Freitag, 27. Dezember 2024

Die Abgehängte: Den Sozialismus in seinem Lauf

Carla Hinrichs hat von der Gesellschaft alle Möglichkeiten geboten bekommen, Ärztin, Forscherin oder Astronautin zu werden. Doch die junge Frau richtete sich in einer trüben Traumwelt ein, in der "der Kapitalismus und unser bisheriges System in den Abgrund stürzen". Kreidezeichnung: Kümram, koloriert

Sie inmitten der ganz gewöhnlichen Menschen aufgewachsen, behütet, umsorgt, getragen von einer Gesellschaft, die alle Sorgen und Nöte weit von ihnen weghielt. Ihre Erziehung war liebevoll und ohne Gewalt, ihre Schulen funktionierten damals noch. Es mangelte nicht an Taschengeld, es mangelte nicht an Reisemöglichkeiten. Das kapitalistische Wirtschaftssystem ermöglichte der Generation, die heute in ihren 20ern ist, ein Heranwachsen, wie es noch keine andere Altersgruppe vor ihr genießen durfte.  

Arbeitslosigkeit war ein Fremdwort. Die wenigen Kriege, die es noch gab, spielten sich weit weg am Hindukusch ab, wo die Völker seit jeher aufeinander einschlagen. Die Supermarktregale waren voll, das Essen preiswert. Niemand musste nach modischen Klamotten anstehen, keiner sich mit dem billigsten Handy begnügen. 

Alle Bücher der Welt

Alle Bücher der Welt standen zum Lesen bereit, alle Erkenntnisse aller Philosophen, Ökonomen und Forscher aller anderen Fachgebiete. Fragen war erlaubt. Meinungen durften nicht nur geäußert werden, nein, sie sollten. Und wenn eine mal falsch war, kam nicht die Polizei, sondern wohlgemeinter Zuspruch von Lehrer:innen, Elterern und - wenn es not tat - ausgebildeten Sozialarbeitern.

Umso erschütternder ist das Ende vom Lied. Ausgerechnet die Kinder, die die entwickelte demokratische Gesellschaft mit so viel Liebe, Fürsorge und finanziellem Aufwand aufgezogen hat, wenden sich gegen sie. Ihr Aufbegehren ist dabei kein renitenter Akt der Abnabelung, kein Rebellentum um des Rebellentums willen, wie es Beatniks, Punks, Metaller oder Gruftis demonstrativ pflegten. 

Die erste Generation, die weder den Kalten Krieg noch die an Verwerfungen reichen ersten Jahre der deutschen Einheit lehnt die Gesellschaft, wie sie ist und wie sie funktioniert nicht nur für sich selbst ab. Sondern sie will sie zerstören, ihre Grundlagen vernichten und ein System aufbauen, das auf einem Gemisch aus Aberglauben, Unwissen und längst vielmals widerlegten Heilsversprechen gründet.

Eine wirkliche Tragödie

Es ist nicht nur ein Drama, es ist eine Tragödie, die sich im Schicksal der Carla Hinrichs spiegelt, einer jungen Frau von 27 Jahren, die als Tochter einer Kuratorin und eines Maschinenbauingenieurs mit zwei jüngeren Geschwistern in der Mitte der bürgerlichen Mitte aufwuchs, zumal in Bremen, einer Wohlfühlmetropole, die immer progressiv ausgerichtet gewesen war. 

Hinrichs schlug hier anfangs auch einen Weg ein, wie er sich gehört: Als romantische Teenagerin engagierte sie sich bei Amnesty International, später begann sie ein Jurastudium, um den Entrechteten und Verfolgten zu helfen, die nicht wie sie selbst mit dem goldenen Löffel im Mund hatten Großwerden dürfen. 

Die Bemühungen der Gesellschaft, Mädchen wie Hinrichs zu integrieren, schienen zu fruchten. Bis irgendetwas in der jungen Frau aus der Mitte des Gemeinwesens zerbrach und sie zu einer Oppositionellen machte: Fünf Jahre hatte Carla Hinrichs bereits auf Kosten der Arbeiter und Angestellten im Land studiert, zum Teil sogar im Ausland. Dann zog sie nach Berlin.

Und erlag offenbar recht schnell dem verderblichen Einfluss der Metropole: Kurz vor dem ersten Staatsexamen brach sie ihr Studium ab, um Klimaprotestlerin, Vollzeitaktivistin und Talkshowgast zu werden. 

Gegen die Gesellschaft

Hinrichs gründete die Gruppe "Letzte Generation", die versuchte, die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens von Millionen Menschen unterschiedlichen Glaubens, unterschiedlicher Professionen und Ansichten zu zerstören. Sie rebellierte offen gegen den Staat und manövrierte sich in eine Sackgasse, an deren Ende selbst die wohlmeinende Staatsgewalt demonstrativ Grenzen setzen musste. 

Bei Carla Hinrichs aber kam kein noch so gut gemeinter Hinweis an. Die junge Frau radikalisierte sich weiter und richtete sich in einer Traumwelt ein, in der "der Kapitalismus und unser bisheriges System in den Abgrund stürzen", wie sie glaubt. Und sie als Erlöserin gebraucht wird, um  "etwas Neues, etwas Großes" (Hinrichs) entstehen zu lassen, dessen fundamentale Bedeutung die Hinrichs selbst "ein bisschen Gänsehaut" (Hinrichs) macht.

Verbiestert, verbohrt und verblendet

Es gehe um nichts weniger als dass "alles anders wird", hat Hinrichs im "Spiegel" ihren Abschied aus der demokratischen Konsensgesellschaft auf Basis der sozialen Marktwirtschaft verkündet. "Ich habe keinen Bock, kleine Schritte zu machen", sagt sie und wirft damit die Frage auf, was ist in der Erziehung falsch gelaufen sein muss, dass an ihrem Ende verbohrte, verbiesterte und ideologisch verblendete junge Menschen stehen, die mit Verachtung auf all das schauen, was die Generationen vor ihnen mit unendlich viel Schweiß, Tränen und Entbehrungen aufgebaut haben.

Carla Hinrichs hat alles mitgebracht und mitgegeben bekommen. Sie hätte Ärztin werden können, Ingenieurin oder eine Forscherin, die die nächste Pandemie verhindert. Ihr standen alle Wege offen, um neue Technologien zu entwickeln, die den Wohlstand von Milliarden mehren und den Klimawandel bremsen. 

Abgrung aus Absolutismus

Wie so viele andere jungen Menschen litt Hinrichs nie Hunger, es fehlte ihr nicht an Bildungsangeboten, sie konnte sich über verheerenden Folgen früherer Menschenversuche aufgrund der vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und Stalin informieren. Sie hätte alle Chancen gehabt, zu verstehen, dass eine funktionierende Demokratie keine "friedliche Revolution" (Hinrichs) braucht, bei der selbsternannte Führer die Massen auf der Basis selbstausgedachter Visionen in einen Abgrund aus Absolutismus und verweigerter Selbstbestimmung führen.

Doch Carla Hinrichs hat sich dagegen entschieden. Das wirft Fragen auf, Fragen danach, warum es einer Gesellschaft, die jungen Menschen alle Möglichkeiten bietet, an Überzeugungskraft fehlt, die zum mitwirken zu überreden, die doch so nötig gebraucht werden, um den Fortschritt weiter voranzutreiben. 

Die Vision vom "Kartenhaus"

Stattdessen lässt es das Gemeinwesen zu, dass sich die Betroffenen selbst abhängen und untertauchen in einer Vorstellungswelt, in der "unser Wirtschafts- und Sozialsystem" als "riesiges Kartenhaus" gesehen wird, "das jederzeit zusammenstürzen kann". Daran seien dann "der Kapitalismus und unser gegenwärtiges politisches System" schuld, glaubt Carla Hinrichs, die anderthalb Jahrzehnte im deutschen Bildungssystem zugebracht hat, immerzu lernend. Und heute stolz darauf ist, nichts verstanden zu haben.

All die Menschen rundherum, die Familie, die Lehrer, die Professoren, die Freunde und Sympathisanten, sie haben es nicht geschafft, die von sich selbst und der Richtigkeit des eigenen Blickes auf die angeblich verbrennende Welt überzeugte Frau aus ihrer Blasen zu holen und sie zu motivieren, etwas für alle Nützliches zu tun. Carla Hinrichs hält sich zwar für "friedlich und demokratisch", ist aber überzeugt, das gebe ihr das Recht, etwas von der Demokratie zu "verlangen". 

Selbstbild als "Feueralarm"

Im "Spiegel" hat sie offenbart, dass sie daran glaube, "eine bessere Welt schaffen können" und zwischen ihr und der Anerkennung als Erlöserin von allem Übel nur der Erfolg stehe. "Wenn wir erfolgreich sind, wird alles, was wir gemacht haben, sicher irgendwann als friedliche Revolution bezeichnet werden", hat sie wissen lassen, dass alles, was die Letzte Generation getan habe, schon immer richtig war.

Die Welt stehe "in Flammen, wir waren der Feueralarm, der darauf aufmerksam macht". Hinrichs trägt das Gewand des Herrn Jesus, der auch lange warten musste, bis sein Werk anerkannt wurde. Auch heute könne wieder niemand mehr sagen, "er wisse nicht, wie ernst die Lage ist". Es geht um alles, die Apokalypse naht. Die Letzten werden die Ersten sei, die in die Hölle fahren. Und Carla Hinrichs unter ihnen. Wenn es nicht doch och gelingt, den Himmel auf Erden zu errichten.



6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich bin auch gegen kleine Schritte. Wir sollten sie zur Kaiserin des Kapitalismus wählen. Die Massengräber kann man ja auch schonmal ausbaggern.

ppq hat gesagt…

ein sehr guter, weil konstruktiver vorschlag. wer startet die petition?

Arminius hat gesagt…

Indoktriniert, fanatisiert und viermal gespritzt.

Anonym hat gesagt…

Lasse gerade nebenher Pörl Häber auf RTL II laufen.
Pfui Deibel, man kann gar nicht so viel verzehren, wie man sich zu übergeben begehrt.
Der edle Rosenfeld, wie er seine sturen Hofschranzen endlich zum Feldzug gegen das Böse zu
bewegen versucht. Ackeläks.

Anonym hat gesagt…

https://fahrplan.events.ccc.de/

Fefe wird heute die Logik des fnord erläutern

Anonym hat gesagt…

Das alles ist nun wahrlich nicht neu. Die Großmütter der Carla Hinrichs´ von heute befeuerten schon vor rund 50 Jahren das Polittheater der BRD. Sehr alte Menschen erinnern sich noch an Namen wie Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Brigitte Asdonk … die meisten von ihnen aus stockbürgerlichen Elternhäusern, gern mit protestantischem Pfarrhaus-Background. Gnade irgendein gütiger Gott jeder Gesellschaft, in der diese Art Frauen ihrer Selbstverwirklichung überlassen werden, statt sie mit größter Sorgfalt auf die Aufgabenfelder Kinder kriegen und erziehen, Küchenarbeit und regelmäßigen Kirchenbesuch vorzubereiten.