Samstag, 21. Dezember 2024

Angriff aus Amerika: Murren in der Mottenkiste

Droht, den deutschen Wahlkampf zu entscheiden: Elon Musk. Zeichnung: Kümram, Buntstift auf Pergament

Er hatte sich nicht einmal die Mühe gegeben, seinen Versuch der Wahlbeeinflussung im größten Land der EU ins Deutsche zu übersetzen. Elon Musk schrieb einfach nur "Only the AfD can save Germany" und es funktionierte dennoch. Ähnlich aufgeregt wie damals, vor Wochen, als die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer beinahe entscheidend in den US-Wahlkampf eingriff oder als EU-Wettbewerbskommissar Thierry Breton nach Übersee signalisierte, dass der alte Kontinent sich ungeprüfte Interviewinhalte nicht straflos würde zusenden lassen, schlugen die Wochen hoch.  

Inakzeptable Wortmeldung

"Vollkommen inakzeptabel" sei die Meinungsäußerung des Amerikaners, hieß es von einem SPD-Hinterbänkler. Musk schalte sich damit "in den deutschen Wahlkampf" ein, urteilte die "Tagesschau", Musk "empfiehlt die AfD" dehnte der "Spiegel" die Interpretation des kurzen Satzes gewohnt fantasiereich. Schließlich meldete sich der amtierende Bundeskanzler selbst zu Wort, um den Satz auf dem in Deutschland schon seit zwei Jahren zunehmend bedeutungsloser werdenden Portal X als "nicht so abgewogen" einzuordnen.

Das Kanzlerduell und das Kanzlertriell, das Kanzlerquadrat und ein mögliches Kanzlerkandidatenquintett, sie waren schlagartig in den Hintergrund gerückt. Überall dort, wo der Einsatz der milliardenschweren Sängerin Taylor Swift für die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris als lobenswerter Akt bürgerschaftlichen Engagements gewertet worden war und die Zurückhaltung der "Washington Post" des Milliardärs Jeff Bezos bei der Abgabe einer Wahlempfehlung als Verrat an allen gemeinsamen Werten, gilt Musks Meinung als offener Angriff auf die Integrität der anstehenden Schicksalswahl. 

Gefragte deutsche Wahlhelfer

Solange deutsche Medien und deutsche Politiker Wahlkampf in anderen Ländern betreiben, ist das gutgemeint. Sobald sich Stimmen aus dem Ausland in deutsche Angelegenheiten mischen, ist der Ruf nach Verboten, Strafen und Konsequenzen zu hören. Um zu beweisen, wie schädlich Musks Wortmeldung ist, wird sie von Freiwilligen sogar übersetzt und von den großen Medien auch den 97 Prozent der Deutschen vor die Tür getragen, die weder einen X-Account haben noch irgendetwas von dem mitbekommen, was dort tagein, tagaus diskutiert wird als hänge von der Debatte das Schicksal der Welt ab. 

Das Phänomen gleich dem, von dem Wladimir Putin profitiert. Unmittelbar nach Russlands Einfall in die Ukraine verbot die EU-Kommission die Verbreitung russischer Fernsehsender und Internetseiten in der EU. Medienfreiheit, Grundrechte - sie waren das erste Opfer des Krieges. Seitdem besorgen die Nachrichtenagenturen, Fernsehsender und Internetseiten des Westens das Geschäft des Kreml. Wenn Putin spricht, wie er es gerade getan hat, übertragen deutsche Adressen die Propagandashow des Diktators im Livestream.

Irrelevant, aber bedeutsam

Elon Musks X ist noch nicht verboten, dafür aber einerseits von einer solchen Abwanderungswelle so hart getroffen, dass sich angesichts des "Scheiterns" (Manager-Magazin) des Trump-Getreuen klammheimliche Freude über den "Absturz" des früheren Twitter breitmacht. Andererseits aber kein Zweifel daran besteht, wie mächtig die Waffe ist, die Musk besitzt, obwohl nach der Rückkehr der SPD auf die Plattform nun sogar das teilweise SPD-eigene RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) verkündet hat, dass es seine "Aktivitäten auf der Plattform X mit sofortiger Wirkung" einstelle,  weil es "seinen Charakter als Forum für sachliche, konstruktive Debatten aufgegeben" habe.

Debatten, die das der Taz zufolge im politischen Berlin zuweilen als "Reichsnachrichtendienst" verhöhnte Portal, das zu 23 Prozent der SPD gehört, stets auf dieselbe Weise führte: Das RND - nicht zu verwechseln mit den ND verbreitete eine Ansicht, vermied aber jede Diskussion darüber, stellte sich keiner Kritik, beantwortete keine Fragen und ging auf keinen sachlichen Hinweis ein. Von oben herab teilte die Redaktion zum Abschied mit: "Diese Debatten sind aus unserer Sicht aber die Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt." Weshalb man nun sein "Angebot auf anderen digitalen Bühnen" verstärke.

Aber weiter mitlesen

Lesen sie weiter mit? Aber sowas von! Feindbeobachtung ist wichtig und bei X ist immer etwas Empörendes zu finden, mit dem sich künstliche Aufregung erzeugen lässt. Musks AfD-Satz gilt auch beim RND als Einmischung in den Bundestags­wahlkampf, auch die SPD-nahe Redaktion, die eben noch mit großer Geste auf die Reichweite seines Netzwerkes verzichtet hat, beklagt nun, dass Musk "die Reichweite seines Netzwerks" nutze.

Ein Sakrileg sondergleichen

In der Gedankenwelt der Mitarbeiter der Contentfabrik aus Hannover ist das ein Sakrileg sondergleichen. Wie bei "Spiegel", SZ, FR, ZDF und ARD gehen hier alle davon aus, dass außerhalb ihres Elfenbeinturmes unmündige Schwachköpfe leben, die ihre Wahlentscheidung keinesfalls selbst treffen können.

In der Mottenkiste ihres Menschenbildes gibt es keine selbstbestimmten Wähler, niemand außerhalb der eigenen Blase hat ausreichend profunde Kenntnisse, um zu wissen, was gut für sie oder ihn ist. Aus dieser Überzeugung speist sich der Glaube, dass die Leute da draußen tun, was ihnen ein Prominenter sagt, dass sie darauf warten, von Taylor Swift oder Elon Musk zu erfahren, wo es langgeht. Und mangels eigener Lebenserfahrung von wohlmeinenden Politikern, Influencern und Kommentätern, davor geschützt werden müssen, sich Schaden zuzufügen. 


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