Über die Jahre, in denen Deutschland seine Zukunft frühstückte, sagen heute noch viele, sie seien wunderbar gewesen. |
Hasst er seine frühere Chefin wirklich so sehr? Hat er das tatsächlich mit Absicht getan? Ziele Olaf Scholz' Entlassung des Finanzministers in Wirklichkeit gar nicht auf Regierungsfähigkeit des Landes? Sondern auf die alte Rivalin, der der Bundeskanzler die seit Jahren geplante große Show verderben wollte?
Angela Merkel und Olaf Scholz, das war nie eine Liebesbeziehung. Doch dass die gegenseitige Abneigung so tief reicht, dass der eine Beteiligte eine Regierungskrise in Kauf nimmt, um dem anderen das Scheinwerferlicht bei der feierlichen Präsentation seiner Autobiografie zu nehmen, erstaunt selbst angesichts der zerrütteten Verhältnisse im politischen Berlin.
"Gut und gerne leben"
Gemeinsam standen Merkel und Scholz jahrelang für "ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben". Miteinander legten sie die Basis für alles, was die Deutschen heute haben und wertschätzen. Der einstige Vize-Kanzler aber wählte als Startzeitpunkt für seine Staatskrise und den Neustart als SPD-Spitzenkandidat ausgerechnet die Vorweihnachtszeit, die seine frühere Kanzlerin sich schon länger auserkoren hatte, um mit ihrer programmatisch "Freiheit" genannten Autobiografie ins Weihnachtsgeschäft einzusteigen.
In normalen Zeiten ein Selbstläufer. Merkel hat drei Jahrzehnte deutscher Politik mitgeprägt und zwei davon selbst komplett bestimmt. Ihre Berichte aus den Hinterzimmern der Euro-Rettungspolitik, aus den verschwiegenen Kammern, in denen um die Macht in der EU, in der CDU und in der Nato gerungen wird, sie bergen ein Potenzial wie Winston Churchills "Der Zweite Weltkrieg", 1953 mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt. Unterstützt von ihrer treuen Scharrenfrau Beate Baumann, hat Angela Merkel ihre Erinnerungen, Rechtfertigungen und Erklärungen in den zurückliegenden drei Jahren auf mehr als 700 Seiten niedergeschrieben.
Die Gesellschaft des gemütlichen Merkelismus
Diese Frau führte das Land in zahlreiche Krisen und prägte mit ihrem Handeln und ihrer Haltung selbst die Politikergeneration, die ihr nachfolgte. Zaudern und rückversichern, lieber nicht entscheiden als falsch, das waren stets ihre Prämissen. Nicht nur die deutsche, sondern über Jahre hinweg waren auch die internationale Politik und die globale Gesellschaft vom gemütlichen Merkelismus geprägt.
Als deutsche Kanzlerin wie als internationale "mächtigste Frau der Welt" bevorzugte Angela Merkel Hinterzimmerabsprachen und nächtliche Überraschungsentscheidungen. Sie war lange vor Donald Trump der große Dealmacher, der nie schaute, was am Ende herauskommen würde, sondern sich darauf konzentrierte, am Ende selbst gut herauszukommen.
Probleme wurden prinzipiell mit Geld gelöst. Der Begriff "Rettungspaket" wurde zum zentralen Anker der Regierungstätigkeit. Aus Millionen wurden Milliarden. Und lieber als das Heute wurde das weit entfernte Morgen regiert - am liebsten mit Plänen, Zielvorgaben und internationalen Absprachen, an die sich niemand außerhalb Berlins hielt.
Makelloses Timing
Merkels Timing war makellos. Noch im Moment ihres Abschiedes war sie hochgeachtet, ihr wurden weitere Orden und Ehrenzeichen hinterhergeworfen. Sie betreibt heute noch das größte Büro, das je ein Kanzler auf Staatskosten unterhielt. Und auch wenn das Land, das sie so lange regiert hat, langsam zu begreifen beginnt, welchen Preis es für die bleiernen Jahre unter der gebürtigen Hamburgerin zu zahlen haben wird, finden sich doch unter den stets Getreuen doch immer Mutige, die der längst in Ungnade gefallenen CDU-Frau ein Plattform für ihre Sicht der Dinge zur Verfügung stellen. n
Der Plan war, den Deutschen all die sensationellen Geständnisse, wie es zur guten Politik für ein so gutes Deutschland kam, auf den Gabentisch zu legen. Merkel, die nie viel über sich oder ihre immer wieder wechselnden Absichten verraten hat, würde reinen Tisch machen mit all den klugen Entschlüssen: Hat sie die Grenzen wirklich geöffnet, wie Barack Obama behauptet? Oder nur nicht geschlossen, wie die "Tagesschau" auf Anregung der CDU später immer wieder richtiggestellt hat?
Anfangs in der Rolle der "Klimakanzlerin"
Wie war das mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato, das sie nie zu erreichen versuchte? Mit den Klimazielen, die sie in ihrer Rolle als "Klimakanzlerin" (DPA) verkörperte, aber für nebensächlich hielt? Mit dem Hund bei Putin, dem disziplinierenden Glückwunschanruf bei Trump? Mit der Liebe, Liebe und der Bewunderung, die ihr die Medien entgegenbrachten. Und langen, gedeihlichen Partnerschaft mit der Talkmasterin Anne Will, zu der sie ohne große Anmeldung immer kommen konnte, wenn es denen, die schon länger hier leben, doch einmal etwas zu verkünden gab?
Das Buch, 42 Euro und im stylischen Blau der Krisen-Blazer gehalten, die Merkel in der finalen Phase ihrer Kanzlerschaft trug, hätte das Zeug gehabt, die Republik zu erschüttern. Ein Nähkästchen, so der Verlag Kiepenheuer & Witsch, in dem "Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel mit ihrer langjährigen politischen Beraterin Beate Baumann" endlich "zentrale Entscheidungen und Situationen" ihrer "politischen Arbeit reflektieren" und sie, so Merkel selbst, "auch mit Rückgriff auf meine persönliche Geschichte, einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen" gedenke.
Merkel muss die Lücke schließen
Im Jahr zuvor hatte KiWi dem umstrittenen Rammstein-Sänger Till Lindemann wegen unbelegter und bis heute nicht bewiesener Vorwürfe des sexuellen Missbrauches aus dem Verlagsprogramm streichen müssen. Merkel war auserkoren, die Lücke zu schließen: Die mächtigste Frau der Welt wollte bestimmen, wie die Nachwelt sie sehen sollte. Der Verlag von Größen wie Heinrich Böll, Joschka Fischer, Helmut Schmidt, Robert Habeck und Ulrike Herrmann würde das Geschäftsjahr retten, weil die gesamte Republik wissen wollen würde, wie das damals war mit dem rein und raus beim Atom, mit dem "freundlichen Gesicht" und der kalten Schulter.
Merkel, gebürtige Hamburgerin, aber zeitlebens als "Ostdeutsche" geframt, würde vielleicht berichten, wie es ist, auf diese Art die Heimat zu verlieren. Vielleicht würde jetzt bekannt, was aus dem berühmten Stalker wurde. Und ob sie wirklich nie ahnte, dass die Geheimdienste der treuesten Verbündeten jedes Wort mithörten, das sie am Telefon sprach. Mit den Lieblingsmedienhäusern von früher war alles vereinbar, Vorabdruck, Interviews, das ganze Besteck der modernen Produktwerbung, mit dem man immer wieder so erfolgreich gemeinsam gegessen hat.
Der verdiente Nachruhm
Allein Scholz gönnte ihr den Augenblick des verdienten Nachruhms nicht. Als der scheidende Kanzler kurz vor dem historischen 9. November in Berlin sichtlich aufgeregt seine lange Rede vom Teleprompter las, um einen langjährigen politischen Weggefährten charakterlich zu vernichten, ging Merkels Marketingplan in die Binsen. Was ursprünglich mit dem Argument verkauft werden sollte, dass nun ein ganzer Teil der jüngeren deutschen Geschichte vom Hades-Plan bis zur Impfpflicht neu geschrieben werden müsse, stinkt ab gegen eine Gegenwart, die gerade neu erfunden wird.
Sogenannte "politische Memoiren", zumeist sterbenslangweilige Selbstrechtfertigungen im Gewand von Kollektivanrufungen, geschrieben von Namenlosen und gelesen von niemandem, gelten als Kassengift des Literaturbetriebes. Auch große Namen wie der von Angela Merkel ziehen kaum Interessierte, ausgenommen, es werden Überraschungen versprochen: Merkels "Freiheit", so benannt nach dem Titel einer SED-Bezirkszeitung zu DDR-Zeiten, verspricht so einen "exklusiven, persönlichen Einblick".
Schon in ihren ersten Interviews zur Produkteinführung aber hat die Mitautorin erkennen lassen, dass sie weder etwas zu bereuen noch etwas zu erklären habe. Sie gleicht damit ihrem Vorgänger Helmut Kohl, der in seiner Verweigerung stur blieb bis zum Liebesentzug durch Partei und Staat.
Alles war noch viel besser
Merkel riskiert das gleiche Los. Alles war gut und vieles noch besser. Wie die besten deutschen Ökonomen, die auf jede falsche Vorhersage unbeirrt eine weitere schichten, immer in der Hoffnung, es werde schon noch ein Moment kommen, in sie richtig liegen, verkündet Angela Merkel dem Land noch einmal, wie gut es alle gehabt haben, als sie noch nichts tat, um den Niedergang der früheren Vorzeigewirtschaft mit ihrer zumeist so friedvollen Gesellschaft aufzuhalten. Auch Merkel haut subtil in die Kerbe, dass Scholz, Habeck und Lindner, aber auch ihr ungeliebter Nachfolger Merz Schuld an der Misere sind, aber nun alle klagen.
Der Satz "Unter Merkel ging es uns noch gut"null ist der eigentliche Buchtitel. Merkel schaut von oben herab auf das, was sie angerichtet hat, und sie ist sicher, gar nichts damit zu tun gehabt zu haben. Die "mit großer Spannung erwarteten Erinnerungen", beim Online-Händler Amazon nicht nur Platz 1 in der Verkaufsrangliste aller Bücher, sondern auch auf Platz 1 im Bereich "Politik der DDR". Und die Marketingkampagne läuft erst an: Die festliche Buchvorstellung findet im Deutschen Theater in Berlin statt, moderiert wie immer von der Journalistin Anne Will.
Welttournee nimmt den März vorweg
Drei Tage darauf ist die Politikerin in ihrem früheren Wahlkreis Stralsund zu Gast, ganz in der Nähe der berühmten Fischerhütte,berühmten Fischerhütte, in der sie als junge Frau im Wahlkampf ihre ersten schritte zur "Angela Allmächtig" ging. Es wäre ein guter Platz für eine Lesung gewesen, doch der Bau ist längst abgerissen, doch der Bau ist längst abgerissen, nachdem das Fischerhandwerk wegen der strengen EU-Regeln beerdigt werden musste.
Merkels Feld ist heute die Welt. Sie liest in Köln, ihrer Zeit wieder einmal voraus, denn die Veranstaltung "bildet den frühen Auftakt für das 25-jährige lit.COLOGNE-Jubiläum im kommenden März". Dann geht es hinüber in die USA, wo sie die US-Ausgabe im Gespräch mit Barack Obama in Washington D.C. vorstellen wird. Nach Angaben von Kiepenheuer & Witsch sind danach weitere Termine für Paris, Barcelona, Mailand und Amsterdam geplant.
3 Kommentare:
Ganz so schlecht sind die Erkenntnisse vielleicht doch nicht. Ich habe das Manuskript von Band 2, "Unfreiheit", zugespielt bekommen und daraus abgeschrieben.
https://die-anmerkung.blogspot.com/2024/11/was-arno-luik-vergessen-hat.html
Sogar Honeckers Ghostwriter hatten es bei einem generischen 'Aus meinem Leben' bewenden lassen. Den
Schmarren 'Freiheit' zu nennen, war hoffentlich ihre letzte Beleidigung von Geist und gutem Geschmack.
Das erinnert mich an einen spöttischen Kommentar des Doitschlandfonkes Anfang der Achtziger: Erich lässt durch seinen Geistschreiber wissen, wie sie mit der kommunistischen Kindergruppe Radio Moskau gehört hätten. Der Doitschlandfonk macht auf die Reichweiten der Sender in den Zwanzigern aufmerksam und schlußfolgert: Der damals zwölfjährige Honecker KANN also gar nicht moskauhörig gewesen sein ...
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