Besseren belehrt werden. Macron machte ihm die Aufwartung. Starmer aus Brexitannien, das rehabilitiert und zurückgekehrt ist in die Familie der vernünftigen Völker. Deutschland hat gerade niemanden, ist aber in Gedanken dabei und es hält zur Stange sowieso.

Jetzt ist die Zeit, jetzt schlägt die Stunde. Eben noch empört über seinen Platz am Katzentisch, probt das alte Europa nach dem Rauswurf Volodymyr Selenskyjs aus dem Weißen Haus den Aufstand. "Wir stocken unsere Verteidigung auf!", ruft es aus Berlin. In Brüssel ist Ursula von der Leyen dabei, das Friedenskostüm gegen eine Uniformjacke auszutauschen. 

Den Green Deal hat ihre Kommission bereits still und leise beerdigt, ebenso AI Act und Chips Act und Wiederaufbauplan und Next Generation EU. Stattdessen sollen die an allen Enden fehlenden Milliarden jetzt in massiv höhere Rüstungsausgaben fließen. Nichts weniger als eine "Wiederbewaffnung Europas" plant die frühere deutsche Verteidigungsministerin, deren größtes Verdienst im Amt es war, der Truppe Hakenkreuzschmierereien, Wehrmachtsbilder und völkerrechtswidrige Standortnamen auszutreiben.

Die EZ wird Weltmacht

Die EU will Weltmacht werden, säbelrasselnd und mit Panzerketten. Fehlt es derzeit auch noch an eigenen  Drohnenarmeen, an Satellitenaufklärung, Panzerheeren, schlagkräftigen Divisionen, schnellen Fliegern und einer Kerosinversorgung  der künftigen Feldflugplätze, so verlangt es das neue Selbstbild der europäischen Staatenlenker, den Verrat Amerikas an seinem ukrainischen Mündel mit eigenen Initiativen wettzumachen. Denn, das hat der polnische Premierminister Donald Tusk ein für allemal klar gemacht: "Der Westen wird Putins Erpressung nicht nachgeben". Und wenn Donald Trump etwas anderes verhandeln will, dann gehört er im Unterschied zum osteuropäischen  EU- und Nato-Staat eben nicht mehr zum Westen.

Wer braucht schon Amerikaner? Tusk hat vorgerechnet, in welch bizarrer Situation sich Europa durch das jahrzehntelange US-Verwöhnprogramm befindet. "500 Millionen Europäer bitten 300 Millionen Amerikaner, sie vor 140 Millionen Russen zu beschützen", hat der Pole vorgerechnet, der als  Vorsitzender der Europäischen Volkspartei und Präsident des Europäischen Rates genau diese Bitten Richtung USA immer wieder formulierte.

Mäuseaufstand am Katzentisch

Vorbei. Am Katzentisch ist Mäuseaufstand. Die Schutzbefohlenen der amerikanischen Streitkräfte und ihrer Oberbefehlshaber "schmieden" (DPA) auf einmal binnen Stunden eigene "Friedenspläne", eigene "Koalitionen der Willigen" und neue "Sondervermögen", gegen die die 100 Wehrkraftstärkungsmilliarden des Olaf Scholz wirken wie ein Matchbox-Auto neben einer Braunkohlenförderbrücke. Koste es, was es wolle! 

Niemand weiß, wer denn eigentlich mit wem über den geplanten Waffenstillstand verhandeln soll, den der ukrainische Präsident ja gerade vor aller Augen davon abhängig gemacht hat, dass Wladimir Putin zuvor kapitulieren müsse. Wird der Kremlherrscher Macron, Starmer und Merz überhaupt empfangen? Oder spricht er lieber weiter mit Donald Trump? Soll man Orban schicken, oder wird der sich einen Spaß draus machen, eine solche Bitte abzulehnen, um die vorzuführen? Wie sieht es mit Merkel aus, mit Schröder, Schwesig oder Steinmeier oder irgendeinem anderen aus der Gaskolonne? 

Kein Anschluss, keine Nummer

"Hat denn jemand Putins Nummer", fragen sie sich gegenseitig im politischen Berlin. Man könne doch Trump fragen, der habe bekanntlich gerade mit Putin telefoniert, hat ein Mitarbeitender der scheidenden Außenministerin Annalena Baerbock vorgeschlagen. Es werde sich doch nach Beförderungen im Rahmen der Aktion "Abendsonne" sicher jemand finden, der Manns oder Frau genug sei, frühere deutsche Bewerbchen mit dem "Hassprediger" am Telefon weglächeln zu können. Der Plan platzte, weil das Ministerium feststellen musste, dass auch Trumps Durchwahl nicht bekannt ist.

Der europäische Löwe hat gebrüllt. Und es klang wie das Pfeifen im Wald. Der russische Bär und der amerikanische Adler werden den Teufel tun und nach Europas Pfeife tanzen. Selbst Volodymyr Selenskyj weiß das inzwischen wieder. Sah es in deutschen Medien kurzzeitig auch so aus, als würden künftig ukrainische Truppen und Bundeswehrpartisanen gemeinsam kämpfen, bis Putin zu Kreuze kriecht, hat sich der Ukrainer nun mit Blick auf seine "Karten" (Donald Trump) doch besonnen. 

Kippt er ganz, steht Europa mit seinen tröstenden Umarmungen, seinen vollmundigen Ankündigungen und seinem eilig zusammengeschusterten Friedensplan blamiert da.

Verschwörungserzählungen: Amtliche Abwehr

Bei der Behauptung, die Bürger müssten für den neuen Beratungskompass für Verschwörer zahlen, handelt es sich um eine Verschwörungstheorie. Der Staat trägt alle Kosten.

Sie zweifeln die Legitimität der Bundestagswahlen an, sehen geheime Netzwerke aus selbstsüchtigen Gründen Fallen stellen und vermuten hinter jedem bisschen Übermaß an Wahrheit, das das Alltagsleben der Bevölkerung erreicht, einen perfiden Plan, um unsere Demokratie zu unterminieren.  

Die Anhänger eines Menschenbildes, nach dem die vermeintlich einfachen Leute aus der hart arbeitenden Mitte intellektuell kaum zu mehr in der Lage sind als sich die Schuhe zu schnüren, dominieren das politische Berlin, sie regieren in den Ländern, besetzen Behörden und engagieren sich in NGOs selbstlos dafür, dem Mangel an Mündigkeit abzuhelfen. Kein Feld bleibt auf Dauer unbeackert. Keine offene Entscheidungsflanke unbeschützt.

Deutschland immer sicherer

Vom Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin über die Recherchepioniere von "Correctiv" und vom Petitionsportal Campact bis zur Antonio-Amadeu-Stiftung, die sich beinahe  nach dem 1990 in Eberswalde von Skinheads erschlagenen Amadeu Antonio Kiowa benannt hat, arbeitet ein ganzes Geflecht an bürgerschaftlich engagierten und staatliche finanzierten offenen Einrichtungen daran, das Leben in Deutschland immer sicherer zu machen. Die entsprechende Infrastruktur wird seit Jahren gezielt ausgebaut.

Seit Anetta Kahane als erste "Oma gegen rechts" auf die Bildfläche trat, gewandelt von der Stasi-Agentin "Viktoria" zu einer erbitterten Verfechterin bestimmter Bürgerrechte, ist aus der Manufakturwirtschaft des Meinungsaufsichtshandwerks eine Industrie geworden, die beständig gefährliche neue Quellen für gesellschaftsfeindliche Bestrebungen entdeckt, die umgehend mit Steuergeld gestopft werden müssen. 

Mehr als eine Milliarde Euro lässt sich allein der Bund inzwischen den Unterhalt hunderter Start-ups kosten, die Hetzportale betreiben, Meinungsäußerungen auf Zulässigkeit überwachen oder hochrangige Politiker gegen Kritik vor Gericht verteidigen.

Kein rechtes Mittel

Noch kein rechtes Mittel hat die Meinungsindustrie allerdings bisher gegen sogenannte Verschwörungserzählungen gefunden, früher als "Verschwörungstheorien" bekannt. Gerade die zum Schutz der Bevölkerung auf Vorschlag der Bundesworthülsenfabrik durchgeführte Umbenennung hat den irrationalen Glauben an Fake News, Desinformation und bizarre Grafiken weiter verstärkt. Es scheint, als habe der behördlich verordnete Wechsel zur Bezeichnung "Erzählung" die Glaubwürdigkeit von märchenhaften Geschichten über Verrat und geschürten Zweifeln an demokratischen Entscheidungen gewählter Parlamente nicht geschmälert, sondern verstärkt. Gesellschaftlich akzeptiert ist der Glaube daran, dass Russland hinter kaputten Seekabeln am Ostseegrund stecke und Putin schon in Kürze ganz Resteuropa

angreifen werde

Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung

Zeit, dagegen vorzugehen, Betroffene zurückzuholen in den Schoß unserer Demokratie und damit auch nach außen zu zeigen, dass niemand verloren gegeben wird, so lange er bereit ist, zurückzukehren in die Gemeinschaft. Gemeinsam haben Amadeu-Antonio-Stiftung, das Violence Prevention Network und das Modus – Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung gGmbH als "Trägergemeinschaft" den "Beratungskompass Verschwörungsdenken" aus der Taufe gehoben - nicht nur eine, sondern der Selbstbeschreibung der Initiatoren nach "die neue Orientierungsseite rund um das Beratungsfeld Verschwörungsideologien!"

Beim "Beratungskompass", einer Wortschöpfung aus der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin, handelt es sich um den zentralen Baustein einer "Misstrauenskampagne gegen die Zivilgesellschaft", wie es die Amadeu-Stiftung selbst nennt. Verschwörungserzählungen speisten sich "aus der Annahme, dass als mächtig wahrgenommene Einzelpersonen oder Gruppen wichtige Ereignisse in der Welt beeinflussen und dabei die Bevölkerung über ihre Ziele im Dunkeln lassen", heißt es zur Erläuterung, warum sich die Vorstellung, dunkle Mächte verfolgten üble Pläne, um die Welt zu vernichten, sich auch nach Jahrzehnten umfassender Aufklärungsbemühungen durch das demokratische Bildungswesen und die Vielzahl der zusätzlich installierten aufklärenden Bundes- und Landesbehörden  so großer Beliebtheit erfreuen.

Besondere Wirkungsmacht

Die "besondere Wirkungsmacht", die die Experten der Trägergemeinschaft  Verschwörungserzählungen zubilligen, speist sich natürlich einerseits aus der Unsicherheit, die "in gesellschaftlichen Krisenzeiten" viele Menschen davon abhält, und sich einfach freiwillig in Glaubensgemeinschaft einzufügen, die die Erde für rund und Angaben von Bundesministerien grundsätzlich für zutreffend halten.

Rechts- wie zunehmend aber auch viele Mitte-Extremisten verweigern diesen kleinen Dienst am Gemeinwesen. Das könne, warnen die Macher des neuen Verschwörungsportals deshalb, "zu gefährlicher Radikalisierung und Gewalt führen" und "auch jenseits extremistischer Strukturen und Netzwerk antidemokratische Haltungen hervorbringen und verfestigen". Trotz aller bisherigen Bemühungen, Menschen aufzuklären über sogenannte "falsche Narrative", die der von Plattform- und Seitenbetreibern finanzierte Bewertungsdienst Newsguard auf 358 der derzeit etwa 1,9 Milliarden Internetseiten 1,9 Milliarden Internetseiten entdecken konnte. 

Verschwörungsradar schlägt an

Verschwörungserzählungen wie die, dass Europa mächtig, reich und bedeutsam sei oder gar in der Lage sich "selbst zu verteidigen", beruhen stets auf  Lügen und Desinformation, die nach Angaben des Verschwörungsradars "gezielt verbreitet" werden, "um unsere Gesellschaft zu spalten und das Vertrauen in die unabhängige Wissenschaft, in freie Medien oder demokratische Institutionen zu zerstören".

Um solche Angriffe auf eine freie Gesellschaft zu verhindern, bietet der Beratungskompass  nicht nur die Möglichkeit, sich unverbindlich telefonisch oder über einen anonymen Chat mit erfahrenen Verschwörungstheoretikern über aktuelle Entwicklungen und Angebote auf dem bunten Markt der modernen Medienmärchen informieren zu lassen, sondern auch Meldewege, um anzuzeigen, wenn Menschen in Ihrem Umfeld Probleme mit Verschwörungsdenken haben, auf Ihrer Arbeitsstelle Unterstützung gegen dominant auftretende Verschwörungserzähler brauchen oder sich Hilfe erhoffen, um sich über eine professionelle Entziehungskur selbst von Verschwörungsdenken zu lösen.  

Kein leichter Weg zurück

Auch mit Unterstützung der Kompass-Profis ist es kein leichter Weg zurück in ein normales Leben, die neue "Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt", verfügt aber über eine sogenannte "Verweisberatung" bei der ”unsere Berater*innen auf Basis Ihrer Schilderung ggf. eine geeignete Beratungsstelle für einen ausführlicheren Beratungsprozess" auswählen, die dann die weitere Behandlung von Verschwörungsopfern, deren Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen übernimmt. Bestandteil der Angebotspalette ist ein Notruf, über den Verschwörungserzähler auch direkt und anonym denunziert werden können.

Bemerkenswert direkt zum Start: Behauptungen von Verschwörungsgläubigen, das Orientierungsangebot für ein demokratisches Leben werde wie ähnliche Offerten für Drogen-, Spiel- und Alkoholkranke von den gesetzlichen Kassen finanziert, wie das federführend mitverantwortliche Bundesministerium für Inneres und Heimat entschieden zurück. 

Die funkelnagelneue Beratungsstelle sei vielmehr "Teil eines gemeinsam vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) finanzierten und beauftragten Projekts im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!", für das nicht die Bürger zahlten, sondern allein der Staat.

Sonntag, 2. März 2025

USA und Europa: Das alte Lied

 

Auch nach 46 Jahren hat das Lied "51. State of America" nichts von seiner Aktualität eingebüßt. USA und EU, sie pflegen kein Verhältnis wie Koch und Kellner, sondern wie Restaurantbesitzer und Küchenjunge. 

So lange es gut ging, gefiel das Unterstellungsverhältnis allen sehr gut. Neuerdings aber sind Entsetzen, Empörung und Aufrufe zur Rückbesinnung auf die Zeiten des europäischen Isolationismus Mode. 

 

Schauen Sie aus Ihren Fenstern, beobachten Sie den Himmel

Lesen Sie alle Anweisungen mit strahlend blauen Augen.

Wir sind W.A.S.P.s, ja, stolze amerikanische Söhne

Wir wissen, wie man seine Zähne putzt und wie man eine Waffe zerlegt.

Denn wir sind der 51. Staat von Amerika, wir sind der 51. Staat von Amerika.

 

Unser sternenbesetzter Union Jack flattert so stolz

über den tanzenden Köpfen der fröhlichen patriotischen Menge.

Ja, ziehen Sie Ihren Hut vor den Yankee-Eroberern

Wir haben keine Roten unter dem Bett mit Waffen unter unseren Kissen.

Wir sind der 51. Staat von Amerika, wir sind der 51. Staat von Amerika

dies ist der 51. Staat von Amerika.

 

Hier im Land der unbegrenzten Möglichkeiten

sehe ich uns in unserer Freiheit schwelgen.

Natürlich, jeder kann sagen, was er will,

doch es ändert einfach nichts,

denn die Korridore der Macht sind einen Ozean entfernt.

 

Wir sind der 51. Staat von Amerika, wir sind der 51. Staat von Amerika.

Ich mag die Staaten von Amerika. 

Dies ist der 51. Staat von Amerika. 


Ashley Cartwright, The Shakes, 1979

Kleine heiße Friedenstaube: Alliierte allein zu Haus

Kümram Selejenskyj und Trump auf Sofa in Öl
Ein Bild für die Ewigkeit: Volodymyr Selenskyj fordert Sicherheit, Donald Trump Gefolgschaft. Abb: Kümram, Erdöl auf Seide

Hätte er das sollen dürfen? Hatte ihm nicht selbst Emmanuel Macron, der erst halb abgewählte französische Präsident, nicht gut zugeredet? Und Keir Stamer, Regierungschef im abtrünnigen Brexitannien, war der nach auch nach Washington geeilt, um einen zu eiligen Friedensschluss mit Gebietsverlust zu verhindern?

Kaja Kallas, die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, die sich "Außenbeauftragte" nennen darf, folgte auf den Briten. Wurde aber schon nicht mehr vorgelassen mit ihrer beabsichtigen Bitte, Europa doch wenigstens ein bisschen mitreden zu lassen, ehe der große Krieg im Osten per ordre du mufti beendet wird.

Die dünnen Reihen der eigenen Truppen

Aus Deutschland, das derzeit niemanden hat, mit dem zu sprechen sich für die US-Administration lohnen würde, kam keiner. Doch die Medien hierzulande hatten guten Rat parat. An Trumps Haltung zur festen Fortführung der Gefechte sei zu zweifeln. 

Höchste Zeit, wieder selbst die Marschstiefel zu schnüren und die dünnen Reihen der eigenen Truppen zu schließen. Noch mehr und noch schneller verballerte Illusionsmilliarden, so die Hoffnung, würden den gebietsgierigen Russen schon abschrecken. Geht alles glücklich aus, könnten die bescheidenen französischen Kernwaffenvorräte reichen, dem Moskauer Bären den Appetit auf Europa zu verderben.

Viel mehr ist nicht da. Mit brachialer Gewalt und in höchster Eile ordnen die neuen Sheriffs aus Amerika die Verhältnisse in der Stadt. Kein zartes Streicheln mehr, kein Pusten auf schmerzende Stellen und gemeinsames Posieren. Wie US-Vizepräsident J.D. Vance schon in seiner Rede vor den konsternierten Teilnehmen der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich gemacht hatte: Wer möchte, kann weiter mit den Vereinigten Staaten. Allerdings zu deren Bedingungen und als Kellner nach den Vorstellungen des Kochs im Weißen Haus. Wer hingegen meint, es besser zu wissen und zu können, ist frei, auszuprobieren, wie weit er kommt.

Shishi statt Chichi

Shishi statt Chichi, Konfuzius statt Wertekoalition ohne gemeinsame Werte. Kaja Kallas bekam es als erste zu spüren, der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj dann vor den Augen der ganzen Welt vorgeführt. Eingeladen, um einen in den letzten Tagen final verhandelten Rohstoffdeal zwischen seinem Land und den USA abzuschließen, tauchte der Gast mit dem Plan im Weißen Haus auf, in letzter Sekunde Sicherheitsgarantien in das Papier zu verhandeln. Trump hatte das Verlangen im Vorfeld abgetan, weil er es für ausreichend hält, dass an der Erschließung von neuen Minen in der Ukraine Amerikaner und amerikanische Firmen beteiligt sein werden. 

Dass Putin deren Anwesenheit ignorieren und die USA damit direkt an greifen werde, ist für den US-Präsidenten so unwahrscheinlich wie für die EU die Vorstellung, Russland könne den Abschreckungswert des aus einer kleinen Nato-Truppe im Baltikum Fleischschutzschirmes geringschätzen und seiner Armee befehlen, die 5.000 deutschen Soldaten und Offiziere einfach hinwegzufegen. 

Verdorbene Unterzeichnungsshow

Selenskyj versuchte es trotzdem. Verdarb dem Präsidenten damit die geplante große Unterzeichnungsshow, die den Amerikaner zeigen sollte, dass die bisherigen Unterstützungsmilliarden für die Ukraine doch kein aus dem Fenster geworfenes Geld sind. Und fing sich eine Abfuhr ein, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Fast 40 Minuten lief die Pressekonferenz im Oval Office fast ebenso belanglos ab wie zuvor die mit dem Franzosen Emmanuel Macron und dem Briten Keir Stahmer. Jede Seite erwähnte ihre Punkte. Jede Seite widersprach der anderen rücksichtsvoll, ohne deutlich zu werden.

Dann aber kam Selenskyj auf die Sicherheitsgarantien zu sprechen, darauf, dass die Ukraine  "keine Kompromisse" bei der Frage nach der Abtretung von Gebieten machen könne und er verlangte ausdrücklich, dass die Vereinigten Staaten Putin noch einmal als Aggressor und sein Land als das Opfer eines völkerrechtswidrigen Überfalls bezeichnet werde. Forderungen, die im Einklang stehen mit den Erwartungen der EU und der meisten EU-Staaten. 

Lieber langer Krieg als kein Sieg

Schon seit Trump im direkten Gespräch mit Putin versucht, zu einem Friedensschluss zu kommen, dringt Europa darauf, dass alles, was als "russischer Siegfrieden" angesehen werden könne, ausgeschlossen werden müsse. So schlecht die Sache der Ukraine auch stehe, es sei allemal besser, weiter und weiter zu kämpfen, als einzugestehen, dass weder die "härtesten Sanktionen" Ursula von der Leyen) noch milliardenschwere Unterstützung aus dem Westen ausreichen werden, Russland zu besiegen. 

Lieber ein langer Krieg als gar kein Sieg, so sehen es die Salonsoldaten auf dem alten Kontinent. Lieber ein - für die Ukraine - schmerzhafter Frieden als ein endloser Stellungskrieg wie 1914 bis 1918 an der Westfront des Ersten Weltkrieges, als Hunderttausende bei wechselseitigen Versuchen starben, winzigste Geländegewinne zu erzielen oder aber zu verhindern.

Entscheidender Schritt

Für Trump kein Unternehmen, an dem sich für irgendjemanden etwas verdienen lässt. Gebunden an sein Wahlversprechen, den Krieg "in 24 Stunden" zu beenden, glaubte der neue alte Präsident, mit dem Rohstoffvertrag mit der Ukraine einen entscheidenden Schritt zu einem Waffenstillstand gemacht zu haben, auf den als nächstes ein Friedensschluss mit Putin  hätte folgen sollen. Wie viel Land, Ressourcen und Stolz die Ukraine dafür würde abgeben müssen, schert den Präsidenten wenig. Es ist nicht sein Land. Es ist nicht sein Problem. Sondern es löst eines. 

Dass Volodymyr Selenskyj nun in der Stunde des geplanten Triumphs begann, seine alten, längst abgelehnten Forderungen zu wiederholen, war nicht nur nicht sehr klug, sondern geradezu selbstmörderisch. Unumwunden machte Trump ihm das bilaterale Verhältnis klar. Er und mit ihm Amerika sehe sich nicht als Schutzmacht der Ukraine, sondern als die einzig denkbare Kraft zwischen den beiden Staaten, die Krieg führen - bis heute übrigens ohne dass Russland der Ukraine oder die Ukraine Russland förmlich den Krieg erklärt hat.

Makler, nicht Partei

Aus Trumps Sicht erlaubt es nur eine solche Makler-Position, einen Friedensschluss zu vermitteln. Deshalb auch die stete Weigerung der neuen US-Administration, die Russland rituell weiterhin als Aggressor zu bezeichnen. Deshalb auch Vance' Ansage an Europa, der alte Kontinent könne folgen. Es aber auch bleiben lassen und selbst zusehen, wo er bleibt.

Volodymyr Selenskyj, ein Mann, der seit drei Jahren von allen seinen Verbündeten gefeiert, ob seiner Standhaftigkeit gerühmt und im Glauben bestärkt wird, die Ukraine müsse nur lange genug durchhalten, um eines schönen Tages doch zu gewinnen, kollidierte mit seinen Forderungen nach bedingungsloser Unterstützung bis zum Sieg aus vollem Lauf gegen eine Mauer. Der ukrainische Präsident war so wenig  nach Washington gebeten worden, um mit ihm Details zu verhandeln wie die polnische Exilregierung 1945 zur Konferenz von Jalta eingeladen worden war. 

Er sollte unterschreiben, lächeln und das Beste hoffen. Stattdessen belehrte Selenskyj seine Gastgeber darüber, dass sie Russland nicht trauen dürften, mit Putin kein Frieden geschlossen werden könne und überhaupt: Für die Ukraine nur der Kampf bis zum Sieg infrage komme.

Ruhe für Europa

Wer auch immer dem Ukrainer geraten hatte, seinen größten Unterstützer mit Sturheit zu überzeugen, hat Trump einen Gefallen getan. Und Europa in die nächste Zeitenwende gestürzt. Während Trump und Vance die Gelegenheit nutzten, die Machtverhältnisse ein für allemal zu klären, machte sich jenseits des Atlantik lähmendes Entsetzen breit. Trumps Ansagen "Sie müssen viel dankbarer sein", "ihr habt keine guten Karten, nur mit uns habt ihr gute Karten" und "ohne unsere Waffen wäre der Krieg in zwei Wochen vorbei gewesen" mögen durchweg richtig sein. Gelten aber in Europa als Verrat an der Ukraine, Verrat an den gemeinsamen Werten und damit als Anlass, die Fußlahmen, Wehrunwilligen und Ersatzdienstverweigerer zu den Waffen zu rufen.

Die USA seien kein Partner mehr und "nicht mehr der Verbündete Europas", erklärte Anton Hofreiter, der zum Kampf entschlossene scheidende Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag. Polens Premier Donald Tusk, daheim unter Druck, hat dem Nachbarn preiswert versichert: "Ihr seid nicht allein". Verschwörungstheoretiker witterten ein "Drehbuch, die Ukraine in der amerikanischen Öffentlichkeit zu degradieren, um Putins Image aufzubauen".

Europa müsse nun selbst. Der Bundestag die Schuldenbremse sofort aufheben. Frankreich sein Atomschutzschirmchen auch über Deutschland spannen. Und Scholz Merz sofort ins Reisegepäck zu den Krisengipfeln packen.  Eine "neue Dringlichkeit" (SZ) führt den "Europäern ihre eigene Verzwergung vor" (Die Zeit). Und alles, was Deutschland aufzubieten hat, sind ungediente "Sicherheitsexperten", die es nach "neuen Schulden für Rüstung sowie Milliarden für Munition und panzertaugliche Brücken" gelüstet - in der Hoffnung, der Russe wartet mit seinem Angriff, bis alle der Kriegstauglichkeit entgegenstehenden Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB in zehn oder 15 Jahren letztinstanzlich beigelegt werden konnten. 

Hoffen, Bangen, enttäuscht sein

Europa hat vor Trumps Wiederwahl gehofft, das er es nicht schafft. Es hat danach gehofft, dass er - von sich selbst kennen sie es nicht anders - natürlich nicht tun wird, was er versprochen hat. Als er trotzdem damit begann, seine Wahlversprechen umzusetzen, waren sie empört, entsetzt und zugleich doch sicher, dass nicht sein könne, was nicht sein darf. 

Mit J.D. Vance Auftritt in München erreichte die Erkenntnis die höchsten Kreise, dass es schwer werden würde, die nächsten vier Jahre in Katatonie zu überwintern. Mit dem "Eklat" (Tagesschau) im Weißen Haus übernimmt die Verzweiflung das Ruder: Alle würden jetzt gern. Aber niemand weiß was. Alle sind fest entschlossen. Wissen aber nicht wozu. Alle klagen, etwa über die "Zeit der Ruchlosigkeit", die "provokative Rolle" von US-Vizepräsident J.D. Vance und die "gravierenden Folgen des abrupten Ende der Dienstreise die ukrainischen Präsidenten.

Aber was tun? Olaf Scholz hat Friedrich Merz angerufen, nicht Donald Trump. Danach das mächtigste zeichen: Weder der amtierende noch der womöglich nächste Kanzler äußerten sich öffentlich.