Mit Kleingeld gewinnt keiner: Alle Parteien bieten den Wählern im Wahlkampf mindestens Entlastungen von 100 Milliarden an. |
Die unbegrenzte Steuermacht des Staates habe dazu geführt, dass die Institutionen, die eigentlich einmal dafür gedacht waren, den Bürgerinnen und Bürgern Bedingungen zu gewährleisten, damit diese ihr eigenes Leben organisieren können, sich mehr und mehr einmischten in die privatesten Angelegenheiten. Nicht zuletzt, um immer weiter zu wachsen, immer neue Ableger, Beauftragtenstäbe und Überwachungsorganisationen zu bilden. Die ihrerseits den unersättlichen Hunger auf noch mehr Geld, noch höhere Steuern und noch freigiebigere Ausschüttungen befördern.
Alles muss raus
Mehr als die Hälfte von allem, was ein Arbeiter oder Angestellter in Deutschland durch seiner Hände Arbeit verdient, nimmt sich Vater Staat. Bisher eine anerkannte Praxis, denn wie anders als mit so viel Geld hätten Regierungen unterschiedlichster Farben dafür sorgen können, dass die Infrastruktur allmählich verkommt, die Streitkräfte verludern, die Wettbewerbsfähigkeit verlorengeht und auf nahezu keinem Gebiet, auf dem sich wegweisende Entwicklungen der Zukunft ankündigen, irgendein deutsches Unternehmen noch irgendeine Rolle spielt.
Erst mit dem Beginn des Wahlkampfes hat sich der Ruf, der Staat möge sich zurückhalten, die Steuern müssten endlich wieder sinken und das Maß an Freiheitsgraden für die Bürger steigen, von der überlaunigen Wutbürgerparole zum Konsens im politischen Berlin verwandelt. Als habe jemand die Parteien und ihr Führungspersonal über Nacht ausgewechselt, wetteifern SPD, CDU, Grüne, FDP, Linke, BSW und AfD darum, wer den Wählern die meisten Milliarden versprechen kann.
Viele Nullen für die Wähler
Es geht nicht mehr um Millionen wie früher, aber auch nicht mehr um ein paar lumpige Milliarden. Die Zeiten, in denen Bundesregierungen und Opposition glaubten, mit sechs oder sieben Nullen hinter dem Zähler die Welt retten zu können, sind vorbei. Zwei Monate vor der Bundestagswahl gibt sich keine der Parteien noch mit Kleingeld ab und niemand wagt es, vor die umworbenen Abstimmungsberechtigten zu treten, ohne wenigstens 80, 100 oder 200 Milliarden Entlastung im Angebot zu haben.
Alle wollen plötzlich die Steuern und Abgaben senken, die sie alle in unterschiedlichsten Konstellationen seit 1960 so sehr erhöht haben, dass der hart arbeitenden Mitte von jedem verdienten Euro nicht einmal mehr ein halber zum Ausgeben bleibt. Und bei allen soll es nach viel klingen, was gegeben werden wird, auch wenn es nicht viel ist: Die standardmäßig in Aussicht gestellten 100 Milliarden machen 1.200 Euro pro Bürger aus, 100 Euro im Monat. Nach der Kaufkraft des Jahres 1999 sind das 100 Mark.
Besser essen mit der SPD
Aber das Getöse drumherum ist groß. Man wolle wieder "Wachstumsraten wie in anderen Industrieländern erreichen", durch "steuerliche Entlastungen die Investitions- und Konsumschwäche überwinden", die Unternehmen vitalisieren, indem deren Steuerlast "Richtung 25 Prozent" gesenkt werde - immer noch sehr deutlich über dem US-Satz von 21 Prozent, aber das muss man ja nicht dazusagen. Für die Armen bietet die SPD günstigeres Essen, für die ganz Reichen haben die Grünen eine Milliardärssteuer dabei. Der Soli, den das Bundesverfassungsgericht vielleicht ohnehin demnächst abschaffen wird, wird abgeschafft. Überstunden, die schon gar keiner mehr macht, weil es sich nicht lohnt, werden steuerfrei
Die SPD kontert das mit ähnlicher Freigiebigkeit. Nach Wumms und Doppelwumms wird der Triplewumms noch wummsiger: Zur "wirtschaftlichen Belebung" bekommen Unternehmen, die es nicht lassen können und im letzten Hänger im weltweiten Wirtschaftszug investieren wollen, einen Steuerzuschuss von zehn Prozent auf alles, vom Steuerzahler bezuschusste Strompreise und einen Anteil an einem 100 Milliarden Euro schweren neuen Schuldenposten namens "Deutschlandfonds", der außerhalb des Haushalts geparkt wird, um die verfassungsmäßig vorgeschriebene Schuldenbremse auszutricksen.
Es reicht nicht, klingt aber
Mit dem Geld, das rein rechnerisch gerade reichen würde, die geplanten neuen Erdgaskraftwerke zu bauen und ein bisschen was bei der Deutschen Bahn zu reparieren, will die SPD den Umbau der Strom- und Wärmeversorgung finanzieren, dazu den Aufbau eines Wasserstoffnetzes, die Transformation zur Elektromobilität und den schon lange versprochenen Wohnungsbau. Weil das nicht reichen wird, die Bürgerinnen und Bürger wirklich zu begeistern, sollen außerdem "95 Prozent der Steuerzahler" finanziell entlastet werden. Bezahlen sollen das "hohe Einkommen und Vermögen", die auch bei den Grünen nichts zu lachen haben werden.
Robert Habeck ist da ganz klar. Seine "Milliardärssteuer" trifft nur wenige, schürt aber den Neid vieler und weckt damit die Erwartung, selbst nur zu bekommen, nicht aber zahlen zu müssen. Erstmals will Robert Habeck auch ran an die Steuersystematik in Deutschland, die es bisher verbietet, Steuern zweckgebunden zu erheben: Mit den erhofften Einnahmen von "fünf bis sechs Milliarden Euro", so ganz genau weiß es niemand, sollen "Schulen saniert sowie in deren Ausstattung und Personal investiert werden". Nach nur zehn Jahren wäre der von der staatlichen Wiederaufbaubank KfW errechnete Investitionsbedarf eines einzigen Jahres vollständig abgearbeitet sein.
Förderung für den fossilen Verbrauch
Natürlich wären fünf, sechs Milliarden Mehreinnahmen für blitzblanke Schulen in zehn Jahren kein komplettes Programm, mit dem eine regierungswillige Partei wie die Grünen vor die Wählerinnen und Wähler treten würden. Deshalb hat auch die frühere Öko-Partei jede Menge gute Gaben mitgebracht. Die hohen Strompreise, die nach Überzeugung der Parteiführung schon sehr gut gesunken sind und bald noch mehr sinken werden, sollen gedämpft werden, um den Bürgern den fossilen Verbrauch nicht weiter zu vergällen, den man mit der Erhöhung der CO₂-Abgabe an Januar wieder teuer machen wird.
Auch bei den Grünen gibt es einen "Deutschlandfonds", auch bei ihnen soll er über Kredite finanziert werden, so dass erst künftige Generationen bemerken, welche Last sie da abzutragen haben. Wie die SPD plant auch Team Habeck eine Investitionsprämie von zehn Prozent auf alles. Ausgenommen sind private Käufer. Die sollen statt der früheren 4.000 bis 6.000 Euro Prämie für die Anschaffung eines Elektroautos - ehemals spendiert von der Praxishilfe an den Oberarzt - nur noch einen Tankgutschein im Wert von Strom für 1.000 Kilometer bekommen.
Es ist nie genug
So viel für so wenige und doch ist es nie genug. Für die ums Überleben kämpfende Lindner-FDP machen es die Angebote der Konkurrenz schwer, noch einen draufzusetzen. Mit Bürokratieabbau und Kettensäge wird keine Wahl gewonnen. Auch die Aussichten, wieder sicher in den Bundestag einzuziehen, wenn 500.000 Zuwanderer pro Jahr versprochen werden, deren Fleiß die Rente sicher macht, sind mau.
Die nationalistische "Made in Germany"-Prämie für alle, die regional kaufen, hat die SPD schon für sich reklamiert, die Steuern will schon die Union senken, den teuer eingekauften Mangelstrom künftig per Steuerzuschuss optisch günstiger wirken lassen, diese Idee hatten die Grünen bereits.
Comeback eines Zauberwortes
Die ehemals Liberalen schieben also den Spitzensteuersatz nach oben, nicht mehr jeder Handwerker soll gleich zahlen wie ein Bundestagsabgeordneter. Darüber hinaus hat sich die FDP-Führung entschlossen, einen beinahe schon vergessenen Kampfbegriff aus den wilden Tagen der Ära Schröder wiederzubeleben.
"Reformen", vor einem Vierteljahrhundert beliebtestes Zauberwort im politischen Berlin, im besten Deutschland aller Zeiten aber mit einem Tabu belegt, soll Start-up-Stimmung ausstrahlen. Die Liberalen wollen Arbeitsmarkt und Rente reformieren und - weil alle anderen die Schuldenbremse umgehen wollen - gleich eine neue, zusätzliche Bremse ins Grundgesetz einbauen.
Für die Wähler scheint es angesichts dieser vielen lukrativen Versprechen schwer, sich für ein Entlastungsangebot zu entscheiden. Dabei wird es am Ende ganz leicht: Wer alle Parteien wählt, kommt zusammen auf mehr als 350 Milliarden Ersparnis. Das sind mehr als 4.000 Euro pro Kopf und sogar 20.000 Euro pro Steuerzahler.
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