Die SPD-Zentrale in Berlin gilt als politische Schlangengrube. So berichtete der frühere Vorsitzende Kurt Beck glaubhaft von einer Verschwörung hinter seinem Rücken. |
Die Wiese brennt lichterloh
Noch steht der Baum, aber die Wiese rundherum, sie brennt lichterloh. Kaum hatte Olaf Scholz Deutschland verlassen, um mit den Großkopferten der G20 in Brasilien neue, prächtige Abschlusserklärungen zu erarbeiten, trat der D-Day-Plan der FDP mit Phase zwei in Kraft: Wie es die Liberalen eigentlich für den Tag beabsichtigt gehabt haben sollen, an dem Scholz beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Budapest arglos Deutschlands freundliches Gesicht hätte zeigen sollen, machten sich nun die Parteifeinde des Kanzlers daran, den Regierungschef "aus der Ferne zu demontieren" (Spiegel).
Alles erinnert an Lummerland, wenn die Lok "Emma" tutet. Im Willy-Brandt-Haus, einer bekannten Schlangengrube, über die der frühere Parteivorsitzende Kurt Beck Erschütterndes zu berichten hatte, über die der frühere Parteivorsitzende Kurt Beck Erschütterndes zu berichten hatte, springen sie alle aus der Kiste.
Vor der "Wahlsieg"-Konferenz
Juso-Chef Phillip Türmer drängt SPD-Spitze noch vor der geplanten "Wahlsieg-Konferenz" (SPD) Ende des Monats zu einer Entscheidung über die Kanzlerkandidatur, die nach Angaben von Saskia Esken längst gefallen ist. Gerhard Schröder, erst neulich wieder in Gnaden aufgenommen in die deutsche Sozialdemokratie, warnt vor Demontage. Sigmar Gabriel, der Scholz nie verziehen hat, dass der seine politische Karriere nach einem Zwiegespräch mit der damals noch mächtigen Andrea Nahles kurzerhand beendete, rächt sich nach sechs Jahren, indem er Scholz den "Weiter-so"-Kanzler nennt und der aktuellen SPD-Führung vorwirft, ihr fielen nur "Beschwichtigungen und Ergebenheitsadressen" ein.
Olaf Scholz ist verbraucht, er hat das Vertrauen verloren, er wird die SPD in eine katastrophale Niederlage führen, warnte Kreuch, den niemand in den Plan der Führung eingeweiht hatte, die FDP für das Ampel-Aus verantwortlich zu machen und Olaf Scholz als Opfer einer Dolchstoßlegende in den Wahlkampf zu schicken.
Für und gegen alles
Dort würde der zur Zeit so angeschlagen wirkende Kanzler als SPD-Spitzenkandidat für eine moderate Sowohl-als-auch-Politik eintreten: Frieden in der Ukraine ja, aber ohne weitreichende Waffen aus Deutschland und je nach Entscheidung des künftigen US-Präsidenten mit mehr oder weniger Gebietsabtretungen. Dazu eine solide Wirtschaftspolitik, die weder den neoliberalen Ideen von Friedrich Merz noch den sozialistischen Vorstellungen von Robert Habeck folgt. Keine Anzeigen gegen mutmaßliche Beleidiger. Sichere Renten. Et cetera pp., mit Klima, Heizung, Gerechtigkeit und allem.
Es hätte was werden können, denn so gut sind die Angebote der Konkurrenten beileibe nicht. Merz will den Boomern an die Frührente und Millionen das Bürgergeld wegnehmen. Habeck wiederum droht mit Zuversicht und engem Gürte, ein "Angebot, das den Mut hat, die Herausforderungen für unser Land ehrlich zu benennen und die richtigen Antworten darauf zu entwickeln". Aber auch nicht prinzipiell von Hausbesuchen absieht.
Keine schlechten Chancen
Scholzens Chancen standen so schlecht nicht. Warum also lieber mit Boris Pistorius als Kanzlerkandidaten antreten? Weshalb ohne Not den beliebtesten Politiker der Republik verschleißen? Einen Verteidigungsminister, dem die Menschen zumindest Umfragen zufolge als einem der wenigen Akteure auf der Berliner Bühne noch vertrauen? Weil er seinen Job so gut macht, dass die Bundeswehr im zweiten Jahr nach seiner Amtsübernahme "trotz 100 Milliarden Sondervermögen und der Zeitenwende des Kanzlers weiterhin Personal-, Material- und Finanzprobleme" (Tagesschau) hat?
Rational ist das nicht, doch die SPD war nie eine rationale Partei, sondern eine ihrer Funktionäre. Für die geht es bei der Frage, ob die stolze frühere Arbeiterpartei mit 13, 15 oder 18 Prozent durchs Wahlziel geht, ums blanke Überleben. 13 Prozent reichen absehbar nur noch für etwa 90 Abgeordnete, 15 retten immerhin 120 Sitze und 18 sichern immerhin mehr als 150 von derzeit mehr als 200 SPD-Parlamentarier Auskommen und Mitwirkungsmöglichkeit.
In neuer Rolle
Olaf Scholz'* Strategie, es darauf ankommen zu lassen, ob die Leute ihm seine neue Rolle des Friedensengels abnehmen, erscheint der Funktionärsbasis offenbar als zu riskant. Jetzt schon sind die Möglichkeiten der Partei, verdiente Genossen anderswo unterzubringen.
Die süßen Kirschen sind gegessen, die schönsten Stellen vergeben. Zuletzt musste ein früherer Außenminister sich mit einem Lobbyposten in heimischen Stahlindustrie abfinden lassen - ein Ort, wo es stinkt und kracht. Ein Ort also, an dem ein moderner, welterfahrener und klimabewusster Sozialdemokrat eigentlich nicht mehr auftauchen müssen sollte.
Selbst der Nächste
Die Enttäuschung darüber, dass der Plan der Parteiführung nur noch darauf zielt, ein paar wenige funktionable Reste der Partei in die nächste kleine GroKo zu retten, sie hat existenzielle Gründe. Jeder in der SPD ist sich mit Blick auf die so oder so drohende Wahlniederlage selbst der Nächste. Und jeder entwickelt Hoffnungen, wie sie in solchen verzweifelten Situationen, abgeschirmt von der Welt und gefangen in der eigenen Blase, unumgänglich sind.
Den einen ist Scholz der Fels, auf dem sie auch ihre nächste Kirche bauen wollen. Den anderen erscheint Pistorius als Walther Wenck, der heranstürmen wird und das unausweichlich scheinende Schicksal im letzten Augenblick wendet.
Allen zusammen wird die Enttäuschung nicht erspart bleiben. Denn dass dieser Start in den Bundestagswahlkampf geeignet ist, die maladen Umfragezahlen hochzutreiben, dürften weder die Scholz-Fans noch die Anhänger des Boris Pistorius glauben.
1 Kommentar:
Da hilft nur, die Finanzierung der Parteistiftungen neu zu regeln und ein paar weitere Parkpositionen für verdiente Parteisoldaten zu schaffen. Dazu sollte sich aktuell problemlos eine Mehrheit finden lassen, betrifft schließlich nicht nur die SPD.
Die Hinterbänkler ohne sicheren Listenplatz ziehen sich dann aus der Politik zurück und begründen das mit dem Running Gag persönlicher Anfeindungen.
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