Dienstag, 31. Dezember 2024
2024: Sehnsucht nach der Kettensäge
Nur ein Buchstabe unterscheidet Humor von Tumor, nur einer ist es auch bei Hohn und Lohn. Das E in "Politik" steht für Ehrlichkeit und das D in "EU" für Demokratie. Binsenweisheiten, an denen sich auch im Jahr 2024 nichts änderte. Wenigstens diese Gewissheiten, seit Generationen im Flüsterton weitergegeben von Vater zu Sohn und Mutter zu Tochter, sie sind geblieben.
Viel mehr aber auch nicht. Zwar gelang der Übergang von der Milliarde zur Billion als Grundeinheit für Rettungspakete nicht, zwar scheiterte die Regierung, das aber im unnachahmlichen Stil ihrer gesamten Amtszeit. Der Krieg konnte nicht beendet werden, das amerikanische Wahlvolk zeigte sich unbeeindruckt von den europäischen Wünschen nach einer Erlöserin.
Alle wählen falsch
Ringsum wählten alle falsch, selbst in der Mitte des ehemals "reichsten Landes der Welt" (ZDF). Nach mehreren Milliarden, die Staat und Gesellschaft - kurz "wir" - in den "Kampf gegen rechts" gesteckt haben, steht die neue NSDAP in Umfragen etwa wieder da, wo die alte vor knapp 100 Jahren war. Drumherum erfüllte sich erneut die Hoffnung nicht, dass am deutschen Wesen alle Welt genesen will. Statt begeisterter Bewunderung empfing deutsche Repräsentanten bei ihren gelegentlichen Ausflügen über die Stadtgrenze des politischen Berlin hinaus viel Bedauern und Mitleid.
Dass es so schnell gehen kann mit einem Niedergang. Dass die hellste Kerze auf der europäischen Torte binnen nur eines Jahrzehnts zur roten Laterne wird. Die Welt, die lange Zeit kaum Notiz genommen hatte von dem kleinen Land auf dem alten Kontinent, das als letzte Großmacht der globalen Moral mit Waren handelt, die keiner mehr geschenkt haben will, sie trauerte mit.
Mit Glück nur ein Strafbefehl
Ja, die Zeiten, in denen Satire die Wirklichkeit an guten Tagen knapp überholen konnte, sie sind lange vorüber. Wer heute noch Witze reißt, wandelt am Abgrund. Wer seine Meinung allzu unverblümt in den Raum stellt, bekommt Behördenbesuch und - mit ein wenig Glück - nur einen Strafbefehl.
Der Terror auf den Straßen ist nichts gegen den gefühlten Terror, der aus Texten kommt. 1992 titelte das Magazin "Titanic" mit der Zeile "Kohl schon wieder zehn Gramm leichter - ist es Aids?" Der Kanzler schwieg. Die Empörung blieb verhalten. Der Test, was dieselbe Zeile anrichten würde, tauschte die "Titanic"-Redaktion heute bei Bild und Text jeweils "Kohl" gegen "Lang", steht aus. Niemand will ins Gefängnis.
Die Schlechtesten gegeneinander
Wie zuletzt noch jedes war auch dieses Jahr nach Kräften bemüht, die vorherigen alt aussehen zu lassen, als wollte es beweisen: Es geht noch dümmer, noch verrückter, noch schräger und unterhaltsamer. Der "schlechteste Kanzler, den Deutschland jemals hatte" (Merz) stellt sich zur Wiederwahl, selbstbewusst mit Umfragewerten, mit denen früher niemand Anspruch auf eine Festanstellung als Kanzleramtspförtner angemeldet hätte.
Doch der Oppositionsführer ist fast noch unbeliebter als der Amtsinhaber, auch die bisherigen Koalitionäre des Sozialdemokraten sind für viele keine Alternative, ebenso wenig die Partei, die sich selbst so nennt. Es ist niemand da, den irgendjemand mit gutem Gewissen wählen könnte, wenn er nicht zu einem jener neumodischen "Teams" gehört, bei denen Verblendung Teil der geistigen Grundausstattung ist.
Schlimmeres verhüten
Ein Vierteljahrhundert nach Helmut Kohl haben es die demokratischen Parteien wirklich geschafft, den Saal leerzuspielen. Wer im Februar noch wählen wird, wird es im Glauben tun, Schlimmeres verhindern zu müssen. Für etwas ist niemand mehr, nicht einmal die glühenden Verfechter von Transformation, Ausbau des Obrigkeitsstaates, Umbau der Wirtschaft und Öffnung der Grenzen, die in den vergangenen Monaten einen Vorgeschmack davon bekommen haben, was geschieht, wenn die eigenen kühnen Träume in Erfüllung zu gehen drohen.
Alles bricht auseinander, weil längst nicht alle bereit sind, ihr Leben grundlegend zu verändern, auf Wohlstand zu verzichten und sich Sprachvorgaben zu unterwerfen, die die Welt verbessern sollen. Sobald diese Menschen, oft in den weniger besseren Vierteln der Großstädte und draußen auf dem Land daheim, den Eindruck bekommen, jemand wolle ihnen etwas aufzwingen, fahren sie die Stacheln aus. Und tun unbeirrbar das ganze Gegenteil, wie es der frühere Staatsfeind Wolf Biermann vor 60 Jahren in seinem Lied "Was verboten ist, das macht uns grade scharf" prophezeit hatte.
Aufbau der neuen Welt
So wird das nichts mit dem Aufbau einer neuen Welt, der Geburt des neuen Menschen aus der Einsicht in die Notwendigkeit der Klimarettung und der Ablösung des Kapitalismus durch einen Sozialismus, der diesmal aber wirklich richtig gemacht wird. Der Kampf hat Opfer gefordert, auch in diesem Jahr wieder.
Die Welthoffnungsträgerin Kamala Harris verschwand ebenso von der Bühne wie Kevin Kühnert, die "Letzte Generation" gab ihren Klimakampf auf, die SPD ihre Vorsitzende, Deutschland die Pläne vom "grünen Stahl" und die einheimische Automobilindustrie die Absicht, schneller auf Elektroantrieb umzustellen als es Robert Habeck bei den 20 Millionen Gasheizungen im Land schafft.
Unerhörtes geschah. Die Grünen entdeckten ihre Leidenschaft für den Dax, die Schwarzen, dass ein Ex-Mitglied der Leitung der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Kommunistischen Plattform der SED keine Linke ist und damit kein Feind, zu dem kein Kontakt über die Brandmauer aufgenommen werden darf.
Die Grünen sammelten sich nach einer Serie von schmerzlichen Niederlagen gegen die Wirklichkeit wie ein Mann hinter ihrem Klimaminister, der die Partei konsequent auf Machterhalt trimmte. Die Reihen wurden gesäubert, Last wurde abgeworfen und Reue gezeigt. CSU-Chef Söder polterte leiser, BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht will mit einer Umbenennung ihres Bündnisses bis nach der Bundestagswahl warten. Geht alles glatt, gibt es danach keine Linkspartei mehr. Und das BSW kann sich "Die Linke" nennen.
Rezession ohne R-Wort
Abschied ist ein scharfes Schwert, das weiß auch FDP-Chef Christian Lindner, der mit dem kleinsten Ampelpartner drei Jahre lang den "Steigbügelhalter" für eine Regierung spielte, die die Bundesrepublik in die längste Rezessionsphase ihrer Geschichte führte, es aber schaffte, das gefürchtete R-Wort bis fast zum Schluss völlig aus den Medien herauszuhalten. Lindner verlor die Nerven, als seine Partei sich fest im Umfragekeller einmietete.
Olaf Scholz, der Chefsachenkanzler, bot ihm beherzt eine Gelegenheit, die Ampel in eine Fußgängerampel zu verwandeln: Wegen des Ukrainekrieges müsse der Finanzminister eine Notlage austricksen zu können.
So groß war die Not aber dann doch nicht. Kaum war Lindner entlassen, hatte sich die feierliche Ausrufung der Notlage erledigt. Der sozialdemokratische Lindner-Nachfolger Jörg Kukies kam um die Ehre herum, die längst Haushaltsnotlage aller Zeiten vom Ausrufungssims am Reichstag zu verkünden. Binnen Stunden brachte der frühere Goldman-Sachs-Manager, der in allen Spekulationssparten bis hin Equity Derivative Sales bewandert ist, den Bundeshaushalt in Ordnung.
Operation "Abendsonne"
Trotz der massenhaften Neueinstellungen, die es seit der Bundestagswahl von 2021 in den Führungsetagen der Ministerien hatte geben müssen, um die Vielzahl der neuen Aufgaben zu bewältigen, die sich die Bundesregierung auf den Tisch ziehen musste, sind nun Kapazitäten da, die Treuesten der Treusten im Rahmen der "Operation Abendsonne" für ihre Dienste zu befördern, wie es immer schon Sitte war. Aus 20.458 Beamtinnen und Beamte in den Bundesministerien, mit denen die Große Koalition das Land noch mehr recht als schlecht verwaltete, wurden dank 1.629 zusätzlich geschaffener Planstellen 22.087.
Ein Plus von acht Prozent, mit dem die Ampel-Ministerien es schafften, mit der Inflationsrate ihrer Regierungsjahre auf Augenhöhe zu bleiben. Das Geld ist da, niemand muss es bezahlen, denn viel kommt auch aus Europa. Dabei handelt es sich um eine Stadt in Belgien, von der aus auch in den kommenden Jahren weiterhin eine Frau Regieren simulieren wird. Ursula von der Leyens langer Kampf in verschwiegenen Hinterzimmern führte die Niedersächsin sechs Monate nach einer Wahl, bei der sie nicht kandidiert hatte, zum erwarteten Wahlsieg. Ein Ereignis, das in der Weltgeschichte bis dahin noch nie vorgekommen war.
Asketisch und wendig
Doch diese Ursula von der Leyen, asketisch schmal, streng und doch wendig wie ein Yogi, verkörpert das Wesen der EU wie niemand sonst. Was einst als großes Reformprojekt gestartet worden war, hat nur 30 Jahre nach dem Vertrag von Maastricht den Zustand der Fossilisation erreicht. Dieser komplexe Vorgang der Versteinerung vollzieht sich normalerweise in geologischen Zeiträumen.
Unter von der Leyen aber schaffte es die EU, mit noch mehr noch größeren Plänen noch schneller zu scheitern als gewohnt. Die Lissabon-Strategie, mit der sich die EU in den wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt hatte verwandeln wollen, brauche von der feierlichen Verkündung bis zum stillen Begräbnis noch zehn Jahre.
Noch mehr Wiederaufbau
Vom Nachfolgeprogramm "Europa 2020" für ein noch "intelligenteres, nachhaltigeres und integrativeres Wachstum" war schon nach sieben nirgendwo mehr die Rede. Von der Leyens Programmpaket aus "Green Deal" und "EU-Wiederaufbauplan", aus "Aufbau- und Resilienzfazilität" genannten neuen Schulden, Gesundheitsunion, gemeinsamer Armee, Abgasstrafenregiment, Lieferkettenüberwachung, Chips- und KI-Act und einer "pragmatische Umsetzung, um gleichzeitig zu dekarbonisieren und zu industrialisieren" ist schon wenige Tage nach der Bekanntgabe der fantastischen neuen Namen, die die 26 Kommissare ihren funkelnagelneuen alten Ressorts gegeben haben, keine Rede mehr.
Die Sehnsucht nach einem tabula rasa, die Sehnsucht nach einer Kettensäge, sie ist unterschwellig, aber überall zu spüren. Das Schlimmste, was passieren könnte, ist in der Vorstellung derer, die sich gut eingerichtet haben auf dem sinkenden Schiff, dass die richtig liegen könnten, die den Kurs ändern wollen. Noch fürchterlicher wäre nur, sie behielten Recht.
Montag, 30. Dezember 2024
Fetisch Faschismus: Braune Soße
Nie war ein einfacher, Faschist zu sein: Die Hamburger "Zeit" rührt jetzt alles in eine braune Soße. |
Donald Trump zeigt die Thälmann-Faust. Neben Russlands Diktator Wladimir Putin steht der demokratische gewählte und wiedergewählte Ungarn Viktor Orban. Die Italienerin Giorgia Meloni, im Wahlkampf als Enkelin Mussolinis beleidigt, seit ihrer Amtsübernahme in Rom aber mehr und mehr respektiert, erscheint als weibliches Gegenstück zu Javier Milei, dem Libertären aus Argentinien.
Der hat es geschafft, die einst erfolgreichste Volkswirtschaft Südamerikas aus einem Abgrund an Niedergang und Verarmung zu reißen und 46 Millionen Argentiniern wieder so etwas wie Zukunftshoffnung zu geben. Der steht jetzt Seite an Seite mit Wladimir Putin als Beispiel dafür, wie Faschismus funktioniert.
Eine maßlose Methode
In der Hamburger Wochenschrift "Die Zeit" eint sie alle eins: Trump, Milei, Meloni, Putin und Orban sind "Faschisten", Menschen, an deren Beispiel das Blatt zeigen will: "Und der Faschismus, der geht so". Um den Nachweis zu führen, dass Demokraten wie Meloni, Milei, Orban und Trump nichts anderes sind als der brutale Potentat Putin, weil alle fünf zusammen als Erben Hitlers zu gelten haben, hat sich "Zeit"-Autos Nils Markwardt eine Methode ausgedacht, die den Schrecken der Nazi-Verbrechen verharmlost, die Toten des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust leugnet.
Was "Faschismus" ist, jener von der Wissenschaft bis heute nicht genau definierte Begriff, sie gar nicht entscheidend, heißt es. "Vielleicht versteht man den Erfolg der extremen Rechten besser, wenn man sich anschaut, was sie konkret tut."
Überdrehter Unsinn
Jeder etwas anderes, keiner dasselbe. Wenn "Faschismus" nur noch eine Mischung als "Selbstinszenierung", "überdrehtem Unsinn", "Verkehrung ins Gegenteil" und "Budengeläut und Halleluja" ist, dann wird der Schreckensbegriff zum Code für alles, was irgendjemand damit bezeichnen will. Das "spezifische Auftreten Trumps"? Faschismus. Javier Milei mit der Kettensäge? Faschismus. Putin hoch zu Ross, das Fehlen der früher faschismustypischen Soldatenhaftigkeit und Melonis "lustige Grimassen" - zweifellos Faschismus.
Dass Björn Höcke schon Moped fuhr, baut die Brücke. Nils Marwardt schafft es im Handumdrehen, auch "die Politiker der AfD" (Markwardt) einzugemeinden in das große, braune Dorf, über das die "Zeit" aus der Buceriusstraße schaut, einer Adresse, die nach Mitgründer Gerd Bucerius benannt wurde, der Dritten Reich jüdische KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter für den Baracken- und Notunterkünftebau eingesetzt hatte.Faschismus ist hier ein Fetisch, der immer hilft, einen hochzubekommen. Hausfrauen waren schon faschistisch, Einfamilienhäuser, Autos und Familien, die Zwei-Kind-Ehe, Tourismus und schwarze Hemden, die Fahnen der Weimarer Republik und ein sauberer Hausflur.
"Alice Weidel, Giorgia Meloni, Javier Milei oder Viktor Orbán klingen oft ähnlich schrill und drastisch" und sind daran zum Glück schnell als Faschisten erkennbar. Sahra Wagenknecht fehlt, wurde aber womöglich nur vergessen.
Hitler nannte sich selbst zwar stets einen "Nationalsozialisten", doch diese Bezeichnung ist zu konkret, zu Deutsch und zu offenkundig Unsinn, wenn das Ziel ist, einen zum Konservativen gewandelten Ex-Kommunisten wie den Ungarn Viktor Orbán als gefährlichen Nazi enttarnen zu wollen. Orbán regiert Ungarn seit fast 15 Jahren. Er ist der dienstälteste unter den Regierungschefs der EU-Staaten. Bei seiner letzten, der inzwischen vierten Wiederwahl lag sein Wahlergebnis zwei Prozent höher als beim ersten Mal.
Wer Führung bestellt
Faschismus war ursprünglich eine Ideologie, die gekennzeichnet ist durch einen diktatorischen Führer an der Spitze, eine zentralisierte Autokratie um ihn herum, einen marschierenden Militarismus und die gewaltsame Unterdrückung der Opposition zur Durchsetzung einer Gesellschaftsordnung, in der sich individuelle Interessen denen des Staates unterordnen müssen.
Knapp 80 Jahre nach dem Tod von Benito Mussolini, der diese Art von "zutiefst inhumanem, antidemokratischen und reaktionärem politischen Regime" vor 100 Jahren in Italien erfunden hatte, kann Faschismus alles sein, was irgendwer zum Faschismus erklären will. Was nicht passt, wird passend gemacht, die Mission besteht darin, das Grauen zu normalisieren, den vergangenen Schrecken kleiner zu machen, um den heute imaginierten daneben groß aussehen zu lassen.
Weltanschauung Hass
Es gibt also zugegebenermaßen selbst für die "Zeit" bei Donald Trump, Javier Milei, Alice Weidel, Tino Chrupalla, Giorgia Meloni, Marine Le Pen oder Viktor Orbán "eklatante Unterschiede zu den Bewegungen Hitlers und Mussolinis". Trump ist alles, aber kein begeisterter Militarist. Mileis Wirtschaftsreformen sind das Gegenteil der zentralisierten Planwirtschaft, die Hitler aufbaute.
Orbán mag die Unterdrückung der Opposition vorgeworfen werden, aber gewaltsam? Weidel, Le Pen und Chrupalla, trotz ihrer noch nicht allzu lange zurückliegenden Scheidung aus weltanschaulichen Gründen aufzählungshalber erwähnt, kann bisher nicht ein einziger Faschismus-Marker nachgewiesen werden.
Doch statt sich allzu lange mit diesen Unterschiede aufzuhalten, deren Betrachtung die Zahl der Faschisten im Handumdrehen bedrohlich schrumpfen lassen würde, rührt Nils Markwardt alles in einen Braunen Topf: "Das spezifische Auftreten Trumps" steht neben den "rhetorischen Strategien der AfD", die "machtpolitischen Winkelzüge" Wladimir Putins, des - toten - Silvio Berlusconis "bunte TV-Auftritte" samt selbstgesungenem Schlager und das "rechtsextreme Lachen aus Lust am Leid des Gegners", sie "verhelfen der extremen Rechten zum Erfolg".
Ein bisschen völkisch
Nicht etwa das Versagen der bisher regierenden Parteien. Nicht etwa der Umstand, dass sich bis ganz nach links draußen der Eindruck breit gemacht hat, dass es so nicht weitergehen kann. Die Grünen wollen jetzt endlich "Gerechtigkeit" und "Klimaschutz", die SPD "Wohlstand", "Sicherheit", "Freiheit" und "Zukunft". Die CDU versucht es völkisch mit einem "Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können", die FDP bietet einen "modernen Staat, der sich nicht verzettelt" und das BSW "eine bessere Politik".
Alle wollen regieren, alle wollen verändern, die einen "eher libertär oder völkisch", die anderen linkspopulistisch, indem sie den Menschen versprechen, es brauche angesichts leerer Kassen kein "entweder oder", sondern entschlossenen Führer, der die Sache in die Hand nehme. Diese Mischung aus Verlockung und Versprechen, Tröstung und hasserfüllten Parolen gegen alle, die einen anderen Weg als besseren sehen, sind nicht "spezifisch rechtsextrem" (Markwardt), sie lassen sich aber als "machtpolitische Instrumente" denunzieren, die "von der extremen Rechten sehr effizient genutzt" werden.
"Lärmende Massenunterhaltung"
Die Gleichung ist dann einfach: Wer erfolgreich beim Wähler punktet, ist ein Faschist, auch ohne Gräueltaten. Wer noch Straßenwahlkampf mit Großveranstaltungen macht, wie sie bis zur Ära Gerhard Schröders der Normalfall waren, macht sich heute der "ideologischen Indoktrinierung mit lärmender Massenunterhaltung" schuldig.
"Fackelzüge, Trommelwirbel und Volksfeststimmung", so sieht er aus, der Faschismus, bei dem nicht nette Popstars wie Beyoncé für Lichtgestalten wie Kamala Harris singen und tanzen, sondern "dunkle Clowns" wie Elon Musk Hass schüren und nicht herzensgute Sozialdemokraten mit Musik und Würstchen für ein solidarisches Miteinander ohne Schuldenbremse werben, sondern "Sprüche, Beleidigungen, überdrehter Unsinn" zeigen, wie "faschistische Unterhaltungslust" eine "rauschhafte Massenhypnose" auslöst, an deren Ende wieder Blut fließt, junge Männern in Schützengräben sterben und die Öfen rauchen.
Möge dann niemand sagen, dass die "Zeit" nicht vor allem gewarnt hat und vor allem anderen auch.
Meinungsfreiheit: Ernste Zweifel am Grundkonzept
Gastbeiträge galten früher als subjektive Einlassungen im Rahmen der Meinungsfreiheit, haben sich aber inzwischen in eine Bedrohung verwandelt. |
Aus allen Richtungen waren die Angriffe erwartet worden. Russlands Strategie liegt seit Jahren offen zutage. Es geht dem Kreml darum, die westlichen Gesellschaften zu spalten, Wähler zu verunsichern und Wahlen zu hintertreiben. Die Waffen des Westens aber sind gut geschliffen: Freier Meinungsaustausch hat noch immer über gelenkte Demokratien obsiegt. Aus der Geschichte ist kein Fall bekannt, in dem es Herrschenden gelangt, durch die Unterdrückung bestimmter Ansichten Sicherheit und Wohlstand zu schaffen.
Grenzen für Meinungen
Dass sich jeder zu allem äußern kann, selbst zu Dingen, von denen er nichts versteht, ist die Grundlage dieses westlichen Modells. Menschenrechte wie das von Artikel 5 Grundgesetz garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung gelten universal. Weder beschränkt die deutsche Verfassung das Recht deutscher Staatsbürger, eine Meinung zu Vorgängen in anderen Staaten zu haben. Noch versagt deutsches Recht Bürgerinnen und Bürgern anderer Staaten, sich in deutsche Angelegenheiten einzumischen, so lange sie es bei verbalen Interventionen belassen.
Die Grundrechte enden nicht an Grenzen. "Wer Menschenrechte einschränkt, beschert den Terroristen schon den ersten Sieg", hatte der damalige Justizminister Heiko Maas, das Prinzip bereits vor sieben Jahren abschließend erklärt. So schwer es manchmal fällt: "Die Qualität eines Rechtsstaats zeigt sich in der Bedrohung", analysierte Maas, dessen Grundsatzwerk "Aufmucken statt Wegducken" längst als Klassiker des Verfassungspatriotismus gilt.
Wahlkampfverbot für Ausländer
Ausnahmen bestätigen die Regel. So ging die Bundesregierung vor Jahren entschieden gegen Versuche des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden machen. Um Gleichbehandlung zu gewährleisten, müssen seitdem alle politischen Auftritte sämtlicher ausländischer Regierungsvertreter zehn Tage vorher förmlich beantragt und von der Bundesregierung genehmigt werden.
Das gilt allerdings ausdrücklich nicht für Wortmeldungen von Regierungsschefs, Staatsoberhäuptern, Staatsmännern und Unternehmensführer, die sich über deutsche Medien äußern. Legendär sind Gastbeiträge des früheren sowjetischen Staats- und Regierungschefs Michail Gorbatschow, der in Afghanistan vier Jahre lang Krieg führte, den Atomunfall von Tschernobyl zu vertuschen suchte und schließlich mit der "Goldenen Henne" ausgezeichnet wurde.
Als Ruheständler war Gorbatschow ein gefragter Gastbeitragsschreiber. Immer wieder mischte er sich von außen in die deutsche Politik ein. Er warnte, baute Brücken oder lobte Friedensinitiativen seines Nachfolgers Wladimir Putin.
Keine Proteste
Protest regte sich gegen die Thesen des Russen so wenig wie gegen die seines deutschen Duzfreundes Gerhard Schröder, der Deutschland Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zementiert hatte. Auch als der US-Multimilliardär Bill Gates in der FAZ ultimativ Front gegen eine aus seiner Sicht falsche Neuausrichtung des Bundesetats machte, akzeptierte die Mediengesellschaft die Empfehlungen des Microsoft-Gründers unaufgeregt. Unaufgeregter jedenfalls als die des Grünen-Politikers Cem Özdemir, der in einem Gastbeitrag in der FAZ "sexualisierte Gewalt durch migrantische Männer" angeprangert hatte.
Nicht gegen Özdemir ging es dabei, sondern gegen seinen Versuch, sogenannte "Wahrheiten offen zu thematisieren" und dann Forderungen daraus abzuleiten. Özdemir ging zu weit, aber lange nicht so weit wie jetzt Elon Musk, seit seiner Hinwendung zum politischen Aktivismus ein Ausbund des Bösen und seit einiger X-Posts gegen deutsche Verantwortungsträger auf dem besten Weg, vom "Staatsfeind Nummer 2" (Spiegel) noch eine Stufe hochzurutschen. An Trump, der Deutschland immer mal abwertet, verhöhnt und beschimpft, ist in nächster Zeit ohnehin kaum heranzukommen.
Eine hübsche Reibefläche
Musk aber, als Unternehmer und Berater der kommenden US-Regierung, hat gerade das Format, dass die Streichhölzer sich daran reiben können. Mitten in die stille Zeit zwischen den Jahren platzte der Gastbeitrag des reichsten Mannes der Welt, der in der "Welt am Sonntag" seinen Blick auf ein Deutschland im Niedergang beschreibt, nicht in allen Details informiert, aber in der Diagnose der Problemlage vermutlich weniger falsch als mancher Programmentwurf der Parteien zur anstehenden Bundestagswahl.
Das Echo glich einem Inferno, kam aber nahezu ohne inhaltliche Auseinandersetzung aus. Weil Musk seine zuvor bei X gepostete Auffassung bekräftigt hatte, dass nur die AfD Deutschland retten könne, galt sein Diskussionsbeitrag nicht mehr als solcher, sondern als eine quasi illegale Wahlempfehlung.
Für zahllose Politiker, Medienarbeiter und ihre Funktionäre, allesamt fest überzeugt, dass die normalen Menschen da draußen immer genau das tun, was ihnen Prominente zu tun raten, eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten, die gar nicht zu vergleichen ist mit den deutlichen Wahlempfehlungen, die in der Vergangenheit aus Berlin nach Übersee gingen. Und wieder steckt Springer dahinter, der Verlag, schon verantwortlich für Gründung der RAF war. Musk jetzt eine Plattform zu geben, kurz vor der Bundestagswahl, war deutlich schlimmer.
Verfassungsfeindliche Agitation
Seinen Aufsatz zu drucken sei "kein Zeichen von Meinungsfreiheit", sondern "verfassungsfeindliche Agitation", hieß es beim "Handelsblatt". Einen "Fehltritt" nannte die Frankfurter Rundschau den Text, meinte damit jedoch seine Existenz. Die "Tagesschau" fasste nicht den Inhalt, aber die lange Latte der mutigen Wortmeldungen dagegen zusammen. In der Hauptausgabe am Abend danach fiel das Urteil: Das Abdrucken einer Meinung kann auch gar nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun haben. Zu zart die Demokratie in Deutschland, als dass sie so einen massiven hybriden Angriff aushalten kann.
Journalisten sind dazu da, die Öffentlichkeit vor solchen Attacken zu schützen. Überschwängliches Lob bekam die Chefin des "Welt"-Meinungsressorts, die aus Protest kündigte. Der Journalistenverband, vormals Hüter der Pressefreiheit, kritisierte die "als Journalismus verpackte Wahlwerbung für eine rechtsextreme Partei". Kanzleramtsanwärter Friedrich Merz stieß mit einer Bezeichnung als "übergriffigem" und "anmaßendem Wahlaufruf" ins gleiche Horn. Die SPD sprach von einem "inakzeptablen" Versuch, "ausländischer Milliardäre, unsere politische Landschaft zu beeinflussen".
Zweifel am Grundkonzept
Musks Verwandlung vom grünen Garanten des ein bisschen überraschenden ostdeutschen Aufschwungs mitten in der gesamtdeutschen Rezession zum Hintermann des "brutalen Anschlag in unserem Magdeburg mit fünf Toten und über 200 Verletzten" zum offensiven Wahlaufrufer "für die Partei, deren Anhänger der Attentäter ist und die den Anschlag gerade schamlos instrumentalisieren" ließ schlagartig am gesamten Konzept des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit zweifeln.
Als Wladimir Putin vor drei Jahren in der "Zeit" seine Sicht auf die Konflikte zwischen seinem Land und dem Westen hatte schildern dürfen, vier Monate vor einer anstehenden Bundestagswahl, hatte noch außer Frage gestanden, dass der Inhalt diskutabel ist, die Wortmeldung aber zulässig. Aber schließlich handelt es sich bei Putin auch um einen Diktator, der 140 Millionen Menschen seit Jahrzehnten in eisernem Griff hält und seit 2014 Krieg gegen ein Nachbarland führt. Musk aber ist eine Bedrohung für die "liberale Ordnung" (Zeit), weil es sich beim gebürtigen Südafrikaner um den "Feind der freiheitlichen und offenen Gesellschaft" handelt.
Sonntag, 29. Dezember 2024
Messias des Jahres: Madam Ex-President
Kamala Harris trat als Kandidatin an, verlor und verschwand aus der Öffentlichkeit. Zeichnung: Kümram, Fingerfarben auf Acryl |
Sie kam aus dem Nichts, eine Frau, die niemand mehr auf dem vielbemühten Schirm gehabt hatte. Doch als sich US-Präsident Joe Biden im Sommer binnen weniger Stunden vom Hoffnungsträger, der "fest im Sattel sitzt" (Elmar Theveßen) in einen Greis verwandelte, dem nicht einmal mehr der deutsche Gemeinsinnfunk das Weiße Haus für four more years überlassen mochte, war sie da: Kamala Harris, die große Unsichtbare der zurückliegenden vier Jahre, avancierte in wenigen Stunden zur Erlöserin des Wertewestens vor der drohenden Trump-Diktatur.
Jung und frisch
Mit 59 Jahren brachte die bis dahin glücklose Vizepräsidentin alles mit, was eine braucht, um die deutschen Medien von sich zu überzeugen. Harris sei "kompetent, schlagfertig und nicht weiß", lobte das ZDF. Sie sei überdies "jung" rühmte ihr greiser Vorgänger, den eine Welle der Delegitimierung durch seine eigene Partei zum Verzicht gezwungen hatte. Außerdem war Harris für Abtreibung und für die Beibehaltung der Demokratie, für ein transatlantisches Verhältnis, wie Deutschland es mag, gegen Russland und überhaupt für ein Weiterso, das Stabilität bis mitten hinein ins politische Berlin garantiert.
Die Welle der Kamalaphorie, die nach der Ausrufung der neuen Kandidatin ohne große demokratische Fisimatenten ausbracht, erinnerte an die Begeisterung, die Barack Obama ein Jahrzehnt zuvor bei seinen Deutschland-Besuchen entgegengeschlagen war. Niemand wusste, was Kamala Harris als Präsidentin wollen oder tun würde.
Aber jeder fand es sehr gut. Endlich eine Wundertüte, in die sich jeder hineindenken konnte, was immer er wollte: Ausgestattet mit einem ganz plötzlich offenbar werdenden Übermaß an Charisma und Charme, einer überragenden Intelligenz und der weltweit noch nie zuvor beobachteten Fähigkeit zum inneren Leuchten.
Die Journalistenkaiserin
Kamala Harris wurde zur Journalistenkaiserin. Ihr flogen die Herzen all jener zu, die "Amerika am Abgrund" (Spiegel) wähnten und nicht mit hinuntergezogen werden wollte. Deutschland mischte sich keineswegs in den US-Wahlkampf ein, oder doch jedenfalls nur ein bisschen und für den guten Zweck.
Doch was wahr war, musste richtig bleiben: Gerade die Zurückhaltung der neuen Kandidatin der Demokraten beim Festlegen auf Inhalte versprach allen alles und folgte damit einer Strategie, die den demokratischen Parteien bei der EU-Wahl einen überraschenden Erfolg gesichert hatte.
In Deutschland überzeugte das eine deutliche Mehrheit. Zwei Wochen vor dem Wahltag lag Kamala Harris bei den Zuschauern des ZDF mit einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit vor ihrem Gegenkandidaten Donald Trump. Selbst ihr Vize-Präsidentenkandidat Tim Walz, bis dahin für viele Familien in Deutschland ein unbeschriebenes Blatt, hätte jede Landtagswahl im Osten locker für sich entschieden.
Erlöserin und Retterin
Und der große Begeisterungssturm folgte erst noch. In den letzten Stunden vor dem Urnengang überschlugen sich die klugen Analysen, die aus der bis dahin nur als Taylor Swift der Weltpolitik geführten Kamala Harris die "Erlöserin" (Stern), "Retterin" (Zeit) und künftige "Madam President" (Spiegel) machten, die die Ukraine nicht zum Frieden und Deutschland nicht "zur Aufrüstung zwingen" würde.
Keine Frau, von der sich nur "Verlieren lernen" (Spiegel) lasse. Sondern eine, die die "Anti-Trump-Formel" in der Tasche hatte: Eine "Einwanderertochter", Vater renommierter Wirtschaftswissenschaftler aus Jamaika, Mutter Krebsforscherin und Bürgerrechtlerin, erzogen zur "stolzen starken schwarzen Frau" und stolz auch auf "unser indisches Erbe" (Kamala Harris).
"Beste Chancen, Trump zu schlagen"
Mit einer solchen Anführerin hatten die Demokraten "die besten Chancen, Trump zu schlagen" (Friedrich-Ebert-Stiftung). Sie war nicht nur "die neue Hoffnungsträgerin der Demokratischen Partei, sondern vielleicht auch für die Demokratie insgesamt" und wäre der amerikanische Wähler nicht gewesen, vor allem auch die amerikanische Wählerin, auf die Harris ihre Kampagne ausgerichtet hatte, die Welt dürfte sich auf lichte vier Jahre voller Fortschritt freuen.
Die Nacht zum 7. November aber zerschlug den Traum vom ungestörten Weiterwursteln. Noch ehe Kamala Harris sich endlich so weit aufgerappelt hatte, dass sie sich mit einer letzten Durchhalteparole von ihren konsternierten Anhängern verabschieden konnte, fegte der Tsunami aus Amerika auf der anderen Seite des Atlantik die Stillhaltekoalition aus FDP, SPD und Grünen hinweg.
Der Elfenbeiturm trug Trauer, zähneknirschend absolvierten die deutschen Trump-Gegner eine Gratulationscour, als sie schließlich endlich vorgelassen wurden. Die Kinder der ausländischen Wahleinmischung weinten bittere Tränen.
Fluchtwelle Richtung Europa
Viele Prominente, die vor der Wahl angekündigt hatten, sie würden die USA im Fall eines falschen Wahlsiegers verlassen, dürften mittlerweile anderswo heimisch geworden sein. Cher, America Ferrera, Sharon Stone, Barbra Streisand und Ellen DeGeneres sind nur die Spitze der Heerscharen, die diesmal die USA verlassen. Auch Jeff Dreyfuss ist unter denen, die die USA wie eine Flutwelle verlassen, Richtung EU und Richtung Kanada, auf der Suche nach Rettung vor dem Bösen.
Ob sich Kamala Harris angeschlossen hat, ist zur Zeit noch unklar. Die gescheiterte Kandidatin ist "völlig von der Bildfläche verschwunden" (Tag24).
Die Muske des Bösen: Der verhasste Ausländer
Seit Donald Trump seine erste Amtszeit anstrebte, ist niemand mehr so verhasst gewesen. Keinem lebenden Menschen schlug so viel Ablehnung entgegen, keinem wurde so viel Bosheit unterstellt und niemandem krochen Neid und Missgunst auf eine solch plakative Weise nach.
Elon Musk zu hassen, ihn für einen Nazi zu halten und ihm Motive zu unterstellen, wie sie den jeweiligen Bösewicht im James-Bond-Film antreiben, gehörte bis zuletzt zum guten Ton im aufgeklärten Bürgertum. Wer zeigen wollte, dass er für den Fortschritt und den Frieden, für Klima und Glück eintritt, der erklärte sich in diesem Jahr, in dem 53-Jährige seinen wirtschaftlichen Erfolgen politische hinzufügte, öffentlich zum Musk-Hasser.
Der dunkle Fürst der Finsternis
Der Firmenchef von Tesla, SpaceX, Starlink, X und einigen weiteren Firmen hat sich im Rekordtempo vom leuchtenden Beispiel für einen innovativen Denker zu einem dunklen Fürsten der Finsternis verwandelt. Musk, hochgelobt, als er mit Tesla nach Brandenburg kam, ist nicht einmal ein halbes Jahrzehnt später der Wasserräuber der brandenburgischen Ebenen.
Wie Jesus, dessen Vorfahren aus Ägypten ins Heilige Land gekommen waren, kann auch Musk auf afrikanische Wurzeln verweisen. Im Gegensatz zum jüdischen Palästinenser aus dem italienischem Überseegebiet Galilaea und Judaea, dessen Wollen und Wirken heute Jahr für Jahr weltweit mit bunten, prächtigen Feiern zu Ehren des Weihnachtsmannes gefeiert wird, steht Musks Heiligsprechung aber infrage.
Ausländer raus
Derzeit ist der afrikanischstämmige Milliardär in Deutschland ein bis in die Spitzen der demokratischsten Parteien hinein verhasster Ausländer. Ihm ein mutiges "Ausländer raus" entgegenzurufen, gehört zum guten Ton in jedem antifaschistischen Haushalt. Petitionen fordern "Kauft nicht beim Afrikaner" und die Vergesellschaftung seiner Firmen. Der "Staatsfeind Nummer 2" (Spiegel) soll sich seines Lebens nicht mehr erfreuen dürfen.
Wer gegen den fossilen Mord an Umwelt und Natur protestieren will, zog anno 2024 nicht nach Wolfsburg oder Stuttgart oder Zwickau, wo die großen deutschen Automobilhersteller sitzen, die den Umstieg auf Elektromobilität verpasst haben. Nein, er ging nach Grünheide, um dem reichsten Mann der Welt zu zeigen, dass Deutschland gewillt ist, vom Golf direkt auf Lastenrad umzusteigen.
Die Protestler kamen im Auto, ihre Ablehnung für Musk aber ist damit nur um so einfacher kompatibel zu der staatsoffiziellen, die nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel und in nahezu sämtlichen Redaktionsstuben der westdeutschen Leitmedien als höchste demokratische Tugend gepflegt wird. Nachdem Musk die Plattform X übernommen hatte, waren Experten und Politiker sicher gewesen, dass deren Ende nun nahe sei.
Sehnsucht nach Zensur
Zwei Jahre danach wird immer noch in Schüben demonstrativ abgewandert und das immer noch damit begründet, dass der Hass sonst allmächtig werde. Musk soll in die Knie gezwungen werden, die aus den Twitter-Jahren gewohnten Zensur wird zurückverlangt, ausgerechnet die EU, eine Organisation, deren Funktionäre ohne jede demokratische Kontrolle arbeiten, soll eingreifen und der Freiheit Fesseln anlegen.
X, der Terroranschlag von Magdeburg zeigte es zuletzt, ist währenddessen längst zu einer Informationsquelle geworden, ohne die die traditionellen Medien nicht wüssten, wo sie recherchieren sollen. Das verstärkt den Ärger.
Wahlweise wird dem reichsten Mann der Welt politische Einflussnahme durch "Algorithmen" zugesprochen, ein Begriff, der in den entsprechenden Analysen die Funktion des Wortes "hybrid" in politischen Sonntagsreden über den russischen Krieg gegen die Ukraine übernimmt. Der Unternehmer tue das alles, um seinen Firmen Vorteile zu verschaffen. Nur Augenblicke später ist Musk aber auch der mächtige Strippenzieher hinter Trump oder gar der wahre Präsident, der Trump am Nasenring führt.
Alles Böse in einem Kopf
Fakt ist: Alles, was sich Menschen an Untaten vorstellen können, hat der 53-Jährige begangen. Und was bisher unvorstellbar scheint, plant er gerade. Genau wie Donald Trump bis zu seinem zweiten Wahlsieg ist Musk die Maske des Bösen, ein Vernichter, Zerstörer und von purer Bösartigkeit bestimmter Machtmensch, dem kein anderes Motiv für sein Tun zugebilligt werden kann als die aus dem eigenen Leben, aus der Bundespolitik und dem Karrieregerangel in den Medienhäusern bekannte Selbstsucht.
Es gehört sich, Musk zutrauen, nur das Allerschlechteste zu wollen und das Allerschlimmste in allen Menschen zu Tage zu fördern. Der Mann mit dem Mars-Flitz versucht demokratische Wahlen zu beeinflussen, um den Westen zu schwächen. Er schadet anderen Ländern mit seinen Wortmeldungen, um irgendwas mit Putin. Er nennt Olaf Scholz einen "Narren" und die AfD den Retter Deutschlands, weil er Aufsehen erregen und der Demokratie wie dem westlichen Bündnis schaden will, an dessen Spitze sein Chef, der womöglich seine Marionette ist, in wenigen Tagen rücken wird.
Endgültig im Abseits
Mit diesen letzten Äußerungen hat sich Elon Musk endgültig ins Abseits gestellt. Wer in einem der Bionadevierteln der Republik mit edlem Echtholzparkett und einer Aussicht auf den Stadtpark etwas auf sich hält, hat den Tesla bereits zurückgegeben und sich bei X abgemeldet.
Dieses Treiben kann niemand mehr unterstützen, der nicht gerade im Wahlkampf ist und jedes bisschen Reichweite braucht. Leider nur hier, glauben sie seit Trumps Wahlerfolg von #TeamScholz bis #TeamHabeck, sind die zu erreichen, die "Tagesschau", der Hamburger Wochenschrift "Zeit", dem "Spiegel" und der lokalen Tageszeitung abgeschworen haben.
Gute alte Zeiten
Dass Musk handsortiert, wer bei X wie viel Reichweite bekommt, glauben sie in den Parteizentralen selbst nicht. Aber dass sie es waren, die früher bei den großen deutschen Verlagsfamilien Mohn, Burda, Bauer, Funke, Ippen, Madsack und nicht zuletzt beim Medienimperium der SPD die Algorithmen programmierten und pro Tag Millionen Leser erreichten, ist noch in angenehmer Erinnerung. Damals rief die Kanzlerin einfach bei Anne Will an, wenn sie ihrem Volk etwas zu sagen hatte. Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatte die Nummer nicht, interviewte sich stattdessen aber einfach selbst.
Ein Wettbewerbsvorteil, der im Verschwinden begriffen ist. Musk hat ihnen allen diesen direkten Zugang zu den Köpfen genommen. Musk stellt mit X eine Plattform zur Verfügung, die angeblich amtliche Fakten checkt und private Einzelmeinungen gleichberechtigt neben die selbsternannte Qualitätspresse stellt. Diese "ausländische Einmischung", wie es mit klarer Zielrichtung auf Musks nichtdeutsche Abstammung heißt, wird niemand dem Amerikaner mit den afrikanischen Wurzeln verzeihen, zumindest nicht in Deutschland. Wenn der Ausländer
Samstag, 28. Dezember 2024
Zitate zur Zeit: Der letzte Winter der Berliner Republik
Armut wird in Deutschland traditionell mit Bildern des Mädchens mit der roten Jacke bebildert. |
Vor der Zentrale der Aschinger-Gesellschaft kommt es zu einer Demonstration. Aschinger ist Deutschlands größtes Gastronomieunternehmen, mit fast dreißig Lokalen und Stehbierhallen in Berlin, dazu Bäckereien und Hotels. Eine Institution. In »Berlin Alexanderplatz« hat Alfred Döblin eine Filiale ausführlich beschrieben, Erich Kästner lässt in »Fabian« hier seinen Helden einkehren.
Bei Aschinger gibt es billiges Essen und günstiges Bier. Doch nun stehen zwanzig Jugendliche vor der Tür, die Essen und Trinken umsonst haben wollen. Die Direktoren von Aschinger empfangen eine Abordnung zum Gespräch. Für jeden von ihnen verlangen die Jugendlichen ein Laib Brot, ein Pfund Schmalz und eine Wurst. Die Geschäftsführung antwortet: Die Demonstranten sollten ihre Forderungen doch bitte schriftlich einreichen. Danach werde man sich entscheiden, ob geholfen werden könne.
Die Vertrauensleute reagieren empört. Einer droht den Anwesenden mit Gewalt. Dann ziehen alle ab zum Alexanderplatz. Dort liegt die Filiale, die Döblin beschrieben hat. Dort fordern sie vom Geschäftsführer ein Mittagessen für jeden Teilnehmer des Hungerzugs.
Tut uns leid, heißt es nur. Ohne Bescheinigung der Zentrale kann kein Gratisessen ausgegeben werden. Einer der Teilnehmer hält eine spontane Rede vor den Restaurantgästen. Er spricht über die bitteren Gefühle der Hungernden, die zusehen müssen, wie andere sich vor ihren Augen satt essen.
Es hilft nichts. Die Jugendlichen ziehen weiter, nirgendwo erhalten sie etwas zu essen. Schließlich brechen sie in ein Lebensmittelgeschäft ein.
Rüdiger Barth, Hauke Friederichs, "Die Totengräber: Der letzte Winter der Weimarer Republik"
Der Brombeer-Pionier: Neue deutsche Farbenlehre
Mario Voigt ist der seit zehn Jahren der erste Ministerpräsident in Thüringen, gegen den nicht zeitweise der Verdacht undemokratischer Umtriebe bestand. Zeichnung: Kümram, Wasserfarben auf Glas |
Der erste Erste seit 1988
Neue politische Räume
Zwei plus Marx
Pflücke für ein neues Fundament
Freitag, 27. Dezember 2024
Die Abgehängte: Den Sozialismus in seinem Lauf
Sie inmitten der ganz gewöhnlichen Menschen aufgewachsen, behütet, umsorgt, getragen von einer Gesellschaft, die alle Sorgen und Nöte weit von ihnen weghielt. Ihre Erziehung war liebevoll und ohne Gewalt, ihre Schulen funktionierten damals noch. Es mangelte nicht an Taschengeld, es mangelte nicht an Reisemöglichkeiten. Das kapitalistische Wirtschaftssystem ermöglichte der Generation, die heute in ihren 20ern ist, ein Heranwachsen, wie es noch keine andere Altersgruppe vor ihr genießen durfte.
Arbeitslosigkeit war ein Fremdwort. Die wenigen Kriege, die es noch gab, spielten sich weit weg am Hindukusch ab, wo die Völker seit jeher aufeinander einschlagen. Die Supermarktregale waren voll, das Essen preiswert. Niemand musste nach modischen Klamotten anstehen, keiner sich mit dem billigsten Handy begnügen.
Alle Bücher der Welt
Alle Bücher der Welt standen zum Lesen bereit, alle Erkenntnisse aller Philosophen, Ökonomen und Forscher aller anderen Fachgebiete. Fragen war erlaubt. Meinungen durften nicht nur geäußert werden, nein, sie sollten. Und wenn eine mal falsch war, kam nicht die Polizei, sondern wohlgemeinter Zuspruch von Lehrer:innen, Elterern und - wenn es not tat - ausgebildeten Sozialarbeitern.
Umso erschütternder ist das Ende vom Lied. Ausgerechnet die Kinder, die die entwickelte demokratische Gesellschaft mit so viel Liebe, Fürsorge und finanziellem Aufwand aufgezogen hat, wenden sich gegen sie. Ihr Aufbegehren ist dabei kein renitenter Akt der Abnabelung, kein Rebellentum um des Rebellentums willen, wie es Beatniks, Punks, Metaller oder Gruftis demonstrativ pflegten.
Die erste Generation, die weder den Kalten Krieg noch die an Verwerfungen reichen ersten Jahre der deutschen Einheit lehnt die Gesellschaft, wie sie ist und wie sie funktioniert nicht nur für sich selbst ab. Sondern sie will sie zerstören, ihre Grundlagen vernichten und ein System aufbauen, das auf einem Gemisch aus Aberglauben, Unwissen und längst vielmals widerlegten Heilsversprechen gründet.
Eine wirkliche Tragödie
Es ist nicht nur ein Drama, es ist eine Tragödie, die sich im Schicksal der Carla Hinrichs spiegelt, einer jungen Frau von 27 Jahren, die als Tochter einer Kuratorin und eines Maschinenbauingenieurs mit zwei jüngeren Geschwistern in der Mitte der bürgerlichen Mitte aufwuchs, zumal in Bremen, einer Wohlfühlmetropole, die immer progressiv ausgerichtet gewesen war.
Hinrichs schlug hier anfangs auch einen Weg ein, wie er sich gehört: Als romantische Teenagerin engagierte sie sich bei Amnesty International, später begann sie ein Jurastudium, um den Entrechteten und Verfolgten zu helfen, die nicht wie sie selbst mit dem goldenen Löffel im Mund hatten Großwerden dürfen.
Die Bemühungen der Gesellschaft, Mädchen wie Hinrichs zu integrieren, schienen zu fruchten. Bis irgendetwas in der jungen Frau aus der Mitte des Gemeinwesens zerbrach und sie zu einer Oppositionellen machte: Fünf Jahre hatte Carla Hinrichs bereits auf Kosten der Arbeiter und Angestellten im Land studiert, zum Teil sogar im Ausland. Dann zog sie nach Berlin.
Und erlag offenbar recht schnell dem verderblichen Einfluss der Metropole: Kurz vor dem ersten Staatsexamen brach sie ihr Studium ab, um Klimaprotestlerin, Vollzeitaktivistin und Talkshowgast zu werden.
Gegen die Gesellschaft
Hinrichs gründete die Gruppe "Letzte Generation", die versuchte, die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens von Millionen Menschen unterschiedlichen Glaubens, unterschiedlicher Professionen und Ansichten zu zerstören. Sie rebellierte offen gegen den Staat und manövrierte sich in eine Sackgasse, an deren Ende selbst die wohlmeinende Staatsgewalt demonstrativ Grenzen setzen musste.
Bei Carla Hinrichs aber kam kein noch so gut gemeinter Hinweis an. Die junge Frau radikalisierte sich weiter und richtete sich in einer Traumwelt ein, in der "der Kapitalismus und unser bisheriges System in den Abgrund stürzen", wie sie glaubt. Und sie als Erlöserin gebraucht wird, um "etwas Neues, etwas Großes" (Hinrichs) entstehen zu lassen, dessen fundamentale Bedeutung die Hinrichs selbst "ein bisschen Gänsehaut" (Hinrichs) macht.
Verbiestert, verbohrt und verblendet
Es gehe um nichts weniger als dass "alles anders wird", hat Hinrichs im "Spiegel" ihren Abschied aus der demokratischen Konsensgesellschaft auf Basis der sozialen Marktwirtschaft verkündet. "Ich habe keinen Bock, kleine Schritte zu machen", sagt sie und wirft damit die Frage auf, was ist in der Erziehung falsch gelaufen sein muss, dass an ihrem Ende verbohrte, verbiesterte und ideologisch verblendete junge Menschen stehen, die mit Verachtung auf all das schauen, was die Generationen vor ihnen mit unendlich viel Schweiß, Tränen und Entbehrungen aufgebaut haben.
Carla Hinrichs hat alles mitgebracht und mitgegeben bekommen. Sie hätte Ärztin werden können, Ingenieurin oder eine Forscherin, die die nächste Pandemie verhindert. Ihr standen alle Wege offen, um neue Technologien zu entwickeln, die den Wohlstand von Milliarden mehren und den Klimawandel bremsen.
Abgrung aus Absolutismus
Wie so viele andere jungen Menschen litt Hinrichs nie Hunger, es fehlte ihr nicht an Bildungsangeboten, sie konnte sich über verheerenden Folgen früherer Menschenversuche aufgrund der vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und Stalin informieren. Sie hätte alle Chancen gehabt, zu verstehen, dass eine funktionierende Demokratie keine "friedliche Revolution" (Hinrichs) braucht, bei der selbsternannte Führer die Massen auf der Basis selbstausgedachter Visionen in einen Abgrund aus Absolutismus und verweigerter Selbstbestimmung führen.
Doch Carla Hinrichs hat sich dagegen entschieden. Das wirft Fragen auf, Fragen danach, warum es einer Gesellschaft, die jungen Menschen alle Möglichkeiten bietet, an Überzeugungskraft fehlt, die zum mitwirken zu überreden, die doch so nötig gebraucht werden, um den Fortschritt weiter voranzutreiben.
Die Vision vom "Kartenhaus"
Stattdessen lässt es das Gemeinwesen zu, dass sich die Betroffenen selbst abhängen und untertauchen in einer Vorstellungswelt, in der "unser
Wirtschafts- und Sozialsystem" als "riesiges Kartenhaus" gesehen wird, "das jederzeit zusammenstürzen kann". Daran seien dann "der Kapitalismus und unser gegenwärtiges politisches System" schuld, glaubt Carla Hinrichs, die anderthalb Jahrzehnte im deutschen Bildungssystem zugebracht hat, immerzu lernend. Und heute stolz darauf ist, nichts verstanden zu haben.
All die Menschen rundherum, die Familie, die Lehrer, die Professoren, die Freunde und Sympathisanten, sie haben es nicht geschafft, die von sich selbst und der Richtigkeit des eigenen Blickes auf die angeblich verbrennende Welt überzeugte Frau aus ihrer Blasen zu holen und sie zu motivieren, etwas für alle Nützliches zu tun. Carla Hinrichs hält sich zwar für "friedlich und demokratisch", ist aber überzeugt, das gebe ihr das Recht, etwas von der Demokratie zu "verlangen".
Selbstbild als "Feueralarm"
Im "Spiegel" hat sie offenbart, dass sie daran glaube, "eine bessere Welt schaffen können" und zwischen ihr und der Anerkennung als Erlöserin von allem Übel nur der Erfolg stehe. "Wenn wir erfolgreich sind, wird alles, was wir gemacht haben, sicher irgendwann als friedliche Revolution bezeichnet werden", hat sie wissen lassen, dass alles, was die Letzte Generation getan habe, schon immer richtig war.
Die Welt stehe "in Flammen, wir waren der Feueralarm, der darauf aufmerksam macht". Hinrichs trägt das Gewand des Herrn Jesus, der auch lange warten musste, bis sein Werk anerkannt wurde. Auch heute könne wieder niemand mehr sagen, "er wisse nicht, wie ernst die Lage ist". Es geht um alles, die Apokalypse naht. Die Letzten werden die Ersten sei, die in die Hölle fahren. Und Carla Hinrichs unter ihnen. Wenn es nicht doch och gelingt, den Himmel auf Erden zu errichten.
Abschied vom Attentat: Im Osten nichts Neues
Eine der letzten Neuigkeiten aus Magdeburg. Seitdem hat sich die Nachrichtenlage beruhigt. Fast ist schon gar nichts mehr passiert. |
20 Jahre Tsunami-Gedenken in Ostasien, Flugzeugabsturz in Kasachstan, womöglich die Russen. Beschädigte Kabel in der Ostsee, mit russischer Spur. Dazu Unruhen in Syrien und mehr tote Flüchtlinge vor den Kanaren.
Aber nichts Neues aus Magdeburg. Fünf Themen verabreichte die "Tagesschau" ihren Zuschauern, ehe der Begriff "Magdeburg" fiel. Dort sitze der "Schock noch immer tief", hieß es nach zwölf Minuten. Beim MDR, Heimatsender im am schlimmsten betroffenen Gebiet, waren es in der Hauptausgabe vier. Dann folgt ein schmaler Filmbericht über das Kriseninterventionsteam, das auf dem Weihnachtsmarkt der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt nach Betroffenen suchen.
Ein schneller Abschied
Der Anschlag vom Freitag vor Weihnachten, er war tatsächlich schon am zweiten Weihnachtsfeiertag fast rückstandslos aus den Nachrichten verschwunden. Während die letzten großen Aufregerthemen, darunter das Ampel-Scheidungspapier der FDP, die VW-Krise und der große Streit um das Kanzlerduell, auf der Emp-Skala für Einheitliche Empörung Werte von zwei, drei Wochen erreichten, schaffte Taleb Al Abdulmohsen mit seinen fünf Morden nicht einmal eine.
Freitag vor Weihnachten steuerte der Arzt aus dem ostdeutschen Bernburg seinen geliehenen BMW in die ahnungslose Menschenmenge. Schon 144 Stunden später war seine Tat in die "Was sonst noch passierte"-Rubrik gerutscht. Nichts Neues im Osten, jedenfalls nichts, was in den großen Nachrichtenredaktionen noch als berichtenswert.
Haltbarkeit: Nicht einmal eine Woche
Hatte es beim Terroranschlag vom Breitscheidplatz vor acht Jahren noch fast drei Wochen gedauert, ehe die Silvesterunruhen von Köln - damals Auslöser einer breiten gesellschaftlichen Debatte um den diffamierenden Begriff "Nafri" - das Augenmerk von Meiden und Politik auf die Notwendigkeit eines neuen Sicherheitspaketes mit "Abschiebehaft, Fußfesseln und härteren Strafen" lenkten, wie das ehemalige Nachrichtenmagazin Der Spiegel abschließend bemerkte.
Auch dort, in Hamburg, wo in den ersten Stunden nach dem ersten Terroranschlag eines deutschen Staatsbediensteten in der Geschichte der Bundesrepublik noch Mann und Maus nach rechten Rückverbindungen des aus Saudi-Arabien geflüchteten Psychiaters gesucht hatten, ist das Thema in den Aufmerksamkeitskeller gerutscht. So vieles ist wichtiger: Vielleicht geht Beyoncé auf Tour! Ein früherer indischer Premier ist tot. Privatpatienten werden bevorzugt, zumindest glaubt man das. "Tatsächlich... Liebe" werde bei Instagram gefeiert, haben Reporter herausbekommen. Dabei würden "Frauen in der Romcom gefatshamed, betrogen und sexualisiert".
Themen gibt es immer genug
An Themenmangel herrscht kein Mangel, es ist allemal genug auf dem Markt, dass es die Magdeburger Morde keineswegs zwingend braucht, um dem ersten Gesetz der Mediendynamik Genüge zu tun: Die Welt passt in keinen Schuhkarton, immer aber in 15 Minuten "Tagesschau". Die folgt seit ihrem Start am 26.
Dezember 1952, damals noch von alten weißen Männern in vollgequalmten Büros zusammengeschnitten und in
einem blassen Schwarzweiß ausgestrahlt, der Grundregel "Angst ist etwas Gutes", weil es die alltäglichen Dystopien vom Autounfall bis zum Atom-Gau sind, über die ein
regelmäßiges Publikum von zwischen sechs und zehn Millionen Menschen
informiert werden will.
Doch nicht immer ist es angebracht, dem Publikum mit schlechten Nachrichten schlechte Laune einzureden. Schon wenige Stunden nach dem Anschlag verebbte der Strom an unerhörten Enthüllungen über den Staatsangestellten aus dem Justizministerium, der wegen seiner aktivistischen Tätigkeit als abgefallener Islamist alleweil vor Gerichten erscheinen musste, der Innenministerin persönlich mit seinem Tod und aufsehenerregenden Taten drohte und nur gelegentlich zur Arbeit erschien, um dort mit bizarren Diagnosen Furore machte.
Parole Besinnlichkeit
Ausgegeben war die Parole Besinnlichkeit. Gerade mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl gelten Empörung über Staatsversagen und Wut auf Behörden, die ihre Arbeit nicht tun, als gefährliche Emotionen. So lange nicht sicher ist, dass Abdulmohsen aus einem Gefühl der inneren Nähe zu rechtsextremen Positionen gemordet hat oder wenigstens nicht schuldfähig ist, müssen Trauer und Nachdenklichkeit reichen. Wer gar nicht anders kann und einen Schuldigen braucht, dem könnten in Kürze ein paar säumige Polizeiobermeisteranwärter präsentiert werden, die ihren Streifenwagen nicht dort geparkt hatten, wo es das Sicherheitskonzept der Stadtverwaltung vorsah.
Donnerstag, 26. Dezember 2024
Falsches Weihnachtsmärchen: Drei Haselnüsse mit Kim Jong-un
Falsches Weihnachtsmärchen: Russische Trolle haben "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" mit Hilfe einer KI neu verfilmt - mit Kim Jong-un (M.) in der Hauptrolle. |
Eines der größten modernen Märchen, für eine kleine, aber vitale Religion das Zentrum aller des Weihnachtsriten und nun Opfer einer vermutlich von Russland gesteuerten Desinformationskampagne. So sieht es aus, das tragische Schicksal des romantischen Wintermärchens "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", das neben dem Grünen Pfeil und dem Bündnis Wagenknecht als einzige erfolgreiche Übernahme des gemeinsamen Deutschland aus dem Erinnerungsfundus der ehemaligen Ex-DDR gilt.
Fake-Verbot
Lügen aus Mordkorea
Gezielte Haselnuss-Kampagne
Rumänische Strategie
Westen vor dem Abrutschen
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Hybrider Informationskrieg
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