Dienstag, 5. November 2024

Zahltag: Menschen, die falsch wählen

Fast niemand mag ihn, seine Schandtaten beschäftigen die Medien seit einem Jahrzehnt. Doch trotz aller Warnungen ist Donald Trump noch immer nicht aus dem Rennen.

Fast die Hälfte der Amerikaner hat kein Einsehen. Auch acht Jahre nach dem kollektiven Kardinalfehler, der den Milliardär und Egomanen Donald Trump ins Weiße Haus gespült hatte, sind sie immer noch oder noch besser wieder entschlossen, den 78-Jährigen noch einmal, zu wählen. Seit Wochen schon sind deutsche Journalisten unterwegs, um herauszufinden, was dort falsch läuft mit den Menschen, was sie bewegt, gegen alles zu stimmen, was gut für sie ist, und warum sie nicht auf diejenigen hören, die es wirklich gut mit ihnen meinen.

Der Amerikaner bleibt ein Rätsel - wie der Sachse


Es ist ein weitgehend aussichtsloses Unterfangen. Ganz egal, ob ausgewiesene Anhänger der Biden-Administration oder vielfach verschwägerte und verschwiegerte Reporter ausgesagt wurden. Im Ergebnis blieb der Amerikaner dem deutschen Fernsehpublikum und den wenigen verbliebenen Leser*innen der Titelgeschichten der Magazine ein Rätsel. Ähnlich wieder Sachse oder der Thüringer scheint er durch Vernunftgründe kaum erreichbar. Nicht einmal in Aussicht gestellte großzügige Geschenke vermögen die Betroffenen  umzustimmen.

Zu verhärtet sind die Fronten. Hier die da oben, dort die dort untern. Hier die Eliten, dort die, die sich stolz als abgehängt und ungehört fühlen. Viele in den USA fühlen sich chronisch benachteiligt, Washington, so sagen sie, sei von Pagosa Springs in Colorado noch weiter weg als Berlin von Pirna. 

So weit weg


Hier draußen auf dem flachen Land, wo es an Opfern der Opioid-Krise noch weitgehend fehlt und Obdachlosigkeit kein brennendes Problem ist,  macht sich so mancher Sorgen, dass das noch kommen könnte. Während Menschen in den großen Städten gelernt haben, sich mit jeder gesellschaftlichen Veränderung zu arrangieren, sträuben sich Alt und Jung hier oft gegen das, was sie als unerwünschte Verwerfung empfinden.

Dass es Amerika besser geht als Europa, die Wirtschaft wächst, es ist kein Krieg direkt vor der Tür, die Energiepreise sind niedrig und amerikanische Firmen beherrschen sämtlich Zukunftsmärkte quasi heute schon als Monopolisten, tröstet die, die in traditionellen Branchen ackern, kaum. Fragt man im Diner von Monroe, wie die Leute wählen wollen, dann fallen die Antworten schmerzhaft aus: "Den alten Mann", sagt einer. Ein anderer ergänzt: "Jedenfalls nicht sie".

Kamala könnte jeden haben


Die demokratische Ersatzkandidatin Kamala Harris, in Deutschland parteiübergreifend so beliebt, dass sie leicht jeden Posten im Staate haben könnte, den der EU-Kommissionspräsidentin eingeschlossen, genießt hier wenig Respekt. Sie sei "eine Unbekannte", sagt einer. "Ein Rätsel", nennt sie ein zweiter. Und ein dritter wertet sie komplett ab mit "Nicht meine Tasse Kaffee".

Halbehalbe steht es vor dem Urnengang zwischen denen, die einsehen, dass um Harris dennoch kein Weg herumführt. Und denen, die Trump zynisch benutzen wie die Ostdeutschen die Schwefelpartei AfD: Nach Jahren, in denen die Schere zwischen den Versprechen der Politik und deren Umsetzung und zwischen von Medien angestrengt verbreiteter Stimmung und tatsächlicher Lage immer weiter auseinanderklaffte, wünschen sich viele nur noch ein Ende, und sei es eins mit Schrecken. 

Tabula Rasa statt Weiterso


Tabula Rasa statt Weiterso, Rückbau des Überbaus, der alles aufsaugt, was die schrumpfende Anzahl der gewerblich Tätigen noch an Mehrwert zu produzieren vermag. "Alles", sagt einer im Diner, "ist besser als sich so weiter quälen zu lassen."

Die Stimmung, sie ist geprägt von Unsicherheit, Ängsten vor sozialem Abstieg und Misstrauen gegenüber einer politischen Elite, die sich in Talk Shows von befreundeten Stichwortgebern vernehmen lässt und alle Fragen mit Worthülsen beantwortet. Zum inneren Kreis, der alle naselang auftaucht, gehören nur wenige Aktive, die Gesichter kennt jeder, sie alle werden als weit entfernt und unverständlich empfunden. 

Eigentlich nur Ruhe haben


Die Amerikaner haben sich das mehrheitlich lange bieten lassen, viele hier wollen eigentlich nur in Frieden ihr eigenes Leben führen und gar nicht mit den großen Angelegenheiten befasst werden. Einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen, das kommt in Deutschland einer offenen Rebellion gleich: Wer seine Heizung nicht ausbaut und weiter Verbrenner fährt, der lebt nicht nur selbst verkehrt, er verhindert auch das Genesen am deutschen Wesen weltweit. In den USA ist die Lage nicht ganz so ernst, aber ähnlich hoffnungslos. 

Wer die Realität ausblenden will, den blendet die Realität. Wie in Deutschland ist alles teuer geworden, wie in Deutschland ist die Zahl der gebrochenen Versprechen Legion. Alles wird überwölbt von der Erinnerung an Zeiten, in denen sich ein einfacher Mann ein Haus bauen konnte, seine Frau daheim blieb, um die Kinder zu erziehen, und dennoch genug Geld übrig war, um aller paar Jahre ein neues Auto zu kaufen. 

Es läuft was schief


Der Eindruck, dass etwas schiefläuft, wenn heute beide arbeiten müssen, möglichst sogar in zwei Jobs, das Haus aber trotzdem nicht bezahlen können ist, lässt sich schwer widerlegen. Die daraus entstehende schlechte Laune als staatsfeindliche Regung zu werten, wie es in Deutschland lange versucht worden ist, hat in den USA noch nie funktioniert. Amerikaner halten sich stur selbst für den Staat, ihre Regierung hingegen nur für eine Art zeitweise beauftragten Serviceanbieter.

Tut der nicht, was er soll, kommt es nicht mehr darauf an, ob er nicht wollte oder aus objektiven Gründen nicht konnte. Frust, der sich aufgestaut hat, sucht nach einem Ventil. Wie ein Fußballklub, der seinen Trainer entlässt, weil die Mannschaft nicht die erhofften Ergebnisse einspielt, wechselt das Volk sein Führungspersonal aus. 

Mit großer Mühe lässt sich dieser Prozess natürlich verzögern. In Deutschland etwas haben öffentlich-rechtliche Medienhäuser und die großen Leitmedien und Zentralorganstrukturen es vermocht, das allgemeine Unwohlsein großer Teile der Bevölkerung und die daraus resultierenden Wahlergebnisse monate- und jahrelang als Rückfall in die Finsternis des Faschismus zu denunzieren, angestiftet von Hetzern, Hasser und Zweiflern im Dienst fremder Mächte.

Die Neidkarte sticht nicht


Eine Methode, die in den Vereinigten Staaten nur bedingt funktioniert. Wer Wählern hier einreden will, dass ihre wirtschaftliche und soziale Situation ja so schlecht nicht sei, verglichen mir anderswo, weshalb man doch einfach so weitermachen könne wie bisher, der verrät das, was früher den "amerikanische Traum" war - Glück und Wohlstand, für jeden erreichbar. 

Die Neidkarte, die in Deutschland ersatzhalber gespielt werden kann und mit schöner Regelmäßigkeit gespielt wird  - Du wirst nicht mehr ganz so arm sein, wenn der Staat diesen oder jenen ärmer macht - sie sticht weder in Utah noch in Arizona oder Michigan, wo jeder sich danach sehnt, zumindest so reich zu werden, dass es für Häuschen, Auto und privates Glück reicht. 

Man kann den Menschen erzählen, dass die Einwanderung in ein Sozialsystem, so rigide es auch sein mag, keine Auswirkung auf sie habe. Man kann ihnen weiß machen, dass soziale Netzwerke nicht mangels medialer Vielfalt die Räume bieten, in denen der Meinungsstreit stattfindet, sondern dass sie selbst Ursache verschiedener Auffassungen seien. Diese Auffassungen wiederum sind dann schuld an allem anderen. Radikalisierung ist dann keine Folge von fortgesetzter Ignoranz mehr, sondern allein eine von "Algorithmen", ein Wort, unter dem ein Großteil der Menschen dies- und jenseits des Atlantik so viel versteht wie unter Spina Bifida oder Genu valgum.

Was nach Sieger aussieht


Nur glaubt das eben eines Tages niemand mehr. Ob dieser Tag nun heute gekommen ist oder ob er morgen kommt, in vier Jahren oder in acht, nicht einmal die Versender irreführender Wahlumfragen und daraus verfertigter "Jetzt liegt sie"- oder "Jetzt liegt er aber vorn"-Artikel können es sagen. Sie wissen bis heute nicht einmal, ob sich Wähler eher von Umfragen motivieren lassen, die ihren Kandidaten hinten sehen, oder dem alten Instinkt der Masse folgen und wählen, was nach Sieger aussieht.

Es kommt auch nicht darauf an. Von  "Spiegel" bis SZ, von ARD bis ZDF werden die Nachrichten immer kürzer, "knackiger" nennen sie das, die Videos immer hochkantiger, die Quellen immer schwerer erkennbar. Die Inhaltsverdünnung im politischen Streit ist nicht nur auf den Bühnen, auf denen die beiden Kandidaten sich wie Kinder im Fernduell balgen, die höchste Form der politischen Kommunikation. Sondern auch die einzige. 

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Soll vermutlich Spina bifida heißen...

ppq hat gesagt…

ja

Anonym hat gesagt…

>> Streeck selbst stellte über seinen Vergleich, an dem bezeichnenderweise etwa jüdische Vertreter und etwa auch die “Jüdische Rundschau” selbst keinen Anstoß nahmen (weil er tendenziell natürlich recht hat), klar: “Mein Punkt ist: Gerade wir Deutsche müssen <<
@ Streeck und @ Kurschatten: Ihr könnt mir beide den Puller küssen. Ich muss, wenn es soweit ist, scheißen, bzw. sterben - sonst aber "muss" ich gar nichts. Und "Gerade als Deutscher" nun schon gleich überhaupt nicht. Und, @ Streeckiboy: Es gab jetzt keine "Pandemie" - Die letzte solche war 1918/19. Der Zeh-de-huh-Pflaumenaugust als Nachfolger dieses Originals Seuchen-Kalle, genannt die Zahnfee, hätte uns gerade noch gefehlt.