Die SPD erhofft sich von späteren Neuwahlen viele Stimmen, die CDU von früheren. Nun bekommen beide mehr, weil der Wahltermin in die Mitte gelegt wird. |
Eine Woche schwanger, nicht einmal ganz. Dann kreiste der Berliner Berg und er gebar einen Wahltermin. Nicht der, der es nach dem Willen des scheidenden Bundeskanzlers hatte werden sollen. Aber auch nicht der, den der kommende Amtsnachfolger sich auserwählt hatte. Stattdessen mittig platziert: der 23. Februar, Tag der Roten Armee, Gründungstag der Internationalen Organisation für Normung (ISO) und das Datum, an dem das Mauser-Gewehr 71 im Jahr 1872 erstes deutsches Reichsgewehr wurde. Mit Verspätung, natürlich.
Verfassung beiseite
Damit es diesmal schneller geht, haben alle beteiligten Parteien alle zimperlichen Rücksichten auf die Verfassungsordnung beiseite gefegt. Eigentlich hatten die Mütter und Väter der Verfassung sich das alles ganz anders gedacht.
Hat ein Bundeskanzler keine Mehrheit mehr im Parlament, dann kann er den Test machen, der Vertrauensfrage heißt. Entweder, es folgen ihm doch noch genügend Abgeordnete. Oder er regiert ohne Gesetzgebungsmöglichkeiten weiter. Oder er hat ein Einsehen, tritt zurück und schlägt dem Bundespräsidenten vor, den Bundestag aufzulösen, um den Wählerinnen und Wähler bei Neuwahlen die Möglichkeit zu geben, über neue Mehrheiten zu bestimmen.
Olaf Scholz hatte anders spekuliert, als er seinem Finanzminister und damit dessen ganzer Partei den Stuhl vor die Tür stellte. Da die Union es nicht wagen konnte, ihn über einen eigenen Kanzlervorschlag aus dem Amt zu drängen - zu groß ist die Gefahr, dass der neue Mann mit Stimmen der AfD gewählt wird - blieb ihr keine Möglichkeit, das von Scholz 2021 eingeleitete "sozialdemokratische Jahrzehnt" zu beenden, ohne dass der mit allen eiskalten Wassern des Machterhalts gewaschene Niedersachse zustimmt.
Unter Druck
In der ARD, am Ort großer Merkel-Audienzen gab Scholz schließlich nur unwillig öffentlichem Druck nach, der nicht zuletzt von seinem verbliebenen Koalitionspartner kam. Dort läuft sich Robert Habeck vernehmlich schnaufend für seine Kanzlerschaft warm. Dort will niemand die eigenen Chancen auf eine Koalition mit der Union mindern, weil alles wieder so lange dauert.
Scholz griff also zum letzten Mittel: Seine nur ihm selbst vorbehaltene Entscheidung, ob er und wann er die Vertrauensfrage stellt, übertrug er dem Führer der SPD-Bundestagsfraktion. Der im Zwiegespräch mit seinem Unionskollegen Friedrich Merz den üblichen goldenen Mittelweg fand. Nicht Ende März. Und nicht Mitte Januar. Sondern mittendrin. Bis dahin abgepolstert durch eine informelle Vereinbarung der beiden künftigen Koalitionspartner CDU/CSU und SPD, nur noch Entscheidungen auf die Tagesordnung des Hohen Hauses zu setzen, die "vorher im Konsens vereinbart würden, um "Zufallsmehrheiten" mit Stimmen der AfD zu verhindern".
Ein informierter Präsident
Die anderen demokratischen Parteien machen mit beim Manöver macht. Gemeinsam erschienen SPD, CDU und Grüne beim Bundespräsidenten, um die höchste Entscheidungsinstanz im Land über ihre Entscheidung zum Ablauf bis zur Neuwahl zu informieren.
Demokratie wie noch nie. Aller Druck liegt nun beim Bundespräsidenten. Walter Steinmeier wäre eigentlich berufen, die Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bundestag überhaupt aufgelöst werden muss. Nach Art. 68 Abs. 1 GG bleiben ihm dazu 21 Tage nach der Bitte des Bundeskanzlers, allerdings muss der Bundespräsident dieser Bitte nicht zwingend entsprechen. Dass ein Regierungschef ohne Mehrheit amtieren kann, hat der Linke Bodo Ramelow zuletzt über Jahre gezeigt. Noch heute sind Medienschaffende außerhalb Thüringens überzeugt, dass diese Zeit die der stabilen Verhältnisse war, die es seit der Wahl vom September nicht mehr gibt.
7 Kommentare:
Lieber PPQ
Dieser Teil wurde bei FB "entfernt"
"Dass die von der Verfassung nicht vorgesehene Prüfung des informellen Ansinnens der beiden Fraktionsvorsitzenden nicht 21 Tage, sondern nicht viel länger als 21 Minuten gedauert hat und die Entscheidung fiel, noch ehe Olaf Scholz' seine Vertrauensfrage überhaupt gestellt hatte, zeigt, wie ernst der Bundespräsident seine neue Aufgabe nimmt, das eigene Amt noch mehr zu beschädigen, als es ihm mit seinem jüngsten Auftritt als Wutbürger gelungen war. "
richtig so. man kann nie vorsichtig genug sein
Man kann nicht oft genug auf Gustave le Moebius' "Über den physiologischen Schwachsinn der Masse" aufmerksam machen.
Dass die medientauglichen "Parteien" überhaupt noch über fünf Prozent kommen, wenigstens seit 2016, verwundert einen schon ein wenig.
Man darf natürlich nicht zuviel Radau um solche demokratische Rosstäuscherei machen, sonst flutschen ihnen wieder ein paar Stimmen durch die gierigen Fingerchen.
Wenn die "Schwefelbuben" sich als "Diabolos" in Szene setzen wollen, dann könnten sie das Wagnis auf sich nehmen und bei Scholz' Vertrauensfrage ihm einfach das Vertrauen aussprechen.
Denn schlimmer als 4 Jahre Habeck, nun mit Merz als Pudel, kann ein 3/4 Jahr mit der hanflungsunfähigen Resteampel ja auch nicht werden. Zumal die nächsten 4 Jahre das große Finale der Bundesrepublik D. und von Grundi G. wie wir sie kannten darstellen dürften.
" nach dessen Rücktritt einen Bundesminister zu beauftragen, den Laden "bis zur Ernennung eines Nachfolgers" (Art. 69 Abs. 3 GG) geschäftsführend zu übernehmen." Dafür wäre Karl Lauterbach perfekt geeignet und es wäre die Krönung seines Lebens.
er wäre sicher erste wahl gewesen und hätte noch sicherer angenommen
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