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Als "Meinung" getarnte gefälschte Tatsachenbehauptungen könnten künftig wie Betrug strafbar werden. |
Zu viel Gegenwind für Höhenflüge. Zu viel Skepsis, Kritik und Gemaule. Bis in die staatsnahen Medien hat sich der Trend ausgebreitet, mit Gelöcke wider den Stachel populistisch auf den Applaus der Masse zu schielen, statt verantwortlich zu handeln und die Politik und deren notwendige Maßnahmen einfach noch besser zu erklären. Es war der von außen hineingetragene Streit um den richtigen Kurs auf einen strengeren, in Sachen Steuererhebung weniger freigiebigen und bei der Durchführung seines Grenzregime großzügigeren Staates, der die Ampelkoalition zu Fall brachte. Die Neuen in Berlin, beileibe nicht neu im Geschäft, haben daraus ihre Konsequenzen gezogen.
Die neue Morgenrockerlaubnis
Zentral im Koalitionsvertrag und während der Verhandlungen um das Fell des Bären auch kaum umstritten war eine umfassende Neuordnung der Meinungslandschaft. Angefangen von einer Bademantelpflicht, die in Zeile 1459 des Vertrages als "Morgenrockerlaubnis" auftaucht, beschäftigen sich mehrere Kapitel des Papiers mit der Einhegung von Grundrechten zum Ausbau des Schutzes der
Meinungsfreiheit.
Deren konstitutive Rolle und Bedeutung für die demokratischen Grundwerte betonen die drei künftigen Regierungsparteien ausdrücklich. "Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind in unserer Verfassung als elementare Menschenrechte anerkannt", heißt es da unumwunden. Für die künftige Regierungskoalition sei "die Vielfalt der Meinungen und Ideen, ebenso wie ein kontinuierlicher intellektueller Dialog, sowohl in unseren Reihen als auch mit Anhängern abweichender Vorstellungen, unbedingt erforderlich".
Nur so lasse "sich nämlich das ganze Potenzial unseres Volkes freilegen und fruchtbar nutzen. Ohne die kollektive Intelligenz und das kollektive Handeln von Millionen unserer Bürger, ohne ihren Ideenreichtum ist kein sozialer Fortschritt möglich."
Angriff aus Amerika
Das ändere jedoch nichts am Erfordernis, die von so vielen Seiten angegriffene Freiheit der Rede künftig noch besser zu hüten. Auslöser der neuen Bemühungen um eine geordnete Gesinnungsgemeinschaft sind die Ausfälle des amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance bei der Sicherheitskonferenz.
Der US-Politiker hatte sich in München angemaßt, den europäischen Verbündeten Vorwürfe dahingehend zu machen, dass der in Europa gepflegte kanalisierende Umgang mit free speech nicht dem entspreche, was amerikanische Soldaten vor 80 Jahren im Gepäck hatten, als sie nach Europa kamen.
Mitten in der einstigen Hauptstadt der Bewegung stellte ein US-Amerikaner die Lernfähig der Deutschen infrage - ein Affront, der die Planungen der rot-schwarzen Koalition für die kommende Jahrzehnte nicht weniger prägt als der Rauswurf Volodymyr Selenskyjs aus dem Weißen Haus. Der hatte Friedrich Merz veranlasst, von seinem Null-Schulden-Versprechen abzurücken und stattdessen Kurs auf die höchste Neuverschuldung aller Zeiten zu nehmen.
Anmaßende Erinnerung
Vance anmaßende Erinnerung, man müsse "mehr tun als über demokratische Werte zu reden", man müsse sie nämlich "leben", gilt einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge "radikalisierte Freiheit" . Aufsichtslos gelassen, tendiere der europäische und insbesondere der deutsche Mensch dazu, Auffassungen zu vertreten, die nicht hilfreich seien, um ein Land oder einen halben Kontinent durch die Fährnisse einer gefährlichen Zeit zu lenken.
CDU, CSU und SPD haben Vorsorge getroffen. Mit der Formulierung im Koalitionsvertrag, dass "die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt" sei, legen sich die drei Parteien noch nicht auf konkrete Maßnahmen gegen einen Wildwuchs in der Meinungslandschaft fest. Sie lassen sich aber alle Optionen offen, um streng gegen Meinungskriminelle vorzugehen.
Vorbild Heimtückegesetz
Denkbar wäre auf der Grundlage der gemeinsamen Vereinbarung etwa eine Rückkehr zum Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei. Das hatte noch bis in den September 1945 klare Grenzen für Verbreitung falscher Tatsachen gezogen: "Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reichs oder eines Landes oder das Ansehen der Reichsregierung oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbänden schwer zu schädigen", hieß es da, "wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn er die Behauptung öffentlich aufstellt oder verbreitet, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft."
Boykotthetze und Staatsverleumdung
Eine nützliche Regelung, die seinerzeit durch vorschnell den alliierten Kontrollrat aufgehoben worden war. In Art. 6 Abs. 2 der Verfassung der wenig später gegründeten DDR wurde stattdessen der Begriff der "Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militärischer Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten", als Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches aufgenommen.
Das erlaubte es dem fürsorgenden Staat, die Ausübung demokratischer Rechte jederzeit als "staatsfeindliche Hetze", "Staatsverleumdung" oder als Betätigung zu "Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit" zu betrafen.
schon Heiko Maas, der in seiner Zeit als Bundesjustizminister viele Pflöcke zum Abbau von Strafverfolgungshindernissen bei Meinungsverbrechen einschlug, hatte mit dem Meinungsfreiheitsdurchsetzungsgesetz (MFDG) versucht, Hetzer, Hasser und Zweifler mit schärferen Gesetzen zu bekämpfen und den Hass endgültig aus dem Netz zu verbannen. Täter*innen aber umgingen die Vorschriften zur Verfolgung von Verbalverbrechen, indem sie zu neuen Mitteln wie Witz, Hohn und Humor griffen.
Deckmantel der Satire
Die kommenden Koalitionäre haben noch keine Details dazu bekanntgegeben, wie sie gegen die Verbreitung von Staatskritik unter dem vor allem bei Rechtsextremen beliebten Deckmantel der Satire vorgehen wollen.
Sicher aber ist, dass die Untersagung von "unwahren Tatsachenbehauptungen" ein zentraler Hebel sein soll: Wer etwa künftig behauptet, dies und das dürfe man nicht mehr sagen, wer Witze über Minderheiten macht, die gesellschaftliche Spaltung vertieft oder Ausländerhass schürt, kann sich nicht mher hinter seinen vermeintlichen verfassungsmäßigen Rechten verstecken.
In Fällen wie der gerade erst von der "Berliner Zeitung" verbreiteten Nachricht, der US-Konzern Apple haben wegen Donald Trumps Zollpolitik "600 Millionen Tonnen iPhones" in die USA einfliegen lassen, wird sanktioniert.
Wenn der Verbreiter seine Meinung nicht mit Fakten belegen kann, würde die noch zu gründende staatsferne Medienaufsicht unmittelnbar eingreifen. Der Missbrauch der Meinungsfreiheit wäre durch einen tiefen, aber chirurgisch exakt gesetzten Löschauftrag für die gegen die Wahrheitspflicht verstoßenen Inhalte sofort zu stoppen.
Verwirrende Wirklichkeit
Wie aber sieht es mit Einschränkungsmöglichkeiten der Meinungsaufseher aus, wenn unterschiedliche Interpretationen der Wirklichkeit für Verwirrung sorgen? In den Durchführungsgesetzen zur Neuordnung der Meinungslandschaft, fordern Experten, müssten diesmal klare gesetzliche Vorgaben zur erkennungsdienstlichen Behandlung von Informationsmanipulation, Hass und Hetze gemacht werden.
So sei abschließend festzulegen, wie eine "bewusst falsche Tatsachenbehauptung" rechtssicher identifiziert werden könne, um sie von einer irrtümlich ohne Täuschungsabsicht verbreiteten sogenannten beweglichen Wahrheit zu unterscheiden.
Listen über zulässige Begriffe und erlaubte Ansichten gelten als Grundlage für einen sicheren Schutz der Meinungsfreiheit und ein strengeres Vorgehen gegen Desinformationen, die den gesellschaftlichen Frieden zerstören. Fake News manipulieren den öffentlichen Diskurs, Mythen, Märchen und frei erfundene Verschwörungstheorien können gesellschaftliche Radikalisierung befeuern und Gewalt auslösen.
Die freie Rede einzuschränken, um dieses Risiko zu minimieren, ist ein kleiner Preis, den jede Gesellschaft gern zahlen wird, wenn sie sich weder vor noch nach der Wahl vor die Wahl gestellt sieht, weil die Parteigremien über die strenge Abgrenzung zwischen Meinung und falscher Behauptung hinter verschlossenen Türen entschieden haben.
Verfolgung von Verbalstraftaten
Aus den Erfordernissen der Strafverfolgung von Verbalstaten leitet der Gesetzgeber neue Notwendigkeiten auch bei der technischen Überwachung der Bürgerinnen und Bürger ab. Neben der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung nicht nur von Telefonnummern, sondern erstmals auch von IP-Adressen sollen automatisierte Kennzeichenlesesysteme zur Strafverfolgung genutzt werden.
Der Ausbau der Videoüberwachung und das Niederreißen der Brandmauer zwischen Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehören gelten als Grundlagen für die Gewährleistung eines sicheren Meinungsumfeldes. Im Koalitionsvertrag hat die Erweiterung des geheimdienstlichen Datenaustauschs bei weniger intensiver Kontrolle deshalb Prioriät.
Verpflichtende Überwachungsbereitschaft
Kombiniert mit der verpflichtenden digitalen Identität für jeden Bürger, die ergänzt wird durch ein verpflichtendes "Bürgerkonto", ergibt sich für Behörden erstmals die Möglichkeit, einen wirklich komplett gläsernen Bürger zu verwalten. Daten können nicht nur erfasst, sondern auch effizient gespeichert und ausgewertet werden.
Das mit dem Volkszählungsurteil im Dezember 1983 geschaffene "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" darf hinter dem Bedürfnis des Staatsapparates zur Schaffung von Gefährder-Datenbanken und einer vorbeugenden Überwachung von möglicherweise psychisch auffälligen Personen zurücktreten.
Die zuletzt vor allem von den Rändern her übernutzte Meinungsfreiheit wird als Gefahr für die Grundrechte eingehegt und neu interpretiert: Die Wippe, auf der Staatsicherheit und Freiheit sich schon immer auf den beiden gegenüberliegenden Sitzen breit gemacht hatten, neigt sich deutlich - ein klares Zeichen an alle, die immer noch versucht sind, ihr Glück in Staatskritik zu suchen.