Montag, 30. Dezember 2024

Meinungsfreiheit: Ernste Zweifel am Grundkonzept

Gastbeiträge galten früher als subjektive Einlassungen im Rahmen der Meinungsfreiheit, haben sich aber inzwischen in eine Bedrohung verwandelt.

Aus allen Richtungen waren die Angriffe erwartet worden. Russlands Strategie liegt seit Jahren offen zutage. Es geht dem Kreml darum, die westlichen Gesellschaften zu spalten, Wähler zu verunsichern und Wahlen zu hintertreiben. Die Waffen des Westens aber sind gut geschliffen: Freier Meinungsaustausch hat noch immer über gelenkte Demokratien obsiegt. Aus der Geschichte ist kein Fall bekannt, in dem es Herrschenden gelangt, durch die Unterdrückung bestimmter Ansichten Sicherheit und Wohlstand zu schaffen.

Grenzen für Meinungen

Dass sich jeder zu allem äußern kann, selbst zu Dingen, von denen er nichts versteht, ist die Grundlage dieses westlichen Modells. Menschenrechte wie das von Artikel 5 Grundgesetz garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung gelten universal. Weder beschränkt die deutsche Verfassung das Recht deutscher Staatsbürger, eine Meinung zu Vorgängen in anderen Staaten zu haben. Noch versagt deutsches Recht Bürgerinnen und Bürgern anderer Staaten, sich in deutsche Angelegenheiten einzumischen, so lange sie es bei verbalen Interventionen belassen. 

Die Grundrechte enden nicht an Grenzen. "Wer Menschenrechte einschränkt, beschert den Terroristen schon den ersten Sieg", hatte der damalige Justizminister Heiko Maas, das Prinzip bereits vor sieben Jahren abschließend erklärt. So schwer es manchmal fällt: "Die Qualität eines Rechtsstaats zeigt sich in der Bedrohung", analysierte Maas, dessen Grundsatzwerk "Aufmucken statt Wegducken" längst als Klassiker des Verfassungspatriotismus gilt. 

Wahlkampfverbot für Ausländer

Ausnahmen bestätigen die Regel. So ging die Bundesregierung vor Jahren entschieden gegen Versuche des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden machen. Um Gleichbehandlung zu gewährleisten, müssen seitdem alle politischen Auftritte sämtlicher ausländischer Regierungsvertreter zehn Tage vorher förmlich beantragt und von der Bundesregierung genehmigt werden.

Das gilt allerdings ausdrücklich nicht für Wortmeldungen von Regierungsschefs, Staatsoberhäuptern, Staatsmännern und Unternehmensführer, die sich über deutsche Medien äußern. Legendär sind Gastbeiträge des früheren sowjetischen Staats- und Regierungschefs Michail Gorbatschow, der in Afghanistan vier Jahre lang Krieg führte, den Atomunfall von Tschernobyl zu vertuschen suchte und schließlich mit der "Goldenen Henne" ausgezeichnet wurde. 

Als Ruheständler war Gorbatschow ein gefragter Gastbeitragsschreiber. Immer wieder mischte er sich von außen in die deutsche Politik ein. Er warnte, baute Brücken oder lobte Friedensinitiativen seines Nachfolgers Wladimir Putin.

Keine Proteste

Protest regte sich gegen die Thesen des Russen so wenig wie gegen die seines deutschen Duzfreundes Gerhard Schröder, der Deutschland Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zementiert hatte. Auch als der US-Multimilliardär Bill Gates in der FAZ ultimativ Front gegen eine aus seiner Sicht falsche Neuausrichtung des Bundesetats machte, akzeptierte die Mediengesellschaft die Empfehlungen des Microsoft-Gründers unaufgeregt. Unaufgeregter jedenfalls als die des Grünen-Politikers Cem Özdemir, der in einem Gastbeitrag in der FAZ "sexualisierte Gewalt durch migrantische Männer" angeprangert hatte.  

Nicht gegen Özdemir ging es dabei, sondern gegen seinen Versuch, sogenannte "Wahrheiten offen zu thematisieren" und dann Forderungen daraus abzuleiten. Özdemir ging zu weit, aber lange nicht so weit wie jetzt Elon Musk, seit seiner Hinwendung zum politischen Aktivismus ein Ausbund des Bösen und seit einiger X-Posts gegen deutsche Verantwortungsträger auf dem besten Weg, vom "Staatsfeind Nummer 2" (Spiegel) noch eine Stufe hochzurutschen. An Trump, der Deutschland immer mal abwertet, verhöhnt und beschimpft, ist in nächster Zeit ohnehin kaum heranzukommen. 

Eine hübsche Reibefläche

Musk aber, als Unternehmer und Berater der kommenden US-Regierung, hat gerade das Format, dass die Streichhölzer sich daran reiben können. Mitten in die stille Zeit zwischen den Jahren platzte der Gastbeitrag des reichsten Mannes der Welt, der in der "Welt am Sonntag" seinen Blick auf ein Deutschland im Niedergang beschreibt, nicht in allen Details informiert, aber in der Diagnose der Problemlage vermutlich weniger falsch als mancher Programmentwurf der Parteien zur anstehenden Bundestagswahl.  

Das Echo glich einem Inferno, kam aber nahezu ohne inhaltliche Auseinandersetzung aus. Weil Musk seine zuvor bei X gepostete Auffassung bekräftigt hatte, dass nur die AfD Deutschland retten könne, galt sein Diskussionsbeitrag nicht mehr als solcher, sondern als eine quasi illegale Wahlempfehlung. 

Für zahllose Politiker, Medienarbeiter und ihre Funktionäre, allesamt fest überzeugt, dass die normalen Menschen da draußen immer genau das tun, was ihnen Prominente zu tun raten, eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten, die gar nicht zu vergleichen ist mit den deutlichen Wahlempfehlungen, die in der Vergangenheit aus Berlin nach Übersee gingen. Und wieder steckt Springer dahinter, der Verlag,  schon verantwortlich für Gründung der RAF war. Musk jetzt eine Plattform zu geben, kurz vor der Bundestagswahl, war deutlich schlimmer.

Verfassungsfeindliche Agitation

Seinen Aufsatz zu drucken sei "kein Zeichen von Meinungsfreiheit", sondern "verfassungsfeindliche Agitation", hieß es beim "Handelsblatt". Einen "Fehltritt" nannte die Frankfurter Rundschau den Text, meinte damit jedoch seine Existenz. Die "Tagesschau" fasste nicht den Inhalt, aber die lange Latte der mutigen Wortmeldungen dagegen zusammen. In der Hauptausgabe am Abend danach fiel das Urteil: Das Abdrucken einer Meinung kann auch gar nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun haben. Zu zart die Demokratie in Deutschland, als dass sie so einen massiven hybriden Angriff aushalten kann.

Journalisten sind dazu da, die Öffentlichkeit vor solchen Attacken zu schützen. Überschwängliches Lob bekam die Chefin des "Welt"-Meinungsressorts, die aus Protest kündigte. Der Journalistenverband, vormals Hüter der Pressefreiheit, kritisierte  die "als Journalismus verpackte Wahlwerbung für eine rechtsextreme Partei". Kanzleramtsanwärter Friedrich Merz stieß mit einer Bezeichnung als "übergriffigem" und "anmaßendem Wahlaufruf" ins gleiche Horn. Die SPD sprach von einem "inakzeptablen" Versuch, "ausländischer Milliardäre, unsere politische Landschaft zu beeinflussen". 

Zweifel am Grundkonzept

Musks Verwandlung vom grünen Garanten des ein bisschen überraschenden ostdeutschen Aufschwungs mitten in der gesamtdeutschen Rezession zum Hintermann des "brutalen Anschlag in unserem Magdeburg mit fünf Toten und über 200 Verletzten" zum offensiven Wahlaufrufer "für die Partei, deren Anhänger der Attentäter ist und die den Anschlag gerade schamlos instrumentalisieren" ließ schlagartig am gesamten Konzept des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit zweifeln. 

Als Wladimir Putin vor drei Jahren in der "Zeit" seine Sicht auf die Konflikte zwischen seinem Land und dem Westen hatte schildern dürfen, vier Monate vor einer anstehenden Bundestagswahl, hatte noch außer Frage gestanden, dass der Inhalt diskutabel ist, die Wortmeldung aber zulässig. Aber schließlich handelt es sich bei Putin auch um einen Diktator, der 140 Millionen Menschen seit Jahrzehnten in eisernem Griff hält und seit 2014 Krieg gegen ein Nachbarland führt. Musk aber ist eine Bedrohung für die "liberale Ordnung" (Zeit), weil es sich beim gebürtigen Südafrikaner um den "Feind der freiheitlichen und offenen Gesellschaft" handelt.


8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Franziska hätte den 'unterkomplexen' Text nicht gedruckt. So sieht Franziska aus:
https://www.welt.de/debatte/plus254986944/Elon-Musk-in-WELT-AM-SONNTAG-Warum-ich-diesen-Beitrag-nicht-gedruckt-haette.html

https://www.tagesspiegel.de/politik/krasser-widerspruch-zu-den-essentials-von-axel-springer-aufruhr-bei-der-welt-wegen-elon-musks-wahlwerbung-fur-die-afd-12936910.html
Update „Krasser Widerspruch zu den Essentials von Axel Springer“: ...

Ja. Zu wenig Titten.

P.S. 'Unterkomplex', ich würde gern mal Franziska fragen, was das genau bedeutet, oder ob sie das Wort nur benutzt, weil es schick klingt.

ppq hat gesagt…

der text ist ein hybrider angriff, würden andere sagen, also schon irgendwie überkomplex

Anonym hat gesagt…

Ganz entfernt vergleichbar mit "differenziert betrachten" - also, die einfachsten Sachverhalte gnadenlos zu zerquasseln.

Die Anmerkung hat gesagt…

>> der text ist ein hybrider angriff

Geht es um den Text den niemand kennt, weswegen aber alle Journos auf'm Klo sitzen und koffern?

Ich fand den Text und nicht so aufregend. Da ist jede im Fernsehen übertragene Silvester ab morgen 22 Uhr aufregender. Oder von mir aus auch ein Schlafmittel-Tatort.

ppq hat gesagt…

ohne die aufregung hätte niemand außerhalb der überschaubaren weltleserschaft (40.000?) erfahren, dass es ihn gibt

Volker hat gesagt…

War klar, dass PPQ gegen Gorbi ätzt. Ansonsten …

analysierte Maas, dessen Grundsatzwerk "Aufmucken statt Wegducken" längst als Klassiker des Verfassungspatriotismus gilt.

Ist damit dieses Werk gemeint?

“Die SPD sprach von einem "inakzeptablen" Versuch, "ausländischer Milliardäre, unsere politische Landschaft zu beeinflussen"

Ist das die SPD, deren Klingbeil sich mit dem Slogan "Wir wollen Kamala Harris im Weißen Haus" in den US-Wahlkampf einmischte?

ppq hat gesagt…

ätzen gegen gorbatschow? niemals. aber es muss schon angedeutet werden dürfen, dass er nicht nur der mann mit der goldenen henne war. https://www.politplatschquatsch.com/2022/08/gorbi-gorbi-die-deutsche-liebe-zu-einem.html

Volker hat gesagt…

Ich das eine Verschwörung? Auch Kamil Geleev ätzt gegen Gorbi

Prosit Neujahr