Durch den Verzicht auf Wachstum kann nicht die Welt gerettet werden, aber die Stimmung: Wer kein Wachstum hat, kann sich so sagen, er wolle es nicht anders. |
Lieber Gesundschrumpfen
Es hat den Zusammenbruch der Autoindustrie, die Schließungen in der Stahlbranche und den Rückbau der Chemieunternehmen gebraucht, um ein Umdenken einzuleiten. Natürlich war es Marcel Fratzscher, einer der Vordenker einer kühnen Alsob-Ökonomie, der zuerst davon sprach, wie gesund es doch für eine Volkswirtschaft sei, wenn sie gesundschrumpfe, Last abwerfe und um etliche Kilo leichter wieder in den Ring steigen könne.
"Mehr Milei wagen", schlug der gescheiterte Finanzminister vor, nachdem er sein Amt verloren hatte. Und der Wirtschaftsminister war sich sicher, dass die Millionen, die jetzt ein anderer hat, nicht weg sind. Man werde sich neu aufstellen und dann ganz vorn mitspielen.
Nur weit im Hintergrund spielt da noch die Aussicht eine Rolle, durch Wachstum wieder auf die Beine zu kommen. Als viel zu überzeugend hat sich die Idee erwiesen, ohne auszukommen. Wer sich im Land umschaut, einem Land, das sich immerhin in der tiefsten wirtschaftlichen Krise der zurückliegenden 60 Jahre befindet, sieht doch keine Armut, keine bettelnde Hoffnungslosigkeit, keine Heerscharen von Obdachlosen und in den Wäldern lauern keine Räuber, die aus Verzweiflung Wanderer ausrauben.
Das reicht alles doppelt
Warum also nicht einfach so weitermachen? Jeder hat doch, was er braucht, vieles sogar doppelt. Gut eingeteilt, reicht die Garderobe, die viele Ältere gehortet haben, sogar noch für zwei weitere Generationen ohne Modegeschmack. Und anschließend könnte viel geflickt und genäht werden. "Muss Wachstum wirklich sein?", fragt nun sogar schon die amtliche "Tagesschau" angesichts einer Wirtschaft, die "stagniert" (Tagesschau). Und der Menschheit wie dem Planeten damit einen guten Dienst erweist.
Weniger Wachstum, am besten keins oder sogar das "Gesundschrumpfen", von dem Fratzscher spricht, sie entlasten die Umwelt, helfen dem Klima und zeigen Deutschland als Vorreiter einer Art zu wirtschaften, die auf Bescheidenheit, Demut und Verzicht gründet statt das ewige "Wachstum" als Fetisch anzubeten. Und das, obwohl schon der Club of Rome vor 50 Jahren darauf hinwies, dass es unmöglich ist. Seitdem wurde der Zeitpunkt, an dem die Grenzen erreicht werden, mehrfach verschoben. Aber dass die Zukunft besorgniserregend bleibt, steht fest, so lange die Menschheit nicht auf Wachstum verzichtet.
Auch die grüne Vizepräsidentin des Bundestages hat schon alles, was ein Mensch nur haben kann. Katrin Göring-Eckhardt ist deshalb auch "für eine Kultur des Weniger", die sich "lebensweltlich erdet", wie sie schreibt. Verzicht steht hier "für einen Wandel, in dem sich individuelle Freiheit, Werte wie Nachhaltigkeit und die Lust am Genuss verbinden", so dass "frische Luft" hereinkommt und die gesamte Gesellschaft von unten her zur freiwilligen Entsagung bläst.
Wir brauchen das Wort Sinktum
Nötig wäre dazu erst einmal eine kompakte Begrifflichkeit. Bis heute steht dem Wort Wachstum kein Sinktum gegenüber, weil die Wachstumsprediger unter den Wirtschaftswissenschaftlern es geschafft haben, die Debatte vollkommen zu dominieren. Je mehr "leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung" Deutschland spürt, umso verführerischer wird der Gedanke, diese Schwäche als Ziel auszugeben.
Die hohen Energiekosten, die immer weiter steigen, die Bürokratie, die ein normales Unternehmerleben kaum mehr möglich macht, und das Gegängeltwerden von allein fünf Verwaltungsebenen von Stadt über Kreis bis Land, Bund und EU, sie sind dann nicht erstickend und bedrohlich, sondern Stufen ins Glück.
Wo nicht mehr gewachsen werden kann, braucht es nur den Entschluss, nicht mehr wachsen zu wollen, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Tröstlich: Keine der Parteien, die zur Bundestagswahl antritt, um das Land zu führen, hat bisher irgendeine Idee erkennen lassen, wie Deutschland wieder auf den sogenannten Wachstumspfad von bescheidenen 1,2 bis 2 Prozent zurückkehren könnte. Der nächste Kanzler, so empfehlen es die ersten Wissenschaftler, müsse eine "offensive Verlustansprache" wagen. Einfach mal sagen, das war's, besser wird's nicht mehr. Verluste würden nur als Enttäuschung empfunden, wenn sie überraschend kämen.
Wirtschaft spielt im Wahlkampf keine Rolle
In den Wahlkampfzentralen hat man sich offenbar bereits damit abgefunden, dass die zuletzt vom EU-Sonderberichterstatter Mario Draghi beklagten starken Wohlstandsverluste im Vergleich zu USA manifesten Charakter haben. Mangels konkurrenzfähiger Standortbedingungen keine konkurrenzfähigen Produkte mehr, damit weiterhin sinkende Realeinkommen, damit eine sinkende Binnennachfrage und weniger Druck aufs Klima zumindest aus Deutschland. Am Ende haben alle etwas davon.
3 Kommentare:
Naja, Siechtum passt besser. Laut Konrad Duden " Schwäche, Hinfälligkeit ohne Aussicht auf Besserung". So soll es sein. So wurde gewählt, so wird gewählt. Vor allem in den alten, schlauen Bundesländern.
Ich hatte mich gewundert, dass das bei tagesschau.de nicht der Fratzscher ist und mal rasch geschaut.
Da wird aber, wie die Medienprofis sagen, eine differenzierte Sicht präsentiert. Deswegen war es nicht der Fratzscher.
OT a propos tagesschau
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Begriff "D-Day" könnte laut Buschmann in FDP-Runden doch gefallen sein
Haben sie oder haben sie nicht? Die korrekte Antwort auf so einen Vorwurf wäre 'fuck you'.
Stattdessen treten da Leute zurück, und deswegen wählt euch keiner.
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