Montag, 14. April 2025

Neuordnung der Meinungslandschaft: Strenge Regeln gegen Schwindel

Neuordnung der Meinungslandschaft: Strenge Regeln gegen Schwindel
Als "Meinung" getarnte gefälschte Tatsachenbehauptungen könnten künftig wie Betrug strafbar werden.

Zu viel Gegenwind für Höhenflüge. Zu viel Skepsis, Kritik und Gemaule. Bis in die staatsnahen Medien hat sich der Trend ausgebreitet, mit Gelöcke wider den Stachel populistisch auf den Applaus der Masse zu schielen, statt verantwortlich zu handeln und die Politik und deren notwendige Maßnahmen einfach noch besser zu erklären. Es war der von außen hineingetragene Streit um den richtigen Kurs auf einen strengeren, in Sachen Steuererhebung weniger freigiebigen und bei der Durchführung seines Grenzregime großzügigeren Staates, der die Ampelkoalition zu Fall brachte. Die Neuen in Berlin, beileibe nicht neu im Geschäft, haben daraus ihre Konsequenzen gezogen.

Die neue Morgenrockerlaubnis

Zentral im Koalitionsvertrag und während der Verhandlungen um das Fell des Bären auch kaum umstritten war eine umfassende Neuordnung der Meinungslandschaft. Angefangen von einer Bademantelpflicht, die in Zeile 1459 des Vertrages als "Morgenrockerlaubnis" auftaucht, beschäftigen sich mehrere Kapitel des Papiers mit der Einhegung von Grundrechten zum Ausbau des Schutzes der
Meinungsfreiheit. 

Deren konstitutive Rolle und Bedeutung für die demokratischen Grundwerte betonen die drei künftigen Regierungsparteien ausdrücklich. "Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind in unserer Verfassung als elementare Menschenrechte anerkannt", heißt es da unumwunden. Für die künftige Regierungskoalition sei "die Vielfalt der Meinungen und Ideen, ebenso wie ein kontinuierlicher intellektueller Dialog, sowohl in unseren Reihen als auch mit Anhängern abweichender Vorstellungen, unbedingt erforderlich". 

Nur so lasse "sich nämlich das ganze Potenzial unseres Volkes freilegen und fruchtbar nutzen. Ohne die kollektive Intelligenz und das kollektive Handeln von Millionen unserer Bürger, ohne ihren Ideenreichtum ist kein sozialer Fortschritt möglich."

Angriff aus Amerika

Das ändere jedoch nichts am Erfordernis, die von so vielen Seiten angegriffene Freiheit der Rede künftig noch besser zu hüten. Auslöser der neuen Bemühungen um eine geordnete Gesinnungsgemeinschaft sind die Ausfälle des amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance bei der Sicherheitskonferenz.

 Der US-Politiker hatte sich in München angemaßt, den europäischen Verbündeten Vorwürfe dahingehend zu machen, dass der in Europa gepflegte kanalisierende Umgang mit free speech nicht dem entspreche, was amerikanische Soldaten vor 80 Jahren im Gepäck hatten, als sie nach Europa kamen. 

Mitten in der einstigen Hauptstadt der Bewegung stellte ein US-Amerikaner die Lernfähig der Deutschen infrage - ein Affront, der die Planungen der rot-schwarzen Koalition für die kommende Jahrzehnte nicht weniger prägt als der Rauswurf Volodymyr Selenskyjs aus dem Weißen Haus. Der hatte Friedrich Merz veranlasst, von seinem Null-Schulden-Versprechen abzurücken und stattdessen Kurs auf die höchste Neuverschuldung aller Zeiten zu nehmen. 

Anmaßende Erinnerung

Vance anmaßende Erinnerung, man müsse "mehr tun als über demokratische Werte zu reden", man müsse sie nämlich "leben", gilt einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge "radikalisierte Freiheit" . Aufsichtslos gelassen, tendiere der europäische und insbesondere der deutsche Mensch dazu, Auffassungen zu vertreten, die nicht hilfreich seien, um ein Land oder einen halben Kontinent durch die Fährnisse einer gefährlichen Zeit zu lenken.

CDU, CSU und SPD haben Vorsorge getroffen. Mit der Formulierung im Koalitionsvertrag, dass "die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt" sei, legen sich die drei Parteien noch nicht auf konkrete Maßnahmen gegen einen Wildwuchs in der Meinungslandschaft fest. Sie lassen sich aber alle Optionen offen, um streng gegen Meinungskriminelle vorzugehen. 

Vorbild Heimtückegesetz

Denkbar wäre auf der Grundlage der gemeinsamen Vereinbarung etwa eine Rückkehr zum  Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei. Das hatte noch bis in den September 1945 klare Grenzen für Verbreitung falscher Tatsachen gezogen: "Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reichs oder eines Landes oder das Ansehen der Reichsregierung oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbänden schwer zu schädigen", hieß es da, "wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn er die Behauptung öffentlich aufstellt oder verbreitet, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft." 

Boykotthetze und Staatsverleumdung 

Eine nützliche Regelung, die seinerzeit durch vorschnell den alliierten Kontrollrat aufgehoben worden war. In Art. 6 Abs. 2 der Verfassung der wenig später gegründeten DDR wurde stattdessen der Begriff der "Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militärischer Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten", als Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches aufgenommen. 

Das erlaubte es dem fürsorgenden Staat, die Ausübung demokratischer Rechte jederzeit als "staatsfeindliche Hetze", "Staatsverleumdung" oder als Betätigung zu "Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit" zu betrafen.

schon Heiko Maas, der in seiner Zeit als Bundesjustizminister viele Pflöcke zum Abbau von Strafverfolgungshindernissen bei Meinungsverbrechen einschlug, hatte mit dem Meinungsfreiheitsdurchsetzungsgesetz (MFDG) versucht, Hetzer, Hasser und Zweifler mit schärferen Gesetzen zu bekämpfen und den Hass endgültig aus dem Netz zu verbannen. Täter*innen aber umgingen die Vorschriften zur Verfolgung von Verbalverbrechen, indem sie zu neuen Mitteln wie Witz, Hohn und Humor griffen.

Deckmantel der Satire

Die kommenden Koalitionäre haben noch keine Details dazu bekanntgegeben, wie sie gegen die Verbreitung von Staatskritik unter dem vor allem bei Rechtsextremen beliebten Deckmantel der Satire vorgehen wollen.

 Sicher aber ist, dass die Untersagung von "unwahren Tatsachenbehauptungen" ein zentraler Hebel sein soll: Wer etwa künftig behauptet, dies und das dürfe man nicht mehr sagen, wer Witze über Minderheiten macht, die gesellschaftliche Spaltung vertieft oder Ausländerhass schürt, kann sich nicht mher hinter seinen vermeintlichen verfassungsmäßigen Rechten verstecken.

In Fällen wie der gerade erst von der "Berliner Zeitung" verbreiteten Nachricht, der US-Konzern Apple haben wegen Donald Trumps Zollpolitik "600 Millionen Tonnen iPhones" in die USA einfliegen lassen, wird sanktioniert. 

Wenn der Verbreiter seine Meinung nicht mit Fakten belegen kann, würde die noch zu gründende staatsferne Medienaufsicht unmittelnbar eingreifen. Der Missbrauch der Meinungsfreiheit wäre durch einen tiefen, aber chirurgisch exakt gesetzten Löschauftrag für die gegen die Wahrheitspflicht verstoßenen Inhalte sofort zu stoppen.

Verwirrende Wirklichkeit

Wie aber sieht es mit Einschränkungsmöglichkeiten der Meinungsaufseher aus, wenn unterschiedliche Interpretationen der Wirklichkeit für Verwirrung sorgen? In den Durchführungsgesetzen zur Neuordnung der Meinungslandschaft, fordern Experten, müssten diesmal klare gesetzliche Vorgaben zur erkennungsdienstlichen  Behandlung von Informationsmanipulation, Hass und Hetze gemacht werden.

 So sei abschließend festzulegen, wie eine "bewusst falsche Tatsachenbehauptung" rechtssicher identifiziert werden könne, um sie von einer irrtümlich ohne Täuschungsabsicht verbreiteten sogenannten beweglichen Wahrheit zu unterscheiden.

Listen über zulässige Begriffe und erlaubte Ansichten gelten als Grundlage für einen sicheren Schutz der Meinungsfreiheit und ein strengeres Vorgehen gegen Desinformationen, die den gesellschaftlichen Frieden zerstören. Fake News manipulieren den öffentlichen Diskurs, Mythen, Märchen und frei erfundene Verschwörungstheorien können gesellschaftliche Radikalisierung befeuern und Gewalt auslösen.

 Die freie Rede einzuschränken, um dieses Risiko zu minimieren, ist ein kleiner Preis, den jede Gesellschaft gern zahlen wird, wenn sie sich weder vor noch nach der Wahl vor die Wahl gestellt sieht, weil die Parteigremien über die strenge Abgrenzung zwischen Meinung und falscher Behauptung hinter verschlossenen Türen entschieden haben.

Verfolgung von Verbalstraftaten

Aus den Erfordernissen der Strafverfolgung von Verbalstaten leitet der Gesetzgeber neue Notwendigkeiten auch bei der technischen Überwachung der Bürgerinnen und Bürger ab. Neben der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung nicht nur von Telefonnummern, sondern erstmals auch von IP-Adressen sollen automatisierte Kennzeichenlesesysteme zur Strafverfolgung genutzt werden. 

Der Ausbau der Videoüberwachung und das Niederreißen der Brandmauer zwischen Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehören gelten als Grundlagen für die Gewährleistung eines sicheren Meinungsumfeldes. Im Koalitionsvertrag hat die Erweiterung des geheimdienstlichen Datenaustauschs bei weniger intensiver Kontrolle deshalb Prioriät. 

Verpflichtende Überwachungsbereitschaft

Kombiniert mit der verpflichtenden digitalen Identität für jeden Bürger, die ergänzt wird durch ein verpflichtendes "Bürgerkonto", ergibt sich für Behörden erstmals die Möglichkeit, einen wirklich komplett gläsernen Bürger zu verwalten. Daten können nicht nur erfasst, sondern auch effizient gespeichert und ausgewertet werden.

Das mit dem Volkszählungsurteil im Dezember 1983 geschaffene "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" darf hinter dem Bedürfnis des Staatsapparates zur Schaffung von Gefährder-Datenbanken und einer vorbeugenden Überwachung von möglicherweise psychisch auffälligen Personen zurücktreten. 

Die zuletzt vor allem von den Rändern her übernutzte Meinungsfreiheit wird als Gefahr für die Grundrechte eingehegt und neu interpretiert: Die Wippe, auf der Staatsicherheit und Freiheit sich schon immer auf den beiden gegenüberliegenden Sitzen breit gemacht hatten, neigt sich deutlich - ein klares Zeichen an alle, die immer noch versucht sind, ihr Glück in Staatskritik zu suchen.

 

Alle auf Amerika: Werwolf mit Einkaufswagen

Antiamerikanismus ist Antifaschismus.
Immer mehr Deutsche wollen US-Waren byokottieren, bis Donald Trump seinen Zollkrieg aufgibt.


Aus, vorbei, für immer. Diesmal haben es sich die Vereinigten Staaten wohl endgültig mit ihrem europäischen Mündel verscherzt. Donald Trumps "Angriffe auf den Welthandel" (Lars Klingbeil), die den früheren Grünenchef Joschka Fischer um die Weltordnung fürchten lässt, die er selbst als junger Straßenkämpfer hatte zerstören wollen, zwingen Deutschland zu einem Zweifrontenkrieg. 

Militärisch muss die Ukraine nun mit noch mehr Engagement unterstützt werden. Zugleich gilt es aber, eine Brandmauer samt Burggraben zum aggressiven Autoritarismus der Washingtoner Administration auf der anderen Seite des Atlantik zu errichten.  

Neue Kennzeichnungswelle

Seit dänische Supermärkte Trumps Abwerbeangebote an Grönland mit einer Markierung echter europäischer Waren im Stil der großen Kennzeichnungswelle für jüdische Waren beantwortet haben, um Verbraucher von der Teilnahme an der großen "Buy European"-Kampagne im Rahmen der EU-Initiative "Europe First" zu begeistern, boykottieren auch immer mehr Deutsche gezielt US-Produkte. Die verzichten auf Urlaubsreisen in die Vereinigten Staaten, greifen zum Döner statt zum Big Mac, kaufen Volla- und Nothing-Smartphones, suche mit "Quant" statt mit Google und trinken Mecca-Cola aus Frankreich statt Pepsi und Coke. Verzicht wird zur Waffe. Der Supermarktkunde zum Werwolf mit Einkaufswagen.

Antiamerikanismus ist Antifaschismus.
Antiamerikanismus ist Antifaschismus.

Boykottaufrufe von Verbrauchern und Unternehmen gegen amerikanische Produkte sind 92 Jahre nach der letzten großen deutschen Boykottwelle Volkes Wille. Die Ablehnung von "Made in USA" gilt als Ausdruck des europäischen Wehrwillens.  

Um vom Kauf abzuschrecken, stellen Freiwillige US-Produkte im Supermarkt auf den Kopf. US-Marken werden links liegengelassen, amerikanische Internetseiten gemieden und aus Solidarität wird bei kaufland.de statt bei Amazon gekauft. Gemeinsinnsender wie der Bayrische Rundfunk erstellen derweil Listen mit europäischen Internetalternativen für Suchanfragen, E-Maildienste und Messenger. 

Die Macht der Masse

Amerika soll die Macht der europäischen Verbraucher zu spüren bekommen, bis Donald Trump klein beigibt. Wenn niemand mehr US-Produkte benutzt, keine iPhones mehr, keine Android-Software, keine Microsoft-Programme und keine sozialen Netzwerke außer Tiktok, weil 440 Millionen Nutzer im größten Binnenmarkt der Welt nur noch bei den eigenen Herstellern kaufe und nur alternative Dienste aus der EU benutzen, würden US-Konzerne Druck auf Trump machen und ihn veranlassen, seine im Moment nur aufgeschobenen Zollerhöhungen dauerhaft zurückzunehmen.

Der Protest begründet ein neues Zeitalter des Antiamerikanismus. Galt die Ablehnung der USA bisher zumindest im Westen Deutschland immer als regressiver Rückfall in die Zeit vor 90er Jahren, als Adolf Hitler das Land auch für seine Innovationen bewunderte, es aber zugleich als "Zentrale des Weltjudentums" hasste, wird verächtliche Ablehnung der ältesten Demokratie der Welt jetzt als schickes weltanschauliches Modeaccessoire

Alle gegen Amerika

Den Vereinigten Staaten nachzusagen, dass sie dabei seien, sich in eine faschistische Diktatur zu verwandeln, gehört in den Leitmedien zum guten Ton. Donald Trump als Menschheitsbedrohung in einem Atemzug mit Wladimir Putin zu nennen, ist Ehrensache. Die EU scheint sogar bereit, sich lieber mit der kommunistischen Diktatur in China ins Benehmen zu setzen, als das Angebot von US-Vizepräsidenten J.D. Vance anzunehmen, sich auf die ehemals geteilten grundlegenden Werte zu besinnen.

Die mediale Front gegen die jahrzehntelang genossene amerikanische Vormundschaft sprießt aus Wurzeln, die tief in deutscher Erde gründen. Zwar haben Deutsche die USA und die Blüten ihrer Kultur in den Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nur angenommen, sondern verinnerlicht. 

Von Hollywood über Graceland bis zu Netflix, Rolling Stones und Levis-Jeans führt eine Linie ins deutsche Herz, das seiner romantischen Liebe für die früheren Indianer zwar nur noch als Verehrung für Natives und Indigene frönen darf. Zugleich aber eine junge Generation großzieht, die ihre enorme Welt- und Zukunftsangst am liebsten in einem denglischen Pidgin-Dialekt ausdrückt.

Verachtung für die Freiheitsschutzmacht

Die Verachtung, mit der viele Deutsche schon immer auf amerikanische Politik, amerikanische Kultur, die amerikanische Wild-West-Wirtschaft und die nach europäischen Maßstäben unzureichend normierte Gesellschaft schauten, muss sich erstmals seit den Tagen des Vietnam-Krieges nicht mehr verstecken. 

"Ami go home", ehemals eine Parole linker Extremisten, und der rechtsextreme Vorwurf des "Kulturimperialismus" legen in eins nun die Hände: Die Linke versucht, sich auf ihre einstige Radikalität zu besinnen. Die Rechte sieht sich bestätigt in ihrer Kritik, das Ziel aller amerikanischen Politik sei "die Vernichtung der kulturellen Eigenständigkeit eines Volkes" und seiner "völkischen Identität".

Ende einer Ära

Nach acht Jahrzehnten unter dem Schutz Amerikas wird man doch wieder sagen dürfen, dass man das Mutterland des mordenden Westens nicht mehr für eine Freiheitsmacht hält, sondern für dekadent, kulturlos, materialistisch oder aggressiv-imperialistisch. 

Trump ist nur das Symptom, seine Wähler sind die, die Europa verraten haben. Mit ihrer Entscheidung gegen Europas erklärte Favoritin Kamala Harris haben sie das Tischtuch zerschnitten, das Europa und Amerika so lange verband. Mit diesem Fehler müssen sie nun leben. 

Europa sieht in den Vereinigten Staaten das "Land der Bösen und Blöden" (Cicero). Endlich  darf jeder das "politisch heikle Gefühl" (Die Zeit) nach Herzenslust ausleben, ohne fürchten zu müssen, für seine Auffassung als Anhänger der Idee einer Überlegenheit der europäischen Vorstellung von unsere Demokratie und in Brüssel zentralisierter multistaatlicher Verwaltung verlacht zu werden. 

Fantasie der Eliten

Die Fantasie der europäischen Eliten, sie wüssten besser, was gut und richtig für Gesellschaft, Wirtschaft, Klima und Weltfrieden sei und der amerikanische Weltpolizist solle sich weiterhin darauf beschränken, die auf dem alten Kontinent produzierten Waren aufzukaufen und sich dafür mit militärischem Schutz zu revanchieren, ist zur Grundlage der kritischen Haltung gegenüber der Führungsmacht geworden. 

Es soll nicht einmal mehr verhandelt werden. Es gelte, "unabhängig von den USA" zu werden, heißt es in der linken Wochenschrift "Freitag", bei der EU-Kommission, bei der FDP, aber auch bei CDU, SPD, Linkspartei und in den Leitmedien von FAZ bis "Spiegel".

Der neue Antiamerikanismus, er trägt die modische Maske des Antifaschismus. Dieses Kostüm ist nach neun Jahren der beständigen Beschwörung von Donald Trump als neuem Hitler, Amerika als neuem Zugang im Lager der Autokratien und Reich des Bösen und der Erklärung von 77 Millionen US-Bürgerinnen und Bürgern zu "Faschisten" prächtiger denn je. 

Scheiten die Leitmedien in Erinnerung an ihre Gründung auf dem Acker Amerikas lange davor zurück, sich zum Teil einer Bewegung machen zu lassen, die den Bruch mit dem Verbündeten vorantreibt, sind es jetzt nur noch wenige Stimmen, die an der Feier der Abnabelung nicht mitprosten. 

Der Rest im Rausch

Der Rest ist im Rausch, auf der Suche nach einem neuen Selbstbewusstsein, das sich selbst als neue Weltmacht sehen will und die in Washington herrschenden Befürworter von Meinungsfreiheit, schlankem Staat und freier Wirtschaft erklärtermaßen ablehnt. 

Der USA wird - damit kennt sich Deutschland aus - ein "Blitzkrieg" vorgeworfen, "überfallartig" und mit "größenwahnsinnigen Ziele". Man selbst ist "besonnen" (Weser-Kurier) und bleibt "gelassen"

Pat und Patachon haben die Rollen sind vertauscht: der große Bruder jenseits des Atlantik ist nur noch ein kleines Licht. Europa Großmacht, zumindest in Gedanken. Den früheren Verbündeten schmerzhaft zu erwischen, etwa so, wie es der Links- und spätere Rechtsextremist Horst Mahler nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit seinem Satz "endlich sind sie mal im Herzen getroffen" verzückt gelobt hatte, ist das Ziel. 

Amerika soll fallen. Der Versuch, die Führungsmacht des Westens neu zu gründen, soll scheitern.

Geschwächter Westen

Er muss es, damit die Demokratien im alten Europa nicht Gefahr laufen, selbst unter Reformdruck zu geraten. Wie der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD zeigt, langt die Kraft der Parteien der Mitte in Deutschland allenfalls noch zu einem durchparagrafierten Weiterso. In vielen Teilen der EU sieht es sogar noch schlimmer aus - Partnerstaaten sind schon abgefallen, bei anderen bestehen ernst Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit oder es wird schon überlegt, wie sie zum Besten der Gemeinschaft ausgeschaltet werden können. 

Der neue Antiamerikanismus funktioniert in diesem zusammenhang nicht nur wie der alte als Schreckgespenst, bevölkert von überdicken, dumpfen, schießwütigen und Anti-Demokraten, die die in ihrer Verfassung niedergelegten Prinzipien von Demokratie und Menschenrechten fortwährend ignorieren. Sondern auch als gemeinsames Feindbeild, das nach innen verbindend wirkt. Den Mangel an eigenen Erfolgen auf irgendeinem Gebiet ersetzt eine demonstrative Amerikaskepsis. 

Leider nützlich

Seit die Vereinigten Staaten 1776  unabhängig wurden und als erstes und einziges Land der Welt die Verwirklichung der Ideale von Aufklärung, Demokratie und Liberalismus zum Staatsziel erklärten, halten Demokraten in Frankreich, Deutschland und Italien die USA für anmaßend und arrogant. Leider wurden sie immer gebracht, zum Schutz vor der Sowjetunion und dem Warschauer Park, als Weltpolizist, der in Krisengebieten für Ruhe sorgt, und nicht zuletzt auch als Lieferant von Technologie und Innovation.

Jetzt ist die Gelegenheit günstig, sich abzunabeln von einem Land, das bei allen Problemen und Mängeln zeigt, dass eine liberale, multikulturelle, multiethnische und pluralistische Gesellschaft funktionieren kann, ohne dass eine Überlast aus Vorgaben, Bürokratie und Reglementierungen jede Initiative erstickt. Einst galten die USA ihren Feinden als staatgewordenes Werkzeug des Judentums, später waren sie die von Blackrock und Goldman Sachs gelenkten Profiteure der Globalisierung und Kriegstreiber, unterwegs zur Weltherrschaft. 

Die aktuelle Erscheinungsform des Antiamerikanismus sieht sie nur zur Abwechslung als Globalisierungszerstörer und friedensbesoffene Kapitulanten.

Sonntag, 13. April 2025

Reden für die Ewigkeit: Vom auch angewiesen sein

Um aus einer wegweisenden Rede des Bundespräsidenten zu zitieren, darf sich jeder ausdenken, was er gehört haben will.
Er hat ihn nie gesagt, diesen rätselhaften, ungeschlachten Satz, den ihm die großen Gazetten in den Mund legen, als sei dieser erste Mann im Staat nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu formulieren. Als Bundespräsident Walter Steinmeier nach Köln eilte, um eingebürgerte Menschen aus anderen Ländern als Bereicherung für Deutschland zu würdigen und Einbürgerungsurkunden an zwölf neue deutsche Staatsbürger zu überreichen, verwies er darauf, dass Deutschland "auch in Zukunft auf Zuzug und Einwanderung angewiesen sein" werde.  

Die Frage des Auch

Dass daraus ein Zitat wurde, nach dem er gesagt habe, "Deutschland wird auf Zuzug und Einwanderung auch angewiesen sein", verdankt sich allein der kreativen Fantasie der Nachrichtenagentur DPA, der ersten Adresse für Allgemeingültigkeit im Medienland Deutschland. 

Der wirkliche Wortlaut einer Rede mag vorliegen. Doch Sinnverschiebungen in Richtung Leerparole sind immer machbar. Erst in Kürze sollen umfassende Regelungen greifen, nach denen die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen als durch die Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt gelten. Bis dahin aber ist es hier nur ein "auch", das die Satzstellung wechselt und nun im Gesamtzusammenhang dort steht, wo es keinen Sinn ergibt. 

Verquere Formulierung

Deutschland wird "auf Zuzug und Einwanderung auch angewiesen" sein? Wer außer Deutschland noch? Und worauf wird Deutschland noch angewiesen sein? Das "auch" wirft viele Fragen auf. Doch Steinmeier, als erster höchstrichterlich bestätigter Verfassungsbrecher ins höchste Amt im Staate gerutscht, hat sich nicht über die Formulierung beschwert, die ihm in den Mund gelegt wurde. Steinmeier weiß, es kommt auf Details nicht an, wenn die Grundbotschaft stimmt. 

Von Präsidentenreden ist seit Menschengedenken bekannt, dass nie etwas übrig bleibt als ein einziger Satz oder ein einzelnes Wort. Bei Roman Herzog, dem letzten knorrigen alten Konservativen im Schloss Bellevue, war es der "Ruck", der durch Deutschland gehen sollte, um den Abschied von liebgewordenen Besitzständen einzuleiten. Bei Walter Steinmeier wird es womöglich das ermutigende "auch" sein.

Dem aktuellen Präsidenten, der in zwei Jahren in den Ruhestand gehen wird, wäre es wohl recht. Der Mann, der als "Referent für Medienrecht und Medienpolitik" begann, als Minenhund eines heute verfemten Kanzlers aufstieg und als Kanzlerkandidat der SPD scheiterte, gilt nicht als Prozesshansel, der wie andere Sozialdemokraten auch mal Anzeigen gegen Bürgerinnen und Bürger erstattet. 

Nichts ist ihm fremd

Vielmehr bleibt der 69-Jährige gelassen. Er mahnt und fordert unverdrossen und mittlerweile hat er sich so den Ruf eines Politikers erarbeitet, der alleweil Reden hält, wie sie kein anderer so überzeugend präsentieren könnte. Eine typische Steinmeier-Ansprache deckt alle Bedeutsamkeiten ab, sie geht tief und flach, rüttelt auf und ruft in Erinnerung. 

Keine gesellschaftliche Spaltung ist dem Präsidenten auch fremd, kein Milieu hat ihm nicht auch Anlass, etwas zu sagen. Reden, die grundsätzlicher Natur sind, hat Steinmeier schon oft gehalten. Nicht immer ist er verstanden worden. Aber er würde es werden, hielte er endlich einmal diese: 


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

heute wende ich mich wiedereinmal an Sie alle, um über etwas zu sprechen, das uns alle verbindet: unsere Demokratie. Sie ist nicht nur unser System, nicht nur unnsere Ordnung – sie ist tatsächlich genau das Fundament unseres Zusammenlebens, die Grundlage für unseren Wohlstand, der Ruhe im Land, unseres Gemeinwohles und unserer Zuversicht in eine gemeinsame Zukunft in einer Friedensordnung, die sich in diesen Tagen auch bereit zu unserer Selbstverteidigung macht. 

Genau deshalb ist es auch unsere gemeinsame Verantwortung, sie zu schützen, zu stärken und mit Leben zu füllen. Diese Verantwortung liegt bei uns allen – bei Ihnen, bei mir, bei jeder und jedem Einzelnen, der Teil dieser Gesellschaft ist, es sein will und sein darf.

Demokratie lebt von uns allen

Wenn wir über unsere Demokratie sprechen, dann sprechen wir auch über ein Versprechen, das uns die Amerikaner vor 80 Jahren gegeben haben. Ein Versprechen, das uns Freiheit und Gerechtigkeit garantiert, das uns einbindet und uns gehört. Aber dieses Versprechen ist kein Selbstläufer. Es ist tatsächlich so: Unsere Demokratie lebt von unserer Bereitschaft, uns einzubringen, von unserer Fähigkeit, auch Verantwortung zu übernehmen, und von unserem Willen, die Beschlüsse, die wir gemeinsam fassen, zum Wohle aller durchzusetzen. 

Absolut zentral ist dabei unser Zusammenhalt – ein Zusammenhalt, der nicht nur in guten Zeiten Bestand haben muss, sondern besonders in herausfordernden Momenten. Bis dass der Tod uns scheidet, sagt died Bibel und gerade in Zeiten, in denen wir mit Unsicherheiten konfrontiert sind – sei es durch globale Krisen, wirtschaftliche Herausforderungen oder unsere inneren gesellschaftliche Spannungen durch Kräfte, die nicht unsere sind –, wird auch deutlich, wie wichtig es ist, dass wir zusammenstehen.

Einheit bedeutet nicht Gleichmacherei. Sie bedeutet, dass wir unsere Vielfalt als Stärke begreifen und uns dennoch auf das einigen, was uns auch verbindet: Unser Wunsch nach einem guten Leben für alle, nach Sicherheit, nach Wohlstand und nach einem Gemeinwohl, das niemanden zurücklässt.

Die Rolle der Gemeinschaft 

Unsere Demokratie ist ein Gemeinschaftswerk. Jede Stimme zählt, jedes Engagement trägt auch dazu bei, jede Idee kann auch einen Unterschied machen. Dass wir dabei strikt trennen zwischen dem, was uns allen nützt, und dem, was wir alle ablehnen sollten, genau das macht unsere Gesellschaft so besonders. Dass wir nicht nur Rechte haben, sondern auch Pflichten – die Pflicht, aufeinander zu achten, die Pflicht, uns gegenseitig zu respektieren, und die Pflicht, unsere Demokratie nicht als gegeben hinzunehmen. Genauso sieht es aus: Dass wir nicht nur Linke haben, mit denen eine Zusammenarbeit vorstellbar, und wünschenswert ist, sondern auch Rechte, mit denen wir das nicht tun dürfen werden.

Die führende Rolle der Bedeutung bei der Durchführung der Beschlüsse ist tatsächlich eine Errungenschaft. Dass wir in einem Land leben, in dem wir frei unsere Meinung äußern können, in dem wir wählen dürfen, in dem wir streiten und uns versöhnen können, ist auch kein Zufall. Aber ein fragiler Zustand, wenn wir ihn nicht pflegen. 

Ich möchte Sie daher ermutigen: Bringen Sie sich ein! Gehen Sie wählen, beteiligen Sie sich an Diskussionen, engagieren Sie sich in Ihrer Nachbarschaft, in Vereinen, in Initiativen. Sagen Sie, was Sie denken, wenn es unserer Gemeinschaft dient. Jede kleine Tat zählt, denn sie stärkt das Gesamtgefüge unserer Gemeinschaft. Absolut entscheidend ist, dass wir nicht nur fordern, sondern auch geben – dass wir nicht nur kritisieren, sondern auch gestalten. 

Zuversicht statt Resignation 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich weiß, dass es auch in unserem Land Momente gibt, in denen die Herausforderungen groß erscheinen. Manchmal scheint es, als würden die Probleme uns überrollen – sei es der Klimawandel, soziale Ungleichheit oder die Spaltung in unserer Gesellschaft. Doch ich sage Ihnen: fallen Sie nicht vom Glauben ab. Resignation ist keine Option. Unsere Zuversicht ist der Motor, der uns voranbringt. Zuversicht bedeutet nicht, die Augen vor Schwierigkeiten zu verschließen. Sie bedeutet, die Kraft zu haben, Lösungen zu suchen, und den Mut, sie umzusetzen. Dazu gehört die Geduld, manchmal lange, lange warten zu können.

Genau hier liegt die Bedeutung unserer gemeinsamen Anstrengungen. Wenn wir als Gemeinschaft handeln, wenn wir die Beschlüsse, die wir fassen, mit Entschlossenheit durchsetzen, dann können wir Großes erreichen. Denken Sie an die Errungenschaften der Vergangenheit: den Wiederaufbau nach Kriegen, die Wiedervereinigung unseres Landes, den Ausbau unseres Sozialstaates. Mindestlohn und Kindergeld. Atomausstieg und die neuen 5G-Netze. Unsere Landwirtschaft, um die uns viele beneiden.
All das war auch nur möglich, weil Menschen zusammengearbeitet haben – mit Zuversicht, mit Engagement, mit einem Blick für das Gemeinwohl. 

Herausforderungen gemeinsam meistern

Reden wir nicht drumherum. Lassen Sie mich einige der Herausforderungen ansprechen, vor denen wir heute stehen. Unser Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit. Er fordert uns auf, umzudenken, neue Wege zu gehen und Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für uns, sondern für die kommenden Generationen. Genau deshalb müssen wir jetzt handeln, mit klugen Beschlüssen, die nachhaltigen Wohlstand sichern und unser Gemeinwohl fördern. 

Auch die soziale Gerechtigkeit bleibt dauerhaft ein zentrales Anliegen aller. Wohlstand darf nicht nur wenigen vorbehalten sein. Eine starke Gemeinschaft sorgt dafür, dass alle die gleichen Chancen haben – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sozialem Hintergrund oder Geldbeutel. Absolut unverzichtbar ist dabei ein Bildungssystem, das jedem Kind die Möglichkeit gibt, sein Potenzial zu entfalten. Bildung ist der Schlüssel zu Einheit, zu Wohlstand und zu einer lebendigen Demokratie. 

Und schließlich: unsere digitale Zukunft. Die Digitalisierung bietet seit Jahren enorme Chancen, aber sie birgt auch Risiken – etwa für den Zusammenhalt, wenn Falschinformationen oder Hassrede die Debatte vergiften. Hier sind wir alle gefragt, verantwortungsvoll mit den Möglichkeiten umzugehen, die uns die Technologie bietet. Lassen Sie uns die digitale Welt so gestalten, dass sie auch unsere Demokratie stärkt, anstatt sie auch zu schwächen. 

Ein Appell an uns alle 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Verantwortung für unsere Demokratie liegt in unseren Händen. Sie ist keine Aufgabe, die wir an andere delegieren können. Sie ist eine Aufgabe, die uns verbindet, die uns herausfordert und die uns die Chance gibt, etwas zu bewirken. 

Genau das ist der Kern unserer Gemeinschaft, bei aller Gespaltenheit, die wir gemeinsam so oft und engagiert beklagen müssen. Dass wir gemeinsam gestalten, dass wir auch gemeinsam entscheiden, dass wir gemeinsam zum Wohle aller handeln und jeden mitnehmen, während wir auch keinen zurücklassen. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns diese Verantwortung mit Zuversicht annehmen. 

Lassen Sie uns unsere Demokratie mit Leben füllen – durch Engagement, durch Respekt, durch Zusammenhalt. Absolut klar ist: Wenn wir zusammenstehen, wenn wir die Beschlüsse, die wir fassen, mit Entschlossenheit umsetzen, dann können wir nicht nur die Herausforderungen von heute meistern, sondern auch eine Zukunft gestalten, die uns allen gehört. 

Unsere Demokratie ist kein Geschenk, sondern eine Aufgabe. Lassen Sie uns diese Aufgabe gemeinsam angehen, für unser Gemeinwohl, für unseren Wohlstand, für unsere Einheit. Ich danke Ihnen – und ich zähle auf Sie. Vielen Dank.

EU-Digitalsteuer: Zollbombe für den Cyberspace

Als digitale Weltmacht verfügt die EU über Internetgiganten wie Zalando, Delivery Hero und Spotify.

Warum denn auch nicht? Dass höhere Zölle auf Motorräder, Sojabohnen und Jeans Donald Trump nicht abhalten werden, mit seinen Zollattacken auf Europa fortzufahren, wissen sie in Brüssel schon lange. Die langen Vergeltungslisten, die EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen ihren Apparat hat anlegen lassen, waren vor allem für das Schaufenster gedacht.

Sie sollten der Öffentlichkeit in Europa zeigen, dass die Frau an der Spitze der Gemeinschaft Manns genug ist, sich mit dem Mann in Washington zu messen, der es bisher nicht einmal für nötig gehalten hat, die Vorsitzende der größten Staatengemeinschaft der Weltgeschichte zu einem Antrittsbesuch zu empfangen. 

Friedenskontinent im Handelskrieg

Für 440 Millionen EU-Bürger, für eine Bürgerin aber insbesondere, gleicht das ohne einem Affront, wie ihn der einzige jemals mit dem Friedensnobelpreis geehrte Kontinent, auf dem seit nunmehr drei Jahren wieder dauerhaft Krieg herrscht, nicht mehr erlebt hat. Zumindest nicht, seit Chinas Großer Vorsitzender Xi von der Leyen von seinem Haushofmeister empfangen ließ und Recep Erdogan die aktuell mächtigste Frau der Welt am Katzentisch platzierte. 

Allein diese Demütigung schrie bereits nach Rache. Ursula von der Leyen aber gilt als besonnene Strippenzieherin, die Vergeltung gern kalt genießt. Stoisch ließ sie die Zurücksetzung an sich abperlen. Sie war es, die Washington, Ankara und Peking anschließend die kalte Schulter zeigte und ganz darauf verzichtete, weiterhin um Besuchstermine zu betteln.

Der größte Binnenmarkt

Europa, zumindest eigenen Berechnungen nach der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt, der zwar kleiner ist als der der USA allein, doch die hat eben keinen "gemeinsamen Binnenmarkt", unterwarf sich zwar demonstrativ den maskulinistischen Forderungen der US-Administration. Zugleich verzichtete sie auch auf eine Wiederholung ihrer Vorladungen an den Trump-Freund Elon Musk, der sic h eigentlich bereits vor zwei Jahren hätte in Brüssel für seine kruden Vorstellungen  von Meinungsfreiheit hätte rechtfertigen sollen. 

Im Hintergrund aber schmiedete die Kommission an einer echten Bombe für den Zollkrieg. Mit einer neuen "Digitalabgabe", die jeder europäische Nutzer der Dienste von Apple, Google, Amazon, X oder Facebook, aber auch von Microsoft-Programmen, Netflix-Abonnenten und Android-Smartphones zahlen müssten, will die Gemeinschaft zweierlei erreichen.

Druck auf den Riesen

Einerseits soll die neue Steuer die USA zwingen, ihre Angriffe gegen die europäischen Handelshemmnisse für US-Produkte abzubrechen. Andererseits sieht die Europäische Kommission nach Trumps "Zollhammer" (Spiegel) eine hervorragende Gelegenheit, dauerhaft am wirtschaftlichen Erfolg der US-Großkonzerne zu partizipieren.

Diese großen US-Konzerne machen bisher "viel Geld in der EU", wie die Wochenschrift "Die Zeit" herausgefunden hat, die auf ihrer Webseite selbst ein halbes Dutzend US-Dienste nutzt. Deshalb gilt die Erklärung des Handelskrieges durch Donald Trump als hervorragende Gelegenheit, mit einer neuen Digitalsteuer einerseits "wuchtig" auf die US-Zölle zu antworten. Und sich so andererseits gut gedeckt dauerhafte Einnahmen durch eine neue Steuer auf Umsätze verschaffen, die große Techkonzerne in Europa generieren. 

Bisher zu viel Aufwand

Alle bisherigen Versuche waren aufwendig und langwierig gewesen, ohne das mögliche Potenzial auszuschöpfen. Firmen wie Meta, Google oder Microsoft verkauft in der EU Lizenzen für ihre Software, Abos oder Werbeplätze in ihren Netzwerken und Suchmaschinen. Die Einnahmen aber versteuerten sie nur zu einem geringen Teil im kleinen Irland, das eigens zu diesem Zweck Niedrigsteuern eingeführt hatte. Zum großen Teil aber genau wie deutsche Autokonzerne erst an ihrem Stammsitz. Die von Olaf Scholz weltweit so erfolgreich eingeführte globale Mindeststeuer änderte daran gar nichts. Nicht einmal der EU-Mitgliedsstaat Irland erklärte sich bereit, entsprechend der Vorgaben aus Berlin umzusteuern.

Die EU-Kommission hatte deshalb immer wieder neue und immer strengere Regeln erlassen müssen,  anschließend war sie gezwungen, jedem Konzern einzeln Verstöße nachzuweisen. Erst am Ende von Verfahren, die sich teilweise über zehn Jahre hinzogen, standen im besten Fall lukrative Strafzahlungen und begeisterte proeuropäische Schlagzeilen wie "EU verdonnert Apple zu Milliardenzahlung" (Tagesspiegel), "EU verdonnert Apple zu Steuerrückzahlung" (Weser-Kurier) oder "Schäuble begrüßt EU-Entscheid zu Apple"

Alles Geld der Welt

Der Aufwand aber blieb beträchtlich. Obwohl eine Institution wie die EU nicht nur jede Menge Zeit und dank der eigenen Hausbank EZB auch alles Geld der Erde hat, um Niederlagen vor Gericht immer wieder anzufechten, sondern auch Personal, das ohnehin beschäftigt werden muss, sind dauerhaft laufende 1.500 Rechtsstreitigkeiten zwischen Kommission und Internetkonzernen auch ein Kostenfaktor. Beschäftigt sich auch nur ein Anwalt in einer Kanzlei eine einzige Stunde am Tag mit einem der Fälle, summiert sich der Stundensatz für alle Verfahren für die Mandantin auf  100 Millionen Euro im Jahr. 

Über die zehn Jahre, die manche Auseinandersetzung andauert, kommt eine runde Milliarde Euro an reinen Anwaltskosten zusammen. Selbst wenn hier und da deutlich mehr eingespielt wird, kostete es in anderen Fällen mehr als es einbringt.

Weg vom Einzelfall 

Nachvollziehbar, dass die EU weg will vom Einzelfall, in dem den US-Internetkonzernen mühsam Verstöße gegen die diffizilen europäischen Regeln aus dem Digital Service Act , die Digitale-Dienste-Richtlinie, die Cookie-Verordnung, die europäische Meinungsfreiheitsinterpretation oder den KI Act nachgewiesen werden müssen, ehe es an Versenden von Bußgeldbescheiden geht. Günstiger für die Gemeinschaft, die selbst über kein Digital-Unternehmen, Internet-Konzern oder Software-Riesen von Bedeutung verfügt, wäre eine Regelung, nach der die amerikanische Techindustrie von Apple bis Microsoft pauschal zahlen muss. 

Digitale Dienstleistungen zu besteuern, könnte unfassbar viel Geld einbringen. Eine solche neue Steuer hätte überdies den Vorteil, dass sie sich gegen die den Europäern ohnehin verhassten amerikanischen Großkonzerne richten würde. Selbst die kleinen Teile der Bevölkerung, die prinzipiell gegen Steuererhöhungen auftreten, gelten in diesem Fall als kompromissbereit: Trifft sie Reiche, Manager oder multinationale Konzerne, ist zumindest in Deutschland jede Steuer im Handumdrehen durchsetzbar.

Nur zehn Cent 

Natürlich würden am Ende die Nutzer zahlen. Aber nur "zehn Cent für jedes Software-Update", so hatte die scheidende grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock das Konzept einprägsam beschrieben. "Das würde viel Geld für Europa bringen, anderen vielleicht nicht so gut gefallen", rechnete sie vor. Die Summe ist tatsächlich beeindruckend: Apple hat etwa 120 Millionen Nutzer in Europa, pro Monat bietet das Unternehmen etwa zehn Updates für seine verschiedenen Produkte an. 

Die EU, die seit Jahren beharrlich nach eigenen Geldquellen sucht, dürfte sich auf etwa 1,5 Milliarden Euro jährlich nur vom Konzern aus Cupertino freuen. Android-Nutzer würden 4,5 Milliarden beisteuern. Microsoft müsste für den Weiterbetrieb der 500 Millionen Windowsrechner in Europa fünf Milliarden im Jahr an Brüssel überweisen. Einnahmen etwa 37,5 Milliarden Euro, wie sie die überwiegend von der EU-Kommission finnazierte Gefälligkeitsgutachtenfabrik Center for European Policy Studies (CEPS) unter der Annahme einer fünfprozentigen Digitalsteuer ermittelt hat, könnten deutlich zu niedrig angesetzt sein. Würden den aufgeblähten EU-Haushalt aber schon zu fast einem Fünftel finanzieren.

Der Baerbock-Plan

Und nach dem Baerbock-Plan wäre deutlich mehr drin. Das großmütige Abschiedsgeschenk der grünen Außenministerin, die ihre Karriere demnächst in den USA fortsetzen wird, überlässt es der EU-Kommission, den Begriff "Update" auf eine ihr angemessen erscheinende Weise zu interpretieren. Damit könnte jedes Update jedes einzelnen Programmes mit einem Vergeltungsaufschlag von zehn Cent belegt werden. Als "Update" könnte sogar jede einzelne Google-Suchanfrage gewertet werden. Schnell kämen auf diese Weise hunderte Milliarden an Euro, ja, sogar Billionen zusammen.

Dass die EU keine Angst mehr vor den Großkonzernen hat, ist längst bewiesen. Im Streit um den Einheitsstecker hat die EU-Kommission ihren weltweiten Anspruch auf Technologieführerschaft eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Auch beim Streit um die Öffnung von Zahlungssystemen für gefährliche side attacks konnte sich Brüssel gegen die Digitalgiganten durchsetzen. 

Zuletzt war es im dynamischsten und fortschrittlichsten Wirtschaftsraum der Welt sogar gelungen, die Einführung von Künstlicher Intelligenz in Europa hinauszuzögern und teilweise ganz zu verhindern - aus Furcht vor den harten Strafen der Kommission verzichteten Meta und Apple darauf, ihre artifiziellen Assistenten in der EU auszurollen.

Es geht auch ohne

Es geht hier auch so. Und wie. Die Gemeinschaft der 27 Mitgliedsstaaten gilt heute als einzige Staatenfamilie weltweit, die weder über eine nennenswerte Digitalindustrie noch über bedeutsame Cloudfarmen, KI-Systeme, Rechenzentren oder Softwareschmieden verfügt. Dafür aber über weitreichende Pläne. Eben erst hat Henna Virkkunen, eine studierte Philosophin, der in der neuen EU-Kommission der Posten der Digitalkommissarin zugelost wurde, Europas "Jetzt-oder-nie-Moment" für die KI-Unabhängigkeit ausgerufen. 

Sechs Jahre nach der Ankündigung Europas, die Gängelbänder aus Amerika abzuschütteln und mit der federated data infrastructure eine  sovereign cloud stack mit dem schönen Namen Gaia-X aufzubauen, ist dieses gigantische Gemeinschaftsprojekt zwar mausetot. EU-Europa will dafür aber nun in der Entwicklung und Anwendung Künstlicher Intelligenz weniger abhängig von den USA und von China werden. "Die Aufholjagd ist groß", hat die "Tagesschau" zutreffend beschrieben. Es fehlt an Geschwindigkeit, an Energie, an Geld und, nicht aber an einer "ehrgeizigen Strategie". 

Gigafabriken für Großdigitalien

Sprudeln erst die Einnahmen aus den Taschen von Millionen Google-, Facebook-, X- und Netflix-Nutzern, so hat Henna Virkkunen errechnen lassen, werden sogenannte "Gigafabriken" gebaut, in denen die EU-Planer aus "Tausenden von Startups" und der "stärkste Forschungsgemeinschaft der Welt" die besten Trainingslager für KI-Systeme schmieden werden.

Samstag, 12. April 2025

Zitate zur Zeit: Die Weisheit des Staates

Planwirtschaft Helmut Schmidt Zitat

Ich glaube nicht an die Investitionsplanung durch den Staat. Ich halte nichts vom Wachstum der Bürokratie.

Ich glaube nicht an die wirtschaftliche Weisheit des Staates, soweit das industrielle Management in Frage kommt. 

Helmut Schmidt äußerte früh Skepsis angesichts der aufkommenden Planwirtschaft

Vorräte für 72 Stunden: Ein kurzer Krieg

Europa wappnet sich gegen den Angriff aus dem Osten. Preppern soll jetzt Volkssport werden.

Das dritte Kriegsjahr war gerade rum, da kam die Anweisung aus Brüssel. Alle Mitgliedsstaaten erhielten den Befehl, frühere Strategien über Bord zu werfen. Das Preppern, Vorbereiten, die Angst vor großen Konflikten mit Nahrungsmangel und Ausfällen der Wasserversorgung, sollten ab sofort nicht mehr als freiheitsfeindliche Angriffe auf die Solidargemeinschaft gewertet werden. Sonden als weitsichtiger Beitrag zur Resilienzsicherung im falle eine russischen Großangriffs.

Futter für den Krisenfall

Ehrensache für jeden guten Eruopäer, ein 72-Stunden-Notfallpaket für den Krisenfall zusammenstellen. Das nach den französischen Vorbild "Survival-Kit" genannte Krisenpaket enthält Lebensmittel, Wasser, Medikamente, ein tragbares Radio, eine Taschenlampe, Ersatzbatterien, Ladegeräte, Bargeld und Kopien wichtiger Dokumente einschließlich ärztlicher Verschreibungen, Ersatzschlüssel, warme Kleidung und Werkzeuge wie Taschenmesser unter Beachtung der durch das Waffenrecht vorgeschriebenen Höchstklingenlänge von vier Zentimetern.

Lang genug, um eine Banane zu schälen, heißt es in den Grundlage-Papiere der neuen europäischen "Preparedness Strategy", die den gesamten Kontinent zum Preparedness-Union machen soll, wie es Kommissionspräsodentenin Ursula von der Leyen nennt. Doch Preparedness, was heißt das eigentlich? Abgesehen von den 5,5 Millionen Iren und Maltesern spricht die Mehrheit der 440 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger kaum genug Englisch, um die Feinheiten des vom Amt für Einheitliche Ansagen in Brüssel erarbeiteten Begriffes zu verstehen.

Speziell für den Krieg

"Preparedness" (prɪˈpɛːrɪdnɪs,prɪˈpɛːdnɪs) ist abgeleitet von "Preparation", der Vorbereitung, das Wort meint aber etwas anderes. nach der Definition aus dem Oxford English Dictionary meint "Preparedness" einen "state of readiness, especially for war", also eine Bereitschaftszustand, der sich nicht auf kommenden Regen, die anstehende Erntezeit oder angekündigten Verwandtenbesuch bezieht, sondern auf "a high level of military preparedness". Die "Strategie für eine Bereitschaftsunion", die von der EU in gewohnter Weise mit einem englischen Fantasiebegriff überschreibt - diesmal lautet er "ProtectEU" soll nachboffizieller Lesart "die Mitgliedstaaten zu unterstützen und Europas Fähigkeit zur Prävention und Reaktion auf neu auftretende Bedrohungen zu stärken". 

Um die Dringlichkeit einerf solchen Strategie zu betonen, bedient sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen der Argumentation von Schwarzmalern und Weltuntergangspropheten: Die EU befinde sich in einem "veränderten Sicherheitsumfeld und einer sich wandelnden geopolitischen Landschaft, in der hybride Bedrohungen durch feindliche ausländische Staaten und staatlich geförderte Akteure zunehmen, mächtige Netze der organisierten Kriminalität sich ausbreiten und Kriminelle und Terroristen zunehmend online operieren", heißt es nach einer ausgiebigen Lageanalyse. Daher habe "Europa seinen Ansatz für die innere Sicherheit überdenken" müssen. 

Hilfe für Hamsterer

"ProtectEU" ist kein Aufrüstungsprogramm. Es zielt nicht darauf ab, Lieferketten vor denn gefürchteten Hamsterern zu beschützen oder den Bau privater Bunker in Kleingärten finanziell zu fördern. Es geht der Kommission, die aus den euriopöischen Verträgen heraus keine unmittelbare Zuständigkeit für Sicherheitsfragen in der EU hat, wie immer darum, die eigenen Kompetenzbereiche auszuweiten. In der Corona-Pandemie versuchte Ursula von der Leyen das mit dem Unternehmen "Hera", das aus der EU eine "Gesundheitsunion" machen sollte.

Nach dem Ende der Seuche leitete sie mit dem "Wiederaufbauplan" namens "NextGenerationEU" und dem Klimafahrplan "Green Deal" zwei Großunternehmen ein, die der EU endlich die ersehnten eigenen Steuereinnahmen brachten. "Preparedness", nicht vom eigentlich im weitesten Sinne themenverantwortlichen Kommissar Magnus Brunner, sondern von der belgischen Journalistin und Dokumentarfilmerin Hadja Lahbib vorgestellt, die nach Jahren als Nachrichten- und Pressesprecherin seit Dezember vergangenen Jahres für "Resilienz, humanitäre Hilfe und Krisenmanagement sowie Gleichstellung" in der EU sorgt. Erstes erklärtes Anliegen: Einen "Kulturwandel im Bereich der inneren Sicherheit fördern", der Krieg und Krise zu einer allgegenwärtigen Bedrohung macht. 

Niemand hat mehr Strategien

Bedrohungen sollen nicht mehr als weit weg und theroretisch begriffen werden, sondern Alltag sein - vom regelmäßigen Geheul der Sirenen über das Anlegen von Notvorräten bis hin zum freiwilligen Waffentraining. Im "neuen europäischen Governance-Rahmen für die innere Sicherheit" ist Re-Militarisierung und geistige Aufrüstung Teil der Strategie, um die Mitgliedsstaaten bei der Umrüstung auf Vorkriegswirtschaft zu helfen. 

Es wimmelt in Europa geradezu vor neuen Strategien, so dass die "Europäische Strategie der inneren Sicherheit" jetzt die "Strategie der Union für die Abwehrbereitschaft und das Europäische Verteidigungsweißbuch" ergänzen kann. Demnächst kommt noch der "bevorstehende Europäischen Schutzschild für die Demokratie" hinzu. Und alles zusammen bildet dann "einen umfassenden Rahmen für eine sichere und widerstandsfähige EU" (Ursula von der Leyen). 

Ein Wall aus Strategiepapieren

Papierberge, die kein Russe überwinden kann. Vorausgesetzt, die Brügerinnen und Bürger haben auftragsgemäß Lebensmittel, Wasser und Hygieneartikel für drei Tage eingelagert. Mittlerweile haben die Mitgliedsstaaten - zumindest der deutsche - mit der Weitergabe der neuen Richtlinien aus Brüssel begonnen. Das Bundesinnenministerium rät Bürgern zur Vorbereitung auf den Ernstfall, denn ein "Angriff Russlands auf Nato-Gebiet gilt als realistisches Szenario". Neben ausreichend Notvorräten, um die offiziell veranschlagten 72 Stunden zu überbrücken, die es dauern wird, bis die Bundeswehr und die Nato-Verbündeten den Aggressor hinter die Oder zurückgeworfen haben, sollen "auch Schüler auf das Schlimmste vorbereitet werden". 

 Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will wegen der Lage in "jüngerer Zeit" einen "stärkeren Fokus auf den Zivilschutz setzen, auch schon in der Schulbildung“, sagte ein Ministeriumssprecher dem Handelsblatt. Geplant sind Trainingstunden, in denen Scheuerlappenmasken gebastelt werden, Übungen stattfinden, wie man sich am besten mit einem Schulranzen vor den Folgen einer Kernwaffenexplosion in der Nähe schützt, und in lockerer Atmosphäre eine Grundausbildung zum Verhalten in Katastrophenlagen stattfindet. Nicht nur mit Blick auf den geplanten Freiheitsdienst mit und ohne Waffe, sondern gerade angesichts der Schwierigkeiten, auf die der Asubau der Bundeswehr zum Massenheer trifft, wäre das "klug und vorausschauend“, wie der CDU-Bundestagabgeordnete Roderich Kiesewetter die sozialdemokratische Bundesinnenministerin bestärkt hat. 

Noch  vier Jahre Zeit

Formal sind die Bundesländer für Lehrpläne zuständig. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) aber, gegen dessen Vorsorgeempfehlungen über Jahre hinweg offen gehetzt worden waren, liefert auf Anforderung kostenlos „Erste-Hilfe-Kurse mit Selbstschutzinhalten“, so dass heute zwölf- bis 17-Jährige auf alles vorbereitet sind, wenn Russland wie geplant in "vier bis sieben Jahren" Nato-Territorium angreift. Dass es so kommen wird, gilt längst als realistisches Szenario. Sowohl der Bundesnachrichtendienst (BND) als auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, gehen davon aus, dass Kreml-Herrscher Wladimir Putin der EU und der Nato gerade noch die Zeit einräumt, die sie braucht, um sich für den Ernstfall zu wappnen.

Während die Nato Deutschland aufrüstet wie nie, liefern die Brüsseler Behörden einen unendlichen Strom an Maßnahmen, die zur "Abwehrbereitschaft und Resilienz" führen werden. Die EU-Empfehlung, dass jeder Haushalt für drei Tage Vorräte haben sollte, ist nur ein kleiner Schritt zur Kriegstüchtigkeit. Mit einem solchen Vorrat könnten "vorübergehende Krisensituationen gut bewältigt werden“, hat die Kommission errechnen lassen. Es gelte, sich irgendwo mit "Brettern, Sand und Steinen" einen sicheren Unterstand zu bauen. Eingelagert werden muss dann als Grundvorrat für jede  Person, die Zuflucht finden soll, eine Menge von  20 Litern an Getränken, 3,5 Kilogramm Brot, Reis oder Müsli, vier Kilo Gemüse, 2,5 Kilo Obst und Nüsse, 2,6 Kilo Milch und Milchprodukte, Fisch, Fleisch und Eier (1,5 Kilogramm) sowie nach Belieben Zucker, Honig, Marmelade oder Fertiggerichte. 

Gekühlt muss nicht werden

Sorgen um unzureichende Kühlung muss sich niemand machen. Nato-Strategen und EU-Planer gehen von einem nur kurzen Kräftemessen aus, ehe der Aggressor begreifen wird, dass er chancenlos ist. Nach etwa 72 Stunden fahren dann die ersten Brotlaster der Bundeswehr durch die Städte, wasser und Strom werden wieder angeschaltete und die Supermärkte öffnen.

Unbedingt einlesen sollten sich künftige Prepper aber zudem in den "Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen" des Katastrophen-Bundesamts BBK. Darin schildert die Behörde, wie sich ganze Familien sogar auf einen "Großkrieg" (Ursula von der Leyen) mit einer Dauer von zehn Tagen wappnen lassen. Neben der Aufgelistung von Vorräten mit Angaben der Menge pro Person zeigt die Handreichung auch, wie viele Gold- und Silbermünzen mit in den Schutzraum genommen werden sollten, welche Mengen an Schnaps und Zigaretten als Tauschmittel nötig sind und wie sich Kleingetier wie Waschbären, wilde Enten und Ratten in den Ruinen der Städte mit Pfeil und Bogen jagen lässt, wenn Lebensmittel nur noch schwer zu bekommen sind. 

Vorbereitet mit Notfalltasche

Mit einem "Nationalen Vorbereitungstag", den einzuführen Hadja Lahbib den Mitgliedstaaten vorgeschlagen hat, soll der Ernstfall künftig einmal im Jahr feierlich geübt werden. Sirenen heulen, Brotlaster patrouillieren, Bürgerinnen und Bürger können ihr Notfalltasche mit Ausweispapieren, Streichhölzern, Heftpflaster und Mullbinden ausprobieren. Das Fernsehen würde berichten und damit die wichtige Botschaft nach Moskau senden: Europa ist auf das Undenkbare vorbereitet.

Freitag, 11. April 2025

Eiskalt abserviert: Mit ihr stirbt der Parlamentspoet

Von der mächtigen Lobby der westdeutschen Männer wurde Katrin Göring-Eckardt aus ihrem Posten als Bundestagsvizepräsidentin gedrängt. Doch so vieles, was sie gesagt hat, wird bleiben.

Sie hätte gern weitergemacht. 58 Jahre, das ist kein Alter, in dem man den Job an den Nagel hängt, dem man so viel zu verdanken hat. Schon gar nicht in der Politik, wo die Besten der Besten noch mit weit über 70 Zwölf-Stunden-Tage wuppen. Katrin Göring-Eckardt war bereit. Die Frau aus Friedrichroda, evangelisch-lutherisch; verheiratet, zwei Söhne, Polytechnische Oberschule, Erweiterte Oberschule, Abitur, hatte sich eingerichtet als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.  

Aufstieg einer Ostdeutschen

Numerisch war sie nicht nur die einzige Ostdeutsche, die im Parlament Ansagen machen durfte. Sondern auch die höchste Frau im Staate, wenn Bundespräsident Walter Steinmeier und Hauptpräsidentin Bärbel Bas verhindert waren. Was für eine Karriere für eine Frau, die ihr Theologiestudium hatte abbrechen müssen, um dann über die übliche lange Kaderstrecke ihren Weg zu machen: Erst Referentin der Thüringer Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dann der Sprung als Angestellte eines grünen Bundestagsabgeordneten nach Berlin. Dort mit Ellenbogen und ostdeutscher Gewitzheit der Aufstieg, erst ins Parlament, dann an die Parteispitze, schließlich ins höchste Amt im Land. 

Wegweisende Sätze

Four more years waren fest eingeplant.  Katrin Göring-Eckardt schien anfangs unumstritten in ihrer Partei. Sie hatte die Zeitenwende der zurückliegenden Jahre mit vielen wegweisenden und bis heute unvergessenen Sätzen begleitet. Die Thüringerin ordnete als erste ein, wie sich der unverhoffte Flüchtlingsstrom auf die festgebackenen, für die Ewigkeit zementierten Verhältnisse auswirken würde. "Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf!", jubelte sie, denn "Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt". 

Nur wenig später zeigte sie sich ökumenisch großzügig und sie stellte sich hinter den an Korruptionsvorwürfen gescheiterten früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. "Natürlich gehört der Islam zu Deutschland, und natürlich gehören Muslime zu Deutschland. Und ich finde, darüber können wir ganz schön froh sein", sagte Katrin Göring-Eckardt denen, die es immer noch nicht glauben wollten. Aus ihrer Sicht aus dem Fenster des Bundestagsbüros wäre ja, sagte sie "sehr langweilig, wenn wir nur mit uns zu tun hätten."

Ja, es kostet Euch was

Offene Worte, die nie daran zweifeln ließen, dass die ostdeutsche Einwandererin in den westdeutsch geprägten Politikbetrieb angekommen war. Göring-Eckhardt stand auf der richtigen Seite und sie sagte das richtige zur richtigen Zeit: "Ja, Leute, es kostet was", beschrieb sie etwa den Preis der Zuwanderung von zwei, drei Millionen Menschen in nur einem  halben Jahrzehnt. "Aber am Ende profitieren wir alle davon – mit mehr Sicherheit, übrigens auch sozialer Sicherheit."

Es war aus ihrer Sicht eben nicht wie damals vor 80 Jahren, als die Nazis die Dresdner Frauenkirche zerstörten. Diesmal bezahlten Einwanderer "die Rente derjenigen, die in Dresden auf die Straße gehen und gegen Asylbewerber und Einwanderer demonstrieren".

Mit ihrer Idee, einen Parlamentspoeten zu berufen, der all das in feine Reime gießen und für die Nachwelt in großen Poemen verewigen sollte, zeigte deutlich, dass Katrin Göring-Eckardt die Bodenhaftung nie verloren hatte. Jenseits von Klima, Krieg und Krise verfügte die feingeistige Frau aus dem grünen Herzen der Republik über das bemerkenswerte Talent, die Realität zu transzendieren und den oft so drögen und technisierten Bundestagsbetrieb als vielfältiges und buntes Treiben an einer Art   Königshof unserer Demokratie neu zu träumen. 

Die Mutter des Parlamentspoeten

Weit weg vom üblichen Beauftragungswesen sah sie eine Zeit, in der dem Parlamentspoeten Bänkelsänger assistieren, dem Bundespräsidenten ein Hofnarr zur Hand geht und sich Abgeordnete aller Partei von Wahrsagern, Handlesern und Horoskopisten beraten lassen können. Wo Platz und Geld für 39 Bundesbeauftragten und -Koordinatoren sei, werde sich auch welches finden, um Bundestagspoeten, Bundestagsschriftstellernde, Magier, Homöopathen und Zauberer zu bezahlen.

"Ich unterstütze es, einen neuen diskursiven Raum zwischen Parlament und lebendiger Sprache zu öffnen", sagte Göring-Eckardt. Denn "Poesie kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten", für einen "wertschätzender Umgang mit unserer Sprache". Deshalb werde sie "für diesen klugen Vorschlag im Sinne von Freiheit und Demokratie werben".

Ende einer Karriere

War es das, was ihrer hochfliegenden Karriere jetzt das Genick brach? Oder war es das Alter? oder doch, der Verdacht, der im politischen Berlin immer zuerst aufkommt, die Herkunft aus Ostdeutschland, zumal aus Thüringen, einem Bundesland, das zeitweise schon mit Hilfe verfassungsfeindlicher Fernanweisungen hatte in höchster Not vor dem Absturz in den Faschismus hatte bewahrt werden müssen? 

Nun, in der Partei halte sich selbst Insider bedeckt über die Gründe, die Katrin Göring-Eckardt ihren Platz im Bundestagspräsidium gekostet haben. Unerwartet selbst für die Betroffene, die ihren Anspruch auf Wiederwahl schon Sekunden nach Schließung der Wahllokale angemeldet hatte, selbstbewusst auf die drei Prozent Stimmen verweisend, die sie als Direktkandidatin in Erfurt und Umgebung geholt hatte. Doch gegen die Lobby der Jüngeren, der Westdeutschen und der Männer in der früher paritätisch geführten Partei hatte die ostdeutsche Frau letztlich keine Chance. 

Niederlage gegen Mann aus dem Westen

Nach kurzem Kampf, gedeckt durch laute Vorwürfe an die CDU, löste die neue Parteiführung ihr Versprechen an den früheren Parteichef Omid Nouripour ein, ihn mit dem Vizeposten im Bundestag für seinen still geduldeten Rauswurf aus der Parteiführung abzufinden. Gemeinsam mit seiner Kollegin Ricarda Lang war Nouripur im Herbst von Robert Habeck ausgetauscht worden, um dem vor der Gründung stehenden "Team Habeck" unangenehme Altlasten vom Hals zu schaffen. 

Auch der jetzt simulierte "fraktionsinterne Wettbewerb" (T-Online), zu dem aus Tarnungsgründen auch die schillernde frühere  Vizepräsidentin Claudia Roth geladen wurde, war ein Manöver, um Göring-Eckardt ohne öffentliches Aufsehen loszuwerden. Und es gelang: Mit Omid Nouripour ersetzt ein 49-jähriger Einwanderer aus dem Iran die 58-jährige Einwanderin aus der DDR, ein Mann tritt an die Stelle einer Frau, ein Jüngerer an die Stelle einer älteren und ein Fachmann, der Studiengänge in Germanistik, Politikwissenschaft, Jura, Soziologie, Philosophie und Volkswirtschaftslehre nicht abgeschlossen hat, bringt seine Kompetenzen anstelle einer Vorgängerin ein, die nur auf ein abgebrochenes Theologiestudium verweisen kann.

Keine Ostdeutschen mehr ganz oben

Ein Qualitätssprung, mag die Partei der beiden so ungleichen Bewerber jubeln. Doch nicht nur der Osten trägt Trauer, weil er jetzt nicht mehr nur keine Kanzlerin mehr hat, sondern nicht einmal mehr einen Vertreter im Bundestagspräsidium. Es trauern auch alle, die in der neuen Legislaturperiode auf einen neuen Anlauf zur Besetzung des Postens des Parlamentspoeten gehofft hatten. 

Brandmauerstatik: Neue Clearingstelle für Kritik

Die Zentrale des Bundesblogampelamtes im mecklenburgischen Warin. Hier wird auch die neue Clearingstelle für Kritik (CfK) als zentraler Teil des Lagezentrums für Beobachtungs- und Abstimmungsbedarf (LZBA) angesiedelt.

Dieser Auftritt war ein Triumph. Im Handstreich wischten Friedrich Merz und Lars Klingbeil alle Zweifel daran weg, dass Demokraten aus der Mitte heraus daran scheitern könnten, einen gemeinsamen Plan vorzulegen, um alles besser und gerechter zu machen. Schwarz-Rot hat vorgelegt, umfassend und überzeugend.  

Ein starkes Signal für Deutschland und ebenso für die Welt. Kaum waren die vier Spitzen der künftigen Koalition von der Bühne gegangen, feierten die Börsen der Welt Wiederauferstehung: Zehn Prozent hoch in Amerika, immerhin noch acht in Deutschland.

Noch nie zuvor hatte eine Bundesregierung, die noch nicht einmal im Amt ist, mit einer derartig starken Spieleröffnung glänzen können. 

Die üblichen Verdächtigen

Doch nicht alle teilen die Euphorie. Wie immer meldeten sich unmittelbar nach dem Auftritt der Koalitionsspitzen Merz, Klingbeil, Söder und Esken die üblichen Verdächtigen. Der ausgehandelte Koalitionsvertrag, 146 Seiten, die bis zum Absetzen der ersten Protestnoten noch niemand gelesen haben konnten, traf bei der zukünftigen Opposition auf scharfe Kritik. 

Grünen-Chef Felix Banaszak spricht von "Klamauk". Alice Weidel von einer "Kapitulationsurkunde" und die Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner nannte das über Wochen so aufwendig erstellte Papier sogar "Dokument der Ignoranz". Die Delegitimierung der Staatsorgane, die noch nicht einmal welche sind, feierte fröhliche Urständ.

Und besser wurde es auch in der zweiten Runde nicht. Jetzt pickten sich die Hinterbänkler ihre Rosinen heraus. Zu wenig Klimaschutz und zu viel Rücksicht auf Reiche. Zu späte Preiserhöhungen für die hart arbeitende Mitte, die sich weigert, auf Wärmepumpe umzusteigen. 

Hohn über das neue deutsche Raumfahrtprogramm. Abscheu angesichts der nach dem polnischen Vorbild geplanten Zurückweisungen an den Grenzen, die auf jeden Fall kommen sollen, wenn Polen zustimmt.

Meckern, mäkeln und quertreiben

Herrnfreid Hegenzecht fürhrt die BBAA seit 15 Jahren.
Mit jeder Minute, in der gemeckert, gemäkelt und quergetrieben wurde, wuchs die Gefahr, dass Schwarz-Rot scheitert, noch ehe die Minister vereidigt worden sind. Es wuchs aber vor allem auch die Gefahr, dass die Brandmauer einmal mehr nicht hält. 

Denn bei all den unterschiedlichen Zungenschlägen, um die das Heer der Hetzer gegen das Koalitionspapier sich mühte, war doch schnell eines klar: Über alle weltanschaulichen Differenzen hinweg sind sich Grüne, Linke und Alternative für Deutschland einig im Urteil, dass noch nie ein Koaltionsvertrag so absehbar so fürchterliche Folgen für das Land, Europa und die Welt haben wie dieser.

Die Vorwürfe waren durchaus bunt und vielfältig. Die Linke beklagte das Versagen bei den "großen Herausforderungen unserer Zeit" und das mangelnde Vermögen, die Lage "in ihrer Größe"zu begreifen. 

Alice Weidel konnte die "Handschrift des Wahlverlierers SPD" herauslesen und einen Geruch von Wahlbetrug wahrnehmen. Grünen-Chefs Felix Banaszak fand den Auftritt der vier Parteivorsitzenden  "ziemlich schräg und peinlich" gewesen und war sich sofort sicher, dass die kommende SchuKo "Geld wie Heu, aber Ideen wie Stroh" habe. 

Mutlos und enttäuscht

Als sich dann auch noch Christian Dürr, offenbar ehemaliger Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag, meldete, um  Union und SPD "Mutlosigkeit und Enttäuschung" vorzuwerfen, fehlte nur noch Sahra Wagenknecht. Als sie auftauchte, war sie sicher, dass der Koalitionsvertrag keine Antwort auf Wirtschaftskrise und Handelsstreit gebe. 

Am Satz: "So droht ein drittes und viertes Rezessionsjahr unter Schwarz-Rot: die Merzession" hatte die bei der Wahl gescheiterte frühe Linken-Politikerin lange getüftelt und geübt.

Und tatsächlich: Niemand aus den vielen Oppositionsparteien  formulierte seine Vorwürfe an CDU, CSU und SPD wörtlich so wie ein anderer der vielen Kritiker. Doch ganz gelang es nicht: Die grüne Vorsitzende aus Bayern kollidierte mit ihrem " Aufschieben, aussitzen und Augen verschließen hörbar  mit der Klage der AfD-Vorsitzenden, dieser Koalitionsvertrag sei ein "Weiter-so" der Ära Merkel.

 Auch das "Valium für Europa", das die grüne Bundesvorsitzende Franziska Brantner im Ringen um ein medientaugliches Bild bemühte, war nicht weit weg von Weidels  "alten Versagern", die sich die Posten im neuen Kabinett aufteilten.

"Große Schicksalsfragen"

Gefährdeter Wohlstand und gefährdete Sicherheit  hin, die  "großen Schicksalsfragen" wie Energie und Migration und Klima, je nach Blickwinkel, her. Offenkundig kann es so nicht weitergehen. 

Die "kleine Koalition" oder auch "KleiKo" die über ihren Machtverlust noch immer spürbar konsternierten Grünen seit Wochen als Namen für Schwarz-Rot zu etablieren versuchen, ist ganz rechts außen angekommen: Der Vorsitzende Tino Chrupalla benutzte die Formulierung ebenso wie Felix Banaszak, um die vor so großen Aufgaben stehende neue Koalition vor aller Augen herabzuwürdigen.

Beim Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin wird die Entwicklung mit großer Sorge gesehen. "Unsere Beobachtungen zeigen eine Auflösung der Brandmauer an einer Stelle, an der wir das nicht erwartet hatten." 

Galt bislang unter Extremismusforschern als ausgemacht, dass Friedrich Merz die Union aus der demokratischen Mitte in eine Partnerschaft mit der in Teilen als rechtsextrem eingestuften  Partei führen werde, sehe es nun so aus, als "brächen zuallererst die Dämme zwischen  ganz rechts außen und den linken Parteien." 

Zusammenwachsende Ränder

Wenn eine Frau wie Alice Weidel von einer "Lügen- und Brandmauer-Koalition" spreche, dann sei das eine Sache. "Niemand erwartet etwas anderes von ihr." Wenn aber bislang durchaus als demokratisch verlässliche Kräfte auf der äußersten linken Seite des Parlaments gleichlautend mit der Rechten behaupte, das Wort "verantwortungslos" passe besser zum schwarz-roten Koalitionsvertrag als "Verantwortung", dann, sagt Behördenchef Herrnfried Hegenzecht, "stehen wir als Meinungsaufsichtsamt vor der Frage, wie wir ein Zusammenwachsen der Ränder verhindern können."  

Die Demokratie sei die einzige Regierungsform, die ihren Feinden die Mittel zu ihrer Abschaffung selbst in die Hand gebe, aber sie sei nicht wehrlos bei der Abwehr von Versuchen, das auszunutzen."Wir als BBAA werden nicht tatenlos zuschauen, wie sich Extreme von links und rechts gegenseitig dabei befeuern, die Mitte unter Beschuss zu nehmen - ob nun mit Begriffen wie Klamauk oder der Behauptung, es werde ein Armutszeugnis im wahrsten Sinne des Wortes geliefert.

Gefahr für den Gleichklang

Hegenzecht sieht die große Gefahr, dass der harmonische Gleichklang der Vorwürfe bei den Bürgerinnen und Bürgern für wachsende Verunsicherung sorgt. "Wenn niemand mehr unterscheiden kann, wer behauptet, dass der Koalitionsvertrag 'hinten und vorne nicht durchgerechnet' sei und wer darüber wettere, dass 'Schwarz-Rot die gesellschaftliche Spaltung' vertiefen werden, laufen wir in eine Situation, in der die Brandmauer zwischen den Oppositionsvertretern ihr Geld nicht mehr wert ist."

Das Bundesblogampelamt (BBAA) sieht durchaus die moralischen und ideologischen Hürden, die bisher verhindern, dass sich die derzeit drei großen und zwei kleinen Oppositionsparteien untereinander absprechen, um nicht gleichlautend über die Anstrengungen der Regierungskoalition zu höhnen. "Wir müssen ja sagen, dass wir außerordentliches Glück gehabt haben, dass es bisher noch nicht zu wörtlichen Doppelungen gekommen ist." 

Selbstverständlich sehe die obere Meinungsfreiheitsschutzbehörde auch die Zwänge, unter denen die Beteiligten arbeiten. "Weder die Linke noch die Grünen noch das BSW oder die FDP können ihre Pressemeldungen zur Abstimmung an die AfD faxen, um vorab zu klären, wer vielleicht noch von Merzession und Valium sprechen wird."

Brückenbauer über die Kontaktschuldangst

Die Rechtspartei ihrerseits sei durch Satzung und Grundgesetz prinzipiell nicht daran gehindert, "die warten aber natürlich nur händereibend auf den Augenblick, an dem eine der anderen Parteien gleichlautend wie sie argumentieren wird." Das sei eine Bedrohung für unsere Demokratie, die das BBAA mit der Gründung eines neuen Lagezentrums für Beobachtungs- und Abstimmungsbedarf (LZBA) vorsorgend begegnen will. 

"Im Rahmen der Fortgründung der Cybernation Deutschland  soll das LZBA ein weiterer starker Baustein gegen die mögliche Doppelverwendung von kritischen  Begriffen in der Debatte." Er sehe die neue Organisationseinheit im BBAA als Clearingstelle für Kritik. "Wir werden wirksam zu verhindern wissen, dass sich die Ränder auf der Jagd nach dem schnellen viralen Hit verwechselbar machen."

Fälle wie der, dass sowohl Grüne als auch Rechte darüber wettern, dass die Koalition die junge Generation im Stich lasse, oder behaupteten, die Versprechen der neuen Regierung seien "nicht durchgerechnet", "langweilig geschrieben und mit wenig Inhalten bestückt", dürften sich nicht wiederholen, dafür stehe das LZBA. "Als obere Abstimmungsbehörde wird das LZBA dafür sorgen, dass es bei einer deutlichen und klaren Unterscheidbarkeit der einzelnen Kritikangebote bleibt."

Ein ehrlicher Makler

Da man wisse, welche Kontaktschuldangst bei den demokratischen und schon länger nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachteten Parteien herrsche, wolle man sich als ehrlicher Makler  einspringen und diplomatisch zwischen den Akteuren vermitteln. 

"Wer Kritik an der Bundesregierung oder einzelnen Ministern üben will, darf das gern weiter tun, auch mit den üblichen Massenaussendungen an die Presseagenturen", ordnet der erfahrene Meinungsfreiheitsschützer Herrnfried Hegenzecht ein. 

Ehe aber jemand wie Sahra Wagenknecht künftig an "vernünftige Abgeordnete" appelliere könne, um die Basis von Union und SPD aufzuforden, den Koalitionsvertrag zu stoppen, sei es zwingend vorgeschrieben, die Forderung mit der LZBA abzustimmen. "Was wir vermeiden müssen, ist doch, dass diese Forderung vielleicht gleichzeitig auch noch aus der AfD kommt." 

Missverständnisse strik vermeiden

Das schade der demokratischen Debatte und beschädigeden kritischen Diskurs, der durchaus weiter gewollt sein werde. "Aber bitte so, dass unsere Experten die Wortmeldungen sammeln, sichten, Dubletten im Reinstraum sterilisieren und die Wählerinnen und Wähler anschließend mit Material versorgen, bei dem jeder gleich weiß, wer Ross und Reiter ist." 

Gesunde Schärfe in der Auseinandersetzung bleibe gewollt, Verwechslungen aber, die missverständliche Eindrücke über den Abstand zwischen den Parteien "fast schon heraufbeschören" (Hegenzecht), gelte es strikt zu vermeiden.