Mittwoch, 13. November 2024

Qual der Wahl: Die Hausmeisterdemokratie

Die SPD erhofft sich von späteren Neuwahlen viele Stimmen, die CDU von früheren. Nun bekommen beide mehr, weil der Wahltermin in die Mitte gelegt wird.

Eine Woche schwanger, nicht einmal ganz. Dann kreiste der Berliner Berg und er gebar einen Wahltermin. Nicht der, der es nach dem Willen des scheidenden Bundeskanzlers hatte werden sollen. Aber auch nicht der, den der kommende Amtsnachfolger sich auserwählt hatte. Stattdessen mittig platziert: der 23. Februar, Tag der Roten Armee, Gründungstag der Internationalen Organisation für Normung (ISO) und das Datum, an dem das Mauser-Gewehr 71 im Jahr 1872 erstes deutsches Reichsgewehr wurde. Mit Verspätung, natürlich.  

Verfassung beiseite

Damit es diesmal schneller geht, haben alle beteiligten Parteien alle zimperlichen Rücksichten auf die Verfassungsordnung beiseite gefegt. Eigentlich hatten die Mütter und Väter der Verfassung sich das alles ganz anders gedacht. 

Hat ein Bundeskanzler keine Mehrheit mehr im Parlament, dann kann er den Test machen, der Vertrauensfrage heißt. Entweder, es folgen ihm doch noch genügend Abgeordnete. Oder er regiert ohne Gesetzgebungsmöglichkeiten weiter. Oder er hat ein Einsehen, tritt zurück und schlägt dem Bundespräsidenten vor, den Bundestag aufzulösen, um den Wählerinnen und Wähler bei Neuwahlen die Möglichkeit zu geben, über neue Mehrheiten zu bestimmen.

Olaf Scholz hatte anders spekuliert, als er seinem Finanzminister und damit dessen ganzer Partei den Stuhl vor die Tür stellte. Da die Union es nicht wagen konnte, ihn über einen eigenen Kanzlervorschlag aus dem Amt zu drängen - zu groß ist die Gefahr, dass der neue Mann mit Stimmen der AfD gewählt wird - blieb ihr keine Möglichkeit, das von Scholz  2021 eingeleitete "sozialdemokratische Jahrzehnt" zu beenden, ohne dass der mit allen eiskalten Wassern des Machterhalts gewaschene Niedersachse zustimmt.

Unter Druck

In der ARD, am Ort großer Merkel-Audienzen gab Scholz schließlich nur unwillig öffentlichem Druck nach, der nicht zuletzt von seinem verbliebenen Koalitionspartner kam. Dort läuft sich Robert Habeck vernehmlich schnaufend für seine Kanzlerschaft warm. Dort will niemand die eigenen Chancen auf eine Koalition mit der Union mindern, weil alles wieder so lange dauert. 

Scholz griff also zum letzten Mittel: Seine nur ihm selbst vorbehaltene Entscheidung, ob er und wann er die Vertrauensfrage stellt, übertrug er dem Führer der SPD-Bundestagsfraktion. Der im Zwiegespräch mit seinem Unionskollegen Friedrich Merz den üblichen goldenen Mittelweg fand. Nicht Ende März. Und nicht Mitte Januar. Sondern mittendrin. Bis dahin abgepolstert durch eine informelle Vereinbarung der beiden künftigen Koalitionspartner CDU/CSU und SPD, nur noch Entscheidungen auf die Tagesordnung des Hohen Hauses zu setzen, die "vorher im Konsens vereinbart würden, um "Zufallsmehrheiten" mit Stimmen der AfD zu verhindern".

Ein informierter Präsident

Die anderen demokratischen Parteien machen mit beim  Manöver macht. Gemeinsam erschienen SPD, CDU und Grüne beim Bundespräsidenten, um die höchste Entscheidungsinstanz im Land über ihre Entscheidung zum Ablauf bis zur Neuwahl zu informieren.

Demokratie wie noch nie. Aller Druck liegt nun beim Bundespräsidenten. Walter Steinmeier wäre eigentlich berufen, die Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bundestag überhaupt aufgelöst werden muss. Nach Art. 68 Abs. 1 GG bleiben ihm dazu 21 Tage nach der Bitte des Bundeskanzlers, allerdings muss der Bundespräsident dieser Bitte nicht zwingend entsprechen. Dass ein Regierungschef ohne Mehrheit amtieren kann, hat der Linke Bodo Ramelow zuletzt über Jahre gezeigt. Noch heute sind Medienschaffende außerhalb Thüringens überzeugt, dass diese Zeit die der stabilen Verhältnisse war, die es seit der Wahl vom September nicht mehr gibt.

Es könnte auch schlimmer kommen


Auch im Bund weiß im Fall von Neuwahlen niemand, was herauskommen wird. Womöglich erstarken die Ränder weiter. Womöglich kommt es zum Patt, weil die Demokraten auf der Suche nach einer Mehrheit entweder über die Brandmauer in Braune klettern oder dem Putinlager das Verteidigungsministerium überlassen müssen. Steinmeier könnte also zum Schluss kommen, lieber einen Bundestag weitermachen zu lassen, in dem sich die Parteien gegenseitig blockieren, als eine Wahl anzuberaumen, die alles wie in Thüringen nur noch schlimmer machen könnte.

Eine Entscheidung, die Rolf Mützenich und Friedrich Merz der höchsten Autorität im Staate nun jedoch abgenommen haben. Nach der Einigung der beiden Politiker, Einigung der beiden Politiker, die als Fraktionsvorsitzende etwa den verfassungsmäßigen Rang von Bundestagshausmeistern innehaben, bleibt dem früheren Sozialdemokraten - derzeit parteiübergreifend pausierend - gar keine andere Wahl als zu tun, was von ihm erwartet wird. Der Termin steht ja nun fest, die Möglichkeit, den Kanzler zum Weiteramtieren zu zwingen, verbietet sich ebenso wie die, nach dessen Rücktritt einen Bundesminister zu beauftragen, den Laden "bis zur Ernennung eines Nachfolgers" (Art. 69 Abs. 3 GG) geschäftsführend zu übernehmen.

Höchste Instanz als Frühstücksdirektor


In dieser Fortschrittskoalition hat auch am Ende wirklich alles geklappt wie von Anfang an.  Noch auf den paar Schritten zur Auswechselbank gelingt es Olaf Scholz und seiner Partei mit Hilfe von Friedrich Merz, mit dem Bundespräsidenten den höchsten Repräsentanten des Staates in eine Rolle zwingen, die ihn zum Frühstücksdirektor abwertet. 

Dass die von der Verfassung nicht vorgesehene Prüfung des informellen Ansinnens der beiden Fraktionsvorsitzenden nicht 21 Tage, sondern nicht viel länger als 21 Minuten gedauert hat und die Entscheidung fiel, noch ehe Olaf Scholz' seine Vertrauensfrage überhaupt gestellt hatte, zeigt, wie ernst der Bundespräsident seine neue Aufgabe nimmt, das eigene Amt noch mehr zu beschädigen, als es ihm mit seinem jüngsten Auftritt als Wutbürger gelungen war. 

7 Kommentare:

FDominicus hat gesagt…

Lieber PPQ
Dieser Teil wurde bei FB "entfernt"
"Dass die von der Verfassung nicht vorgesehene Prüfung des informellen Ansinnens der beiden Fraktionsvorsitzenden nicht 21 Tage, sondern nicht viel länger als 21 Minuten gedauert hat und die Entscheidung fiel, noch ehe Olaf Scholz' seine Vertrauensfrage überhaupt gestellt hatte, zeigt, wie ernst der Bundespräsident seine neue Aufgabe nimmt, das eigene Amt noch mehr zu beschädigen, als es ihm mit seinem jüngsten Auftritt als Wutbürger gelungen war. "

ppq hat gesagt…

richtig so. man kann nie vorsichtig genug sein

Anonym hat gesagt…

Man kann nicht oft genug auf Gustave le Moebius' "Über den physiologischen Schwachsinn der Masse" aufmerksam machen.
Dass die medientauglichen "Parteien" überhaupt noch über fünf Prozent kommen, wenigstens seit 2016, verwundert einen schon ein wenig.









Anonym hat gesagt…

Man darf natürlich nicht zuviel Radau um solche demokratische Rosstäuscherei machen, sonst flutschen ihnen wieder ein paar Stimmen durch die gierigen Fingerchen.

Anonym hat gesagt…

Wenn die "Schwefelbuben" sich als "Diabolos" in Szene setzen wollen, dann könnten sie das Wagnis auf sich nehmen und bei Scholz' Vertrauensfrage ihm einfach das Vertrauen aussprechen.

Denn schlimmer als 4 Jahre Habeck, nun mit Merz als Pudel, kann ein 3/4 Jahr mit der hanflungsunfähigen Resteampel ja auch nicht werden. Zumal die nächsten 4 Jahre das große Finale der Bundesrepublik D. und von Grundi G. wie wir sie kannten darstellen dürften.

Anonym hat gesagt…

" nach dessen Rücktritt einen Bundesminister zu beauftragen, den Laden "bis zur Ernennung eines Nachfolgers" (Art. 69 Abs. 3 GG) geschäftsführend zu übernehmen." Dafür wäre Karl Lauterbach perfekt geeignet und es wäre die Krönung seines Lebens.

ppq hat gesagt…

er wäre sicher erste wahl gewesen und hätte noch sicherer angenommen