Die politischen Positionen von Boris Pistorius sind weitgehend unbekannt. Das macht den Wunschkandidaten großer Teile der SPD zum Menschenmagneten. Abb: Kümram, Kreide auf Acryl |
Auf einmal war er da. Boris der zweite, diesmal kein Grüner, sondern einer von der SPD. Wiedereinmal die letzte Patrone, diesmal aber scharf geladen. Ein Charismat mit der Ausstrahlung eines großen Laschet. Ein Verteidigungsminister, der das wurde, weil es nach den Stöckelschuhversuchen wiedermal ein Mann machen sollte. Aufgerückt aus der Provinz, machte Boris Pistorius von Anfang an nicht viel Aufhebens um sich. Aber eine gute Figur.
Retter und Richter
Er soll es nun retten und richten. Während Donald Trump in den USA scharfen deutschen Widerspruch erntet für seine Entscheidung, einen Hauptmann zum Befehlshaber der Streitkräfte machen zu wollen, der gerade mal 20 Jahre im Truppendienst absolviert hat, favorisieren Teile der SPD einen Oberbefehlshaber für die deutschen Truppen, der im Gegensatz zum derzeitigen seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat. Im politischen Berlin tönt der Ruf nach einem Gefreiten, diesmal soll es sogar ein Obergefreiter sein.
Viel mehr ist nicht bekannt über den Rätselmann aus Osnabrück, der seine Überzeugungen, Ansichten und Absichten noch besser verbirgt als die demokratische Kandidatin bei den US-Präsidentschaftswahlen. Kamala Harris startete als Wundertüte und landete als Unsichtbare. Zwischendrin hatte sie aber immerhin erkennen lassen, dass sie für ein liberales Abtreibungsrecht, niedrige Inflation, eine starke Wirtschaft und eine "strenge Migrationspolitik" (Tagesschau) hätte einstehen wollen.
Weder tabuisieren noch dramatisieren
Von Pistorius hingegen sind smarte Sätze überliefert wie: "Wir dürfen das Thema Kriminalität von Flüchtlingen weder tabuisieren noch dramatisieren", dass er „aufgrund der Sicherheitserfordernisse ein dringendes Bedürfnis" verspüre, "auch auf Telekommunikationsdaten zuzugreifen", und Pistorius eine Identifizierungspflicht bei sozialen Medien, bestehend aus Klarnamen, Adresse und Geburtstag" begrüßen würde. Früher war der Niedersachse russlandfreundlich unterwegs, die Abschaffung von Sanktionen sollte Wladimir Putin freundlich stimmen. Nach der Annexion der Krim aber revidierte Pistorius seinen Kurs. Und ging "innerlich auf Distanz".
Aber wohin? Ist Boris Pistorius für Bürgergeld? Für mehr oder weniger? Würde er den Industriestrompreis einführen? Scholzens Wummspolitik fortführen? Die Grenzen schließen oder wieder öffnen? Ist er ein rechter Sozialdemokrat? Oder ein linker Konservativer? Ein wirtschaftsfreundlicher Politiker oder ein Sozialromantiker? Der Rätselmann, dem die ganze Liebe mindestens der halben deutschen Sozialdemokratie nachfliegt, schweigt nicht nur zur Frage, ob er denn Kanzler wollen werden würde, wenn Scholz ihn werden wollen ließe. Er ist bislang auch stumm in allen Fachfragen.
Kommunikativ wie die Sphinx
Ein Rätselmann, kommunikativ wie die Sphinx. Wird der Niedersachse, der in Habitus und Auftreten tatsächlich dem etwas kleiner gewachsenen letzten CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet ähnelt, den Sozialstaat schleifen oder ausbauen? Die Taurus liefern oder mit Putin verhandeln? Energie noch teurer machen, um das Klima weiter zu retten? Oder billiger, um die Industrie vor dem Untergang zu bewahren? Ist er bereit, die Schuldenbremse zu bremsen? Wird er die deutschen Milliardäre kräftig zu Kasse bitten? Und das 58-Euro-Ticket endlich auf eine feste Rechtsgrundlage für die kommenden Jahrzehnte stellen?
Pistorius, der vor seinem Amt als Verteidigungsminister Erfahrungen als Oberbürgermeister und Landesminister gesammelt hatte, hat dazu bisher keine Auskunft gegeben, freilich auch weil ihn niemand fragt. Doch der gelernte Jurist weiß, dass in Zeiten, in denen die Gewissheiten schwinden, die Nachfrage nach dem Ungewissen zunimmt: Nur wer niemandes Erwartungen absagt, kann für alle Hoffnung sein.
Ein Kenner des Geschäfts
Womöglich war es kein großer Plan, doch schon seit der Mann aus Osnabrück von seinem glücklosen Bundeskanzler nach Berlin gerufen wurde, um die nach einer Serie von Pleiten und Pannen abgetretene Christine Lambrecht zu ersetzen, hat er sich zurückgehalten.
Pistorius kennt das Geschäft: Der Sohn einer SPD-Landtagsabgeordneten hat den zweiten Bildungsweg zum Spitzenpolitiker abgeschlossen. Wie üblich mit 16 in die Partei, Jurastudium, dann persönlicher Referent eines des sozialdemokratischen Innenministers, schließlich stellvertretender Leiter des Ministerbüros, ein wenig Verwaltung, ein leitender Posten, dann Oberbürgermeister, Nachfolger des Landesministers, Bundesminister.
Ein Kriegstüchtiger
Der 64-Jährige, jünger als der Amtsinhaber, aber noch jünger als dessen härtester Konkurrent, gilt als kompetent, weil ihm noch nie etwas danebengegangen ist. Mag sein, dass die Bundeswehr auch in seinem dritten Jahr an der Spitze - in ein paar Wochen bricht es an - nicht viel "kriegstüchtiger" (Pistorius) ist als vorher.
Mag sein, dass eine Zeitenwende, die nach einem Jahr ein großes Fest zur Geburt des ersten neuen Hubschraubers feiert, die restliche Flotte von 61 aber erst in vier Jahren hervorgebracht haben wird, ein wenig nach Deutschlandtempo riecht. Mag sein, dass einer, 64 oder 640 gar keinen Unterschiedeiner, 64 oder 640 gar keinen Unterschied machen.
Dafür aber gilt Pistorius als unverbraucht, als Mann mit fester Hand und weichem Herzen, der deutlich mehr Geld als alle seine Vorgänger in deutlich kürzerer Zeit ausgeben kann, ohne am Schrumpfen und Altern irgendetwas ändern zu können. Kann so einer Kanzler? Warum denn aber nicht? Die Bundeswehr ist heute doppelt so teuer wie vor 30 Jahren. Dafür aber auch nur noch halb so groß.
2 Kommentare:
Im Unterschied zu den Weibern vor ihm auf dem Posten weiß er, dass Klappe halten das Beste ist.
„Den Gepard stellt man nicht auf Dauerfeuer, nein, das macht man nicht“
(Kriegsministerin Lambrecht im Bundestag 2022)
Alles was Boris P. als BuMi tat, war durchdacht und zielführend.
In der Außenwahrnehmung reichte es schlicht, das Gegenteil davon zu tun, was Christine L. getan hatte.
In seinen nach innen gerichteten, durch windige Reporter kolportierten Maßnahmen scheint sich zu bestätigen, dass er ihren Bemühungen nicht gänzlich erfolglos nachsteht.
Während man der einen oder anderen Vorgängerin noch einen Hang zur Stärkung bestimmter Wirtschaftszweige nachsagen konnte (schwangerentaugliche Panzer ergeben nicht nach den RiLi fpr Beschäftigungsverbote, aber evtl. nach denen dpr Vergabeverfahren einen Sinn), tut P. alles für die Diversität der Truppe. Dazu muss er Einhörner weder streicheln noch spazieren führen. Es reicht für ihn völlig, die Ratschläge des "OSS Field Manual" zu beherzigen. Die nennen/"nannten es zwar schnöde achtlos "Sabotage". Doch die Kollegen vom NKWD dachten achtsam und zukunftsorientierter: den Prozess zur Herstellung von Diversität in stringent hierarchischen Strukturen nannten sie schlicht Diversion.
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